NBA Above the Break: Warum Stephen Curry momentan den besten Basketball seiner Karriere spielt

Ole Frerks
10. Februar 202110:02
Stephen Curry zelebriert gegen die Dallas Mavericks per Shimmy.getty
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Obwohl die Golden State Warriors die Dynastie-Jahre hinter sich haben, beeindruckt ihr bester Spieler wie eh und je: Stephen Curry. Above the Break erklärt, warum der bald 33-Jährige derzeit vielleicht sogar die beste Saison seiner Karriere hinlegt.

"Er war nie besser."

Steve Kerr ist jemand, dem man durchaus Gehör schenken darf, wenn er so etwas über Stephen Curry sagt. Er hat den zweimaligen MVP und dreimaligen Champion schließlich seit 2015 auf allen Schritten seines Weges begleitet, die Curry schon jetzt zweifellos zu einem Hall-of-Famer im ersten Wahlgang machen. Kerr kann Curry also besser beurteilen als nahezu jeder andere.

Gleichzeitig ist der Warriors-Coach niemand, der den 32-Jährigen einfach so in den Himmel lobt, teilweise hat er auch schon öffentlich über dessen "Mängel" gesprochen. Etwa, als er wiederholt entweder LeBron James oder Kevin Durant als besten Spieler bezeichnete und erklärte, dass Curry aufgrund seiner Größe nie deren Einfluss auf das komplette Spiel ausüben könne.

"Wir reden hier über einen zweimaligen MVP und dreimaligen Champion. Ich habe ihn noch nie so gesehen." So eine Aussage, wie Kerr sie nach Currys 57-Punkte-Spiel gegen Dallas tätigte, ist also durchaus bemerkenswert, zumal sie beispielsweise auch von Draymond Green unterstützt wurde: "Mit Sicherheit - zu 1000 Prozent", kommentierte dieser Kerrs Aussage gegenüber The Athletic.

Unterm Strich sind beide "Quellen" natürlich wohlgesonnen gegenüber Curry. Doch auch nüchtern betrachtet lassen sich Argumente dafür sammeln, dass Curry in 20/21 tatsächlich den besten Basketball seiner Karriere spielt.

Stephen Curry: Smells like 2016 Spirit

Das Scoring sticht logischerweise als erstes ins Auge. Die Saison dauert (für Curry) erst 25 Spiele an, trotzdem hat er in dieser Zeit bereits zweimal sein früheres Career-High übertroffen und mit 62 sowie 57 Punkten zwei der drei punktreichsten Spiele dieser Spielzeit hingelegt. Mit seinem Punkteschnitt ist er nicht ganz auf Career-High-Kurs, aber nah dran.

Hier der Vergleich zwischen den aktuellen Werten und seinen beiden MVP-Saisons:

SaisonSpielePunkteTrue Shooting%Usage%Assist%Turnover-Rate
2014/158023,863,827,735,810,6
2015/167930,166,931,431,510,3
2020/212529,665,630,629,610,1

Wir erinnern uns: 2016 wurde Curry einstimmig zum MVP gewählt und bis heute gilt diese Spielzeit als eine der dominantesten Offensiv-Saisons in der Geschichte der NBA. Den Award wird er diesmal nicht bekommen - dafür ist Golden State als Team zu schlecht (derzeit 12-11). Individuell steht seine Performance der damaligen jedoch in Nichts nach, und das ist angesichts der Qualität um ihn herum besonders beeindruckend.

Curry hat keinen Klay Thompson neben sich, auch spielintelligente Rollenspieler wie Andre Iguodala oder Shaun Livingston sucht man - mit Ausnahme von Draymond Green - bei den Warriors vergeblich (von Durant ganz zu schweigen). Entsprechend ist der Schwierigkeitsgrad für ihn derzeit ein anderer als in den MVP-Saisons oder den Jahren danach. Curry hat sein Spiel entsprechend umgestellt - und bleibt trotz allem eine Klasse für sich.

An erster Stelle ist seit jeher das Shooting zu nennen. Daran hat sich nichts geändert: Laut Cleaning the Glass befindet er sich zum 7. Mal (!) in seiner Karriere im 100. Perzentil in Sachen Genauigkeit von der Dreierlinie. Dabei hat sich die Verteilung etwas verändert: Noch nie nahm Curry prozentual so wenige Dreier aus der Ecke, die gemeinhin als die leichtesten Abschlüsse gelten.

