Es kommt nicht selten vor, dass zum Start einer Saison etwas am Regelwerk verändert wird, keine Überraschung bei einem noch recht neuen Sport mit ständig wechselnden Voraussetzungen. Seltener ist, wie viel Aufregung die Änderungen in der laufenden Spielzeit verursachen, beziehungsweise: wie stark ihre Umsetzung bei einigen Spielen zu spüren ist.
Und wie gespalten die Reaktionen darauf ausfallen. Es gibt einen großen Anteil von Beobachtern und auch Spielern, die es sehr begrüßen, dass unnatürlich initiierter Körperkontakt nicht mehr automatisch (Defensiv-)Fouls bedingt, teilweise wird dies regelrecht euphorisch bejubelt. Kyle Kuzma von den Wizards etwa sprach vom "besten, was die Liga in der jüngeren Geschichte getan hat", und auch Draymond Green zeigte sich sehr angetan.
Und dann gibt es auf der anderen Seite die Betroffenen. James Harden wähnte sich zunächst als Hauptopfer, Trae Young widersprach und nannte noch sich selbst sowie andere Beispiele wie Damian Lillard oder Devin Booker, die vor allem deshalb deutlich weniger Punkte erzielen als vorher. Tatsächlich gibt es einen ganzen Haufen Spieler, bei denen die Freiwurfversuche signifikant gesunken sind.
Das hier sind ein paar Beispiele:
NBA: Die Freiwürfe pro Spiel im Vergleich zu 20/21
Freiwürfe/Spiel 20/21 | Freiwürfe/Spiel 21/22 | Differenz | |
Trae Young | 8,7 | 4,3 | -4,4 |
Damian Lillard | 7,2 | 3,7 | -3,5 |
Luka Doncic | 7,1 | 4,7 | -3,4 |
Russell Westbrook | 6,4 | 3,3 | -3,1 |
Bradley Beal | 7,7 | 4,8 | -2,9 |
James Harden | 7,3 | 5,3 | -2 |
Donovan Mitchell | 6 | 4,3 | -1,7 |
LeBron James | 5,7 | 4,2 | -1,5 |
Devin Booker | 5,9 | 4,8 | -1,1 |
Allgemein ist die Anzahl der durchschnittlichen Team-Freiwürfe pro Spiel auf 20 gesunken, vergangene Saison waren es noch knapp 22.
Die neuen Regeln sind gut, aber ...
Zwei Thesen dazu. Der Wegfall, der übrigens auch mit dazu beiträgt, dass das durchschnittliche Offensiv-Rating in der NBA derzeit erstmals seit Jahren auf einem niedrigeren Niveau unterwegs ist (die niedrigeren Quoten bei Jumpshots ebenfalls), ist erstens keine schlechte Sache. Tatsächlich macht es das Ganze für den Zuschauer angenehmer, der weniger Flops und nicht zwingend mehr Freiwürfe sehen möchte.
Und trotzdem, das wäre These zwei: Es wird diesen Effekt nicht dauerhaft geben, zumindest nicht in der Ausprägung. Es wird Anpassungen geben, auf beiden Seiten. Die Schiedsrichter werden früher oder später bei einer Grauzone landen und nicht dauerhaft so konsequent "Zeichen setzen" wie aktuell, es wäre zumindest eine große Überraschung, wenn es nicht so wäre. Nicht zuletzt deshalb, weil derzeit teilweise überkompensiert und überharter Einsatz nicht geahndet wird.
Und die Spieler werden sich andererseits mit der neuen Realität abfinden. Die Suche nach anderen Schlupflöchern hat längst begonnen und die besten NBA-Spieler sind deutlich zu clever, um sich von nun an dauerhaft von der Freiwurflinie und ihren Punkten fernhalten zu lassen.
Damian Lillard macht sich keine Sorgen
Lillard, der von Young als ein "Opfer" der fehlenden Calls ausgemacht wurde und einen miesen Saisonstart hingelegt hat, hatte eine beispielhafte Reaktion auf eben diesen Saisonstart: "Was sagen die neun Jahre zu den 4 Spielen?" Zurecht, auch wenn es mittlerweile ein paar Spiele mehr sind. Er wird nicht lange bei 18 Punkten im Schnitt bleiben.
Lillard leidet allerdings vor allem unter seiner Dreierquote von 23,2 Prozent über die bisherige Saison. Momentan fehlen ihm Balance und Rhythmus, vielleicht spielt auch der neue Ball bei einigen Schützen eine Rolle, wie Paul George unlängst andeutete. Eher früher als später dürfte die Dame Time jedoch auch wieder losgehen.
Ein interessanterer Fall ist wohl das Aushängeschild höchstpersönlich, Harden, der in seiner Karriere bisher mehr Freiwürfe (6.606) als Field Goals (6.552) versenkt hat. "Ich habe das Gefühl, dass er unfairerweise der Poster-Boy dafür geworden ist, diese Fouls nicht zu pfeifen", sagte sein Coach Steve Nash kürzlich über ihn. Woran das wohl liegt?