Donnie Nelson ist der General Manager der Dallas Mavericks und seit vielen Jahren anerkanntermaßen einer der Top-Leute im NBA-Business. Im Interview mit SPOX spricht der 58-Jährige über eine mögliche Rolle von Dirk Nowitzki bei den Mavs, die Qualitäten von Maxi Kleber und den NBA-Spielbetrieb in Zeiten der Corona-Pandemie.
Außerdem erklärt Nelson, was Steph Curry so besonders macht und warum er einmal hoffte, dass Luka Doncic keinen Wurf treffen würde.
Donnie, wann hatten Sie eigentlich das letzte Mal Kontakt zu Dirk Nowitzki?
Donnie Nelson: Das ist schon eine Weile her. Aktuell ist es schwierig an Dirk heranzukommen, weil er in Schweden die Skipisten unsicher macht. (lacht)
Steve Nash wollte Dirk Nowitzki für seinen Coaching-Staff in Brooklyn gewinnen, das kam aber noch zu früh. Was ist Ihr Gefühl, wohin die Reise für Dirk gehen könnte?
Nelson: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass die Tür bei den Mavericks für ihn weit offen steht. Diese Franchise empfindet so viel Liebe für ihn, dass er sich den Job aussuchen kann. Wir hatten natürlich auch schon ein paar Gespräche bezüglich seiner Zukunft, aber ich denke, dass er sich noch darüber klar werden muss, was er wirklich machen will. Reizt ihn eher eine Aufgabe im Management? Eher im Coaching? Mit jeder potenziellen Rolle hängen zum Teil sehr unterschiedliche zeitliche Verpflichtungen zusammen. Und Zeit ist das kostbare Gut, das Dirk so lange in seinem Leben nicht hatte. Er war so lange in diesem Hamsterrad gefangen, dass es klug ist, erstmal ein paar Schritte zurückzugehen und durchzuatmen. Nichts raubt dir so viel Zeit wie unser Leben in der NBA. Glauben Sie mir, für nichts würden die Jungs mehr geben als für ein bisschen mehr Zeit. Während wir hier miteinander sprechen, fährt Dirk irgendwo in Schweden eine Piste hinunter und genießt die Zeit mit seinen Kindern und seiner wundervollen Frau. Er kann jetzt endlich all die Sachen machen, die er während der Karriere nicht tun konnte und holt sozusagen verlorene Zeit nach. Das soll er erstmal noch eine Weile machen, danach sehen wir weiter.
Maxi Kleber hält die deutsche und die WürzburgerFahne ja weiter hoch in Dallas. Woran denken Sie, wenn Sie an Maxi denken?
Nelson: Ich bin vor allem unfassbar stolz auf Maxi. Sein Karriereweg mit all den Verletzungen, die er überstehen musste, ist ein ganz besonderer. Und er hat das gleiche Herz und die gleiche Leidenschaft für sein Heimatland wie Dirk. Die Story, dass beide aus einer kleinen Weinstadt namens Würzburg kommen, ist einfach so cool. Beide kommen aus tollen Familien und beide sind noch bessere Menschen als Basketballspieler. Dabei ist auch Maxi ein hervorragender Spieler, der immer noch oft unterschätzt wird. Ich sage ihnen mal was: Für mich ist Maxi vielleicht der beste europäische Verteidiger der Geschichte in der NBA. Er kann Point Guards genauso verteidigen wie Center, und alles dazwischen - seine Präsenz in der Defensive ist unglaublich.
Nelson: "Eine 2 Meter große Version von Steve Nash"
Wir müssen natürlich über Luka Doncic sprechen. Der Draft ist jetzt einige Jahre her, aber können Sie Ihr Glück immer noch kaum fassen, dass Ihnen Doncic in die Hände gefallen ist und Sie nach der Nowitzki-Ära tatsächlich ohne Pause Ihren nächsten Franchise-Spieler gefunden haben?
Nelson: Ich wache jeden Morgen sehr glücklich auf, das stimmt. (lacht) Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich Luka zum ersten Mal live habe spielen sehen in Spanien. Da war er 15 Jahre alt. Jeder, der mich kennt, weiß, wie sehr ich gute Passgeber liebe. Jungs, die den gewissen Blick für ihre Mitspieler haben und alle um sie herum besser machen. Dieses Gefühl hatte ich bei Luka sofort. Ich habe sofort gesehen, welches sehr spezielle Talent ihm der liebe Gott gegeben hat. Ich habe zu mir gesagt: Hey, das wird eine 2 Meter große Version von Steve Nash, die so rebounden kann wie Jason Kidd. Ich war von einem sehr frühen Zeitpunkt an ziemlich begeistert von Luka.
