Zion Williamson hat sich im Lauf der Saison bei den New Orleans Pelicans eine neue Rolle angeeignet und ist nun überhaupt nicht mehr zu stoppen. Above the Break blickt auf einen ziemlich einzigartigen NBA-Spieler.
Die NBA gilt als Copycat-Liga - wer etwas besonders Neues einführt und damit Erfolg hat, findet schnell Nachahmer. Das kann sich sowohl auf einzelne Plays oder Systeme als auch auf bestimmte Würfe Moves oder Würfe beziehen; Drop Coverage, Logo-Dreier aus dem Dribbling, Dirk Nowitzkis Flamingo-Wurf, was auch immer. Nachahmen ist kein Diebstahl, sondern ein Zeichen des Respekts.
Die New Orleans Pelicans haben vor einigen Monaten ebenfalls etwas Neues eingeführt und sind damit nun erfolgreich, zumindest mehr als vorher. Seit Ende Januar gibt es diese Neuerung und seither stellt New Orleans die siebtbeste Offense der Liga (117,7 Punkte pro 100 Ballbesitze laut Cleaning the Glass), auch wenn sie in der Nacht auf Donnerstag von den Knicks ausgebremst wurden. Zuvor waren es nur 111,3 gewesen.
Nachahmer wird es hierfür dennoch kaum geben. Zumindest keine, die dem Original wirklich nahekommen. Wer hat schon einen 129-Kilo-Koloss (laut offiziellen Angaben) in seinen Reihen, der schneller und athletischer ist als alle seine Gegenspieler - wirklich alle - und der die Offense nicht nur abschließen, sondern auch initiieren kann? Der den Ball kontrollieren kann wie ein Point Guard und in Korbnähe in einer Häufigkeit abschließt wie Shaquille O'Neal zu dessen MVP-Zeiten? Genau.
Zion Williamson ist dabei, seinen eigenen Spielertyp zu kreieren.
War die erste Saison von Zion Williamson eine Enttäuschung?
Es ist mit dem Hype gerade im US-Sport ja immer so eine Sache. Manche Spieler werden schon an der Schule beziehungsweise am College so sehr in den Himmel gelobt, dass sie an den massiven Erwartungen eigentlich fast nur scheitern können. Wer in die NBA kommt und dann nicht umgehend zu den 15 besten Spielern der Liga gehört, wird dann schnell mal als Enttäuschung wahrgenommen.
Bei Zion kam im Rookie-Jahr jede Menge Verletzungspech dazu und Corona half ihm ebenfalls nicht. Zwar legte er in der Regular Season fast vom Start weg beeindruckend effiziente Zahlen auf, nach der Unterbrechung wirkte er in der Bubble jedoch nicht fit und schadete seinem Team tatsächlich eher, als dass er half. Die Defense war besonders problematisch und schnell wurde gefragt, ob Zion
a) zu dick ist,
b) körperlich nicht für die NBA gemacht,
c) desinteressiert oder
d) alle drei zusammen.
In Jahr zwei ist Williamson bereits ein All-Star. Seine Defense ist noch immer nicht gut, Zion ist ein überraschend schwacher Rebounder (nur 12,9 Prozent der verfügbaren Defensivrebounds gehen an ihn) und Shotblocker (eine Block Percentage von 1,0 Prozent hat auch Nikola Jokic, unter den Bigs stehen 104 Spieler vor ihm), wenn man die körperlichen Voraussetzungen betrachtet.
New Orleans erlaubt 2 Punkte pro 100 Ballbesitzen mehr, wenn Zion auf dem Court steht, das ist sogar deutlich schwächer als im letzten Jahr. Und trotzdem ist der erst 20-Jährige schon jetzt ein ohne jeden Zweifel positiver Spieler. Insbesondere, seitdem ihn sein Head Coach endgültig von der Leine gelassen hat.
New Orleans gibt Zion die Schlüssel in die Hand
Stan Van Gundy hat zu Saisonbeginn etwas Zeit gebraucht, um seinen neuen Kader und vor allem auch Zion richtig einschätzen zu können. Dessen individuelle Effizienz war zwar von Anfang an ordentlich bis gut, zu oft blieb jedoch der Eindruck bestehen, dass die Pelicans ihn nicht genug einsetzen; gerade am Ende von Spielen isolierte New Orleans ständig Brandon Ingram und holte so nicht das Maximum aus seinen beiden jungen Forwards heraus.
Van Gundy hat das erkannt und mit der Zeit mehrere Anpassungen vorgenommen; ab Mitte Januar sah man immer mehr Off-Ball-Screens für Zion, etwa durch Shooter wie J.J. Redick, die gegnerische Verteidigungen komplett durcheinanderwirbelten, auch am Ball bekam Zion mehr Verantwortung und durfte beispielsweise mehr Pick'n'Rolls laufen. Die Resultate dieses Experiments namens "Point Zion" waren so gut, dass seine Kontrolle über die Pelicans-Offense mit der Zeit immer größer wurde.