Seit 2015/16 hat er sich nicht mehr so viele Field Goals selbst erarbeiten müssen, also nicht nach Assist abgeschlossen. Das Besondere an seinem Spiel war jedoch schon immer, dass er darauf nicht angewiesen ist, Curry kann sich durch sein Ballhandling ebenso gut Würfe erarbeiten wie durch die permanente Bewegung. Aktuell trifft er laut nba.com/stats 43,5 Prozent seiner Pullup-Dreier - ein lächerlich guter Wert bei über sechs Versuchen pro Spiel - und ist dabei sogar etwas präziser als aus dem Catch-and-Shoot (43,2 Prozent).

Dieser Aspekt ist insofern besonders wertvoll, weil die Warriors neben Curry selbst aktuell so wenig Playmaking besitzen. Green ist die große Ausnahme - Draymond punktet zwar nahezu gar nicht mehr, bleibt aber einer der klügsten NBA-Spieler und der einzige im Dubs-Kader, der Curry ideal einzusetzen vermag.

Nicht aus Zufall hat Green laut nba.com/stats 59 von 119 registrierten Assists vor Curry-Treffern gespielt (Platz 2: Andrew Wiggins mit 13). Der erste Blick Greens bei Ballbesitz geht im Halbfeld fast immer in Richtung Curry, auch im Fastbreak sucht er jede winzige Lücke, um Steph zwischendurch mal leichte Abschlüsse gegen unsortierte Defense zu verschaffen.

SPOXnba.com/stats

Aus Jahren der gemeinsamen Dominanz verstehen sich Green und Curry blind, ohne den Forward tut sich selbst Curry schwer: +6,7 ist das gemeinsame Net-Rating der beiden, in den Minuten ohne Green, aber mit Curry erzielt die gegnerische Mannschaft auf 100 Ballbesitze gerechnet 9 Punkte mehr. Zur Einordnung: Das wäre schlechter als das schlechteste Team der Liga (Orlando).

Gemeinsam funktioniert es hingegen. Mit Curry und Green zusammen auf dem Court hat Golden State die nach wie vor einzigartige Anziehungskraft und das Chaos, das von Curry ausgeht, sowie den einen Spieler, der die daraus entstehenden Vorteile ideal nutzen kann. Kelly Oubre oder Wiggins lernen zwar noch, wie sie sich in diesem Setup am besten bewegen müssen, doch der Trend geht in die richtige Richtung. Gerade Wiggins nutzt die Curry-Gravity teilweise schon konsequent.

SPOXnba.com/stats

Bemerkenswert: Das derzeitige Starting Lineup mit Kevon Looney statt dem verletzten Nr.2-Pick James Wiseman gehört über die Saison gesehen mit einem +28,1-Wert zu den stärksten Heavy-Duty-Lineups der Liga (mit Wiseman statt Looney liegt dieser Wert bei -17,8 - allerdings waren da eben auch die Spiele dabei, in denen Oubre zu Saisonbeginn so katastrophal auftrat). Der Schlüssel dafür bleibt Curry, dessen Usage-Rate (30,6 Prozent) lediglich in der legendären 15/16er Saison höher war.

Die Gefahr, die Curry ausstrahlt, beschränkt sich bei weitem nicht nur auf die Dreierlinie. Er nutzt die Angst, die Verteidiger vor seinem Wurf haben, vielmehr sehr gut aus, um auch innerhalb des Perimeters gefährlich zu sein. Curry schließt zwar recht selten direkt am Ring ab, aus der Mitteldistanz nahm er seit vielen Jahren aber nicht mehr so viele Abschlüsse.

Es versteht sich nahezu von selbst, dass er auch von dort über 50 Prozent seiner Würfe trifft - überhaupt gibt es aktuell keinen Bereich auf dem Court, von dem aus er nicht effizient abschließt (witzigerweise sind die 39 Prozent bei Eckendreiern noch am ehesten unterdurchschnittlich).

SPOXnba.com/stats

Curry wirkt etwas spritziger und kräftiger als in vergangenen Jahren, was auch Kerr betonte. Das hilft ihm auch beim Zug zum Korb. 5,6 Freiwürfe pro Spiel sind zwar nicht enorm viel, aber mehr als in jeder Curry-Saison außer 17/18. Seine And-1-Frequenz, also die Anzahl von Fällen, in denen er trotz Foul noch den Wurf getroffen hat, war noch nie ansatzweise so hoch (in 37,7 Prozent der Fälle). Curry wird natürlich nie ein LeBron sein, aber es gelingt ihm besser denn je, Kontakt zu absorbieren und trotzdem abzuschließen.

SPOXnba.com/stats

Das ist eine weitere Stärke in einem Scoring-Arsenal, das eigentlich keine Lücke hat. Es gibt - gerade mit Blick auf die Alternativen im Kader, die allesamt nicht ansatzweise diese Effizienz mitbringen - nicht wenige Warriors-Fans, denen es daher sehr recht wäre, wenn Curry noch mehr wie einige andere Superstars - Damian Lillard in Portland, Luka Doncic in Dallas - zum Zentrum von allem gemacht werden würde.

