NBA Playoffs - 5 Fragen zum Saisonaus der Boston Celtics: Katastrophe mit Ansage

Ole Frerks
09. Mai 201911:48
Kyrie Irving und die Boston Celtics erlebten eine hausgemachte Saison aus der Hölle.getty
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Die Boston Celtics sind nach fünf Spielen weitestgehend chancenlos aus den NBA Playoffs ausgeschieden. Die Milwaukee Bucks nahmen spätestens durch den 4-1-Sieg die Rolle ein, die man Boston vor der Saison zuschreiben wollte. Was lief schief bei den Celtics?

Was ist passiert?

Im Endeffekt genau das, was sich schon über die gesamte Regular Season und sogar die Preseason angedeutet hatte. Die Celtics verließen sich bis zum Ende darauf, dass ihr Talent schon irgendwann durchkommen würde, und gingen damit gegen ein Bucks-Team unter, das die gesamte Saison über hochkonzentriert und professionell auf diesen Punkt hingearbeitet hatte. Es war die Serie eines 60-Siege-Teams gegen ein 49-Siege-Team, um es ganz simpel auszudrücken.

Dabei hatte es nach Spiel 1 noch danach ausgesehen, als hätte Boston zum genau richtigen Zeitpunkt tatsächlich die Kurve gekriegt. Nach dem überzeugenden Erfolg in Milwaukee erklärte Celtics-Legende Paul Pierce gar völlig übereilig, die Serie sei bereits zugunsten der Celtics entschieden - eine Aussage, die er nach fünf Spielen dann umgehend von den Bucks und der restlichen NBA-Welt um die Ohren gehauen bekam.

Die restlichen vier Spiele der Serie gingen nämlich allesamt an Milwaukee, wobei nur Spiel 3 noch einigermaßen knapp war. Die Celtics bekamen einerseits Giannis Antetokounmpo und die starken Shooter der Bucks nicht in den Griff, noch problematischer war allerdings die eigene Offense. Nach einem brandheißen ersten Spiel der Serie verließ die Kelten im Kollektiv das Wurfglück.

Besonders auffällig war dabei die Leistung von Kyrie Irving - der Superstar hatte die gesamte Saison über immer wieder darauf verwiesen, dass er wisse, wie man in den Playoffs gewinnt, über die letzten vier Spiele der Serie traf er jedoch nur noch schaurige 25 von 83 Würfen (30,1 Prozent) und sogar nur 5/27 von der Dreierlinie (18,5 Prozent).

Bucks vs. Celtics: Die Serie im Überblick

TagDatumSpielHeimAuswärtsErgebnis
Sonntag28. April1MilwaukeeBoston90:112
Mittwoch1. Mai2MilwaukeeBoston123:102
Samstag4. Mai3BostonMilwaukee116:123
Dienstag7. Mai4BostonMilwaukee101:113
Donnerstag9. Mai5MilwaukeeBoston116:91

Irving konnte den Schalter nicht umlegen, der Rest seines Teams allerdings auch nicht - mit ihm auf dem Court war das Offensiv-Rating schon schlecht (100,5), ohne ihn war es erbärmlich (89,2). Abgesehen von Al Horford, Jaylen Brown und Marcus Morris konnte kein Spieler der Celtics für sich reklamieren, eine auch nur ordentliche Serie gespielt zu haben.

Irving fasste das Geschehen nach dem Blowout in Spiel 5 treffend zusammen: "Es kommt auf großartigen Team-Basketball an, darauf, wer zu einer bestimmten Zeit im Jahr besser spielt ... sie haben uns im Kollektiv klar übertroffen. Es ist jetzt aber nicht die Zeit, um enttäuscht zu sein. Man muss daraus lernen, aus dem Arschtritt, den sie uns verpasst haben, und nach vorne blicken. Ich weiß, dass ich so etwas nicht vergessen werde. Es geht für mich jetzt darum, mich auf das nächste Jahr zu konzentrieren und zu sehen, wohin das führt."

Der letzte Satz wurde dabei natürlich umgehend wieder als ein Indiz dafür gewertet, dass Irving die Celtics im Sommer verlassen will. Auch bei diversen anderen Spielern ist die unmittelbare Zukunft offen, es steht also eine mehr als interessante Offseason in Boston an.

Warum konnten die Celtics ihr Potenzial nie abrufen?

Zunächst muss man wohl festhalten, dass große Teile der NBA-Welt das Potenzial des Teams vor der Saison schlichtweg überschätzt haben. Als Top-Contender im Osten galten die Celtics unter Experten, selbst die Warriors sahen Boston als größte Herausforderung an. Diesem Label wurden die Celtics aber nie gerecht. Nicht in der enttäuschenden Regular Season, nicht in den Playoffs. Warum?