Ein Beispiel, um das zu verdeutlichen, ist die Usage-Rate: Noch in den ersten beiden Saisonmonaten "nutze" Zion weniger als 27 Prozent der Pelicans-Ballbesitze (entweder per Abschluss, Assist oder Turnover), bis zur All-Star Break waren es 27,5 Prozent. In der Zeit danach sind es 31 - Tendenz steigend. Zion ist dabei aber nicht egoistisch: Seine Assist-Percentage und auch seine Scoring-Effizienz wachsen mit der größeren Rolle mit, tun also genau das, was man nicht erwarten würde.
Zion Williamsons Entwicklung von Monat zu Monat
Monat | Usage-Rate | Punkte | True Shooting% | Assist-Rate |
Dezember | 26,9 | 19,4 | 55,9 | 6,3 |
Januar | 26,6 | 25,8 | 64,1 | 13,9 |
Februar | 27,8 | 27,3 | 69,3 | 21,6 |
März | 30,6 | 28,7 | 68,2 | 19,8 |
April | 31,9 | 30 | 62,8 | 29,8 |
Zion hat sich binnen sehr kurzer Zeit zu einem der unmöglichsten Offensivspieler der Liga entwickelt. Er verbindet Attribute miteinander, die eigentlich nicht zusammengehören: Die unglaubliche Kraft und Athletik kombiniert mit einem exzellenten Touch und sehr guter Übersicht machen ihn zum Matchup-Albtraum.
Das Duell gegen die Sixers in der Vorwoche war ein gutes Anschauungsbeispiel: Philly versuchte es überwiegend mit Ben Simmons gegen ihn, einem Spieler, der von nicht wenigen (unter anderem sich selbst) als DPOY-Favorit in dieser Spielzeit angesehen wird. Auch um ihn herum hat Philly mit Joel Embiid und Dwight Howard stets einen elitären Ringbeschützer auf dem Court.
Spielt das eine Rolle? Muss nicht sein - wenn Williamson zum Drive ansetzt, sieht das oft aus, als käme er aus einer Kanone geschossen. Sein Antritt ist oft schlichtweg zu schnell.
nba.com/statsIst er am ersten Verteidiger vorbei, ist es oft fast egal, was da noch kommt; Zion kann Kontakt absorbieren und sowohl mit Power als auch Finesse trotzdem abschließen. Gestandene NBA-Athleten prallen regelmäßig ab, wenn diese Dampframme ihnen entgegenspringt.
nba.com/stats37 Punkte legte Zion gegen die Sixers auf, allein in den letzten neun Spielen gelangen ihm dazu 2x 38 und 1x 39 Punkte, sein bisheriger Karrierebestwert. Derzeit erzielt er seine Punkte fast nur in Korbnähe, allerdings ist "nur" da nicht der richtige Ausdruck - Shaquille O'Neal erzielte seine Punkte auch nur in Korbnähe und war damit der dominanteste Spieler seiner Ära.
Zion Williamson: Der neue Shaq - mit einem großen Unterschied
Zion ist noch nicht so weit und die Ära ist eine andere, aber seine Dominanz springt schon jetzt ins Auge wie der Ex-Dukie durch die Zone; 677 Abschlüsse hatte Williamson in dieser Saison bisher in der Restricted Area unmittelbar am Korb, das sind über 250 Versuche mehr (!) als der zweitplatzierte Clint Capela.
13,5 Mal pro Spiel schließt Zion pro Partie aus diesem Areal ab, als Rookie waren es 13. Es gab in diesem Jahrtausend keinen anderen Spieler, der mal wenigstens 12 pro Spiel geschafft hatte - der Prä-Zion-Rekord in der aufgezeichneten Ära bei nba.com/stats (ab 96/97) wurde 97/98 aufgestellt und selbst Shaq kam damals bei seinem persönlichen Höchstwert "nur" auf 11,9 Versuche. Der Diesel traf (natürlich) noch effizienter, aber es ist unheimlich wertvoll, sich so viele dieser Abschlüsse zu erarbeiten.
Zion bringt dabei vor allem einen Aspekt mit sich, der ihn von Shaq massiv unterscheidet: Anders als ein herkömmlicher "Big Man" ist er nicht auf Perimeter-Creation angewiesen, auf Guards, die ihn in Szene setzen. Zion muss man nicht füttern - er füttert sich selbst (offensichtlich). Er selbst ist dieser Perimeter-Creator im System der Pelicans.
