Stephen Curry steht bei einigen noch immer im Ruf, kein guter Playoff-Performer zu sein - was letztendlich auf genau einer Serie beruht. Doch Vieles von dem, was er den Golden State Warriors gibt, ist mit Zahlen kaum zu ergreifen. Above the Break hat es dennoch versucht.
Was definiert Stephen Curry? Das Shooting wäre die offensichtliche Antwort. Kein Spieler in der Geschichte der NBA hatte jemals eine solche Range bei diesem Volumen. Die wenigen Dreier-Rekorde, die Curry noch nicht gebrochen hat, wird er noch brechen. Und die Messlatte dabei so hoch legen, dass sie zumindest einige Jahre unerreicht bleiben sollte. Vielleicht auch länger.
Was definiert Stephen Curry? Vielleicht auch seine Bescheidenheit. Curry gilt als eine Art neuer Tim Duncan, oder, um DeMarcus Cousins zu zitieren: "Alter, du bist der normalste Superstar, den ich je gesehen habe." Welcher andere (einstimmige, zweimalige) MVP hätte bereitwillig ein Kaliber wie Kevin Durant in seinem Team willkommen geheißen, um mehr Titel zu gewinnen?
Oder vielleicht ja das Ballhandling? Kyrie Irving gilt gemeinhin als König der Handles in der NBA, Curry allerdings ist nicht allzu weit von Uncle Drew entfernt und hat ebenfalls schon diverse Opfer per Dribbling auf die Bretter geschickt (Chris Paul erinnert sich). Auch das Ballhandling ist eine elitäre Fähigkeit von Curry, bei der dieser seine absurde Hand-Auge-Koordination voll ausnutzen kann.
All diese Aspekte sind wichtig und kommen doch nicht einmal in die Nähe davon, den 31-Jährigen im Ganzen zu definieren. Mindestens ein Teil seines Spiels gehört noch zwingend erwähnt, wenn man Currys Einfluss in der Offense einigermaßen vollständig ergreifen möchte: Der Mann steht einfach niemals still.
Meter, die doppelt kosten
Curry läuft, und läuft, und läuft, vor allem ohne den Ball. In den laufenden Playoffs sind laut nba.com/stats nur sechs Spieler pro Spiel mehr unterwegs als Curry (2,74 Meilen, also etwa 4,4 km pro Spiel), seit dem Ausfall von Durant läuft er sogar noch mehr (2,85 Meilen, etwa 4,6 km). Und dabei kann man argumentieren, dass jeder seiner Meter das gegnerische Team doppelt kostet.
Es ist schließlich nicht nur die Tatsache, dass er läuft. Curry hebt sich von seiner Konkurrenz durch die Art und Weise ab, WIE er läuft - seine Bewegung verläuft nie planlos. Er ist in den Sekunden unmittelbar nachdem er den Ball abgegeben hat gefährlicher als jeder andere NBA-Spieler, wahrscheinlich jemals.
Der sogenannte Relocation-Dreier ist eine seiner größten Stärken. Sein Gegenspieler muss nur den Bruchteil einer Sekunde verschlafen, damit Curry genug Tageslicht für seine Bomben von der Dreierlinie findet. Selbst wenn die Dubs neben ihm vier miese Shooter auf dem Court haben und sich die ganze Defense auf ihn konzentriert, findet er immer wieder solche Möglichkeiten.
Steve Kerr: "Er kreiert so viel Stress für die Defense"
Warum - um alles in der Welt - sind im Lauf dieser Playoffs (wie oft in den vergangenen Jahren) fast 40 Prozent von Currys Würfen entweder "offen" oder "weit offen" laut Definition? Weil fast niemand der Aufgabe gewachsen ist, Curry permanent und durch die vielen Blöcke, die ihm gestellt werden, zu verfolgen.
