Von der Pole Position als unangefochtener Titelfavorit sind die L.A. Clippers derzeit weit entfernt. Zwar haben Kawhi Leonard und Co. einen der tiefsten und talentiertesten Kader der NBA, dennoch verhindern kleine Makel die große Euphorie in Los Angeles. Nun haben die Clippers aber gleich doppelt nachgelegt.
Die Zeiten, in denen die Clippers die Alleinherrschaft im Kampf um den Titel als Lachnummer der Liga für sich beanspruchten, sind vorbei. Nach dem unrühmlichen Ende des Donald-Sterling-Regimes und der unvollendeten Lob-City-Ära schicken sich Kawhi Leonard und Paul George seit dem Juli 2019 an, einen ganz anderen Titel in die Stadt der Engel zu bringen: Die Larry O'Brien-Trophy.
Es ist ein Auftrag mit dem Zusatz: Scheitern verboten! Um den Deal für PG-13 und damit in gewisser Weise auch den für Kawhi unter Dach und Fach zu bringen, schickte Clippers-Teampräsident Lawrence Frank neben Shai Gilgeous-Alexander und Danilo Gallinari gleich drei eigene Erstrundenpicks (2022, 2024 und 2026) sowie das Recht zu Pick-Swaps in 2023 und 2025 nach Oklahoma City.
Die Clippers investierten die eigene Zukunft in zwei absolute Superstars, die die Makel der Vergangenheit vergessen machen sollen. Allerdings stehen sowohl Leonard als auch George nur für zwei Jahre fest unter Vertrag, anschließend könnten beide per Spieleroption aus dem Projekt aussteigen. Die kommenden zwei Jahre stehen daher komplett unter dem Motto Championship or Bust!
gettyClippers: Packung gegen die Grizzlies, Debakel in Minnesota
Ob die Saison 2019/20 mehr auf ersteres oder doch eher auf zweiteres hinausläuft, da sind sich die Experten und teilweise selbst die Clippers-Fans bisher noch uneins. Das Team lieferte Argumente für beide Seiten.
Einerseits steht die drittbeste Bilanz der Western Conference (37-18) auf der Habenseite. Dazu ein Platz unter der Top 6 im Offensiv- und im Defensiv-Rating (und das sechstbeste Net-Rating mit +5,6) und zweifelsfrei einer der talentiertesten Kader der Association, sowohl in der Spitze als auch in der Breite.
Und doch will die Euphorie im Clippers-Land nicht wirklich Überhand nehmen. In beständiger Regelmäßigkeit sorgen bittere Pleiten wie die 114:140-Klatsche gegen die Memphis Grizzlies Anfang des Jahres oder das 115:142-Debakel vor gut eineinhalb Wochen in Minnesota für einen Dämpfer.
Das Spiel gegen die Timberwolves leitete ein Mini-Tief von drei Niederlagen in vier Spielen für die Clippers ein. Kawhi und Co. humpelten als angeschlagener Riese ins All-Star Wochenende, im wahrsten Sinne des Wortes.
Verletzungen ruinieren Kontinuität
Sorge im immer gut gefüllten Clippers-Lazarett macht derzeit vor allem PG-13, der bei der 2OT-Pleite in Boston mit erneuten Oberschenkelproblemen vorzeitig vom Parkett musste. Diese Blessur zwang ihm bereits im Januar zu zehn Spielen Pause.
Zu Saisonbeginn erforderte eine Schulter-OP aus dem Sommer eine längere George-Auszeit, da auch Kawhi aufgrund von "Injury Management" nach anhaltenden Knieproblemen von Zeit zu Zeit pausiert, konnten die Clippers in nur 24 von 55 Spielen auf das Superstar-Tandem zurückgreifen.
In diesen Spielen legt das Team in insgesamt 527 gemeinsamen Kawhi-George-Minuten ein elitäres Net-Rating von +9,6 auf. Fehlt George sinkt der Wert auf +4,7, ohne die Klaue stehen die Mannen von Head Coach Doc Rivers sogar bei einem leicht negativen Net-Rating (-0,4).
"Wir hatten eine erste Saisonhälfte, in der wir mehr unterschiedliche Starting Lineups hatten als wahrscheinlich jeder andere in der Liga. Unsere Bilanz ist trotzdem ziemlich solide", meinte Rivers. Zuletzt half ebenfalls wenig, dass auch noch Patrick Beverley verletzt passen musste (Leiste).
"Wir müssen gesund werden, das ist der Schlüssel für uns. Und dann brauchen wir ein paar Spiele in Folge mit der Truppe, sodass wir ein bisschen Kontinuität reinbekommen", so der Clippers-Coach. Die fehlt bisher komplett, entsprechend kann das Zusammenspiel auf dem Parkett noch nicht perfekt sein.
L.A. Clippers: Der Teufel liegt im Detail
In der Offensive fällt das besonders auf. In den vergangenen Spielen standen zum Großteil zwar die beiden Superstars auf dem Parkett, dennoch hatten die Clippers so ihre Probleme. Gerade bei der Niederlage gegen die Sixers vergangene Woche war zu beobachten, wie die Offense teils zu iso-lastig wurde, das Off-Ball-Movement stagnierte und die Clippers zu viele ineffiziente Würfe auf die Reise schickten.