Zum einen passte der Kader nicht so gut zusammen, wie man es dachte: Defensiv war die Qualität zwar sehr hoch, offensiv verfügten die Celtics aber über zu viele Spieler mit zu ähnlichen Tendenzen. Die Topscorer gingen allesamt fast nie an die Linie (Irving war mit mickrigen 3,7 Freebies pro Spiel ganz klarer Spitzenreiter!) und waren vom Sprungwurf abhängig, Irving und Tatum waren dazu in ihr Dribbling verliebt und zelebrierten immer wieder Alleingänge.

Nie kam dauerhaft Spielfluss auf, während fast das gesamte Team hinter Irving seine Rolle suchte und Gordon Hayward sich langsam zu reintegrieren versuchte. Die Celtics hatten Spiele, in denen die Jumpshots fielen und alles andere klickte, in denen sie fast unschlagbar aussahen, diese waren jedoch rar. Wenn der Wurf nicht fiel, schien oft nur Irving einen (selten perfekten) Plan B zu haben.

Die Stats der Celtics gegen Milwaukee

SpielerPunkteFG%3FG%Net-Rtg.
Kyrie Irving20,435,621,9-9,7
Al Horford16,247,646,4-4,7
Jaylen Brown16,246,630,8-10,1
Marcus Morris14,862,5551,9
Jayson Tatum1236,412,5-10,6
Gordon Hayward7,434,333,3-15,5
Terry Rozier5,828,615,8-6,1

Boston war nie mehr als die Summe seiner Einzelteile

Ähnliche Spielanlagen waren aber natürlich nur ein Faktor - zweifellos steckte mehr Potenzial in diesem Team als 49 Siege und ein Zweitrundenaus. Doch in der gesamten Saison wurde aus dem Team kein Kollektiv, das Ganze war nie mehr als die Summe seiner Einzelteile.

Alle Team-Meetings und Langstreckenflüge der Welt reichten nicht aus, um die inhärenten Konflikte zwischen beispielsweise Irving und den jüngeren Spielern, die in den Playoffs 2018 so aufgeräumt hatten, zu beenden. Auch Brad Stevens schien für diese Probleme im Miteinander keine Lösungen parat zu haben. Oft spielte Boston nicht miteinander, sondern nebeneinander.

"Es war nicht leicht, mit all dem Talent, das wir hatten, klarzukommen, mit den verschiedenen Jungs, die ins Rampenlicht wollten, so ein Scheiß - es war einfach viel", erklärte Terry Rozier nach Spiel 5. "Ich glaube schon, dass wir alle ein gemeinsames Ziel hatten. Aber es war sicher nicht leicht für unseren Coach, mit so vielen Jungs auszukommen, die großartig sein und ihr Stück vom Kuchen haben wollten."

Ein Stück weit amplifizierte Haywards Zustand diese Probleme. Vor seiner Verletzung war er die Art von Spieler, die Boston in dieser Saison fehlte: Ein guter und selbstloser Playmaker und gleichzeitig ein Spieler, der durchaus mit Dampf zum Korb ging und Kontakt suchte. Dieser Spieler war aber nur manchmal zu sehen, auf gute Phasen folgten immer wieder Hänger. So auch in den Playoffs.

Der Kollaps zeichnete sich ab

Auch ein Hayward in Topform hätte aber wohl nicht verhindert, dass vor allem Tatum und Rozier in ihren Entwicklungen stagnierten oder sich sogar in die falsche Richtung entwickelten (Brown fing sich nach seinem Horror-Start immerhin). Mit den veränderten Rollen kamen beide nicht ideal zurecht und gerade Tatum zeigte, dass die Entwicklung von NBA-Spielern nicht zwingend linear verlaufen muss.

Vielleicht hätte man die Probleme kommen sehen müssen. In jedem Fall geht Boston nun früher in den Urlaub, als vor der Saison erwartet wurde, mit einer wesentlich mieseren Laune. Wobei das Wort Urlaub angesichts der unzähligen Personalfragen ohnehin nicht wirklich angebracht ist.

Wie geht es mit Kyrie Irving weiter?

