Die beiden Spieler des Monats Januar sind erstmals seit 2006 (Yao Ming und Dwight Howard) jeweils Center - beginnt nach Jahren des Abgesangs eine neue Ära des Big Mans? Above the Break untersucht den überragenden Saisonstart von Nikola Jokic und Joel Embiid.
Es ist noch nicht lange her, dass allerorten der Niedergang des Big Mans beschrien wurde. Der klassische Brettcenter verlor seinen Stellenwert, eigentlich schon zu dem Zeitpunkt, als Shaquille O'Neal Mitte der 00er Jahre den Status als dominantester Spieler der Liga verlor. Selbst wenn es einige Jahre gab, in denen Dwight Howard versuchte, die Fahne hochzuhalten.
Große Spieler wie Dirk Nowitzki hatten ihr Spiel schon vorher weiter nach draußen verlagert, nach Shaqs Ära waren es dann überwiegend Do-it-All-Wings, die das Bild der Liga prägten, bevor 2015, zum ersten (und einzigen?) Mal seit Isiah Thomas Anfang der 90er ein kleiner Guard namens Stephen Curry der beste Spieler eines Meisterteams wurde.
Dessen Warriors funktionierten am besten mit kleinen, ultraschnellen Lineups, deren "Center" der 1,98 Meter große Draymond Green war und die für klassische, langsame Bigs schlichtweg viel zu schnell waren. Der Name "Death Lineup" schien sich auch auf die Center-Position zu beziehen, obwohl sich Stück für Stück eine neue Riege von Bigs in der NBA etablierte. Sie wurden nicht zwingend gefürchtet - 2020 versuchte es mit Houston gar erstmals ein Team, komplett ohne Pivoten Meister zu werden.
Die Rockets scheiterten, nicht zuletzt an einem Big Man namens Anthony Davis, auf den sie keine Antwort hatten. Und zum Start der neuen Saison schicken sich zwei weitere Center an, den Big Man wieder richtig "big" zu machen - und ihm vielleicht sogar erstmals seit Shaq im Jahr 2000 (!) den Status des wertvollsten Spielers der Liga zurückzuerobern.
Vor dem Duell der Lakers mit den Nuggets in der Nacht auf Freitag ist es nicht LeBron James, der als bisher heißester Anwärter auf den MVP-Award gelten sollte - und es sind auch nicht die Hybrid-Bigs wie Kevin Durant oder Giannis Antetokounmpo. Es sind mit Nikola Jokic und Joel Embiid zwei "echte" Center, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise aktuell die Liga dominieren.
Nikola Jokic: Einzigartig anders
Fangen wir mit LeBrons Kontrahenten in Denver an. Die Nuggets sind zwar Ergebnis-technisch langsam in die Saison gestartet, zuletzt konnten sie mit einem wieder kompletteren Team aber aufholen und belegen mittlerweile immerhin schon Platz vier in der Western Conference. Und Jokic ist nicht langsam gestartet - im Gegenteil. Der Serbe war bisher der statistisch wohl konstant auffälligste Spieler im Westen, was Werte von 26,8 Punkten, 11,8 Rebounds und 8,6 Assists belegen.
Um Jokic' Einzigartigkeit zu beschreiben, lohnt sich ein Blick auf seine beiden bisher vielleicht besten Spiele in dieser Saison: Einerseits das 47-Punkte-Spiel gegen die Utah Jazz, in dem er als Scorer auch von einem mehrfachen DPOY Rudy Gobert nicht im Geringsten zu bändigen war und sowohl von draußen als auch in Korbnähe machte, was er wollte. Und andererseits ein Spiel, in dem er in der zweiten Hälfte keinen einzigen Wurf nahm.
Es war das dritte Spiel der Saison, die Nuggets empfingen die Rockets, damals noch mit James Harden. Jokic war dabei nicht Topscorer der Partie, vier weitere Akteure erzielten mindestens genauso viele Punkte wie er (19), trotzdem diktierte er das Geschehen mehr als nahezu jeder andere Spieler, indem er 18 Assists verteilte, 11 davon allein in der zweiten Hälfte.
Über Jokic wird seit Jahren gesagt, dass er "vielleicht der beste Big Man-Passer der Geschichte ist" - das "vielleicht" kann man sich spätestens seit dieser Saison sparen. Aktuell ist er eher auf Kurs, "vielleicht der beste Passer der Liga" zu werden, blickt man darauf, wie er die Offense der Nuggets orchestriert und seine eigene Anziehungskraft eiskalt ausnutzt.
