NBA-Kolumne Above the Break: Die neuen Regeln sind nicht das Hauptproblem von James Harden

Ole Frerks
02. November 202110:38
James Harden hadert derzeit öfter als sonst mit den Schiedsrichtern.getty
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Die NBA hat mit einigen Regeländerungen dafür gesorgt, dass es zum Saisonstart weniger Freiwürfe gibt, allgemein finden einige Offensivstars nicht wie gewohnt in die neue Spielzeit. Der Poster-Boy dafür ist James Harden - doch die neuen Regeln sind nicht dessen einziges Problem. Muss man sich Sorgen machen?

Es kommt nicht selten vor, dass zum Start einer Saison etwas am Regelwerk verändert wird, keine Überraschung bei einem noch recht neuen Sport mit ständig wechselnden Voraussetzungen. Seltener ist, wie viel Aufregung die Änderungen in der laufenden Spielzeit verursachen, beziehungsweise: wie stark ihre Umsetzung bei einigen Spielen zu spüren ist.

Und wie gespalten die Reaktionen darauf ausfallen. Es gibt einen großen Anteil von Beobachtern und auch Spielern, die es sehr begrüßen, dass unnatürlich initiierter Körperkontakt nicht mehr automatisch (Defensiv-)Fouls bedingt, teilweise wird dies regelrecht euphorisch bejubelt. Kyle Kuzma von den Wizards etwa sprach vom "besten, was die Liga in der jüngeren Geschichte getan hat", und auch Draymond Green zeigte sich sehr angetan.

Und dann gibt es auf der anderen Seite die Betroffenen. James Harden wähnte sich zunächst als Hauptopfer, Trae Young widersprach und nannte noch sich selbst sowie andere Beispiele wie Damian Lillard oder Devin Booker, die vor allem deshalb deutlich weniger Punkte erzielen als vorher. Tatsächlich gibt es einen ganzen Haufen Spieler, bei denen die Freiwurfversuche signifikant gesunken sind.

Das hier sind ein paar Beispiele:

NBA: Die Freiwürfe pro Spiel im Vergleich zu 20/21

Freiwürfe/Spiel 20/21Freiwürfe/Spiel 21/22Differenz
Trae Young8,74,3-4,4
Damian Lillard7,23,7-3,5
Luka Doncic7,14,7-3,4
Russell Westbrook6,43,3-3,1
Bradley Beal7,74,8-2,9
James Harden7,35,3-2
Donovan Mitchell64,3-1,7
LeBron James5,74,2-1,5
Devin Booker5,94,8-1,1

Allgemein ist die Anzahl der durchschnittlichen Team-Freiwürfe pro Spiel auf 20 gesunken, vergangene Saison waren es noch knapp 22.

Die neuen Regeln sind gut, aber ...

Zwei Thesen dazu. Der Wegfall, der übrigens auch mit dazu beiträgt, dass das durchschnittliche Offensiv-Rating in der NBA derzeit erstmals seit Jahren auf einem niedrigeren Niveau unterwegs ist (die niedrigeren Quoten bei Jumpshots ebenfalls), ist erstens keine schlechte Sache. Tatsächlich macht es das Ganze für den Zuschauer angenehmer, der weniger Flops und nicht zwingend mehr Freiwürfe sehen möchte.

Und trotzdem, das wäre These zwei: Es wird diesen Effekt nicht dauerhaft geben, zumindest nicht in der Ausprägung. Es wird Anpassungen geben, auf beiden Seiten. Die Schiedsrichter werden früher oder später bei einer Grauzone landen und nicht dauerhaft so konsequent "Zeichen setzen" wie aktuell, es wäre zumindest eine große Überraschung, wenn es nicht so wäre. Nicht zuletzt deshalb, weil derzeit teilweise überkompensiert und überharter Einsatz nicht geahndet wird.

Und die Spieler werden sich andererseits mit der neuen Realität abfinden. Die Suche nach anderen Schlupflöchern hat längst begonnen und die besten NBA-Spieler sind deutlich zu clever, um sich von nun an dauerhaft von der Freiwurflinie und ihren Punkten fernhalten zu lassen.

Damian Lillard macht sich keine Sorgen

Lillard, der von Young als ein "Opfer" der fehlenden Calls ausgemacht wurde und einen miesen Saisonstart hingelegt hat, hatte eine beispielhafte Reaktion auf eben diesen Saisonstart: "Was sagen die neun Jahre zu den 4 Spielen?" Zurecht, auch wenn es mittlerweile ein paar Spiele mehr sind. Er wird nicht lange bei 18 Punkten im Schnitt bleiben.

Lillard leidet allerdings vor allem unter seiner Dreierquote von 23,2 Prozent über die bisherige Saison. Momentan fehlen ihm Balance und Rhythmus, vielleicht spielt auch der neue Ball bei einigen Schützen eine Rolle, wie Paul George unlängst andeutete. Eher früher als später dürfte die Dame Time jedoch auch wieder losgehen.