Celtics-GM Danny Ainge hat, wenn er sich von seinem Herzinfarkt hoffentlich vollständig erholt hat, eine richtungweisende Offseason vor sich. Diverse Personalien sind zu klären, wobei die wichtigste Frage ganz klar die nach der Zukunft von Irving ist. Nachdem der Superstar vor der Saison noch sagte, dass er auf jeden Fall in Boston bleiben wolle, machte er von diesem Versprechen bekanntlich während der Saison einen Rückzieher und heizte damit doch wieder Spekulationen an.

Nicht nur deshalb ist Irving sicherlich eine gewisse "Schuld" an der enttäuschenden Saison zuzuschreiben. Mehr als einmal kritisierte er seine Mitspieler öffentlich und passiv-aggressiv, wofür er sich gegen Ende der Saison immerhin entschuldigte. Auch spielte er die Bedeutung der Regular Season immer wieder herunter mit dem Versprechen, dass in den Playoffs schon alles gut werden würde, er blieb den Beweis aber schuldig. Den Extra-Gang fand er gegen die Bucks nur in Spiel 1.

Irving verhielt sich im Lauf der Saison phasenweise so, als wäre er LeBron James und die Celtics die Cavaliers in der Saison 2016/17, als könne man jederzeit einen Schalter umlegen. Die Celtics hatten aber noch keine gemeinsamen Playoff-Runs absolviert und keinen Titel gewonnen. Und Kyrie ist beileibe kein LeBron. Auch wenn er individuell eine sehr gute Saison spielte, trat er nicht als der Leader oder die Stimme der Vernunft auf, die das Team gebraucht hätte.

Ein Star, den man behalten will und den die halbe Liga gern verpflichten würde, bleibt Kyrie natürlich trotzdem. Uncle Drew gehört zwar nicht in die Kategorie der Super-Duper-Stars a la Giannis Antetokounmpo, Kevin Durant oder Kawhi Leonard, er kommt aber recht schnell dahinter - ist er der zweitbeste Spieler eines Teams, ist dieses Team phänomenal aufgestellt.

Kyrie Irving kann sich sein nächstes Team aussuchen

Irving wird sich sein nächstes Team daher aussuchen können. Die Celtics, die Knicks, die Nets, die Clippers, die Lakers (?) - etliche Teams werden ihm einen Maximalvertrag geben wollen. Boston kann ihm dabei etwas mehr Geld und ein weiteres Vertragsjahr anbieten, der finanzielle Aspekt dürfte aber nicht die Hauptrolle spielen. Darauf angewiesen ist Kyrie ohnehin nicht.

Es wird darum gehen, womit er sich wohlfühlt. Will er mit Durant die Knicks "great again" machen, obwohl ihm schon der Medienmarkt in Boston zu anstrengend war? Will er sein eigenes Ding in Brooklyn machen? Will er das Projekt, das er mit den Celtics begonnen hat, zum Ende bringen und dafür sorgen, dass irgendwann sein Trikot dort unter der Hallendecke hängt, wie er es sich vor der Saison gewünscht hatte? Startet er einen neuen Versuch mit LeBron?

"Ich werde ehrlich sein: Ich will jetzt erstmal sicher zurück nach Boston kommen, Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden verbringen und etwas ausspannen, was menschliche Wesen so tun", sagte Irving, angesprochen auf die Frage nach seiner Zukunft, nach Spiel 5.

Der Ball ist in seiner Hand. Was die Arbeit von Ainge umso schwieriger macht, weil diverse andere Entscheidungen wohl ebenfalls davon abhängen, was der etwas eigenwillige Point Guard plant.

Was passiert sonst noch in der Offseason?

Abgesehen von etwaigen Superstar-Trades (siehe Frage 5) haben die Celtics auch noch weitere eigene Personalien, die geklärt werden müssen. Zunächst ist hier Al Horford zu nennen, der die Entscheidung allerdings selbst in der Hand hat. Der Big Man verfügt für die kommende Saison noch über eine Option in Höhe von 30,1 Millionen Dollar, es ist aber nicht gesagt, dass er diese ziehen wird. Denkbar wäre auch, aus dem Vertrag auszusteigen und einen längerfristigen Deal anzustreben. Mit 32 Jahren wäre es für Big Al vermutlich der letzte große Deal.

Wie wichtig Horford dabei immer noch ist, zeigte auch die Serie gegen Milwaukee wieder. Selbst wenn er langsam abbaut, gehört er aktuell immer noch zu den zwei bis drei besten Verteidigern für Giannis wie auch für Joel Embiid, die die NBA zu bieten hat. Beide dürften den Osten noch mehrere Jahre prägen. Horfords Zahlen werden nie außergewöhnlich sein, sein Spiel ist es aber nach wie vor.