Weil vielen Spielern die Disziplin fehlt, und teilweise auch das Spielverständnis - ein Gerald Green etwa wurde in Runde zwei de facto unspielbar, ähnlich wie Enes Kanter eine Runde später, weil Curry ihre Fehler und Schwächen immer wieder ausnutzte. Und weil die Dubs ihn finden, wenn sie können, insbesondere Draymond Green.
nba.comSteve Kerr erklärte Currys Impact kürzlich gegenüber The Athletic: "Stephs Bewegung abseits des Balles ist so wichtig für das, was wir machen, und sie macht ihn einzigartig. Man denkt an all die dominanten Offensiv-Spieler und keiner von ihnen hat sich so ohne Ball bewegt wie er. Es kreiert so viel Stress für die Defense, weil man sich auf zwei Fronten gleichzeitig konzentrieren muss. Man muss auf den Ball achten, aber auch auf Steph, der hinter einem Block hervorkommt. Wenn man zwei Dinge gleichzeitig tun muss, werden Fehler wahrscheinlicher."
Hier reicht ein Screen:
Es geht aber auch weitaus komplizierter (hier in YouTube-Form, weil man das ganze Play sehen muss):
Eine disziplinierte Defense kann ihm oft den ersten, vielleicht auch den zweiten Look nehmen. Doch irgendwann findet Curry die Lücke. Seine Kondition erlaubt es ihm, wie vielen anderen überragenden Shootern vor ihm, wieder und wieder zu starten, ohne müde zu werden. So erzielt Curry in den Playoffs fast 5 Punkte pro Spiel nach Screens, (mal wieder) Bestwert, knapp vor Klay Thompson.
Der Unterschied zu anderen Superstars
"Das Einzigartige an Steph ist ... es gab schon viele Spieler, die abseits des Balles großartig waren. Reggie Miller, Rip Hamilton, Klay fallen in diese Kategorie", so Kerr. "Dann waren einige Spieler großartig mit dem Ball. Allen Iverson, Kevin Johnson, Tim Hardaway. Aber wie viele Spieler hatten beides? Bei den meisten Superstars ist es das eine oder andere. LeBron zum Beispiel ist verheerend mit dem Ball, aber nicht unbedingt ohne. Das ist fast immer so."
Das ist es tatsächlich. Die Serien gegen Houston und vor allem Portland dienten jüngst als perfekte Anschauungsbeispiele: Damian Lillard ist in vielerlei Hinsicht recht ähnlich wie Curry, seine Bewegung abseits des Balles ist aber teilweise kaum vorhanden. Wenn er den Ball nicht hatte, ließ er die Warriors-Defense in Ruhe. Curry lässt die gegnerische Defense nie in Ruhe, zumal er auch selbst eifrig Blöcke setzt, vor allem für Thompson. Das ist der größte Unterschied zwischen ihm und Lillard.
Mehr als alles andere ist das auch der Hauptgrund, warum Curry die größte Anziehungskraft der NBA hat und warum sein Spiel mit konventionellen Zahlen teilweise schwer zu greifen ist. Natürlich gibt es die Scoring-Explosionen, seit dem Durant-Ausfall gibt es sie sogar in jedem Spiel. Aber es gibt und gab eben auch immer wieder mal Spiele mit eher hässlichen Statlines für Curry.
Es gab sie in diesen Playoffs, es gab sie über die Jahre auch schon in einigen Finals-Spielen. Viele Dreier bedeuten hohe Varianz, zumal Curry ja auch sonst nicht ausschließlich perfekte Entscheidungen trifft (Stichwort: Turnover). Und dennoch gibt es in folgender Hinsicht fast gar keine Varianz: Curry ist seit Jahren der König des Plus-Minus in der NBA.
Plus-Minus ist eine alles andere als perfekte Statistik, weil kein Spieler je allein auf dem Court steht. Real Plus-Minus von ESPN versucht dem beizukommen, indem es alle anderen Akteure auf dem Court bewertet mit einbezieht - auch hier ist Curry seit Jahren immer mindestens in der Top 5. Offensiv stand seit 2014/15 lediglich James Harden dreimal und einmal Russell Westbrook über ihm.
