Als Tyrese Haliburton vor gut zwei Jahren die High School abschloss, war er ein weitestgehend unbekannter Point Guard aus Wisconsin, den das College-Basketball-Portal 247Sports.com auf Rang 177 der Recruiting-Rankings führte. Entsprechend buhlten kaum namhafte Colleges um die Dienste des heute 20-Jährigen.
Er bekam Angebote von Nebraska, Minnesota, Cincinnati und Iowa State, den Zuschlag erhielt Iowa State. Doch selbst Haliburtons Mutter ging davon aus, dass ihr Filius zunächst als Redshirt in die College-Karriere starten würde, also in seinem ersten Jahr zwar mittrainiert, aber nicht am Spielbetrieb teilnimmt. Es kam alles ganz anders.
Haliburton spielte nicht nur, er startete sogar in 34 der 35 Partien seiner Freshman-Saison. Gut vier Wochen nach seinem Debüt pulverisierte er mit 17 Assists gegen die Southern Jaguars einen 44 Jahre alten Iowa-State-Rekord. Im Sommer 2019 führte er Team USA bei der FIBA U19-WM in Griechenland gemeinsam mit Reggie Perry zur Gold-Medaille und wurde ins All-Tournament Team gewählt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war Haliburton kein Unbekannter mehr.
Sein endgültiger Durchbruch folgte in seiner Sophomore-Saison, in der er eine größere Rolle in der Offense der Cyclones übernahm und seine Ausbeute in allen Statistik-Kategorien deutlich steigerte. So schaffte es Haliburton in die engere Auswahl um den Bob Cousy Award, der jährlich an den besten Point Guard des Landes vergeben wird.
Kurz nach seiner Nominierung als einer der zehn Kandidaten brach sich die Nummer 22 Mitte Februar allerdings das linke Handgelenk und verpasste die restliche Saison. Zwar blieb auch der Teamerfolg aus (Bilanz mit Haliburton: 10-12), dennoch stand am Ende eine Nominierung ins All-Big-12-Conference Second Team - und die Aussicht, im NBA Draft 2020 in der Top 10 zu landen.
Die Statistiken von Tyrese Haliburton am College
Saison | G / MIN | Punkte | Rebounds | Assists | Steals | Turnover | FG% | 3FG% |
2018/19 | 35 / 33,2 | 6,8 | 3,4 | 3,6 | 1,5 | 0,8 | 51,5 | 43,4 |
2019/20 | 22 / 36,7 | 15,2 | 5,9 | 6,5 | 2,5 | 2,8 | 50,4 | 41,9 |
Tyrese Haliburton: Stärken
- Kaum ein Spieler kommt in diesem Jahrgang an den Basketball-IQ von Haliburton heran. Der Point Guard ist ein kreativer Spielmacher, hat eine großartige Übersicht (auch dank seiner Größe von 1,96 Meter) und besitzt die Handles und das Timing beim Passen, um für seine Mitspieler leichte Abschlüsse zu kreieren. Dabei leistet sich Haliburton auch als Lead-Ballhandler kaum Fehler (2,8 Turnover pro Spiel).
- Man mag es bei der unorthodoxen Wurfbewegung (dazu später mehr) kaum vermuten, aber Haliburton ist ein guter Shooter, vor allem in Spot-Up-Situationen. In seinen zwei Jahren am College versenkte er starke 42,6 Prozent von der Dreierlinie bei 4,2 Versuchen pro Spiel. So strahlt er auch abseits des Balles Gefahr aus. Generell agiert er in der Offense enorm effizient (64,5 Prozent True Shooting am College).
- Auch in der Defense steht Haliburton seinen Mann. Er ist ein guter und vielseitiger Verteidiger, vor allem im Team-Verbund, der mit seiner Größe und Länge (2,03 Meter Spannweite) die Anlagen hat, mehrere Positionen zu verteidigen. Bei der Off-Ball-Verteidigung hilft die hohe Spielintelligenz, er ist auch mal für einen Block gut und stört die Passing Lanes der Gegner. Zudem ist er ein fähiger Rebounder (5,9 Abpraller in seiner Sophomore-Saison).