Ein interessanterer Fall ist wohl das Aushängeschild höchstpersönlich, Harden, der in seiner Karriere bisher mehr Freiwürfe (6.606) als Field Goals (6.552) versenkt hat. "Ich habe das Gefühl, dass er unfairerweise der Poster-Boy dafür geworden ist, diese Fouls nicht zu pfeifen", sagte sein Coach Steve Nash kürzlich über ihn. Woran das wohl liegt?

Gegen Indiana hatte Harden seither seine erste "Freiwurf-Explosion" in dieser Saison mit 19 Freebies, in dieser Partie nahm er mehr Freiwürfe als in allen sechs weiteren Partien dieser Spielzeit (18). Es ist trotzdem über zehn Jahre her, dass Harden so wenige Freiwürfe pro Spiel nahm.

Das liegt unter anderem daran, dass einige Tricks einfach nicht mehr funktionieren. Nate Duncan sammelt fleißig Beispiele von Hardens gescheiterter Foulschinderei, er wird vermutlich noch weitere finden.

James Harden: Es sind nicht nur die neuen Regeln

Nashs Punkt ist dabei nicht komplett von der Hand zu weisen, Harden wird von den Referees (aus gutem Grund) sicherlich etwas mehr auf die Finger geschaut. Hätten die neuen Regeln einen Spielernamen wie etwa die Derrick Rose Rule oder die Larry Bird Exception, wäre es vermutlich seiner. Und doch erzählt dies nicht die ganze Geschichte.

Harden laborierte in der Offseason an einer Oberschenkelverletzung, konnte sich nicht wie gewohnt auf die Spielzeit vorbereiten. Er galt zwar auch vorher nicht als der Fitness- oder Trainingspapst schlechthin, trotzdem kam er in seiner Karriere zumeist mit Dampf und dem einen oder anderen neuen Trick aus den Startlöchern.

Das war diesmal nicht möglich, im Sommer war er mit Reha beschäftigt, nicht mit einer gezielten Saisonvorbereitung. Harden ist auch jetzt noch nicht "in shape", es fehlt ihm an Explosivität, nachdem er zum ersten Mal in seiner Laufbahn wirklich längere Zeit ausgefallen ist. Dafür gibt es einige Indikatoren, abgesehen von der auch für seine Verhältnisse "kurvigen" Figur.

James Harden fehlt die Explosivität

Harden war immer dann am besten, wenn er die Balance aus dem Distanzwurf, dem Drive und natürlich auch den Freiwürfen hatte. Momentan fehlt diese Balance; bisher nimmt er laut Cleaning the Glass nur 21 Prozent seiner Abschlüsse am Ring, das ist mit Abstand ein Karrieretiefstwert. Mit Ausnahme der 16/17er Saison waren es zuvor immer mindestens 30 Prozent gewesen.

Es ist die gleiche Geschichte bei seinen Drives: Laut nba.com/stats verzeichnet er aktuell 11,4 davon pro Spiel, in den Jahren zuvor waren es stets mindestens 17. Interessanterweise zieht er dabei anteilig sogar minimal häufiger als im Vorjahr ein Foul, er kommt einfach nur seltener dazu.

James Harden: Seine Abschlüsse am Ring, Drives pro Spiel und Foul Percentage

SaisonAbschlüsse am Ring in %Drives pro SpielFoul% beim Drive
17/183317,111,4
18/193019,610,6
19/203017,612
20/213117,48,2
21/222111,48,8

Harden hat selbst davon gesprochen, dass er zumeist nicht aggressiv genug agierte. Das klingt zwar sehr klischeehaft, ist in seinem Fall aber zutreffend. Er vertraut seinem Antritt offensichtlich noch nicht immer, weshalb es ihm bisher schwerer fällt, den Wegfall der "geschenkten" Punkte zu kompensieren.

Was vollkommen in Ordnung ist - das hier ist kein Basketball-Play, es ist richtig, dass solche Aktionen endlich nicht mehr mit Trips an die Linie belohnt werden.

James Harden wird eine Lösung finden

Und gleichzeitig war es vollkommen in Ordnung, dass Harden und andere Spieler die Regeln ausgenutzt haben, als es noch anders war. Basketball ist ein Spiel der Runs(™), aber es ist auch ein Spiel der Schlupflöcher. Spieler oder Team findet etwas, nutzt es aus, die Liga reagiert, früher oder später. Solche Fälle gab es immer wieder.

Harden war und ist ein Meister darin, diese Löcher zu finden und sich Punkte zu erarbeiten. Er ist einer der cleversten Offensiv-Basketballer, die das Spiel je gesehen hat. Wenn es tatsächlich die Verletzung ist, die ihn zurückhält, und nicht das Alter oder die kumulierte Last der vergangenen Jahre, dann wird man sich um ihn keine Sorgen machen müssen.

Vermutlich kommt gerade einfach viel zusammen. Wir erinnern uns: Brooklyns Team-Konstruktion ist eigentlich dafür ausgelegt, schwächere Phasen eines Stars problemlos kompensieren zu können, dafür hat man schließlich drei. Aus den bekannten Gründen hilft einer von ihnen Harden nur momentan nicht dabei, mit den neuen Regeln - aber eben auch seinem eigenen Zustand - warm zu werden.