Trae Young ist nicht nur aufgrund seines Auftretens zum Feindbild der Knicks-Fans geworden. Was den Point Guard der Atlanta Hawks auszeichnet - und warum New York für ihn die perfekte Bühne bietet.
Es gehört schon etwas dazu, im Vorfeld einer Serie zum Feindbild eines gesamten Fan-Lagers zu werden, ohne dass es zuvor jemals ein Aufeinandertreffen mit echten Auswirkungen gegeben hätte. Damit ist explizit nicht der widerliche Versuch eines Zuschauers im Madison Square Garden gemeint, Trae Young anzuspucken - wofür dieser immerhin schon die Quittung in Form eines Hallenverbots erhalten hat.
Das war ein "Einzelfall", das Duell zwischen Young und den Knicks-Fans findet längst auf einer ganz anderen Ebene statt. In der Halle wurden vor Spielen Zettel auf den Sitzen platziert, um die Fans darauf einzustimmen, dass Schmähgesänge über Young und seine Haarpracht ("Trae is balding") auf der Tagesordnung stehen sollten. Etwas spontaner, aber auch nicht wirklich netter wurden über die ersten beiden Spiele mehrfach "F*** Trae Young"-Gesänge angestimmt.
Youngs Reaktionen darauf waren jedoch das eigentliche Schauspiel: Der 22-Jährige schien die New Yorker ziemlich regelmäßig sogar noch anzustacheln. Young weiß genau, dass gerade im MSG durchaus Basketball-Sachverstand auf den Rängen sitzt und dort keiner so viel Aufmerksamkeit bekommt, vor dem die fanatischen Knicks-Fans keine Riesenangst haben. Die Häme ist in gewisser Weise ein, wenn auch eigenwilliges, Zeichen des Respekts.
Young hat sich davon nicht einschüchtern lassen, im Gegenteil. In Spiel 1 versenkte er die Knicks via Game-Winner und zeigte dann die am schlechtesten koordinierte "Psst"-Geste aller Zeiten (man beachte die Höhe des Fingers!). Spiel 2 war ein Rückschlag, seine ersten beiden Playoff-Spiele vor heimischem Publikum hat Young mit seinen Hawks jedoch gewonnen.
In der kommenden Nacht kehrt der Point Guard also mit der Möglichkeit in den MSG zurück, den ersten Playoff-Run der Knicks seit 2013 frühzeitig zu beenden. Und bei allem, was man bisher über Young weiß, liegt der Verdacht nahe, dass er auch für diesen Moment bereit ist.
Trae Young: New York hat keine Antwort
Kein Spieler mit Ausnahme vielleicht von seinem Jahrgangskollegen Deandre Ayton von den Suns hat die bisherige Postseason so gut dafür genutzt, um seine zahlreichen Kritiker (und Hater) zumindest zeitweise verstummen zu lassen. Young ist streitbar, nicht zuletzt deshalb, weil er schon als Rookie mit einer Theatralik spielte, die die Grenze zum Gockelhaften des Öfteren überschritt (und dabei knapp 70 Prozent seiner Spiele verlor). Er ist aber auch verdammt gut, und das demonstriert er derzeit auf der bisher für ihn größten Bühne.
New York erarbeitete sich im Lauf der Saison vor allem durch die starke Defensive (Platz 6 in der Liga) den Heimvorteil in dieser Serie, auch wenn die Hawks am Ende bei der exakt gleichen Bilanz standen. Diese Defensive und ihr "General" Tom Thibodeau versuchen seit Beginn der Serie alles, um Young aus dem Spiel zu nehmen, doch es scheint zumindest nachhaltig nichts davon zu funktionieren.
Zunächst wurde Young von den kleineren Guards verteidigt, das war nicht von Erfolg gekrönt. Der nächste Versuch erfolgte mit Länge durch New Yorks Flügelverteidiger, auch das verhinderte in Spiel 2 aber keine 30-Punkte-Performance von Young, auch wenn dies den bisher einzigen Knicks-Sieg der Serie darstellte (die Hawks ohne Young trafen 8/37 von Downtown).