"Es kam mehrere Mal vor, dass wir großartige Schützen auf dem Court hatten, aber im Grunde hat jeder, der den Ball nach vorne gebracht hat, einen Wurf genommen", zeigte sich Coach Rivers mit seiner Offense unzufrieden. Zu dieser Beobachtung passt die unrühmliche Statistik, dass die Clippers nur 272,3 Pässe pro Partie spielen - das reicht nur für Platz 25 unter allen 30 Teams.
Auch auf der anderen Seite des Courts wird trotz des starken Defensiv-Ratings (106,7, Platz 6 ligaweit) immer wieder der ein oder andere Makel sichtbar. So personifizieren Lou Williams und Montrezl Harrell beispielsweise eins der gefährlichsten Bank-Duos der NBA, defensiv sind sie aber anfällig.
Gleiches gilt für die Clippers-Verteidigung auf den großen Positionen. Geht es in einem potenziellen West-Finale gegen den Stadtrivalen um Anthony Davis, könnte es eng werden. Auch Joel Embiid stellte die Gäste in der vergangenen Woche vor Probleme.
L.A. Clippers: Marcus Morris hilft dem Spacing
Dennoch sahen die Clippers davon ab, die Center-Position vor der Trade Deadline vor wenigen Wochen zu adressieren. Stattdessen fädelte das Front Office einen Deal für einen der am heißesten umworbenen Veteranen auf dem Markt ein: Marcus Morris.
Der 30-Jährige soll defensiv dem Team eine weitere Option geben, um beispielsweise LeBron James aus dem Tritt zu bekommen. Mit seiner Physis auf dem Flügel hat er in der Vergangenheit bereits bewiesen, dass er dazu zumindest in Ansätzen in der Lage ist.
Viel wichtiger dürfte aber Morris' Einfluss am offensiven Ende des Courts werden. Der Forward ist in der Lage, seinen eigenen Wurf zu kreieren, dazu macht er das Spielfeld breit (43,9 Prozent Dreierquote in 43 Spielen für die Knicks 2019/20) und ist vielseitig einsetzbar. Gerade wenn mal George oder mal Kawhi eine Auszeit braucht, kann das wichtig werden.
"Er wird was auch immer wir laufen besser machen, vor allem wegen seines Spacings", ist sich Coach Rivers sicher. Williams und George seien nach den ersten gemeinsamen Auftritten begeistert gewesen: "Sie haben gesagt: 'Es ist fantastisch, wie viel Platz wir mit einem Shooter mehr haben.'"
Markieff Morris und Reggie Jackson verstärken Clippers weiter
Gleichzeitig beansprucht er aber in vielen Situationen den Ball und könnte im schlimmsten Fall auch in engen Situationen Kawhi oder George Würfe wegnehmen. Bei den Knicks war er ohne Zweifel die erste Waffe in der Offense, nun muss er sich erstmal an eine kleinere Rolle gewöhnen. Auch das Passing-Problem ist keins, das eine Morris-Verpflichtung lösen wird.
Zudem ist der Fit im Locker Room fraglich, angeblich gab es bezüglich der Team-Chemie der Clippers schon vor Morris Schwierigkeiten. Der Big Man ist bekannt dafür, auch mit Teamkollegen gerne mal auf Konfrontationskurs zu gehen.
Ähnliches lässt sich auch über Reggie Jackson sagen, der in den kommenden Tagen wohl zum Team stoßen wird. Auch er ist ein Spieler, welcher den Ball gerne in seinen eigenen Händen hält, auch er gilt gelinde gesagt nicht als leichter Charakter. Auch er löst als schmächtiger Guard die defensiven Probleme nicht. Seine Verpflichtung wirkt eher wie ein Manöver, dass die Lakers ihre Finger nicht an Jackson bekommen, sie hätten den Spielmacher dringender gebraucht als die Clippers.
gettyDer komplette Kader der L.A. Clippers
Point Guard | Shooting Guard | Small Forward | Power Forward | Center |
Patrick Beverley | Paul George | Kawhi Leonard | Marcus Morris | Ivica Zubac |
Reggie Jackson | Lou Williams | Rodney McGruder | JaMychal Green | Montrezl Harrell |
Terance Mann | Landry Shamet | Amir Coffey | Patrick Patterson | Mfiondu Kabengele |
Johnathan Motley |
L.A. Clippers: Mehr All-In geht nicht
Was Jackson aber wie auch Morris liefert, ist weitere Tiefe. Für den Guard mussten die Clippers nichts abgeben, auch für Morris wurde die Playoff-Rotation für wenig Gegenwert weiter verstärkt.
Morris liefert noch mehr Tiefe für das wahrscheinlich tiefste Team der Liga. Für die Clippers ist er eine gute Addition für die Playoff-Rotation, ohne bedeutende Teile abzugeben. Der Abgang von Moe Harkless und Jerome Robinson ist sportlich mehr als verschmerzbar, dazu legte das Front Office noch den Erstrundenpick 2020 für die Knicks obendrauf.
Berücksichtigt man die Pick-Swaps haben die Clippers somit möglicherweise die nächsten sieben Jahre keinen einzigen eigenen Erstrundenpick. Mehr All-In geht fast nicht. Kawhi und Co. müssen nun dafür sorgen, dass sich dieses Risiko auszahlt - und bis zum Start der Playoffs die kleinen, aber feinen Makel in den Griff bekommen.