Es ist gut möglich, dass die Nuggets intern aktuell lamentieren und sich fragen, was möglich gewesen wäre, wenn: Wenn Jamal Murray sich nicht das Kreuzband gerissen hätte, wenn jetzt nicht auch noch Will Barton ausfallen würde, wenn man die Saison einfach gesund hätte zu Ende bringen können. Sie lassen es sich nach außen aber nicht anmerken.
Von den letzten 16 Spielen hat das Team um MVP-Kandidat Nikola Jokic 13 gewonnen, seit der schweren Murray-Verletzung sind es fünf Siege aus sechs Spielen (zugegeben nicht gegen den härtesten Spielplan). Denver demonstriert die Stärke eines Teams, das zwar Stars hat, aber nicht nur aus diesen besteht - die Nuggets haben Tiefe.
Und sie haben eben auch noch einen blutjungen Forward im Kader, der sich anschickt, eine der besten Shooting-Saisons der NBA-Geschichte hinzulegen, und dessen Rolle immer weiter zu wachsen scheint. Michael Porter Jr. ist bereit dafür, zumindest einige Anteile von Murray zu übernehmen. Wenn es nach ihm geht, vermutlich sogar für noch viel mehr.
Michael Porter Jr. macht den nächsten Schritt
Porters Karriere hat bisher einen sehr krummen Verlauf genommen. Als Schüler galt er als größtes Talent seines Jahrgangs, dann kostete ihn eine schwere Rückenverletzung nahezu seine gesamte (und einzige) College-Saison. Das Potenzial machte ihn trotzdem zum Lottery-Pick, Denver ging an Position 14 aber ein bewusstes Risiko ein. Es galt nicht als sicher, dass sein Körper den Anforderungen einer NBA-Saison würde standhalten können.
Die Nuggets ließen sich Zeit, bauten Porter auf und ließen diesen sein komplettes erstes Jahr aussetzen. Vergangene Saison war sein Rookie-Jahr, Head Coach Mike Malone hielt ihn auch da allerdings noch an einer sehr kurzen Leine. In der Bubble blitzte erstmals durch, welche Komponente Porter seinem Team verleihen könnte, als er ins All-Bubble Second Team gewählt wurde.
Jetzt ist Porter 22 Jahre alt, hat gerade erst etwas mehr als 100 NBA-Spiele auf dem Buckel - und soll Jokic dabei helfen, diese Saison zu retten. Und mehr: Die Nuggets haben sich zu ihm bekannt, als sie Porter nicht in potenzielle Trade-Gespräche für James Harden involvierten.
Er soll neben Jokic (26) und Murray (24) der dritte Eckpfeiler sein, das dritte "Eigengewächs", das einen Maximalvertrag unterschreibt. Letzteres wäre zumindest kaum zu verhindern, wenn Porter so weitermacht wie zuletzt.
Der eine Schuss, den er nicht nehmen will ...
Schon seit Wochen spielt Porter beeindruckend konstant. Aufgrund seiner, nun, kritischen Einstellung gegenüber Impfungen grassiert in den sozialen Medien seit längerem der Witz, dass das der "einzige Schuss" sei, den er nicht nehmen will. Tatsächlich ist Porter als Scorer aber so effizient, dass er sogar noch öfter werfen sollte.
Porter trifft in der laufenden Saison über 44 Prozent von der Dreierlinie, das ist bei sechs Versuchen pro Spiel fast unerhört (nur Joe Harris und mit etwas Aufrunden Joe Ingles schaffen das ebenfalls). Er hat eine der besten Wurfbewegungen der Liga, dazu erlaubt es ihm seine Länge (offiziell ist MPJ 2,08 Meter groß, das wirkt untertrieben), über nahezu jeden Verteidiger zu werfen.
Der Effizienz scheint es auch nicht zu schaden, dass Porter nun mehr zum Fokus der gegnerischen Defense wird und mehr Würfe nimmt. Über die letzten sieben Spiele hat Porter nur ein einziges Mal nicht 20+ Punkte erzielt und nur ein Spiel unter 50 Prozent Wurfquote hingelegt. Seine 39-Punkte-Gala gegen Houston am Sonntag stach zwar heraus, kam aber nicht von ungefähr. Porter ist schon jetzt einer der effizientesten Scorer der Liga.