Und dann waren es vermehrt Traps und Blitzes, der Versuch, den Ball irgendwie aus Youngs Händen zu bekommen - was diesem in die Karten spielte. Young ist als Scorer durchaus gefährlich, seine bisher jedoch größte Stärke in der NBA ist das Passspiel.
In Spiel 3 war das sehr gut zu beobachten, 10 Assists hatte Young schon zur Halbzeit verteilt, insgesamt waren es am Ende 14. Er machte nahezu jeden richtigen Read, nutzte seine eigene Anziehungskraft meisterhaft aus, um seinen Teamkollegen einfache Würfe zu verschaffen. Immer wieder wirkte es, als wäre er der eigentlich so starken Team-Defense der Knicks mindestens einen Schritt voraus.
Trae Young: Der Dreier ist nicht die beste Waffe
Die besten Offensivspieler zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf nahezu alles eine Antwort haben und dass man sie nicht einfach so aus dem Spiel nehmen kann. Vielleicht nimmt man ihnen die erste oder sogar die ersten beiden Optionen, aber sie finden dennoch einen Weg, um sich einzubringen. Young bewegt sich rapide auf diesen Status zu. Sein Spiel ist nicht perfekt, aber es ist beeindruckend vielseitig.
Als Scorer ist er vor allem für seinen Distanzwurf bekannt. Diesen nimmt er gern auch vom Logo, auch wenn seine Quoten das bisher nicht hergeben wie bei einem Stephen Curry oder Damian Lillard. Im Gegenteil ist er hier sogar eher unterdurchschnittlich unterwegs, wobei das beim Schwierigkeitsgrad mit Vorsicht zu genießen ist. Da die Gegenspieler ihm trotzdem auch ganz weit draußen mit viel Respekt begegnen, öffnet die Range gewissermaßen den Raum für alles andere.
Innerhalb der Dreierlinie strahlt Young eigentlich mehr Gefahr aus. Sein Sahnewurf ist der Floater, 34 Prozent seiner Abschlüsse nahm er in der regulären Saison aus der kurzen Mitteldistanz, damit gehört er zu den oberen 10 Prozent auf seiner Position. Aufgrund seiner Statur ist er nicht der beste Finisher am Ring, dafür ist er sehr gut darin, von etwas weiter weg über die Giganten mit Gefühl zu treffen. Der Game-Winner in Spiel 1 gegen die Knicks war das bisher beste Beispiel.
Young ist außerdem ein exzellenter Foulschinder. Bei 14,5 Prozent seiner Würfe wird er gefoult, das übertreffen unter den Guards nur De'Aaron Fox und James Harden. Und Ben Simmons, der aufgrund seiner Freiwurfschwäche bisweilen absichtlich gefoult wird. Bei Young tut das niemand, mit fast 90 Prozent sind die Freebies der effektivste Part seines Scorings.
Die Freiwürfe sind ein Beispiel dafür, wie gut Young darin ist, gegnerische Defenses zu lesen und zu manipulieren. Er bekommt darin auch viel Übung: Während der Saison lief kein Spieler mehr Pick'n'Rolls als Young, auch im Vorjahr war das bereits der Fall. Seine Kontrolle über das Spiel in Atlanta ist enorm, nur acht Spieler verzeichneten pro Partie mehr Touches als er.
Und dennoch ist er nicht (mehr) der reine Alleinherrscher bei den Hawks - was bei aller individuellen Verbesserung vielleicht der Hauptgrund ist, warum Young und sein Team derzeit so gut dastehen.
Trae Young: Seine Statistiken der Saison
Spiele | Punkte | FG% | 3FG% | Assists | Offensiv-Rating | Point Differential | |
Regular Season | 63 | 25,3 | 43,8 | 34,3 | 9,4 | 120,1 | +10,3 |
Playoffs | 4 | 27,5 | 47 | 36,7 | 10 | 113,9 | +17,5 |
Trae Young: Er spielt auch ab
Dass Young beispielsweise in Spiel 3 mehrfach Bogdan Bogdanovic Ballvortrag und Initiierung überließ und sich dabei selbst abseits des Balles bewegte, ist noch eine relativ neue Entwicklung und wäre zu Saisonbeginn fast undenkbar gewesen. Atlanta hing knapp zweieinhalb Jahre am Tropf von Young, was am Personal um ihn herum lag, aber wohl auch an einem gewissen Unwillen, die Playmaking-Pflichten zu teilen.