Die Pässe, die Jokic spielt, sind keine Allerweltspässe - kaum jemand sonst vereint Kreativität und Übersicht so wie er.
nba.com/statsDass Spieler wie Jamal Murray oder Gary Harris seit Jahren mit ihm zusammenspielen und genau wissen, wann sie wohin ziehen müssen, hilft dabei natürlich. An ihren besten Tagen ist Denvers Offense eine Augenweide, randvoll mit Spielintelligenz und blindem Verständnis. Das geht nahezu komplett vom einzigartigen Maestro Jokic aus.
nba.com/statsJokic ist zum Start dieser Saison fitter und schneller auf den Beinen als in vorigen Jahren, was ihm auch beim Passspiel zugutekommt: Regelmäßig pusht er nach Rebounds selbst den Ball nach vorn und findet gegen die unsortierte Defense beispielsweise freie Schützen in den Ecken.
Am wohlsten fühlt sich "Big Honey" indes natürlich im eher langsamen Spiel, Denver spielt in seinen Minuten mit der langsamsten Pace der Liga - weil man es sich leisten kann. Lediglich vier Teams ligaweit verfügen über eine bessere Halfcourt-Offense als die Nuggets, was bemerkenswert ist, wenn man bedenkt, wie viele Ausfälle sie schon zu verkraften hatten.
Sein Naturell ist uneigennützig; Jokic hat am meisten Spaß, wenn alle um ihn herum ihre Würfe treffen und er sich selbst auf das Vorbereiten konzentrieren kann. Kein Spieler in der NBA verzeichnet eine höhere Assist-Percentage, ist also für mehr Field Goals seiner Mitspieler direkt mitverantwortlich, als Jokic.
Nun sind bei den Nuggets einige Spieler, nicht zuletzt Murray, eher schwach in die Saison gestartet - punkten kann Jokic aber auch selbst. Auch in dieser Hinsicht hat der bald 26-Jährige sein Spiel auf ein neues Level gehoben.
Jokic verzeichnet derzeit Career-Highs bei den Punkten (+7 im Vergleich zur Vorsaison), aber auch bei den relevanten Wurfquoten (Career High eFG: 61,3 Prozent) - die Effizienz hält also Schritt mit dem höheren Volumen. Der Dreier ist da eine kleine Ausnahme, denn Jokic nimmt ebenso viele (oder wenige) Würfe wie im letzten Jahr (3,7), trifft diese aber sicherer als vorher. Den Großteil seines Schadens richtet er aber innerhalb der Dreierlinie an.
35 Prozent seiner Abschlüsse nimmt Jokic in unmittelbarer Korbnähe, das ist für einen Center eher wenig. Er ist bekanntlich nicht der explosivste Spieler und schließt eher mit seinem Touch und seiner Raffinesse ab, auch wenn er in dieser Saison etwas öfter dunkt. Am gefährlichsten ist er jedoch aus der Mitteldistanz, sowohl aus der kurzen als auch der langen Mitteldistanz gibt es kaum einen versierteren Scorer.
Jokic hat eine Kombination aus Physis und Spielwitz, die jedem Verteidiger der NBA große Probleme bereitet - wie zuletzt beim Spiel gegen die Jazz zu sehen. Er kann einen überragenden Ringbeschützer wie Gobert mit seinem Wurf aus der Zone ziehen, was dessen Wert minimiert. Er kann ihn durch Pick'n'Rolls aus seiner Komfortzone holen und das aus der Mitteldistanz entweder selbst ausnutzen oder den ziehenden Mitspieler finden.
nba.com/statsEr kann aber auch jemanden wie Gobert bisweilen überpowern. Es gibt Momente, in denen Jokic auf einmal wie der agilste Spieler auf dem Court aussieht. Er ist nach eigenen Fehlwürfen regelmäßig schneller zur Stelle als sein Gegenspieler, 3,3 Punkte pro Spiel macht er allein durch Putbacks (Platz 4 in der Liga).
nba.com/statsDas vielleicht beste an Jokic: Er bewegt sich so unkonventionell, dass es nicht nur sehr unterhaltsam aussehen kann - es gibt seinen Gegenspielern massive Rätsel auf. Er kann von jedem Fleck auf dem Court punkten, auch wenn er definitiv seine Lieblingswürfe hat. Einer davon ist seine Interpretation des Flamingo-Wurfs von Dirk Nowitzki, den Jokic in Zeitlupe loswird, der aber ebenso wenig verteidigt werden kann wie das Original.
nba.com/statsSein komplettes Arsenal macht Jokic seit Jahren zu einem der besten Clutch-Scorer der Liga, der den Nuggets schon etliche Spiele in den Schlusssekunden gewonnen hat. Vergangene Saison etwa holte Denver 29 von 43 "engen" Spielen, was zu einem großen Teil daran lag, dass Denver über so eine verlässliche Option in engen Situationen verfügte.
