NBA Above the Break: Das steckt hinter dem besten Stretch der Laufbahn von Stephen Curry

Ole Frerks
21. April 202107:38
Stephen Curry ist derzeit die beste Show im Basketball.getty
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Stephen Curry hat keine Lust auf einen frühzeitigen Urlaub und hat seine Golden State Warriors mit einem absurden Hot Stretch zurück ins Playoff-Rennen gehievt. Was steckt hinter seiner Explosion - und was können die Warriors daraus lernen?

Eigentlich hat Stephen Curry seine Blumen für diese Spielzeit ja auch an dieser Stelle schon bekommen, aber leider reicht das nicht - wobei, was heißt leider. Mit seinen aktuellen Leistungen drängt sich der 33-Jährige auf wie niemand sonst, Curry befindet sich in einer Form, in der Gegner bei NBA2K aus Frust über mangelnden Realismus längst den Controller weggeschmissen hätten.

Currys Zahlen im April: Bisher 40,8 Punkte, 7,2 Dreier pro Spiel, bei Shooting-Splits von 55/50/91. In den vergangenen acht Tagen hat er vier Spiele mit mindestens zehn Dreiern hingelegt, in der Saison sind es bisher sechs Spiele - niemand sonst hat über seine Karriere mehr als fünf dieser Partien (Curry: 21!). Mittlerweile ist er auch auf Kurs, nach 2016 zum zweiten Mal NBA-Topscorer zu werden.

72 Dreier hat Curry über die letzten zehn Partien versenkt, bei 143 Versuchen - und wie so oft stellt sich die Frage, warum er bei dieser Effizienz (50,3 Prozent) nicht noch viel häufiger draufhält. Ernsthaft: In 20 Jahren wird man die "Light Years Ahead"-Warriors dafür kritisieren, dass sie Steph nicht Zeit seiner Karriere 15 Dreier pro Spiel ermöglicht haben.

Nichts von dem, was der zweimalige MVP gerade tut, lässt sich noch adäquat mit der restlichen NBA vergleichen. Curry hat über seine letzten fünf Spiele mehr Dreier versenkt als drei TEAMS (New Orleans, Washington und Orlando) im gleichen Zeitraum. Wie ist das möglich - und warum kommt dieser absurde Stretch gerade jetzt, wo sich Curry auch noch mit Schmerzen am Steißbein und am Knöchel herumplagt?

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Die Warriors haben die Saison noch nicht abgeschrieben

Da ist zum einen die tabellarische Situation der Warriors. Draymond Green hat zwar behauptet, dass ihn das Play-In-Turnier nicht motiviert, aber das ist keineswegs Company Policy: Während manche Teams die Saison zu diesem Zeitpunkt schon mehr oder weniger abgeschrieben haben oder primär darauf achten, sich für die Playoffs zu schonen, geht es für die Warriors noch um die Teilnahme.

Die Dubs rangieren momentan auf Platz 9 und haben schon etwas Distanz zwischen sich und Platz 11 außerhalb des Play-In-Turniers (New Orleans) gebracht, auch Platz 8 und damit eine bessere Ausgangslage ist aber noch absolut in Reichweite. Curry will nach dem Seuchenjahr 19/20 nicht noch eine Postseason verpassen, also nimmt er es ein Stück weit selbst in die Hand.

Dass ihm das so gut gelingt, ist allerdings zu einem gewissen Anteil auch der spielerischen Ausrichtung der Warriors geschuldet. Dabei spielt auch die Verletzung von Nr.2-Pick James Wiseman eine Rolle.

NBA: Die Spieler mit mehreren 10+-Dreier-Spielen

Spieler10+ Dreier in einem Spiel
Stephen Curry21 (6 in dieser Saison)
Klay Thompson5
James Harden3
Damian Lillard3
J.R. Smith3
Zach LaVine2

Die Wiseman-Verletzung hat den Warriors eher geholfen

Am 10. April verabschiedete sich der Big Man mit einer Knieverletzung für (mindestens) den Rest der Saison, die darauf folgenden fünf Spiele stellten prompt die beste Phase in Currys Saison - und der der Warriors: 4-1 in dieser Zeit) dar. Das liegt natürlich nicht nur am Ausfall von Wiseman, aber ganz von der Hand zu weisen ist der Einfluss auch nicht.

Wiseman ist - bei allem Talent - ein unfertiger NBA-Spieler, der noch unheimlich viel zu lernen hat und kein konstanter Plus-Spieler war. Das ist nicht wirklich verwunderlich, führte aber dazu, dass Wiseman die Dubs oft eher zurückhielt. Das Real Plus-Minus von ESPN führte Wiseman auf Platz 79 (-4,08) von 85 qualifizierten Fünfern.

Ohne ihn stellen sich die Dinge folglich etwas anders dar. Kevon Looney wird niemanden mit seinem Potenzial vom Hocker reißen, aber er ist ein solider, erfahrener Big, der sich gut bewegt, starke Screens setzt und Curry seit Jahren kennt. Er weiß, wie er sich wohin zu bewegen hat. Das ist wichtiger, als es sich anhört.

Für Green gilt das umso mehr - Draymond und Curry verstehen sich seit Ewigkeiten blind, seit dem Wiseman-Ausfall gibt Green wieder häufiger den Small-Ball-Fünfer. Die Rotation ist so noch knapper, aber kompetenter geworden. Und dann ist da noch die Steve Kerr-Komponente.