Young kam nicht mit Head Coach Lloyd Pierce zurecht, was diesem inmitten der Saison zum Verhängnis wurde. Unter Pierces Nachfolger Nate McMillan schlugen die Hawks eine gänzlich andere Richtung ein (27-11 nach vorher 14-20), das liegt aber nicht zuletzt daran, dass quasi zeitgleich mit dessen Inthronisierung Bogdanovic von einer Verletzung zurückkehrte.
Der Serbe ist nicht nur seit Monaten einer der heißesten Shooter der NBA (46 Prozent Dreier seit dem All-Star Break!), er hat auch Young dazu gebracht, mehr Vertrauen in seine Teamkollegen zu stecken, wodurch dieser eine neue Stufe seiner Entwicklung erreicht hat. Und die Hawks ebenfalls: Seit der All-Star-Pause ist die Offense um über 3 Punkte pro 100 Ballbesitze besser geworden.
New York entblößt Trae Youngs Schwäche nicht
Die Hawks haben, wenn mal alle Spieler fit sind, ein ziemlich breites Arsenal an Waffen: Exzellente Shooter wie Bogdanovic oder Danilo Gallinari, Rim-Runner und Lob-Threats wie Clint Capela und John Collins (der zusätzlich sehr gut werfen kann), dazu viele Spieler, die mit dem Ball in der Hand etwas initiieren können, wie abermals Bogdanovic, De'Andre Hunter oder auch Kevin Huerter.
Bei Young läuft alles zusammen und durch seine neue Bereitschaft, seinen Wurf beizeiten auch als Off-Ball-Bedrohung einzusetzen, macht er die Hawks noch schwerer auszurechnen. Die Knicks bekommen das derzeit zu spüren, auch wenn sie die Hawks beim Offensiv-Rating deutlich unter deren Saisonschnitt halten. Ein noch größeres Problem bei den Knicks ist tatsächlich die eigene Offense, weshalb sie insbesondere für Young auch ein dankbarer Gegner sind.
Dieser ist nach wie vor ein defensiver Schwachpunkt, nicht nur aufgrund seiner Statur. Er muss versteckt werden, das ist gegen die offensiv limitierten Knicks aber weitaus besser möglich als gegen andere Teams. Zu oft war es ihm in den ersten Spielen möglich, einfach an der Dreierlinie etwa bei Reggie Bullock zu warten, ohne dass er aktiv an der Defense "teilnehmen" musste.
Was können die Knicks gegen Trae Young machen?
Vielleicht ist das ein Ansatzpunkt für die Knicks, um es dem Antagonisten auf der Gegenseite etwas schwerer zu machen. Ihn in Rotationen verwickeln, ihn in Pick'n'Rolls herauspicken, ihn generell mehr arbeiten zu lassen - das wäre schon ein Anfang. In erster Linie sollte natürlich Julius Randle seinen Wurf wiederfinden, aber auch diese Schwachstellte dürfte durchaus mehr genutzt werden. Allerdings haben die Knicks eben auch nicht so viele Playmaker, es ist also leichter gesagt als getan, Young konsequent zu attackieren.
Auf der Gegenseite wurde gefühlt schon fast alles ausgereizt, jede Adjustierung vorgenommen, um Young das Leben schwer zu machen. Ihn nach links zu schicken, wäre noch eine Option, weil Young seinen Floater weitaus lieber von der rechten Seite nimmt - allerdings machte es zuletzt den Eindruck, als würde er hier ohnehin jeden Schritt antizipieren und ein Gegenmittel finden.
Young absolviert gerade seine erste Playoff-Runde, wirkt dabei aber oft, als habe er nie etwas anderes getan. Er ist bereit für diese Bühne, auch für die prall gefüllte berühmteste Basketballhalle der Welt, in der sich alle - feindseligen - Augenpaare auf ihn richten.
Ach ja, und das mit der Psst-Geste wird er vermutlich auch noch lernen.