In der aktuellen Saison ist die Bilanz hier noch nicht so gut (4-6) - was allerdings in erster Linie an offensiven Defiziten bei Jokic' Mitspielern sowie einer eklatanten Defensiv-Schwäche des gesamten Teams liegt.
Womit wir beim einzigen verbliebenen Wermutstropfen in Denvers Contender-Status und Jokic' MVP-Case wären: Nach den Abgängen von Jerami Grant und Torrey Craig genügt die Defense der Nuggets nicht den höchsten Ansprüchen (derzeit Platz 18). Jokic hat hieran seinen Anteil, auch wenn er sich defensiv über die Jahre durchaus verbessert hat.
Ein elitärer Verteidiger wird er aufgrund seiner körperlichen Voraussetzungen nie werden, das Personal um ihn herum muss hier besser zu ihm passen, als es aktuell der Fall ist (ein "Highlight"-Tape von Michael Porter Jr. füllt eines Tages vielleicht eine andere Kolumne). Das ist der größte Unterschied zum anderen derzeit dominanten Center der Liga.
Joel Embiid: Es hat endlich "Klick" gemacht
Wer Joel Embiid derzeit nicht als MVP-Kandidaten Nr. 1 sieht, wird dafür vermutlich das Argument "Verfügbarkeit" verwenden, und es ist kein schlechtes: Knapp ein Viertel der Sixers-Spiele hat Embiid bisher verpasst, sein Head Coach Doc Rivers gewährt ihm gelegentlich Ruhepausen, dazu kommen wiederkehrende Rückenprobleme. Folgendes steht aber kaum zur Debatte: Die Minuten, die Embiid den Sixers bisher gegeben hat, werden von keinem anderen Spieler der Liga derzeit überboten.
Man kann das ganz traditionell belegen: Die Sixers haben ohnehin die derzeit beste Bilanz im Osten (16-6), in den Spielen mit Embiid ist die Bilanz aber sogar noch besser (15-2). Man kann auch etwas weiter ins Detail gehen - in Embiids Minuten haben die Sixers eine Punktedifferenz von +20,6 (!) Punkten pro 100 Ballbesitzen laut Cleaning the Glass. Sie zermalmen ihre Gegner und haben sich früh als legitimer Contender in der Eastern Conference positioniert.
Viel wurde dazu (auch hier) schon geschrieben, dass Daryl Morey mit neuem Personal dazu beigetragen hat, aus den Sixers ein balancierteres Team zu machen. Rivers trägt seinen Teil dazu bei und hat insbesondere aus seinem alten Lieblingsschüler Tobias Harris wieder einen weitaus stärkeren Spieler gemacht als in der Vorsaison. Der Löwenanteil der Anerkennung gebührt jedoch Embiid.
Der Kameruner ist in erster Linie effizienter geworden. Über Jahre galt er als etwas zu verliebt in seinen (mittelmäßigen) Distanzwurf, derzeit nimmt er weniger Dreier denn je, trifft sie dafür aber hochprozentiger. Viel häufiger nutzt er den Wurf aber als Drohung, indem er mit seinem exzellenten Pump-Fake am Perimeter nur antäuscht, um dann vorbei und in Richtung gefährlicherer Zonen zu ziehen - oder um den Verteidiger einfach nur kurz aus dem Gleichgewicht zu bringen.
nba.com/statsAuch Embiid ist wie Jokic unheimlich aktiv in der Mitteldistanz, aktuell nimmt er sogar 51 Prozent seiner Abschlüsse in diesem Bereich, ein Karrierehöchstwert. Im Gegensatz zu vorigen Jahren nimmt ihm das aber niemand übel, denn: Embiid trifft 51 Prozent dieser Würfe. Zur Einordnung: Kevin Durant, der (neben Chris Paul) tödlichste Midrange-Spieler des letzten Jahrzehnts, traf in seiner besten Saison 53 Prozent aus diesem Bereich. Viel besser geht es nicht.
Bisher hat Embiid über eine Saison noch nie mehr als 41 Prozent geschafft, es ist also im Auge zu behalten, ob er die Quote halten kann. Aber die neue Statik des Sixers-Spiels verschafft ihm mehr Platz und damit teilweise eben auch leichtere Abschlüsse, was sicherlich dazu beiträgt, dass seine Werte so gestiegen sind.