Sie haben ja ohnehin eine große Affinität für den europäischen Basketball.
Nelson: Das stimmt. Das muss wohl an meiner schwedischen Frau liegen, Lotta war definitiv meine wichtigste europäische Verpflichtung. (lacht) Meine Zeit als Spieler in Europa hat mich sehr geprägt. Ich habe in Litauen Sarunas Marciulionis getroffen, wir sind Freunde geworden und später hat ihn mein Vater für die Warriors gedraftet. Ob es Sarunas war, oder Vlade Divac, Arvydas Sabonis, Drazen Petrovic - ich hatte die Chance, gegen großartige europäische Spieler zu spielen. Und ich habe über viele Jahre exzellente Beziehungen nach Europa aufgebaut, die mir später geholfen haben. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, all diese Erfahrungen in Europa gemacht zu haben.
"Dirk und Luka zusammen? Das wäre Wahnsinn gewesen"
2013 hätten Sie im Draft eine Chance auf Giannis Antetokonumpo gehabt.
Nelson: Diese Chance haben wir leider verpasst, umso mehr wollte ich Luka bekommen. Jungs von diesem Kaliber gibt es nicht so oft. Aber ich dachte, dass wir niemals eine Chance haben würden mit dem fünften Pick im Draft. Ich habe die EM angeschaut und gehofft, dass Luka keinen Wurf trifft und grauenvoll spielt. Ehrlich. Ich habe jedes Mal gejubelt, wenn er nicht getroffen hat oder irgendwie unathletisch und langsam aussah. Dennoch war ich mir sicher, dass er im Draft auf keinen Fall aus den Top 3 fallen würde. Als sich dann tatsächlich die Möglichkeit ergab, hochzutraden und Luka zu draften, war ich zugegeben einigermaßen begeistert.
Nowitzki war noch ein Jahr an seiner Seite, bevor er die Karriere beendete. Wie wichtig war das im Nachhinein?
Nelson: Oh, extrem wichtig, keine Frage. Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits hätte ich sehr viel dafür gegeben, wenn das Schicksal es so gewollt hätte, dass Dirk und Luka beide in ihrer Blütezeit in einer Mannschaft hätten spielen können. Dirk und Luka zusammen? Das wäre Wahnsinn gewesen. Aber es sollte nicht sein. Auf der anderen Seite bin ich sehr froh, dass Dirk in Lukas erstem Jahr noch Teil des Teams war. Dirks Einfluss auf Luka war immens. Wie verhalte ich mich abseits des Courts? Was ist wichtig? Worauf muss ich aufpassen? Dass Luka jemanden wie Dirk als leuchtendes Vorbild hatte in seiner Rookie-Saison, war extrem entscheidend für seine rasante Entwicklung. Kombiniert mit der Erfahrung, dass er in jungen Jahren für Real schon auf so hohem Niveau gespielt hat, war das sicher auch der Schlüssel dafür, dass Luka keine lange Eingewöhnungszeit brauchte. Da war er gegenüber Dirk, der direkt vom Training mit Holger Geschwindner aus irgendeiner Turnhalle in die NBA kam, natürlich klar im Vorteil.
Luka Doncic gehört jetzt schon zu den größten Superstars der Liga. Wo muss er sich denn noch verbessern, um vielleicht der beste Spieler der Welt zu werden?
Nelson: Luka ist immer noch erst 21 Jahre alt, das dürfen wir nie vergessen. Dirk wurde sehr früh mit Larry Bird verglichen, der Hype um Luka ist ebenso groß. Aber er ist immer noch ein junger Spieler, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden bleiben und noch viele Dinge verbessern muss. Luka ist übrigens der Erste, der das selbst sagen würde. Jeder kann seine überragenden Fähigkeiten sehen, wie sehr er Drucksituationen in der Crunchtime liebt zum Beispiel. Er hat eine unglaubliche Zukunft vor sich, das ist klar. Aber er ist weit davon entfernt, ein fertiger Spieler zu sein. Freiwürfe sind ein Thema, bei dem er sich verbessern muss. Er kann auch hier und da seine Mitspieler noch besser einbinden. Er braucht noch mehr NBA-Erfahrung, er wird reifer werden. Das sind alles Punkte, die er selbst so sieht, deshalb bin ich sehr sicher, dass er seinen fantastischen Weg weitergehen wird.
Was manchmal vergessen wird: Der Draft 2018 war nicht nur wegen Doncic kein schlechter für Dallas.
