NBA - Chicago Bulls und der Trade für Nikola Vucevic: Ist etwas besser gut genug?

Robert Arndt
30. März 202110:34
Zach LaVine und Nikola Vucevic sollen von jetzt an das neue Star-Duo der Chicago Bulls bilden.getty / Twitter
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Die Chicago Bulls sorgten mit dem Trade für Nikola Vucevic kurz vor der Trade Deadline für Aufsehen. Es verdeutlichte die Ambitionen der Bulls, denen nach vier Jahren Rebuild langsam die Geduld ausgeht. Doch was bringt der Move wirklich? Es birgt gewisse Risiken.

NBA-Fans dürfen sich wohl bei den Chicago Bulls bedanken, dass eine als ruhig prognostizierte Trade Deadline letztlich für einen Rekord mit 16 Transaktionen sorgte. Der Trade für Nikola Vucevic löste eine Kettenreaktion aus, die im kompletten Ausverkauf der Orlando Magic mündete.

Den Vucevic-Deal hatten die wenigsten kommen gesehen, Chicago schien auch nicht der klassische "Käufer" zur Deadline zu sein. Mit einer Bilanz von 19-26 belegen die Bulls im Moment Platz zehn im Osten, das würde Stand jetzt für den letzten Platz im neu installierten Play-In-Tournament reichen.

Der Trade verdeutlicht: Das ist dem Management der Bulls nicht genug. Seit 2017, als die Bulls Jimmy Butler nach Minnesota schickten, steckt das Team aus Illinois nun im Neuaufbau. Zach LaVine und der frisch gedraftete Lauri Markkanen waren die Kronjuwelen für den Restart, der jedoch nie so verlief wie erhofft, weshalb vor der laufenden Spielzeit nicht nur der Coach, sondern auch das Front Office personell neu besetzt wurde.

Chicago Bulls: Ein stockender Neuaufbau

Der Misserfolg hatte mehrere Gründe. LaVine entwickelte sich zwar (in der laufenden Spielzeit) zum All-Star, ansonsten war der Erfolg der Bulls im Draft überschaubar, was auch mit etwas Pech in der Lottery zusammenhing. 2018 und 2019 rutschten die Bulls in der Lotterie jeweils ab, nur im vergangenen Jahr hatte Chicago Glück, als es von 7 auf 4 ging, an dieser Position zog der neue Präsident Arturas Karnisovas Patrick Williams.

Gedraftet wurden im Rebuild also Markkanen, Wendell Carter Jr., Coby White und Williams. Das ist nicht schlecht, aber ein kommender Franchise-Star war unter diesem Quartett nicht dabei. Entsprechend schwer taten sich die Bulls, aus dem Keller den Ostens zu kommen, die leidigen Coaching-Diskussionen um Fred Hoiberg und Jim Boylen mal ausgeschlossen.

Mit Billy Donovan kehrte ein wenig Stabilität ein, LaVine wurde endgültig der Fixstern der Bulls-Offense, doch im Alleingang macht auch der 25-Jährige Chicago nicht zu einem Top-Team. Ein gutes Beispiel dafür war das letzte Spiel vor der Trade Deadline, als die Bulls gegen Cleveland mit 94:103 verlor, einfach weil offensiv mit Ausnahme von LaVine nicht viel zusammen lief.

Zach LaVine ist der Star der Chicago Bulls.getty

Chicago Bulls: Nikola Vucevic macht das Team besser

Mit Vucevic soll sich das ändern, das war den Bulls Carter Jr., zwei Erstrundenpicks und den auslaufenden Vertrag von Otto Porter Jr. wert. "Wir wollen wieder relevant werden und das haben wir geschafft", sagte Karnisovas über den Deal. "Wir wollen ein Team haben, welches oben mitspielt. Wir wollen eine Kultur etablieren, in welcher der Einsatz im Vordergrund steht."

Der Litauer hat recht, Vucevic macht die Bulls umgehend besser, auch wenn die ersten beiden Spiele mit dem neuen Center in die Binsen gingen. Gerade offensiv, wo speziell Carter Jr. trotz vieler Vorschusslorbeeren und offensichtlicher Spielintelligenz nie ein großer Faktor war. Der Fünfer war kein Karnisovas-Spieler, ihn draftete noch das alte Regime Gar Forman und John Paxson, weshalb es den Bulls wohl leichter fiel, sich vom Youngster zu trennen.

Chicago will gewinnen, anders ist es nicht zu erklären, dass man sich von gleich zwei Erstrundenpicks für einen 30-Jährigen trennte. Über die Saison legt Vucevic 24,5 Punkte und 11,8 Rebounds auf, er ist schon jetzt der beste Mitspieler, welchen LaVine je hatte. Die Aussage, dass die Bulls nun zwei All-Stars haben, ist daher richtig - sie muss aber differenziert gesehen werden.

Es gibt All-Stars, das sind LaVine (1x) und Vucevic (2x) - und es gibt All-NBA-Spieler, also die besten 15 Akteure der Association. LaVine und Vucevic gehören nicht zu diesem elitären Kreis. Mit zwei All-NBA-Spielern stößt man für gewöhnlich in den Kreis der Contender vor. Spoiler Alert: Das haben die Bulls nicht getan.

Vielmehr heben die Bulls ihr jetziges Niveau an und opfern dafür gewissermaßen ihr Potenzial, indem sie Draft-Picks abgaben. Das ist in Ordnung, schließlich waren die Bulls nun jahrelang ein, nett ausgedrückt, bestenfalls mittelmäßiges Team. Mit dem Duo LaVine/Vucevic könnte Chicago wieder mehr Spaß machen.

