Was den Raptors in Spiel 5 der Eastern Conference Finals gelang, das schaffte in der Saison 2018/19 noch kein anderes Team vor ihnen. Die Bucks, immerhin das von der Bilanz her beste Team der Regular Season, gaben über die komplette Spielzeit höchstens zwei Partien in Folge ab - bis jetzt.
Mit einem beeindruckenden 105:99-Comeback-Sieg gelang den Raptors nun tatsächlich das Kunststück, den Mannen aus Wisconsin die dritte Niederlage in Serie zuzufügen - gleichzeitig sicherten sich die Kanadier damit die 3-2-Führung, es fehlt nur noch ein Erfolg, um die erste Finals-Teilnahme der Franchise-Geschichte klar zu machen.
Wie will man die Bucks in Spiel 6 in Toronto in der Nacht von Samstag auf Sonntag (ab 2.30 Uhr live auf DAZN) nun zum vierten Mal in Serie schlagen? "Ich weiß es nicht, ich habe das noch nie gemacht", antwortete Kawhi Leonard gewohnt nüchtern auf die Frage von TNT-Reporterin Kristen Ledlow direkt nach dem finalen Buzzer.
Und mit welcher Mentalität werden die Raptors in dieses Spiel gehen? "Ich bin noch nicht einmal in die Kabine gekommen, das Spiel ist gerade erst aus. Ich rede jetzt mit Ihnen, bevor ich mit meinen Mitspielern reden konnte. Wir wollten heute den Sieg holen, wir haben ihrem frühen Sturm getrotzt. Mal schauen, worüber wir in der Kabine reden werden", beantwortete die Klaue auch diese Frage ohne den geringsten Anflug von Ironie.
Fred VanVleet explodiert in Spiel 5 gegen Bucks
Ein Thema dürfte dort sicherlich Fred VanVleet gewesen sein. Der Backup-Guard hatte bisher eher - um es noch positiv auszudrücken - durchwachsene Playoffs hinter sich, in Spiel 5 war er aber nicht zu stoppen. 21 Punkte standen am Ende auf seinem Konto, er hämmerte den Bucks 7 Dreier bei 9 Versuchen um die Ohren.
Sein Geheimnis? "Kein Schlaf, viele Kinder kriegen", scherzte VanVleet. Erst am Montag wurde er zum zweiten Mal Vater, die Geburt seines Sohnes Fred Jr. ließ der 25-Jährige sich natürlich nicht entgehen. Auch wenn VanVleet dafür ein happiges Reiseprogramm auf sich nahm.
Am Montag ging es nach Rockford, Illinois, zu seiner Frau, die in den Wehen lag. Am Dienstag reiste er rechtzeitig zu Spiel 4 zurück nach Toronto, nur um die darauffolgende Nacht erneut an der Seite der Mutter zu verbringen. "Heute Morgen wurden wir aus dem Krankenhaus entlassen, also bin ich nach Milwaukee gefahren, habe ein Nickerchen gemacht und dann meine Schuhe für Spiel 5 geschnürt. Es war eine hektische Woche", sagte VanVleet.
Der Stress dürfte sich gelohnt haben. Nicht nur ist das zweite Kind gesund und munter, auch der Vater wirkte revitalisiert. Nachdem er schon in Spiel 4 eine gute Leistung aufs Parkett gezaubert hatte, legte er in Milwaukee die mit Abstand beste Partie seiner Postseason hin.
Die Statistiken von Fred VanVleet in der Saison 2018/19
Spiele / Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | FG | 3FG | |
Regular Season | 64 / 27,5 | 11 | 2,6 | 4,8 | 41 Prozent | 37,8 Prozent |
Playoffs (vor Spiel 5 vs. Bucks) | 16 / 20,4 | 4,6 | 1,6 | 2,9 | 29,8 Prozent | 25 Prozent |
Spiel 5 vs. Bucks | 1 / 37 | 21 | 1 | 1 | 7/13 | 7/9 |
Kawhi Leonard: Dominanter Auftritt mit Career-High
"Es war eine harte Phase für mich in diesen Playoffs in Sachen Shooting, alles andere war in Ordnung", blickte VanVleet auf seine bisherigen Schwierigkeiten zurück. Trotz des Baby-Glücks habe er aber dennoch Zeit gefunden, um Workouts dazwischen zu schieben: "Man muss einfach sich selbst und seiner Arbeit vertrauen und irgendwann fallen dann die Würfe."
Einen nicht ganz unwichtigen Anteil daran hatte allerdings auch Kawhi. Er war es, der mit aggressiven Drives das Kollabieren der Defense erzwang und dann die offenen Mitspieler wie beispielsweise VanVleet bediente. Seine 9 Assists waren ein Playoff-Career-High, alle 9 Assists führten zu Raptors-Dreiern. Gemeinsam mit seinen fünf eigenen Triples (bei 8 Versuchen) zeichnete sich Kawhi also für 14 von Torontos 18 Distanzwürfen verantwortlich.