Nelson: Sie haben Recht. Jalen Brunson zu Beginn der zweiten Runde draften zu können, war auch ein echter Glücksfall für uns. Jalen ist ein Junge, den du einfach auf deiner Seite haben willst. Mit dem du in die Schlacht ziehen willst. Dem du in schwierigen Situationen den Ball geben willst. Er ist einer dieser Typen, die in der Kabine und für die Chemie einer Mannschaft wichtig sind. Er hat gute Statistiken in dieser Saison, aber sein Wert fürs Team geht weit darüber hinaus. Jalen ist viel wichtiger, als es Zahlen im Boxscore ausdrücken können.
Ihre Mannschaft hat bislang eine schwierige Saison hinter sich, gerade defensiv. Dallas gehört aktuell nicht mal zu den Top 8 im Westen, auch wenn es zuletzt wieder etwas besser lief. Wie sehen Sie die Lage?
Nelson: Der erste Punkt ist, dass wir ziemlich hart von Corona getroffen wurden. Wir hatten immer wieder Ausfälle, sodass wir nie unsere gewünschte Rotation spielen konnten. Und wenn einige Jungs wieder zurückgekommen sind, haben sie noch einige Zeit gebraucht, um wieder wirklich fit zu sein und ihr altes Leistungsvermögen abzurufen. Zu einem Zeitpunkt in der Saison waren wir das Team, das in der gesamten Liga am härtesten von Ausfällen getroffen war. Das klingt nach einer Entschuldigung, ist es aber nicht. Es ist einfach die Realität.
Donnie Nelson: "Wir sind ein gefährliches Darkhorse"
Was sind weitere Gründe?
Nelson: Auch das klingt wieder nach einer Ausrede, aber unser Spielplan war sicherlich auch extrem hart in der ersten Saisonphase. Natürlich hätten wir gerne ein paar Spiele mehr gewonnen, aber ich bin deshalb nicht beunruhigt. Ich glaube, dass sich einige Dinge in der zweiten Saisonhälfte ausgleichen werden. Ich bin immer noch sehr happy, dass wir Josh Richardson holen konnten in der Offseason. Er ist nicht nur ein richtig guter Verteidiger, er passt auch sehr gut zu Luka. Auch mit Willie Cauley-Stein bin ich nicht unzufrieden, so düster sehe ich unsere Aussichten nicht.
Aber die Frage ist doch, wie weit die Mavs davon entfernt sind, im wie immer brutalen Westen ein echter Titelkandidat zu sein?
Nelson: Wenn wir gesund bleiben, sind wir ein gefährliches Darkhorse, davon bin ich überzeugt. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir eine sehr junge Mannschaft haben. Unser bester Spieler ist 21 Jahre alt, unser ganzer Nukleus ist sehr jung. Ich weiß, dass es immer Trade-Spekulationen gibt und ich kann auch nichts ausschließen. Wenn sich eine Möglichkeit ergibt, das Team zu verbessern, würden wir das machen. Wir werden schauen müssen, wie es sich im weiteren Saisonverlauf entwickelt und wo wir stehen. Aber eigentlich würde ich viel lieber den Jungs die Chance geben, zusammen zu wachsen. Wir haben ein Team, das gerne zusammenspielt, die Chemie ist gut. Die Mannschaft muss gesund bleiben und sich zusammen entwickeln, das wäre mein Wunsch.
Versuchen Sie auch, sich in anderen Sportarten Inspiration zu holen?
Nelson: Man versucht immer, auch von anderen Organisationen zu lernen. Ich habe beispielsweise gute Beziehungen zu den Bayern. Der FC Bayern ist eine Maschine - und das sogar in mehreren Sportarten. Niemand auf dem Planeten arbeitet auf so einem hohen Niveau und ist so erfolgreich wie die Bayern - ich habe höchsten Respekt davor.
Zurück zur NBA: Wie sehen Sie denn aktuell die Kräfteverhältnisse im Westen?
Nelson: Ich sehe die beiden Teams aus L.A., Utah und auch Phoenix am stärksten. Die Jazz haben alles, was man braucht. Sie spielen an beiden Enden des Courts herausragend, sie haben mit Donovan Mitchell den Star-Faktor, sie haben Rudy Gobert als Anker und sind unglaublich tief besetzt. Es ist eine richtig gut zusammengestellte Mannschaft. Utah wird ein gewichtiges Wörtchen mitreden, da bin ich sicher. Und die Suns machen mit ihrer Athletik und der Leadership von Chris Paul auch einen sehr starken Eindruck. Das sind die Top 4 und wir versuchen, uns in den Bereich zwischen 5 und 8 reinzuarbeiten und kämpfen da mit einigen anderen starken Teams.
Dazu gehören auch die Warriors, bei denen Steph Curry eine Monster-Saison absolviert. Das muss Sie ganz besonders freuen, oder?