Das sind die aktivsten Bereiche von Embiid auf dem Court.
nba.com/statsZumal er sich, genau wie Jokic, nicht auf dieser einen Stärke ausruht. Embiid übt von überall Gefahr aus und ist mittlerweile ein Großmeister darin, Fouls zu ziehen. Er führt die Liga komfortabel vor Trae Young bei den Freiwürfen pro Spiel an, obwohl er deutlich weniger Minuten auf dem Court verbringt. Bei fast einem Viertel seiner Würfe zieht er ein Foul, auch das ist weit oben in der Liga angesiedelt.
Embiids Spiel und Wurfauswahl sind seriöser, fokussierter geworden. Im Eins-gegen-Eins ist er längst nicht mehr zu halten, die Sixers verfügen dank Spielern wie Seth Curry über besseres Spacing, also sind immer wieder Double-Teams das Mittel der Wahl gegnerischer Verteidigungen. In der Vergangenheit bereiteten diese Embiid recht große Probleme, sein Passspiel aus dem Doppel heraus galt teilweise sogar als Achillesferse. Auch das ist aber besser geworden.
Auf den ersten Blick spielt Embiid zwar weniger Assists als in jeder Saison seit seinem Rookie-Jahr (2,8), wichtiger ist aber, dass er derzeit seine niedrigste Turnover-Rate der Karriere fabriziert (13,2 Prozent laut Cleaning the Glass). Häufiger als früher spielt er den richtigen Pass aus dem Post, der dann eben nicht sofort, sondern erst nach ein oder zwei weiteren Pässen zum Wurf führt. Das sorgt nicht für Embiid-Assists, aber für gute Offense der Sixers.
nba.com/statsApropos gute Offense: Embiid liegt momentan bei einer True Shooting Percentage (also der Quote, die Zweier, Dreier und Freiwürfe anteilig mit einbezieht) von 67,4 Prozent und einer Usage-Rate (Anteil der Ballbesitze seines Teams, die vom Spieler genutzt wird) von 31,9 Prozent - es gab in der NBA-Historie bisher nur einen Spieler, der 65 respektive 30 Prozent über eine ganze Saison getoppt hat.
Dieser Spieler war Stephen Curry, in dessen einstimmiger MVP-Saison 2015/16. So gut ist Embiid bisher am offensiven Ende des Courts - und dabei ließ sich in der Vergangenheit ja darüber streiten, ob er nicht defensiv sogar den etwas größeren Impact hat. Das ist aktuell nicht der Fall, dafür ist seine Offense einfach zu gut, aber auch defensiv gehört Embiid weiter zu den besten Spielern der NBA.
Die Sixers schaffen es in der laufenden Saison zwar auch ohne Embiid, konstant gut zu verteidigen, das ändert aber nichts daran, dass die Werte mit ihm sogar noch besser sind, insgesamt produziert Philly momentan die drittbeste Defense der Liga. An diesem Ende des Courts treten sie nun tatsächlich so dominant auf, wie es in der enttäuschenden Vorsaison erwartet wurde.
Philly wird noch immer von einigen Fragezeichen begleitet, allen voran ist unklar, warum sich Ben Simmons scheinbar eher zurück- und nicht vorwärtsentwickelt (Career Lows bei Punkten und eFG%). Embiid allerdings scheint endlich all das Potenzial zusammengefügt zu haben, das seit Jahren bei ihm sichtbar war.
Genau wie Jokic hat er absolut das Zeug dazu, der beste Spieler eines Meister-Teams zu sein und vielleicht sogar eine neue Ära einzuleiten. Beide Bigs sind auf ihre Weise zudem charismatisch genug, um - was für Bigs stets ungewöhnlich war - auch medial zu den Aushängeschildern der Liga zu gehören. Ein MVP-Award für einen von ihnen wäre ein möglicher nächster Schritt.
Die Statistiken von Joel Embiid und Nikola Jokic in 20/21
Punkte | eFG% | Rebounds | Assists | Usage% | Off-Rtg. | |
Jokic | 26,8 | 61,3 | 11,8 | 8,6 | 29,6 | 119,3 |
Embiid | 28,6 | 58,8 | 11,1 | 2,8 | 31,9 | 118,6 |
Der Vollständigkeit halber:
Das MVP Power Ranking Anfang Februar
- Joel Embiid
- Nikola Jokic
- Kawhi Leonard
- Kevin Durant
- LeBron James