Die Plus-Minus-Werte von Stephen Curry
Saison | Rang Plus-Minus | Rang Real Plus-Minus | Rang Offensive Real Plus-Minus |
14/15 | 1 | 1 | 3 (Harden, Westbrook) |
15/16 | 3 | 4 | 1 |
16/17 | 2 | 3 | 1 |
17/18 | 1 | 3 | 2 (Harden |
18/19 | 1 | 3 | 2 (Harden) |
Curry muss nicht zwingend selbst für die Punkte sorgen, damit sein Team gewinnt - und er kann auch als Non-Scorer massiven Einfluss haben, weil die restlichen Dubs dank der Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwird, oft Vier-gegen-Drei spielen dürfen (und darin verdammt gut sind). Hier zum Beispiel tritt Curry im Boxscore nicht auf, Andre Iguodala bekommt den offenen Dunk aber vor allem deshalb, weil zwei Rockets-Verteidiger Angst vor Curry hatten. Konventionelle Defensiv-Regeln werden von Curry seit Jahren außer Kraft gesetzt:
1,5 Secondary Assists beziehungsweise "Eishockey-Assists" dieser Art verzeichnet Curry pro Spiel, mehr als jeder andere Spieler in diesen Playoffs. Ein weiteres Merkmal, das sich durch den gesamten Run der aktuellen Warriors-Dynastie zieht. Und ein weiteres Merkmal, das eher auf den zweiten als auf den ersten Blick ersichtlich wird.
Stephen Curry: Lauter Spieler, leiser Impact?
Es ist schon ein wenig paradox. Curry ist in vielerlei Hinsicht ein lauter Spieler, er feiert auf dem Court, kaut auf seinem Mundschutz herum, spielt "emotional". Trotzdem sind viele der Dinge, die er seinem Team gibt, eher subtiler Natur. Auch das dürfte ein Grund sein, warum der zweimalige MVP und seine Bewerbungsunterlagen für das NBA-Pantheon noch immer oft unterschätzt werden.
Curry hat (bisher) drei Titel und zwei MVPs in seinem Trophäenschrank, das Spiel hat er revolutioniert wie wenige Spieler vor ihm. Trotzdem haftet ihm bisweilen der Ruf an, ein "Playoff-Choker" zu sein, der sich nahezu ausschließlich auf die 2016er Finals stützt - als hätte nicht fast jeder andere Superstar auch mindestens eine schwarze Serie in seinem Playoff-Resümee. Dass er grundsätzlich "in den Finals nicht abliefert", ist in jedem Fall ein Mythos.
Stephen Currys Statistiken in den Finals
Finals | Punkte | Rebounds | Assists | eFG% | Net-Rating |
2015 | 26 | 5,2 | 6,3 | 54,5 | +10,6 |
2016 | 22,6 | 4,9 | 3,7 | 53,2 | -2,3 |
2017 | 26,8 | 8 | 9,4 | 54,4 | +5,6 |
2018 | 27,5 | 6 | 6,8 | 52,2 | +15,3 |
Stephen Curry: Noch fehlt der Finals-MVP
Curry hat dabei über die Jahre mehr als genug dominante Playoff-Leistungen hingelegt - sollte man meinen. Was ihm noch fehlt, ist der Finals-MVP-Award, auch wenn man aus den oben genannten Gründen gut und gerne schlussfolgern kann, dass 2015 nicht Iggy, sondern er den Award hätte gewinnen sollen. Es spielt letztlich keine Rolle. 2017 und 2018 sackte Durant den Award verdient ein.
Dieses "Risiko" ging Curry bewusst ein, als er den zweiten MVP in seinem Team begrüßte. Curry opferte damals Würfe, Spielanteile, Aufmerksamkeit - in den letzten Wochen hat er gezeigt, dass die Version aus der Zeit davor aber durchaus auch immer noch existiert. Curry kann laut und leise, mit oder ohne Ball; auch das definiert ihn.
Die kommende Serie wird dabei, zumindest am Anfang, wieder mal zu einem Großteil durch ihn entschieden werden. Durant wird mindestens Game 1 (Freitag, 3 Uhr live auf DAZN), eher mehr Spiele verpassen, die Raptors sind ein um ein Vielfaches (!) besseres Defensiv-Team als Portland. Will er endgültig den Finals-MVP-Award gewinnen, muss er ihn sich verdienen - Toronto wird Curry hart für seine Punkte arbeiten lassen.
Das Gute für Steph: Er ist nichts anderes gewohnt. Auch wenn es nicht immer danach aussieht.