Nachdem Nuggets-Star Carmelo Anthony im Sommer 2010 einen Trade fordert, zieht sich über sieben quälend lange Monate das "Melo-Drama" hin. Ständige Spekulationen, zähe Verhandlungen und eine denkwürdige Pressekonferenz begleiten die Saison, bis die Knicks endlich Nägel mit Köpfen machen. Doch zu einem zu hohen Preis?
Spätestens an diesem Sommerabend im Juli 2010 dürfte Stan Kroenke ein Grauen überkommen haben vor dem, was in den kommenden Monaten auf ihn und seine Denver Nuggets zukommen sollte. Kroenke sitzt umgeben von Marmorsäulen, himmelhohen Decken und prächtigen Kronleuchtern im Herzen Manhattans, im berühmten Cipriani an der 42. Straße.
Der damalige Nuggets-Star Carmelo Anthony hat zu seiner Hochzeit geladen, genau wie zahlreiche Stars und Sternchen aus der NBA-Welt ist auch Kroenke im schmuckvoll hergerichteten Ballsaal zu Gast. Doch was der Nuggets-Eigentümer dort zu hören bekommt, gefällt ihm ganz und gar nicht.
Vor allem, als Chris Paul sein Glas zur Hochzeitsansprache erhebt. "Wir bauen unsere eigene Big Three auf", deklariert der damalige Point Guard der New Orleans Hornets und gute Kumpel von Anthony mehreren Berichten zufolge feierlich. Quasi eine Replik auf die kurz zuvor in Miami geformte Big Three um LeBron James, Dwyane Wade und Chris Bosh. Geplant von CP3, Melo und Amar'e Stoudemire, nach den Wünschen der Beteiligten hier in New York.
Dieses Kredo wird auch von STAT und Anthonys Bruder aufgegriffen. Als Kroenke dagegen seinen Toast spricht und vorschlägt, Paul könne doch nach Denver kommen, herrscht laut ESPN nur "betretenes Schweigen". Allen Gästen dürfte in diesem Moment klar gewesen sein, dass sich das Kapitel "Nuggets-Star Carmelo Anthony" auf den letzten Seiten befindet. Doch wohl kaum jemand rechnet mit einer monatelangen Hängepartie, die später als das "Melo-Drama" in die Geschichte eingehen soll.
Neuaufbau in Denver? Nicht mit Carmelo Anthony
Die Nuggets sind eigentlich gewillt, das Kapitel mit dem Nr.3-Pick des Drafts 2003 fortzusetzen. Bereits in dessen Rookie-Saison schafft es das Team aus der Mile High City erstmals nach acht Jahren Absenz in die Playoffs. Melo, bis 2010 bereits dreimal All-Star, führt Denver in jeder seiner sieben Saisons in die Postseason, sechsmal ist allerdings nach der ersten Runde Schluss.
2009 scheitern die Nuggets immerhin erst in den Conference Finals in sechs Spielen am späteren Champion, den Los Angeles Lakers. Anthony ist sich heute noch sicher, dass Denver diese Serie, diesen Titel hätte gewinnen können. Stattdessen bleibt seine Nuggets-Karriere ungekrönt und ein Jahr später, nach einem weiteren Erstrunden-Aus, sieht er sich zu einem Tapetenwechsel gezwungen.
Zwar steht Anthony noch für ein weiteres Jahr unter Vertrag und die Franchise legt eine vorzeitige Verlängerung zu maximalen Bezügen über drei Jahre und 65 Millionen Dollar auf den Tisch. Doch Melo zögert mit der Unterschrift. Die Richtung, in die sich die Franchise entwickelt, passt so gar nicht zu seinen Vorstellungen.
Gemeinsam mit Anthony wären 2011 auch die Verträge von Kenyon Martin, J.R. Smith und möglicherweise Chauncey Billups (Teamoption) ausgelaufen, allesamt wichtige Bestandteile des Kerns, der es in die West-Finals schaffte. Laut Anthony plant Denver, das Team zu verjüngen.
"Ein Jahr zuvor waren wir in den Western Conference Finals, ich wollte kein Teil eines Rebuilds sein, nicht in meiner siebten Saison in der NBA", erklärt er 2021 im Podcast mit ESPN-Reporter Adrian Wojnarwoski. "Wenn ihr einen Neuaufbau wollt, dann ist das in Ordnung. Aber dann lasst uns nach einer Lösung für mich suchen."
Bulls, Knicks, Nets und Rockets auf Melos Liste?
Statt Rebuild will Melo ein Championship-fähiges Team. Statt Denver mehr Glanz und Glamour, was wohl auch der Karriere seiner mittlerweile Ex-Frau, Schauspielerin, Reality-Star und gebürtige New Yorkerin La La Vazquez, einen Schub verpassen soll. Je länger sich Anthony weigert, die Vertragsverlängerung zu unterschreiben, je mehr Toasts auf ein potenzielles Superteam im Big Apple gesprochen werden, desto unausweichlicher erscheint der nahende Abschied.
