NBA - Als die Oklahoma City Thunder die Liga mit dem Trade von James Harden schockten: "War fassungslos"

Philipp Jakob
26. August 202108:40
James Harden wurde im Oktober 2012 überraschend von den Thunder zu den Rockets getradet.getty
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2012 katapultierte die aufstrebende Big Three um Kevin Durant, Russell Westbrook und James Harden die Oklahoma City Thunder in die Finals. Höhen, die die Franchise seither nicht mehr erreichen sollte. Die drei späteren MVPs sollten nie wieder gemeinsam auflaufen - weil OKC die NBA-Welt mit einem der einseitigsten Trades der Historie schockte.

Drei simple Buchstaben reichten aus, um die Tragweite des Ereignisses auf den Punkt zu bringen. "Wow", twitterte Kevin Durant am späten Abend des 27. Oktober 2012. Damit traf er einen Nerv. Nicht nur den einer gesamten Stadt, sondern den der kompletten Basketball-Welt. Innerhalb von Minuten wurde Durants Tweet tausendfach geteilt.

Es sprach Bände, dass weder Durant, damals noch der junge, aufstrebende Franchise-Star der Oklahoma City Thunder, noch manche der beteiligten Personen wirklich glauben konnten, was soeben passiert war: James Harden sollte nicht mehr Teil der Thunder-Zukunft sein.

Die Schockwellen der Nachricht vom Harden-Trade zu den Houston Rockets pflügten nur so durch die NBA-Welt. Der Guard selbst erfuhr von dem Deal beim Abendessen, als eine Nachricht von General Manager Sam Presti eintrudelte: "Ich rief ihn an, er sagte mir, dass er mich liebt, aber die Dinge sich nicht lösen lassen und ich nach Houston gehen werde. Ich war irgendwie fassungslos."

"Geschockt" saß derweil auch der damalige Rockets-GM Daryl Morey in seinem Bürostuhl in Texas. Überrumpelt von seinem eigenen Deal. "Mir fallen keine weiteren Beispiele ein von einem Spieler seines Kalibers, der in seinem Alter getradet wurde", frohlockte Morey wenige Tage später auf der Vorstellungs-PK seines neuen Schützlings. "Sowas ist noch nie passiert."

Oklahoma City Thunder: Champion? Nur eine Frage der Zeit

Um zu verstehen, warum der Harden-Trade eine solche Resonanz nach sich zog, musste man nur wenige Monate zurückgehen. Im Juni 2012 waren die Früchte eines jahrelangen Wiederaufbaus des aus Seattle "gestohlenen" Teams endlich zum Greifen nahe. Durant (2. Pick 2007), Russell Westbrook (4. Pick 2008), Serge Ibaka (24. Pick 2008) und eben jener Harden (3. Pick 2009) hatten die Thunder in die Elite der besten Basketballliga der Welt katapultiert.

Da waren Durant und Westbrook, die sich bereits auf All-NBA-Niveau festgespielt hatten. Da war Ibaka, der die Liga in der regulären Saison bei den Blocks anführte (3,7 pro Spiel). Da war Harden, der als Sixth Man of the Year ausgezeichnet wurde. Und da war der erste Finals-Trip der Franchise-Geschichte seit den glorreichen Sonics-Zeiten Mitte der 1990er.

OKC stellte das jüngste Team in den Finals seit 35 Jahren, Durant, Westbrook, Ibaka, Harden - alle 23 Jahre oder jünger. Obwohl letztlich die Miami Heat um LeBron James und Co. nach fünf teils äußerst engen Partien im Konfettiregen feiern durften (4-1), wurde der Underdog nach seinem Finals-Run am Flughafen von Oklahoma City frenetisch gefeiert. Damals war nicht die Frage, ob dieser Thunder-Nukleus eine Championship gewinnen würde. Die Frage war nur, wann.

Und die Frage war, ob das Team womöglich zu schnell zu gut geworden war. In gewisser Weise rächte sich in diesem Sommer der Erfolg von GM Presti in den Drafts der Jahre zuvor. Die Rookie-Verträge von Durant und Westbrook wurden bereits zu lukrativen Bezügen verlängert, nun waren Ibaka und Harden an der Reihe. Und damit begannen die Probleme.