Nelson: Auf jeden Fall. Steph Curry ist jemand, der meiner ganzen Familie sehr am Herzen liegt, seitdem ihn mein Vater damals gedraftet hat. Es ist ziemlich faszinierend, wie stark die Warriors auch ohne Klay Thompson sind. Und Steph ist natürlich der Hauptgrund dafür. Aber egal, wie unfassbar Steph auf dem Court ist, ich komme nicht daran vorbei, zu betonen, was für ein guter Junge er ist. Steph ist ganz ähnlich wie Dirk. Du fragst dich bei diesen Superstars manchmal echt, ob sie wirklich so nette Typen sein können? Und die Antwort bei Steph und Dirk lautet: ja, das können sie wirklich. Sie sind beide aus einem besonderen Holz geschnitzt.
Sowohl Steph Curry als auch Dirk Nowitzki haben die NBA durch ihren Spielstil revolutioniert. Wenn Sie sich die Evolution der NBA anschauen über die letzten Jahrzehnte: Gibt es etwas, das Ihnen nicht so gefällt?
Nelson: Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die NBA nie besser und aufregender war als heute. Wir sind ein globaler Sport geworden, der jedem Kind eine Chance bietet. Egal, ob heute ein kleiner Junge in Würzburg in einer Turnhalle Körbe wirft, in Asien, Südamerika, Australien oder Afrika - es gibt einen Weg für ihn in die NBA. Das ist großartig. Auch die Art und Weise, wie sich das Spiel entwickelt hat, gefällt mir. Die größte Priorität liegt auf dem Shooting, vor allem von der Dreierlinie. Das Spiel ist athletischer und vielseitiger geworden, es macht mehr Spaß zuzuschauen als je zuvor. Die einzige Sache, die mich als Basketball-Traditionalisten etwas traurig stimmt, ist das Aussterben der echten Center. Nehmen wir Kristaps Porzingis bei uns im Team, seine Qualitäten als Schütze sind wichtiger als sein Post-up-Game. Wir denken das Spiel von außen nach innen, nicht mehr andersherum. Es ist gut für das Spiel, aber trotzdem schmerzt es mich ein wenig.
Donnie Nelson: "Wir brauchen das für unsere Psyche"
Die NBA hat in der Corona-Pandemie eine Vorreiterrolle eingenommen und gezeigt, wie der Spielbetrieb weitergehen kann, erst mit der Bubble in Disney World und in der laufenden Saison zurück in den verschiedenen Städten. Wie herausfordernd war die Zeit bislang für Sie als Verantwortungsträger einer Franchise?
Nelson: Die Sicherheit und Gesundheit unserer Spieler und unseres gesamten Staffs hatte von Anfang an für uns die oberste Priorität. Wenn du mit dieser Einstellung an alle Entscheidungen herangehst, kannst du die Situation ganz gut meistern. Das ist zumindest meine Erfahrung aus der Zeit bislang. Natürlich haben wir uns alle viele Gedanken darüber gemacht, ob es angebracht ist, zu spielen. Aber ich muss ihnen ganz ehrlich sagen, dass wir doch alle ein Ventil brauchen. Das gilt für jeden Sport und das gilt auf der ganzen Welt. Wir brauchen alle ein Stück weit Normalität und wenn es nur ein NBA-Spiel am Abend ist, auf das wir uns freuen können. Wir brauchen das für unsere Psyche, wenn wir nicht verrückt werden wollen. Wir wollten für unsere Fans da sein. Wenn sie schon nicht in die Halle kommen können, dann wollen wir wenigstens alles dafür tun, dass sie uns am Fernseher zuschauen können. Ich glaube, dass die NBA und vor allem Commissioner Adam Silver einen hervorragenden Job gemacht haben.
Wann werden in Dallas wieder Fans erlaubt sein?
Nelson: Wir waren bislang sehr vorsichtig, das war auch Mark (Cuban, Anm. d. Red.) immer sehr wichtig. Wir haben zuletzt First Responder eingeladen als Dankeschön und wir hoffen, dass wir mit dem Fortschreiten der Impfungen relativ bald dahin kommen, wieder zumindest einige Fans bei uns begrüßen zu können. Aber wir werden das erst machen, wenn die Sicherheit für alle wirklich gewährleistet ist. Wir nehmen die Protokolle extrem ernst und überlassen nichts dem Zufall. Unsere Spieler werden jeden Tag getestet, manchmal zweimal am Tag. Du kannst das Risiko nie komplett ausschließen, aber wir versuchen wirklich alles, um die größtmögliche Sicherheit herzustellen in dieser verrückten Zeit der Pandemie. Ich sehne mir nichts mehr herbei, als dass wir wieder eine volle Arena haben und den Spielern geht es genauso. Ohne Fans und ohne den Austausch mit ihnen ist es schrecklich.