Ab August gibt es schließlich keine Zweifel mehr: Melos Agenten Leon Rose und Worldwide Wes von CAA, heute die Macher im Front Office der Knicks, machen den Nuggets deutlich, dass sie ihren Franchise-Star lieber bald traden sollten, um ihn nicht im Sommer 2011 als Free Agent ohne Gegenwert zu verlieren. Angeblich stehen die Bulls, Knicks, Nets und Rockets auf seiner Liste der präferierten Destinationen.
Keine leichte Situation für den GM-Neuling Masai Ujiri. Der spätere Architekt des Championship-Teams der Raptors hat seinen neuen Posten in Denver erst kurz zuvor angetreten, nachdem Mark Warkentien, der angeblich eine enge Beziehung mit Melo pflegte, entlassen wurde. Doch Ujiri und das Front Office der Nuggets lassen sich von den Drohungen aus Melos Camp nicht stressen.
Trade-Gerüchte: Melo für Stephen Curry?
Erste Gespräche mit den interessierten Bulls fruchten angeblich deshalb nicht, weil Chicago sich weigert, Joakim Noah in einen Deal zu involvieren. Auch ein erstes Angebot der New Jersey Nets lehnt Denver ab. Derrick Favors (Nr.3-Pick in 2010), Troy Murphy und zwei Erstrundenpicks als Gegenwert für einen der besten Scorer der Liga? Da ist mehr drin, sind sich Ujiri und Co. sicher.
Die Saison rückt allerdings immer näher, ohne dass ein Trade über die Bühne geht. Training Camp, Preseason, Saisonstart - alles mit Melo im Nuggets-Trikot. Und mit einer nicht enden wollenden Flut an Gerüchten, neugierigen Journalisten und unruhigen Fans. "Jeden Tag wurde darüber gesprochen. Jeden Tag hat irgendjemand eine Andeutung gemacht oder ein Gerücht verbreitet", erinnert sich der damalige Nuggets-Coach George Karl 2013 gegenüber Yahoo Sports.
Mal kursieren Spekulationen über Melo für Stephen Curry, mal Melo für Andre Iguodala, mal Melo für Blake Griffin. Keines dieser Gerüchte erhärtet sich. Nur die Nets und die Knicks bleiben beständig Teil der Gerüchteküche, die sich mittlerweile schon über Wochen hinzieht und noch einige Monate andauern soll.
Melo-Trade-Gerüchte und eine legendäre Pressekonferenz
Die Nuggets treiben den Preis immer weiter in die Höhe, die Angebote der Knicks können mit den Forderungen aus Colorado nicht mithalten. Aus New Jersey wollen die Nuggets Brook Lopez anstatt Favors loseisen. Ein ABC-Reporter aus Denver will Mitte Dezember von einem fixen Deal zwischen den Nuggets und Nets erfahren haben, es stellt sich als Ente heraus.
Ein Problem bei all den Gerüchten um die Nets: Anthony, in Brooklyn geboren, präferiert eigentlich die Knicks, das ist ein offenes Geheimnis. Immer wieder torpediert er Annäherungsversuche der Franchise von der anderen Seite des Hudson Rivers, auch wenn sich der damalige GM Billy King sicher ist, ihn mit dem anstehenden Umzug nach Brooklyn locken zu können.
Doch Melo weigert sich angeblich, eine Verlängerung bei den Nets zu garantieren, sollte das Team für ihn traden. Das macht einen Deal enorm riskant, im Januar schiebt Teambesitzer Mikhail Prokhorov in einer denkwürdigen Pressekonferenz öffentlich allen Melo-Gerüchten einen Riegel vor.
Kontakt mit Anthony habe es nicht gegeben, widerspricht Prokhorov den Medien ("Vielleicht hat er eine Mail geschickt, aber ich nutze keinen Computer. Oder vielleicht ging eine Brieftaube verloren."). Und der Preis sei mittlerweile ohnehin zu hoch: "Das Ganze zieht sich schon zu lange. Es wurde in der Öffentlichkeit breitgetreten und ich glaube, es hat unsere Spieler belastet. Ich habe das Team angewiesen, die Gespräche zu beenden."
gettyDer Höhepunkt und das Ende des Melo-Dramas
Es ist der vorläufige Höhepunkt des monatelangen Melo-Dramas, aber noch lange nicht das Ende. Noch nicht einmal für die Nets. Vor dem All-Star Game 2011 kommt es zu einem Treffen zwischen Prokhorov, Anteilseigner Jaz-Z, GM King und Anthony. Doch auch Knicks-Besitzer James Dolan setzt sich mit dem Hauptpreis der nahenden Trade Deadline und Nuggets-GM Ujiri noch einmal zusammen.
"Wir hatten das Meeting um 3 Uhr morgens, wir mussten eine Entscheidung treffen", erinnert sich Anthony an das Treffen mit den Knicks-Verantwortlichen. "Wenn es New York sein soll, dann müssen wir uns zusammensetzen, eine Lösung finden und das Ganze verwirklichen."