OKC Thunder: 4,5 Mio. zerstören die potenzielle Dynastie

Mit Ibaka machte OKC schnell Nägel mit Köpfen. Der Big Man verlängerte im August 2012 für vier Jahre und 49,4 Millionen Dollar. Doch bei Harden, dessen Rookie-Vertrag im darauffolgenden Jahr auslaufen würde, zogen sich die Verhandlungen. Zwar betonte The Beard den Sommer über mehrfach, dass er in OKC glücklich sei und "ziemlich sicher - zu 100 Prozent" bleiben werde.

Doch auch nachdem er mit einer Goldmedaille um den Hals von den Olympischen Spielen aus London in die Heimat zurückgekehrt war, passierte: nichts. Im September: nichts. In den ersten Oktoberwochen: nichts. Dabei rückte der Saisonstart und die Deadline, bis wann ein Team mit einem Spieler auf seinem Rookie-Vertrag vorzeitig verlängern darf, immer näher.

Es ging, wie immer, um den schnöden Mammon. Die Thunder legten ein Angebot in Höhe von 55,5 Millionen Dollar auf den Tisch. Harden wollte das Maximum, 60 Mio. Dollar. Beide Seiten rückten von ihren Positionen nicht ab. In der heutigen NBA sind diese 4,5 Mio. Differenz fast schon ein Klacks. Damals aber halfen diese 4,5 Mio. Dollar, eine Dynastie zu zerstören, bevor sie so richtig begann.

James Harden bei den Thunder: Ist Platz für einen dritten Star?

Denn für OKC ging es um viel mehr als 4,5 Mio. Dollar. Bei den Thunder spielte in den Verhandlungen in erster Linie die Angst vor den Luxussteuern mit. Die TV-Einnahmen in OKC fielen damals um ein 30-faches geringer aus als beispielsweise die der Lakers, wie Sam Anderson in seinem Buch "Boomtown" berichtete. Das Small-Market-Team um Besitzer Clay Bennett konnte sich den Luxus von vier Stars, deren Gehälter weit über die Luxussteuergrenze hinausgegangen wären, nicht leisten. Oder wollte nicht.

Im Sommer 2012 hatte Ibaka bereits weniger als das Maximum akzeptiert, ähnliche Opfer verlangte Presti wohl auch von Harden. Selbst Westbrook hatte zwar zum Max unterschrieben, verzichtete aber Berichten zufolge auf einige Standard-Boni. Nur Durant bekam das komplette Paket. Aber Durant war eben auch Durant.

Gleichzeitig stellte man sich im Front Office auch die Frage, ob langfristig überhaupt Platz für einen dritten balldominanten Spieler in der Stadt ist? Für einen dritten Star an der Seite von Durant und Westbrook, der nun womöglich eine Starterrolle verlangen könnte? Der zuvor in den Finals enttäuscht hatte? Die Ungewissheit bei der Beantwortung dieser Frage dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben, warum die Thunder nicht bereit waren, All-In zu gehen.

Ganz im Gegensatz zu den heimischen Fans. Manche Bewohner von Oklahoma City scherzten sogar, dass sie einer kurzfristigen Steuererhöhung zustimmen würden, um für die Differenz aufzukommen, wie Anderson erzählte. Sie wollten unbedingt den Worst Case vermeiden, der schließlich aber doch eintraf.

James Harden (M.), Kevin Durant (r.) und Russell Westbrook spielten von 2009 bis 2012 gemeinsam in Oklahoma City.getty

Oklahoma City Thunder: Aus der Championship-Traum

Schon kurz nachdem der Trade mit den Rockets durch und der erste Schock verflogen war, prasselte Kritik auf die Thunder ein. Jahre später sollte er auf zahlreichen Listen der schlechtesten Trades aller Zeiten erscheinen. Einerseits hätte OKC auch ohne eine Harden-Verlängerung in die Saison gehen, einen weiteren Angriff auf den Titel starten und sich im Sommer 2013 erneut mit dem Restricted Free Agent beschäftigen können. Oder man hätte Harden das geforderte Geld geben und die finanzielle Flexibilität zugunsten des Finals-Kerns opfern können.

Letztlich hätte es auch im Falle einer Harden-Verlängerung Optionen für die Thunder gegeben, beispielsweise eine Trennung von Center Kendrick Perkins. Klar, es wäre teuer und den Kader mit weiterem Talent aufzufüllen schwierig geworden. Doch man hätte die Hoffnungen auf einen Titel hoch gehalten.Und durch den sprunghaften Anstieg des Salary Caps einige Jahre später wäre das Problem der Luxussteuer ohnehin gelindert worden.