Der Head Coach hat nach Jahren der Beschwerden von Warriors-Fans und auch neutralen Beobachtern ein Stück weit nachgegeben: Curry tritt derzeit dominant auf wie selten zuvor und kontrolliert auch den Ball in einem anderen Maße. Seine Usage-Rate im April ist von 32 auf 36,6 Prozent hochgeschnellt, so hoch war sie selbst in seiner einstimmigen MVP-Saison nie über einen Monat.

Stephen Curry: Usage-Rate und True Shooting pro Monat

MonatSpieleUsage-RateTrue Shooting%
Dezember431,458
Januar1630,263,7
Februar1430,967,9
März63258,8
April1036,675,1

Curry hat den Ball im April etwas häufiger und länger in der Hand als in den vorigen Monaten, vor allem aber nutzt er seinen Ballbesitz noch besser, noch aggressiver. Er läuft mehr Pick'n'Rolls insbesondere mit Looney und jagt Mismatches, wie man es selten gesehen hat; wenn sich ein kleines Fenster öffnet, nutzt er es sofort.

Solche Plays sind sehr simpel und werden überall in der Liga genutzt, sie sind für die Dubs und ihre Motion-basierte Offense jedoch fast schon ein Stilbruch. Auch in dieser Saison ist Golden State nicht immer gewillt oder dazu in der Lage gewesen, seinen Chef kochen zu lassen, selbst wenn die Zahlen das verlangt hätten.

Zwei Beispiele: Laut nba.com/stats ist Curry nach DeMar DeRozan in dieser Saison der effektivste Isolation-Scorer der Liga (1,2 Punkte pro Possession) - aber 40 Spieler nutzen mehr Isolation-Plays als er (1,7 pro Spiel). Bei den Pick'n'Rolls steht er auf Platz 1 (1,16) und auf Platz 18; Spitzenreiter Trae Young läuft fast doppelt so viele dieser Plays wie Curry (7,7).

Für den Moment scheint sich das Team und sein Coach jedoch entschieden zu haben, die Welle zu reiten und Curry geschehen zu lassen. Die Resultate sind offensichtlich und haben die Dubs wieder zu einem Team gemacht, auf das in den Playoffs kein Topfavorit unbedingt treffen möchte. Wobei: Es geht eigentlich nur um den Spieler.

Kann Stephen Curry MVP werden?

Selbst inmitten dieser Spielzeit, in der Curry an sein galaktisches 2016 locker anknüpft, sind die Warriors ja noch immer nur die Definition von Mittelmaß. Wenn überhaupt: Streng genommen ist keiner von Currys Mit-Startern offensiv positiv ohne Einschränkungen. Green ist bekanntermaßen ein genialer Passer, als Scorer jedoch völlig harmlos. Kelly Oubre hat nie Konstanz in seine Leistungen bekommen. Andrew Wiggins spielt für seine Verhältnisse ein solides Jahr, ist in den Minuten ohne Curry aber aufgeschmissen (Net-Rating: -9,8).

Das ist ein Trend bei den Dubs: Die On/Off-Differenz bei Curry beträgt 14,5 Punkte pro 100 Ballbesitze, der Berechnung von Cleaning the Glass zufolge fügt er seinem Team über eine 82-Spiele-Saison geschätzt 35 Siege hinzu. Auch in dieser Kategorie führt er die Liga derzeit an, knapp vor LeBron James, Draymond (der seine Minuten fast alle mit Curry absolviert) und Joel Embiid.

Das sind, logischerweise, MVP-Zahlen, was man über Currys Saison grundsätzlich festhalten muss. Wie hier schon im Februar geschrieben: "Den Award wird er diesmal nicht bekommen - dafür ist Golden State als Team zu schlecht." Daran hat sich nichts geändert, aber Curry selbst kann sich dafür keine Vorwürfe machen.

Golden State steht vor Grundsatzfragen

Er hätte individuell tatsächlich nicht viel mehr tun können, beim Baseball etwa hätte er neben Nikola Jokic vielleicht sogar die besten Chancen auf den Award - in der NBA ist die Team-Performance jedoch eben (mit-)entscheidend und die Dubs sind nicht sonderlich gut. Das ist nicht ihr Anspruch, weshalb in der Offseason die eine oder andere Grundsatzfrage ansteht.

Die wichtigsten: Wie lange hat Curry noch auf diesem Niveau - und wie kann Golden State das Maximum daraus ziehen? Dass er die Warriors verlassen würde, schließt er immer wieder selbst aus, aber natürlich will auch Curry nochmal um Titel mitspielen. Mit der Rückkehr von Klay Thompson nach dann über zwei Jahren ohne NBA-Einsatz wird der Schritt zum Contender aber noch nicht gemacht sein.

Das Front Office muss weiterführende Entscheidungen treffen: Was geschieht mit Oubre, dessen Vertrag ausläuft? Muss Wiseman für jemanden eingetauscht werden, der direkt weiterhilft, oder vertraut man auf sein Potenzial? Was geschieht mit dem Lottery-Pick, den die Dubs zu 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit aus Minnesota erhalten werden?

Das sind wichtige Fragen, über die sich GM Bob Myers sicherlich schon längst das Hirn zermartert - glücklicherweise ist das aber sein Problem. Als neutraler Zuschauer kann man sich einfach zurücklehnen und die Show genießen. Der beste Schütze der NBA-Geschichte ist noch lange nicht fertig.