Vucevic ist einer der besseren Post-Up-Spieler der NBA, in Orlando war seine Effizienz jedoch ausbaufähig (nur 0,9 Punkte pro Play), wobei hier auch die fehlenden Schützen um ihn herum eine nicht unwesentliche Rolle spielten. Zugleich ist der Montenegriner eine echte Gefahr aus dem Pick'n'Pop, per Catch-and-Shoot versenkte Vucevic fast 41 Prozent seiner Dreier. Unter den Centern sind nur Nikola Jokic und Chris Boucher besser, sie nehmen aber nur halb so viele Würfe wie der neue Bulls-Star (6,5 FGA).

Chicago Bulls: So könnte LaVine mit Vucevic funktionieren

Mit all diesen offensiven Waffen wird Vucevic LaVine das Leben leichter machen, mehr Räume öffnen und selbst mehr freie Würfe bekommen. Vucevic kann nicht nur zur Dreierlinie absinken, sondern ist bereits über Jahre ein guter abrollender Big (1,14 PPP). Chicago kann das Spiel so recht simpel gestalten, auch das hilft LaVine, der kein klassischer Spielmacher ist und deswegen sehr anfällig für Ballverluste bleibt.

Schon im ersten Spiel in San Antonio, welches jedoch deutlich verloren ging, gab es erste Ansätze zu sehen, auch wenn Tomas Satoransky den Big Man zumeist besser einsetzen konnte. Hier mal ein Beispiel, wie tödlich ein Pick'n'Pop der beiden All-Stars sein kann (wenn denn der Wurf fällt).

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Gleiches gilt für den Post, wo San Antonio unter allen Umständen den Switch vermeiden möchte, Vucevic eine gute Position gegen Jakob Pöltl erarbeiten kann und so das And-1 gegen den Österreicher zieht.

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Problematisch dürfte es dagegen weiter am hinteren Ende des Feldes bleiben. Vucevic ist eher fußlahm und besitzt vor allem nicht die Mobilität gegen schnellere Gegenspieler, sodass Chicago schon eine Top-10-Offense stellen muss, um wirklich ein Playoff-Team zu sein. Im Moment belegen sie hier laut Cleaning the Glass Rang 15.

Chicago Bulls: Was passiert mit Lauri Markkanen?

Dass Vucevic neben Markkanen spielen wird, macht die Sache defensiv nicht einfacher, das erkannte auch Donovan schnell und ersetzte den Finnen beim Gastspiel in Golden State mit Thaddeus Young in der Starting Five. In der Theorie soll Markkanen nun mit der Second Unit für mehr Offense sorgen, in Daniel Theis hat er dafür einen geeigneten Parter. Der Theis-Trade war ein kleiner Coup für die Bulls, auch wenn es für den deutschen Nationalspieler erst einmal ins zweite Glied geht.

Wie das alles zusammenpassen kann, wird die Zukunft zeigen. Für den Moment wirkt es alles nicht ganz ausbalanciert und viel Zeit bleibt den Bulls nicht. Im engen Playoff-Rennen im Osten können wenige Siege über Platz 4 oder Platz 12 entscheiden, dazu stehen im Sommer richtungsweisende Entscheidungen an.

Markkanen wird Restricted Free Agent, sein Standing ist nicht das Beste in der Organisation, was die Gerüchte um einen Trade für Lonzo Ball implizierten. Der Finne wartet weiter auf seinen Durchbruch, die (unfairen) Vergleiche mit Dirk Nowitzki gehören schon lange der Vergangenheit an.

Chicago Bulls: Verlängert Zach LaVine seinen Vertrag?

Aus Franchise-Sicht noch wichtiger ist aber die Tatsache, dass LaVine mit Beginn der Free Agency einen neuen Vertrag unterzeichnen kann. Das wären potenziell rund 108 Millionen Dollar für vier Jahre (oder: Wird LaVine ins All-NBA Team gewählt, ist er für einen Supermax-Vertrag qualifiziert!), was der Shooting Guard mit großer Wahrscheinlichkeit ablehnen wird, da in der Offseason 2022, wenn sein Vertrag ausläuft, mehr Geld auf dem Tisch liegen wird.

Dies wird ein kritischer Moment für die Bulls, schließlich ist der Vucevic-Deal ein Zeichen in Richtung LaVine. Gleichzeitig verschafft es dem 25-Jährigen eine exzellente Verhandlungsposition, da Chicago sich aufgrund des fehlenden Draftkapitals voll dem neuen All-Star-Duo verschrieben hat.

Patrick Williams als Wildcard der Bulls

Es gibt aber auch noch eine Wildcard für den sechsfachen NBA-Champion, die auf den Namen Williams hört. Der 19-Jährige ist nach Aleksej Pokusevski der jüngste Spieler in der Association und zeigte in seinen Minuten gute Ansätze. Er weiß, wo der Korb hängt und lernt Abend für Abend, was es heißt, defensiv gegen die Besten der Liga auf dem Flügel zu bestehen.

Wenn Vucevic ein sogenannter "Floor Raiser" ist, kann der Forward als "Ceiling Raiser" gesehen werden. Noch ist es zu früh zu prognostizieren, ob Williams mal für All-Star-Spiele in Betracht gezogen werden kann, doch wenn seine Entwicklung tatsächlich (schnell) Fahrt aufnimmt, könnten die Bulls auch mit einem Duo auf verschiedenen Zeitachsen ans Tor zur Spitze des Ostens anklopfen.

Hier spielt jedoch viel Theorie mit hinein. Für den Moment hat sich Chicago von einem Team an der Kante zur Lottery zu einem potenziellen Playoff-Team ohne Heimvorteil verbessert. Ob das dann wirklich zielführend war, liegt im Auge des Betrachters.