Tyrese Haliburton: Schwächen
- Zwar macht er einige Defizite in seinem Spiel mit seinem Basketball-IQ wett, dennoch fehlt es dem 20-Jährigen an Explosivität und Athletik. So kommt er oftmals nur schwer an Gegenspielern vorbei und hat Probleme, Würfe für sich selbst zu kreieren.
- Das liegt auch an seinem Wurf selbst. Steht Haliburton offen, kann er dies eiskalt bestrafen, doch sobald ein Verteidiger in der Nähe ist, wird es für ihn schwer. Sein Wurf hat einen sehr tiefen Release-Punkt und der Ball wird vor seinem Kopf - nicht über dem Kopf wie normalerweise üblich - abgefeuert, der Jumper erinnert ein wenig an Kevin Martin. Daher hat er vor allem aus dem Dribbling heraus Probleme, generell ist er kein natürlicher Scorer.
- Haliburton ist sich dessen aber bewusst. "Wenn du denkst, dass mein Wurf jetzt hässlich ist ... in der High School ging meine Bewegung an den Knien los", sagte Haliburton schon im November 2019 bei The Ringer. "Mich interessiert nicht, was die Leute sagen, solange er reingeht. Aber ich weiß, dass ich etwas verändern muss." Ähnliches ließ er auch in diesem Jahr verlauten, das Anerkennen seiner Schwächen spricht für ihn.
- Zulegen muss Haliburton zudem in physischer Hinsicht. Zu College-Zeiten brachte er nur 79 Kilogramm auf die Waage, das ist für NBA-Verhältnisse dürftig. Mehr Kraft würde ihm einerseits in der On-Ball-Verteidigung gegen bulligere Guards helfen - oder auch am gegnerischen Ring, wo er am College noch oftmals den Kontakt vermied. Insgesamt 71 Freiwürfe in 57 Spielen sind viel zu wenig.
Tyrese Haliburton: Das perfekte Puzzleteil für die Warriors?
Haliburton ist sicherlich kein "glitzerndes" Prospect, er hat keine Stärke, die besonders ins Auge sticht - aber eben auch keine große Schwachstelle. Stattdessen sollte er sich mit seiner Spielintelligenz und seinem laut ehemaligen Coaches und Mitspielern einwandfreien Charakter überall gut einfügen können.
All das macht ihn zu einem sehr interessanten Spieler und in gewisser Weise zu einem Sinnbild für diese Draft-Klasse, der ein absoluter Superstar fehlt, die aber wohl viele gute Rollenspieler hervorbringen wird, die in der richtigen Situation auch einem Titelanwärter helfen können. So einer ist auch Haliburton, der als sekundärer Playmaker und guter 3-and-D-Guard von Beginn an eine Verstärkung sein sollte.
Am besten wäre er wohl bei einem Team aufgehoben, in dem er nicht in die Rolle des scorenden Superstars gedrängt wird. Entsprechend scheinen die Warriors (Nr.2-Pick) die beste Umgebung für ihn zu sein. "Ich glaube, ich bin ein wirklich guter Fit für sie", sagte auch Haliburton zuletzt. "Ich kann reinkommen, Würfe treffen, die Second Unit anführen oder auch mit den Startern spielen."
Bei den Warriors könnte Haliburton in die Shaun-Livingston-Rolle schlüpfen, für den die Dubs nach dessen Karriereende 2019 noch keinen adäquaten Ersatz gefunden haben. Sollte er zudem Muskelmasse draufpacken, könnte er auch auf dem Flügel an der Seite von Stephen Curry und Klay Thompson Defense und Dreier liefern.
Sollten die Warriors im Draft nach unten traden, könnte Haliburton, der in den meisten Mock Drafts derzeit zwischen Position 6 und 9 geführt wird, tatsächlich in Golden State landen. Doch auch die Pistons (Nr.7) oder Knicks (Nr.8) sollen wohl auf den Point Guard schielen. Viel falsch machen würden sie mit diesem Pick nicht.