Die Hauptfigur der Verhandlungen sitzt mit am Tisch, als Dolan und Ujiri die Details besprechen. "Ich höre, was Denver will, und was New York nicht abgeben will. Ich denke mir nur: 'Werdet ihr wirklich diesen Deal über den Haufen werfen wegen diesem Spieler? Bin ich euch das nicht wert?'"
Letztlich willigen die Knicks ein, ein Trade-Monster mit 13 Spielern und drei Teams steht. Anthony packt gemeinsam mit Billups und drei weiteren Nuggets-Kollegen die Koffer Richtung Big Apple, Denver bekommt unter anderem Danilo Gallinari, Wilson Chandler, Timofey Mozgov sowie mehrere Erstrundenpicks zurück. Am 22. Februar 2011 darf die Associated Press endlich titeln: "Das Ende des Melo-Dramas". Die Nets orientieren sich derweil in Richtung Deron Williams um.
NBA: Der komplette Melo-Trade im Überblick
Knicks erhalten | Nuggets erhalten | Timberwolves erhalten |
Carmelo Anthony (DEN) | Danilo Gallinari (NYK) | Eddy Curry (NYK) |
Chauncey Billups (DEN) | Wilson Chandler (NYK) | Anthony Randolph (NYK) |
Anthony Carter (DEN) | Raymond Felton (NYK) | 2015er Zweitrundenpick |
Shelden Williams (DEN) | Timofey Mozgov (NYK) | Cash |
Renaldo Balkman (DEN) | Kosta Koufos (MIN) | |
Corey Brewer (MIN) | zwei Erstrundenpicks | |
2016er Erstrundenpick (später nach TOR getradet) | zwei Zweitrundenpicks | |
Cash |
Melo-Trade: "Der beste Deal der Geschichte - für die Nuggets"
Doch einher mit der News des fixen Trades geht eine gewisse Skepsis. Schließlich hätte New York auch einfach bis zum Sommer warten und dann Free Agent Anthony an Land ziehen können - ohne drei Fünftel der Starting Five per Trade abzugeben.
Dolans Ungeduld, die drohende Konkurrenz in Form der Nets und nicht zuletzt der Druck von Melo, der aufgrund des sich anbahnenden Lockouts nicht bis zum Sommer mit seinem neuen Vertrag warten will, stellt sich als lukrative Mischung für die Nuggets heraus. Ujiri spielt seine Karten rückblickend betrachtet nahezu perfekt.
"Das war einer der besten Trades der NBA-Geschichte - für die Nuggets!", bilanziert Coach Karl Jahre später. Meistens endet das abgebende Team in einem Superstar-Trade als Verlierer des Deals, doch die Nuggets stellen womöglich eine seltene Ausnahme dar. Denver bekommt drei der vier Knicks-Topscorer der Saison 2010/11, hält den eigenen Playoff-Streak noch drei weitere Jahre am Leben und schnappt sich mit den Knicks-Picks schließlich unter anderem Jamal Murray.
Und die Knicks? Die bekommen einen Top-10-Spieler in der Blüte seines Schaffens, einen sicheren zukünftigen Hall of Famer, der eine Menge Begeisterung im Basketball-Mekka auslöst. Nicht verwunderlich, dass Dolan bei dieser Perspektive schwach wird. Doch für viel mehr als Begeisterung reicht es nicht.
New York Knicks: Keine Big Three mit Melo
Die Knicks erreichen dreimal in Folge die Playoffs, zweimal ist in der ersten Runde Schluss. 2013 reicht es immerhin für ein 4-2 gegen die Celtics zum Postseason-Auftakt, bevor in den Conference Semifinals die Pacers zu stark sind (2-4). Bis 2021 soll dies der letzte Playoff-Auftritt der Knickerbockers bleiben.
Nach dem Nuggets-Deal fehlen New York einerseits die eigenen Rollenspieler sowie Assets, um das Team weiter zu verstärken. Andererseits machen schlechte Entscheidungen des Front Office (hust, Andrea Bargnani) alle Hoffnungen auf Erfolg zunichte.
Die Knicks schaffen es nicht, um Melo einen ernstzunehmenden Contender aufzubauen. Anthony, von Hauptberuf Scorer, schafft es nicht, seine Teamkollegen auf ein neues Level zu hieven. Letztlich muss New York in einen Rebuild, mit Melo holt die Traditionsfranchise in sechseinhalb Jahren nur 196 Siege bei 216 Niederlagen.
Noch nicht einmal die Träume einer Big Three verwirklichen sich. Paul fordert 2011 zwar selbst einen Trade von den Hornets, landet aber bei den L.A. Clippers. An der Ostküste verhindern Stoudemires Knie derweil, dass er mit Melo ein brandgefährliches Duo bilden könnte. Nach gut sieben Monaten Melo-Drama hatten sich alle Beteiligten das ganz sicher anders vorgestellt.