So stand Oklahoma City jedoch ohne den amtierenden Sixth Man of the Year da, ohne im Trade mit den Rockets einen Spieler ähnlichen Kalibers zurückzubekommen. Schon damals fürchteten Skeptiker, dass das Paket um Kevin Martin, Jeremy Lamb, zwei Erst- sowie einen Zweitrundenpick nicht reichen wird, um kurzfristig um den Titel mitzuspielen.

Sie sollten Recht behalten. 2013 war bereits in Runde zwei Schluss, sicherlich auch bedingt durch eine Verletzung von Russell Westbrook. Doch Martin schlug nicht wie erhofft ein, nach nur einer Saison verließ er OKC wieder. Lamb konnte sich in drei Thunder-Jahren nicht durchsetzen, Mitch McGary, der Erstrundenpick von 2014, kam auf ganze zwei NBA-Saisons. Nur Steven Adams, 12. Pick im Draft 2013, entwickelte sich zu einem sehr guten Rollenspieler.

NBA Der komplette Trade um James Harden in der Übersicht

Thunder erhaltenRockets erhalten
Kevin MartinJames Harden
Jeremy LambCole Aldrich
2013er Erstrundenpick (Steven Adams)Daequan Cook
2013er Zweitrundenpick (Alex Abrines)Lazar Hayward
2014er Erstrundenpick (Mitch McGary)

OKC Thunder: Beal im Trade für Harden?

Den Championship-Ansprüchen der Thunder konnte dieser Gegenwert jedoch nicht genügen. Oklahoma City schaffte es in den Folgejahren nicht mehr in die Finals zurück, 2016 kehrte Durant schließlich der Stadt den Rücken, drei Jahre später verließ mit Westbrook das letzte Puzzleteil der glorreichen Vier das Team. Ohne der Franchise einen Titel beschert zu haben.

Letztlich bleibt aus Thunder-Sicht nur eins der größten "What ifs" der NBA-Historie. Hätte OKC sich die Krone aufsetzen können, wenn Harden geblieben wäre? Hätte sich Durant vielleicht nie den Warriors angeschlossen? Hätte OKC womöglich Westbrook anstelle von Harden traden sollen? Hätte sich Harden überhaupt zu dem Spieler entwickelt, der er später sein sollte? Oder was wäre passiert, wenn Presti einfach einen anderen Deal eingefädelt hätte?

Bradley Beal verriet im Mai 2020 im "All the Smoke"-Podcast, dass er am Draftabend 2012 fast im Tausch für Harden nach Oklahoma City geschickt worden wäre. Wizards-Besitzer Ted Leonsis machte aber wohl einen Rückzieher, weil auch er nicht bereit war, Harden zu bezahlen. Stattdessen zog Washington an dritter Position im Draft eben jenen Beal und behielt den Guard.

Außerdem soll Presti unter anderem bei den Warriors wegen Klay Thompson angeklopft und die Raptors mit einem Trade-Vorschlag angerufen haben. Dabei soll es laut Chris Broussard um Jonas Valanciunas, Jose Calderon und entweder DeMar DeRozan oder Terrence Ross gegangen sein. Toronto lehnte ab.

James Harden: Nächster Titel-Angriff mit Durant

So bekam letztlich Houston den Zuschlag. Morey betonte, dass er, als ihm sich die Harden-Gelegenheit bot, sehr aggressiv vorging. Der Guard selbst war zwar erst fassungslos, "aber als ich darüber nachgedacht habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, das könnte gut für mich sein."

Das war es. Zwar meldeten sich vereinzelt kritische Stimmen zu Wort, warum Houston einem Spieler einen Maximalvertrag vorlegt, der bis dato noch nie ein Full-Time-Starter in der NBA war, doch Harden strafte diese Zweifler Lügen: neunmal All-Star, dreimal Scoring-Champ, einmal MVP. Der Deal dürfte wohl einer der einseitigsten der NBA-Historie gewesen sein.

Nur für den Titel hat es auch in Houston nicht gereicht. Für alle Thunder-Fans dürfte es doppelt bitter werden, wenn er nun mit Brooklyn den Thron erklimmen sollte. Ausgerechnet an der Seite von Kevin Durant.