Doncic führt die Liga mit 9,3 Minuten Ballbesitz pro Spiel an, Lillard (8,5) belegt Platz 3 - und Curry liegt mit 5,6 auf Platz 22. Er läuft etwas mehr Pick'n'Rolls als in früheren Jahren (und ist mit 1,22 Punkten pro Play aktuell der beste Spieler der Liga in dieser Hinsicht), trotzdem belegt er auch hier nur Platz 22 und läuft das Play nur knapp halb so oft wie Spitzenreiter Trae Young.

Kerr weigert sich schlichtweg, den Warriors und Curry eine "gewöhnlichere" Offense aufzutragen. Seine indirekte (Off-Ball-)Gefahr wird dabei ähnlich schwer gewichtet wie die direkte durch die Zeit in Ballbesitz.

Das kann man kritisch sehen und den Saisonstart hätte man Oubre oder Wiggins vielleicht mit simpleren Systemen erleichtern können. Es ist auch kein Zufall, dass Golden States Offense schlichtweg stinkt, wenn Curry nicht auf dem Court steht, weil niemand sonst ihr Motor sein kann. Das Ganze folgt einem Plan, der sich nicht nur auf die laufende Spielzeit bezieht.

20/21: Die Warriors mit und ohne Stephen Curry auf dem Court

MinutenOff-Rtg.Def-Rtg.Net-Rtg.
Curry ON Court843112,2110,4+1,8
Curry OFF Court357100,5103,6-3,0
Gesamt1200109,9109,1+0,8

Kerrs Spielphilosophie sieht Systeme vor, in denen ständige Bewegung sowohl von Ball als auch Spielern im Fokus stehen und in denen so viel wie möglich instinktiv abläuft. Kreatives Chaos, gewissermaßen. Curry und Green ermöglichen dies, auch weil Curry eben nicht der klassische balldominante Superstar ist, sondern den Ball bereitwillig abgibt, sich weiterbewegt und auf die nächste Möglichkeit wartet beziehungsweise diese kreiert.

Den Relocation-Dreier hat Curry schon vor Jahren zur Kunstform erhoben. Mindestens ebenso oft entstehen durch seine Bewegungen, nachdem er den Ball abgegeben hat, aber auch Freiräume für andere, dann wird kein Assist für Curry notiert, die Punkte gehen trotzdem zu einem Großteil auf seine Kappe. Seit Jahren gehört er auch deshalb zu den gefährlichsten Blockstellern der Liga, auch wenn die freien Würfe nicht für Thompson oder Durant entstehen.

SPOXnba.com/stats

Die Uneigennützigkeit ist eine Eigenschaft, die Golden States Aufstieg zur Dynastie ähnlich stark prägte wie das explosive Shooting. Die (optimistische) Hoffnung lautet nun, dass sie früher oder später auch auf die neuen Spieler übergeht. Kommende Saison kehrt Klay zurück, Wiggins und Oubre kennen das System, Wiseman die NBA - dann wird vielleicht neu angegriffen.

Kerr verfolgt einen Langzeitplan, deswegen beschränkt er auch die Minuten seines Superstars, kein einziges Mal stand Curry in dieser Spielzeit bisher 40 Minuten auf dem Court. Das zeugt davon, dass die Warriors sich keine Illusionen machen. Sie sind an guten Tagen ein gutes Team, aber sie haben nichts mit dem Titelrennen zu tun. So wie Currys Spiel jedoch altert, ist die Hoffnung berechtigt, dass sich das bald wieder ändern könnte.

Der Verdacht liegt nahe, dass Curry auch mit Anfang 40 noch ohne Probleme ein effektiver NBA-Spieler sein könnte - das haben schließlich auch schon andere Shooter vor ihm geschafft, und kein Shooter war jemals so gut wie er. Wenn er das möchte, hat er vermutlich noch eine zweite Karriere als Edelschütze vor sich wie einst Ray Allen.

Bis dahin ist es jedoch noch lange hin. Nach den Verletzungen im Vorjahr wurde Curry vielerorts schon als Superstar erster Klasse abgeschrieben, doch das war verfrüht: Der Chefkoch befindet sich noch immer in seiner Prime. Und wenn man bedenkt, was um ihn herum so stattfindet, kann man durchaus dafür argumentieren, dass seine aktuellen Leistungen noch beeindruckender sind als die in der vielleicht besten Offensiv-Saison der jüngeren Vergangenheit.

Seine wichtigsten Weggefährten sehen das so. Und wer will ihnen schon widersprechen?