Michael Porter Jr.: Seine Statistiken pro Monat
Monat | Spiele | Punkte | True Shooting% |
Dezember | 4 | 19,5 | 69 |
Januar | 6 | 14,7 | 70,5 |
Februar | 13 | 12,5 | 54,2 |
März | 14 | 20,3 | 70,8 |
April | 13 | 23,1 | 67,7 |
Michael Porter Jr. zeigt neue Aggressivität
"Ich weiß, was ich kann, also versuche ich einfach, dem Team zu helfen, ob Jamal nun dabei ist oder nicht", sagte Porter kürzlich. "Ich weiß, wie man Basketball spielt, also suche ich mir einfach meine Möglichkeiten und bin so aggressiv, wie ich es zuletzt gezeigt habe." Man darf ihn beim Wort nehmen: Zwei der vier Spiele seiner Karriere mit mindestens zehn versuchten Dreiern waren die letzten beiden Spiele.
Porter versteht seine eigenen Stärken und Schwächen. Er ist noch kein sonderlich guter Ballhandler und kann sich nicht konstant am Ball selbst Würfe erarbeiten, dafür ist er ein nahezu idealer Zielspieler. Er hat den Wurf, er bewegt sich sehr klug abseits des Balles, er kann im Notfall immer und überall einen Wurf loswerden.
Das macht ihn zur idealen dritten Option neben Jokic und Murray, die das Thema Creation in Denver im Griff haben - aktuell springen Monte Morris und Facundo Campazzo hier ebenfalls ein. Porter wird in erster Linie für seinen Abschluss benötigt, fast 80 Prozent seiner Field Goals geht ein Assist voraus. Seine Chemie insbesondere mit Jokic ist phasenweise großes Kino.
Michael Porter: Ein Scorer wie aus dem Labor
Laut Cleaning the Glass gibt es kein Areal auf dem Court, in dem Porter in Sachen Effizienz nicht mindestens im 80. Perzentil rangiert. Seine Sahnezonen sind dabei auch die, aus denen er am häufigsten abschließt: 76 Prozent trifft Porter am Ring, von der Dreierlinie sind es 44 Prozent. Fast genau drei Viertel seiner Würfe kommen aus diesen beiden Bereichen. Als hätte man ihn im Labor kreiert.
Porter ist auch deshalb so faszinierend, weil er offensichtlich noch lange kein fertiger Spieler ist. Die lange Ausfallzeit ist ihm noch anzumerken, gerade defensiv. Als Rookie bewarb er sich nach Kräften um den Titel des schlechtesten Verteidigers der Liga. Diese Stufe hat er aber immerhin schon hinter sich gelassen.
MPJ ist kein guter Verteidiger, aber er ist auch kein Dauerschädling mehr. Als Shotblocker insbesondere von der Weakside leistet er seinen Beitrag, dazu ist sein Rebounding deutlich besser, seitdem er vermehrt auf der Vier spielt. Er profitiert eindeutig auch davon, dass Aaron Gordon nun da ist und ihm die schwereren Aufgaben abnimmt.
Es bleibt ein Projekt, aber Porter hat dank seiner Größe und Mobilität die Tools, um schnell zumindest ein neutraler Verteidiger zu werden. Zudem hat er verstanden, dass Malone ihn nicht den Dienst verweigern lässt. Die Ansprüche in Denver sind schließlich andere.
Michael Porter Jr. ist auf dem Weg zum Star
"Das Ziel ist das gleiche geblieben", stellte Porter kurz nach dem Murray-Ausfall klar. "Es geht darum, Meister zu werden." Es glaubt aktuell zwar kaum noch jemand an die Nuggets, aber das muss diese nicht tangieren. "Das nationale Narrativ war uns schon immer egal", sagte Malone, der die Nuggets überregional ohnehin als unterrepräsentiert empfindet.
Die Realität ist auch: Es geht nicht nur um diese Saison. Die beiden besten Spieler der Nuggets stehen gerade erst am Anfang ihrer Prime, und der vielleicht interessanteste Spieler im Kader steckt noch in seinen (basketballerischen) Kinderschuhen. Auch Porter wird ein legitimer Star werden. Eher früher als später.