"Wenn er mehrere Verteidiger gegen sich hat, dann trifft er in den meisten Fällen die richtige Entscheidung und bedient den offenen Mitspieler", analysierte Raptors-Coach Nick Nurse. "Heute haben wir endlich ein paar Würfe getroffen, das hilft deinen Assist-Zahlen." Die Bilanz der Raptors von Downtown bestach am Ende des Abends mit 18 Triples bei 43 Versuchen (41,9 Prozent).
Kawhi Leonard stellt Giannis erneut kalt
Das heiße Händchen aus der Distanz war auch bitter nötig: Den 18 Dreiern standen nur 13 Zwei-Punkte-Würfe gegenüber. Innerhalb der Dreierlinie traf Toronto gerade einmal 31,7 Prozent! Durch den Vorteil von Downtown (+24 Punkte gegenüber Bucks) und an der Freiwurflinie (+12) glichen die Raptors diese Schwäche aber gut aus.
Leonard dominierte dabei neben seinem Playmaking auch mit dem eigenen Scoring. Die Klaue erzielte 35 Punkte, 15 allein im Schlussabschnitt, als er sein Team auf die Siegerstraße brachte. Und dann war da ja auch noch Kawhis Defense.
Erneut ließ er Giannis Antetokounmpo im direkten Duell nicht zur Entfaltung kommen. Der Grieche war zwar mit 24 Punkten (9/18 FG), 6 Assists und 6 Rebounds bester Mann bei den Bucks, doch an seine MVP-Form aus der Regular Season kam er (erneut) nicht heran. In der kompletten Saison (Regular Season + Playoffs) erzielte Giannis gegen Kawhi laut nba.com/stats nur 18,5 Punkte pro 100 Possessions, sein mit Abstand schlechteste Wert gegen einen einzelnen Verteidiger (auch wenn die gute Help-Defense der Raptors hier natürlich mit hineinspielt).
"So beeindruckend seine Offense auch ist, mich beeindruckt es viel mehr, wenn er in der Defense ist und verteidigt, Würfe blockt und Steals holt", lobte deshalb auch Nurse. Sein Gegenüber Budenholzer betonte in Bezug auf die Defense gegen seinen Franchise-Star allerdings auch: "Es ist ihr ganzes Team, das gut und effektiv ist."
Milwaukee Bucks: Unnötige Fehler und der Shooting-Slump
Kawhi und die Raptors haben es erneut geschafft, den Greek Freak in seinem Schaffenskreis einzuschränken. Ähnlich wie in den Partien zuvor war auch in Spiel 5 gut zu beobachten, wie Toronto eine Mauer vor dem eigenen Korb aufbaute, in die Giannis das ein ums andere Mal hineinkrachte. Genau hier versteckt sich eine der potenziellen Antworten auf die Frage, wie man die Bucks ein viertes Mal schlagen könnte.
Dieses Konzept ist auch deshalb erfolgreich, weil die Bucks in den bisherigen Conference Finals keinerlei Gefahr aus der Distanz ausstrahlen. Milwaukee trifft im Gesamten magere 30,3 Prozent aus der Distanz, in Spiel 5 waren es 10 von 31 Dreier. Damit nicht genug, die Bucks leisteten sich in dieser äußerst wichtigen Partie in der Schlussphase einige unnötige Fehler, die ihnen die Chance kosteten, die Partie doch noch umzubiegen.
Diese Fehler führten unter anderem zu 5 Offensiv-Rebounds der Raptors im vierten Viertel, die die Gäste in 8 Second-Chance-Points umwandelten. Darunter war ein Abpraller 30 Sekunden vor dem Ende, den sich Marc Gasol schnappte, um kurz darauf den Raptors-Vorsprung von der Linie auf 3 Zähler zu erhöhen.
Giannis Antetokounmpo vor Spiel 6: "Dürfen nicht aufgeben"
Oder auch gut eine Minute zuvor ein Offensiv-Rebound von Leonard, der wohlgemerkt nach einem eigenen Fehlwurf aus der Distanz in die Zone marschierte und sich quasi ohne Gegenwehr den Rebound holte. Auch daraus resultierten zwei Freiwürfe, die Coach Bud fast auf die Palme brachten: "Das ist ein kritisches Play, das darf nicht passieren."
Erst recht nicht im kommenden Spiel 6 in fremder Halle, wenn Milwaukee mit dem Rücken zur Wand steht. "Das ist nicht einfach nur irgendein Spiel. Das ist ein Must-Win", merkte der sichtlich angefressene Antetokounmpo an, der gleichzeitig eine Kampfansage parat hatte.
"Wir sind das beste Team der Liga, wir werden nicht aufgeben. Selbst wenn sie den Ton angeben und uns früh ins Gesicht schlagen, dürfen wir nicht aufgeben", so der 24-Jährige. "Wir werden angepisst nach Milwaukee zurückkommen!" Mit vier Niederlagen in Folge werden die Bucks ihre Saison sicherlich nicht beenden wollen.