Das Rund der Oracle Arena leerte sich ziemlich schnell, noch bevor der finale Buzzer ertönte. Ein Layup von Kyle Lowry brachte die Raptors gut eineinhalb Minuten vor dem Ende mit 14 Zählern in Front, anschließend strömten viele der Warriors-Fans in Richtung der Ausgänge. Die Arena gehörte nun scheinbar den Toronto Raptors.
Einige Minuten nachdem der 105:92-Sieg der Raptors offiziell war, übernahmen die zahlreichen Gäste-Fans das Kommando. "Let's go Raptors"-Rufe schallten durch die Arena, wenig später stimmten die verbliebenen Fans "O Canada", die kanadische Nationalhymne, an. In der kompletten Bay Area hofft man, dass dies nicht das letzte Bild ist, was man von der altehrwürdigen Oracle Arena in Erinnerung behalten wird.
Die Warriors werden in der Offseason bekanntermaßen in ein neues Zuhause umziehen, einmal quer über die San Francisco Bay in das nigelnagelneue Chase Center. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Pleite in Spiel 4 der Finals gleichzeitig der Abschied der Dubs aus Oakland war.
Golden State liegt in der Best-of-Seven-Serie nun mit 1-3 hinten, die Warriors stehen vor Spiel 5 in der Nacht von Montag auf Dienstag (ab 3 Uhr live auf DAZN) mit dem Rücken zur Wand. Toronto dagegen hat die Chance, den ersten Titel der Franchise-Geschichte unter Dach und Fach zu bringen. Sie haben die Chance, den amtierenden Champion vom Thron zu stoßen, womöglich gar eine komplette Dynastie, auf jeden Fall aber die Ära der Oracle Arena zu beenden.
Golden State Warriors: Eine bekannte Situation
Aber: "Es ist noch nicht vorbei", warnte Stephen Curry nach Spiel 4. "Das ist gerade kein gutes Gefühl, aber wir haben beide Seiten schon erlebt." Der Chefkoch spielte damit auf die Playoffs 2016 an. Auch damals machte Golden State die Erfahrung eines 1-3-Rückstandes.
Die Warriors drehten allerdings die Western Conference Finals, eliminierten die Oklahoma City Thunder (mit Kevin Durant) in sieben Spielen, nur um dann gegen LeBrons Cavaliers selbst mit 3-1 in Führung zu gehen und diese noch zu verspielen. So etwas gab es in den NBA Finals zuvor noch nie, nun wollen die Warriors diese Geschichte wiederholen, wenn auch in anderer Rolle.
Gut drei Stunden zuvor hatten allerdings wohl die wenigsten Warriors-Fans damit gerechnet, dass es zu solch einer Situation kommen würde. Durch die Rückkehr von Klay Thompson, der Spiel 3 noch mit einer Oberschenkelzerrung aussetzen musste, war ohnehin schon eine Menge Optimismus unter den Dubs-Fans zu spüren.
Und dann überraschte Head Coach Steve Kerr auch noch mit Kevon Looney. Ursprünglich war davon ausgegangen worden, dass der Big Man nach seinem Bruch am ersten Rippenknorpel kein Spiel mehr in diesen Finals absolvieren kann. Auf einmal stand der 23-Jährige aber doch auf dem Parkett, überraschend für (fast) alle Beteiligten.
NBA Finals: Die heldenhafte Rückkehr des Kevon Looney
Unter anderem auch deshalb waren die Fans in der Oracle Arena von Beginn an heiß auf diese Partie. Die Atmosphäre war erstklassig, es war extrem laut. Looney bekam bei seiner ersten Einwechslung nach wenigen Minuten im ersten Viertel Standing Ovations.
"Wir haben vier oder fünf Ärzte gefragt und haben immer die gleiche Antwort bekommen: Es konnte nicht schlimmer werden", erklärte Looney anschließend sein überraschendes Comeback. "Also lag es nur an mir, die Schmerzen zu verkraften. Ich wollte unbedingt spielen."
Dafür gebührt dem Big viel Respekt, genau wie für seine anschließende Leistung. Looney stand knapp 20 Minuten auf dem Parkett, erzielte 10 Punkte (5/8 FG) und schnappte sich 6 Rebounds. Das Problem? Looney war an diesem Abend quasi der einzige Rollenspieler der Warriors, der zu gebrauchen war, trotz seiner Verletzung.
Golden State Warriors: Der Supporting Cast schwächelt
Vor allem im Vergleich mit DeMarcus Cousins präsentierte sich Looney als die deutlich bessere Option im Frontcourt. Ähnlich wie in Spiel 3 erwischte Boogie Cousins einen fast schon katastrophalen Abend.
In der Theorie ist DMC ohne Zweifel der talentierteste Big im Warriors-Kader, doch dies kann er momentan auch aufgrund der Nachwehen seiner Quadrizeps-Verletzung nicht zeigen. Am Ende standen magere 6 Punkte, 4 Rebounds und 4 Turnover in 15 Minuten auf Cousins' Konto.