2,9 Pick'n'Rolls läuft Zion in dieser Spielzeit als Ballhandler, vergangene Saison war das noch kein fester Bestandteil der Pels-Offense. Auch jetzt ist der Anteil nicht riesig, aber die Resultate sind vielversprechend: 1,03 Punkte pro Ballbesitz generiert NOLA aus diesen Plays, das ist ein elitärer Wert, den von den Spielern mit den 50 meisten P&R-Plays nur die folgenden sechs überschreiten.
NBA: Die besten Pick'n'Roll-Ballhandler der Liga (mind. 6 Plays pro Spiel)
Spieler | P&R/Spiel | Punkte pro P&R |
Kawhi Leonard | 6 | 1,14 |
Stephen Curry | 7,5 | 1,14 |
Shai Gilgeous-Alexander | 9,9 | 1,12 |
DeMar DeRozan | 7,7 | 1,04 |
Damian Lillard | 12,8 | 1,04 |
(Zion Williamson) | 2,9 | 1,03 |
Zion ist natürlich vom Volumen her noch lange nicht auf deren Niveau, bedenkt man aber, dass er in dieser Spielzeit seine ersten großen Schritte in dieser Hinsicht geht, ist die Effizienz dennoch beeindruckend. Zion bindet als Ballhandler so viel Aufmerksamkeit, dass sich sowohl für ihn als auch für seine Teammates, wenn diese sich richtig bewegen, oft sehr leichte Punkte ergeben.
nba.com/statsNew Orleans sucht noch die perfekte Kombination
Auch beim Drive ist seine Effizienz auffällig. Bei ähnlichem oder höherem Volumen als Zion (mindestens zwölf pro Spiel) weisen lediglich Luka Doncic, De'Aaron Fox und Kyrie Irving eine bessere Quote auf als Williamson (56 Prozent), der zudem häufiger gefoult wird als jeder seiner Konkurrenten - in 12,7 Prozent der Fälle. Er ist damit ein kaum zu lösendes Rätsel.
Was dabei auch erfreulich ist: Williamson spielt nicht eigensinnig. 18,4 Prozent der Field Goals seiner Mitspieler werden von Zion vorbereitet, wenn er mit auf dem Court steht. Das ist ein großer Sprung zum vergangenen Jahr (11,8 Prozent); dazu leistet er sich anteilig weniger Turnover. 6,7 potenzielle Assists pro Spiel verteilt er bereits, auch wenn seine Mitspieler noch besser darin werden müssen, die durch ihn kreierten Möglichkeiten auch zu verwerten.
nba.com/statsDas ist grundsätzlich eine Baustelle bei den Pelicans: Es fehlt noch an Spacing rund um Zion. New Orleans hat eine niedrige Dreier-Rate und schafft es noch nicht, die einzigartige Anziehungskraft von Zion perfekt für sich zu nutzen; das ist auch kein Wunder, wenn man regelmäßig mit zwei Non-Shootern (Steven Adams und Zion selbst) sowie einem zögerlichen Schützen (Eric Bledsoe) startet.
Zion Williamson: Wann kommt der Wurf?
Es ist angesichts dessen besonders beeindruckend, dass Zion trotzdem bereits unstoppable ist, aber Adjustierungen sind hier sicherlich möglich. Das gilt natürlich auch für Williamson selbst, dessen Spiel mit 20 Jahren definitiv noch nicht als fertig anzusehen ist. Neben der Defense ist dabei insbesondere das Thema Wurf hervorzuheben.
Ein Shooter ist er nicht - in seinem ersten NBA-Spiel traf er vier Dreier, seither sind insgesamt lediglich elf weitere (bei 37 Versuchen) hinzugekommen. Williamsons Wurftechnik sieht aber nicht grundfalsch aus und zuletzt sah man ihn etwas häufiger mit Würfen aus der Mitteldistanz experimentieren.
nba.com/statsInsgesamt hat er in dieser Saison rund 45 Prozent seiner Jump-Shots getroffen, das macht Hoffnung, dass auch dieser Bereich eine Stärke von ihm werden könnte. Und das sollte gegnerischen Coaches den Schweiß in den Rücken treiben.
Aus neutraler Sicht muss man fast schon darauf hoffen, dass New Orleans es zumindest ins Play-In-Turnier schafft, um ihn in diesem intensiveren Kontext beobachten zu können. Dass er so schnell nicht kopiert werden kann, ist offensichtlich; spannender wäre da schon die Frage, wie gegnerische Verteidigungen mit etwas mehr Vorbereitungszeit versuchen würden, das Rätsel Zion zu lösen.
In der Regular Season ist Williamson schon jetzt nicht zu stoppen und eine Attraktion, die ligaweit ihresgleichen sucht. In dieser Hinsicht war der Hype - und wann kann man das schon mal sagen? - absolut gerechtfertigt.