Sollte Irving das Team verlassen, könnte freilich auch Horford anderswo einen Run auf den Titel anstreben, Angebote würde es geben. Sein Backup Aron Baynes verfügt ebenfalls über eine Option (5,5 Mio.), dazu ist Marcus Morris ein Unrestricted Free Agent, beide gehören aber definitiv nicht zu den entscheidenden Personalien des Sommers. Morris hat sich mit einem eher schwachen Ende der Saison wohl um einige Millionen gebracht, es ist gut denkbar, dass er Ainge trotzdem zu teuer sein wird.

Terry Rozier ist in der Offseason ein Restricted Free Agent.getty

Wie geht es mit Terry Rozier und Daniel Theis weiter?

Darüber hinaus gibt es insgesamt vier Restricted Free Agents: Jonathan Gibson, Brad Wanamaker, Daniel Theis und Terry Rozier. Der deutsche Nationalspieler Theis hat erneut eine solide Regular Season gespielt, in den Playoffs ist er jedoch aus der Rotation gefallen. Ob die Celtics weiter mit ihm planen, wird sich erst noch zeigen.

Das größte (RFA-)Fragezeichen steht hinter Rozier. Scary Terry spielte keine gute Saison und noch schlechtere Playoffs, gleichzeitig galt er mal als Absicherung, sollte Irving die Celtics verlassen. Es gibt beim 25-Jährigen aber sicher eine finanzielle Schmerzgrenze, und Rozier würde einen Abgang wohl begrüßen: "Kein Kommentar", antwortete er auf die Frage, ob er hoffe, dass Boston jedes eingehende Angebot matchen würde.

Die Kontrolle haben hier die Celtics. Sollte ein anderes Team in ihm einen Starting PG sehen und ihn entsprechend bezahlen, wird Boston Rozier aber wohl nicht halten. Das gilt erst recht dann, wenn Irving bleiben sollte. In diesem Fall schielen die Celtics natürlich auch noch auf eine andere Transaktion.

Haben die Celtics eine Chance auf Anthony Davis?

Einer der Elefanten im Raum (Shoutout Cersei Lannister) in dieser Saison waren die Gerüchte rund um die Saison, nicht nur in Bezug auf Irving, sondern auch Davis. Während der Saison hätte Boston nicht für ihn traden können, da er und Irving beide auf ihren Rookie-Max-Extensions sitzen, im Sommer ist das aber nicht mehr der Fall. Nun kann Ainge den nächsten Superstar jagen.

Die Gerüchte, dass Davis nur bei den Lakers verlängern würde, werden den GM dabei nicht abhalten - allenfalls dann, wenn Irving signalisiert, dass er ebenfalls nicht bleiben will. Ansonsten dürfte Ainge so ziemlich alles anbieten, was er an Assets zur Verfügung hat. Das ist trotz der enttäuschenden Saison immer noch ziemlich viel, allen voran hat Boston zwei junge Talente in Tatum und Brown sowie bis zu vier Erstrundenpicks allein im anstehenden Draft.

Ob Boston wiederum das beste Angebot machen kann, hängt einerseits davon ab, wie die Pelicans insbesondere Tatum bewerten, und andererseits von den Ergebnissen der Lottery. Der Nr.1-Pick und damit Zion Williamson gilt aktuell als heißeres Asset als fast jeder aktive NBA-Spieler - wer den Pick bekommt, hält die meisten Trümpfe in der Hand.

Boston Celtics: Im Sommer ist fast jedes Szenario möglich

Die Celtics haben zwar Chancen auf Lottery-Picks sowohl aus Memphis als auch aus Sacramento, der Nr.1-Pick ist für sie aufgrund von Protections aber außer Reichweite. Gleichzeitig ist natürlich völlig unklar, ob das Team, das den Nr.1-Pick bekommt, diesen überhaupt für Davis abgeben würde. Es hängt extrem viel in der Schwebe.

Das ist grundsätzlich das Überthema für die Offseason, allen voran für die der Celtics. Es gibt ein Universum, in dem sie die kommende Saison mit Davis (einer echten Nr.1!), Irving und Horford eröffnen, es gibt aber auch eins, in dem um Tatum, Brown, Smart und Hayward neu aufgebaut werden muss.

Letzteres wäre verglichen mit den Situationen vieler anderer Teams prinzipiell keine Katastrophe, man würde aber natürlich um Jahre zurückgeworfen und das 18. Banner wäre wieder ganz weit entfernt. Auch wenn man nach dem passenden Ende dieser Saison festhalten muss: Das Banner war auch in diesem Jahr eindeutig außer Reichweite.