Er war bei Weitem nicht die einzige Enttäuschung auf Seiten der Warriors. Bei Quinn Cook, der eigentlich dringend benötigtes Shooting liefern soll, klappte wenig bis gar nichts (0 Punkte, 0/5 FG). Dazu lieferten Andre Iguodala sowie Shaun Livingston keine Glanzleistungen ab, Draymond Green zeigte viel Licht in Halbzeit eins und dann viel Schatten in Halbzeit zwei.
Klay Thompson der Lichtblick bei den Warriors
Und selbst Curry erwischte keinen allzu glücklichen Abend. Seine One-Man-Show mit 47 Zählern in Spiel 3 hat ganz offenbar einiges an Kraft gekostet, die fehlte ihm allerdings in Spiel 4: Seine ersten vier Dreierversuche sprangen allesamt vorne am Ring ab. Gleichzeitig machte auch die Raptors-Defense einen guten Job gegen den 31-Jährigen.
"Sie waren die gesamte Serie über aggressiv und haben versucht, mir und Klay den Platz zu nehmen", erklärte Steph. "Ich habe am Anfang ein paar Würfe daneben gesetzt, die ich normalerweise versenke, vor allem von der Dreierlinie."
Ganz anders präsentierte sich dagegen Thompson. Der zweite Splash Brother machte ein bockstarkes Spiel, nur ging dies in Anbetracht des Endergebnisses ein wenig unter. Klay versenkte 6 Dreier für 28 Punkte - es mangelte nur an der Hilfe. Das war einer der Gründe, warum Golden State nach der ersten Hälfte mit eigentlich guter Defense (und dem Wurfpech der Raptors) nicht schon höher führte.
Warriors vs. Raptors, Spiel 4: Die Statistiken im dritten Viertel
Team | Punkte | Field Goals | Off-Rating | Def-Rating | Net-Rating |
Golden State Warriors | 21 | 7/20 | 84,0 | 154,2 | -70,2 |
Toronto Raptors | 37 | 12/23 | 154,2 | 84,0 | +70,2 |
Das dritte Viertel: Raptors drehen Spieß gegen Warriors um
Das bestrafte Toronto im dritten Viertel postwendend. Normalerweise ist dieser Abschnitt eine große Stärke der Dubs, zumindest war es das mal. In Spiel 4 drehten die Raptors den Spieß aber um. Vor allem defensiv hatten die Hausherren nun enorme Probleme, Kawhi Leonard (17 Punkte im dritten Durchgang) war nicht mehr zu stoppen. Der Abschnitt ging mit 37:21 an Toronto. "Das war echt Scheiße", lautete das Fazit von Green.
Coach Kerr ging in seiner Analyse ein klein wenig tiefer ins Detail: "Wir spielen gegen ein sehr gutes Team, das den Ball bewegt. Ich denke, wir hatten defensiv unsere Momente, aber wir konnten das Spiel über nicht mehrere Stops aneinanderreihen."
Die Warriors wirkten in dieser Phase müde, es schlichen sich ein paar mentale Fehler ein. Beispielsweise bei Stephen Curry, der Danny Green bei dessen einzigen Triple des Abends komplett allein ließ. In Halbzeit zwei kam der amtierende Champion so auf ein Defensiv-Rating von schier unglaublichen 140,0. Zum Vergleich: In der regulären Saison hatten die Cavs mit 116,7 das schlechteste Defensiv-Rating der Liga.
Hinzu kamen die angesprochenen Probleme in der Offense wie beim Shooting (abgesehen von Thompson standen die Dubs bei 2/17 Dreier) oder auch in Sachen Turnover (19 Ballverluste, Toronto nur 11). Die Warriors hatten den Raptors am Ende nichts mehr entgegenzusetzen.
Golden State Warriors: Was ist mit Kevin Durant?
Nun hat der amtierende Champion drei Tage Zeit, um sich auf Spiel 5 vorzubereiten. Das heißt für die Warriors-Fans, drei weitere Tage auf ein mögliches Comeback von Kevin Durant zu hoffen. Mittlerweile dürfte auch der letzte Kritiker die Diskussionen der vergangenen Wochen, ob Golden State ohne KD nicht vielleicht sogar besser sei, abgehakt haben.
Die Dubs brauchen Durant, das wurde in den vergangenen Partien deutlich. Doch die Infos, die zuletzt durchsickerten, setzten der Ungewissheit kein Ende. Vielmehr dürften sie die besorgten Warriors-Fans nur noch weiter verunsichert haben.
Coach Kerr äußerte sich direkt nach der Partie nicht zum aktuellen Status des zweimaligen Finals-MVP. Der Fokus der Warriors liegt woanders. "Man muss einfach versuchen, ein Spiel zu gewinnen. Das haben wir vor ein paar Jahren gegen OKC gemacht: Ein Spiel gewinnen und dann weitermachen", sagte Coach Kerr.
Curry pflichtete ihm bei: "Wir müssen ein Spiel nach dem anderen angehen. Das klingt wie ein Klischee, aber für uns ist das der einzige Weg, zurück in die Serie zu kommen." Es ist der einzige Weg, auf der einen Seite den Triumph gegen OKC von 2016 zu wiederholen und gleichzeitig, die Schmach gegen die Cavs wiedergutzumachen. Und es ist der einzige Weg, doch noch einen anderen, einen schöneren Abschied aus der Oracle Arena zu feiern.