Nikola Jokic knüpft an seine MVP-Saison mit einer noch besseren Spielzeit an. Trotzdem spielt er weder in der MVP-Diskussion noch in der um den besten Spieler der Liga eine signifikante Rolle. Woran liegt das?
In der Nacht auf Montag hätte eigentlich eins dieser Marquee-Matchups stattfinden sollen, von denen der NBA-Kalender zehrt. Zwei der absolut besten Spieler ihrer Zunft im quasi-direkten Duell, zugleich vermutlich die zwei Spieler, die aufgrund diverser Ausfälle in ihren Teams derzeit mehr Last schultern müssen als alle anderen.
Einige Faktoren verhinderten das. Zum einen meldete sich mit Corona die große Spaßbremse dieser Zeit und führte zur Absage des Duells Brooklyn gegen Denver. Unter anderem befand sich mit Kevin Durant einer der erwähnten Superstars im Gesundheits- und Sicherheitsprotokoll. Aber das war nicht alles.
Der andere erwähnte Kandidat ist zwar der amtierende MVP, aber gerade in den USA nicht der Typ "Marquee Matchup". Das mag am kleinen Markt Denver liegen, aber selbst dort sind die Nuggets kein Quotenmagnet. Nikola Jokic bewegt sich von der Wahrnehmung her schlichtweg nicht auf dem Niveau von Durant oder auch Stephen Curry.
Es gibt keinen Konsens, allerdings wird es derzeit kaum jemanden geben, der sagen würde, dass Jokic der beste Spieler der Welt ist oder auch nur sein könnte. Was er leistet, scheint dabei kaum eine Rolle zu spielen.
Nikola Jokic: Der Eye-Test passt nicht
Jokic hat bei dieser Diskussion einige "Probleme" (er wirkt nicht wie jemand, den das Ganze sonderlich umtreibt). Es gibt einige harte Parameter wie die Statistiken eines Spielers, die sich einfach messen lassen, aber es gibt auch die weichen Faktoren, die in der Best Player Alive-Konversation eine Rolle spielen.
Der Eye-Test etwa: Jokic sieht nicht aus wie jemand, der in einer Liga mit den besten Athleten der Welt dominieren sollte. Natürlich hat er abgenommen und an seinem Körper gearbeitet, trotzdem wird aus ihm in diesem Leben kein LeBron James mehr; er springt nicht hoch, viele seiner Bewegungen wirken immer noch behäbig, auch wenn sie es nicht sind.
Hier gibt es einige Parallelen zu Larry Bird, der allerdings erstens in einer anderen Ära und zweitens in einem sehr relevanten Markt spielte und drittens, nun, nicht Laroslav Birdic hieß. Tom Haberstroh äußerte kürzlich in seinem Podcast die Frage, wie Jokic wahrgenommen würde, wenn er Nick Jones hieße ...
Nikola Jokic: Kein Respekt trotz MVP-Award
Alles an Jokic ist ungewöhnlich: seine Bewegungsabläufe, sein Spielwitz, sein Weg in die NBA als moppeliger Zweitrundenpick aus Europa. Vielleicht spielt das auch eine Rolle beim nächsten weichen Faktor, dem "Respekt". Es sprach Bände, dass Jokic bei einer The Athletic-Umfrage unter Ex-Spielern kürzlich genauso oft als "bester Spieler" genannt wurde wie Russell Westbrook und Zion Williamson zusammengerechnet (2/118).
Auch sein MVP-Award wird nur bedingt respektiert; nie vergisst jemand zu erwähnen, dass in der Saison 2020/21 alle anderen Kandidaten verletzt waren und Jokic eben nicht. ESPN-Analyst Richard Jefferson schmetterte vor wenigen Tagen das Jokic-Plädoyer von Zach Lowe sinngemäß mit den Worten ab, man müsse Jokic dieses Jahr nicht als Kandidaten aufzählen, da man ihm den Award vergangene Saison ja schon gegeben habe. Als wäre das ausschlaggebend für die aktuelle Spielzeit.
Nun ist die MVP-Konversation nicht dasselbe wie eine Diskussion über den besten Spieler der Liga, aber die Grenzen verlaufen fließend und die herangezogenen Parameter sind oft ähnliche. Also ergibt es wohl Sinn, auch noch auf die anderen, die "harten" Faktoren zu blicken.
Nikola Jokic und die Siege: An ihm liegt's nicht
Der Teamerfolg ist messbar, "Wins" sind die simpelste Statistik überhaupt im Sport. Die Nuggets sind da mit einer 15-14-Bilanz auf Platz fünf der Western Conference nicht gerade ideal positioniert; bei den Teams von insbesondere Curry und Durant sieht das anders aus.
An der Oberfläche spielt es auch keine Rolle, dass Jokic mit Jamal Murray und seit einigen Wochen Michael Porter Jr. seine beiden besten Mitspieler (und regelmäßig noch diverse andere) fehlen. Curry (Klay Thompson) und Durant (Kyrie Irving) fehlen schließlich auch Kollegen, die sogar namhafter sind. Es fehlen Siege, und die sollte ein MVP oder bester Spieler der Liga im Zweifel auch alleine holen können.
(Man könnte hier einwerfen, dass Russell Westbrook (2016/17) und Moses Malone (1981/82) nur 47 respektive 46 Siege mit ihren Teams geholt haben und MVP wurden. Kareem Abdul-Jabbar verpasste in seiner ersten MVP-Saison mit den Lakers (1975/76) sogar die Playoffs. Curry wurde in der vergangenen Saison Dritter, obwohl sein Team die Playoffs verpasste.)
Es muss nur nicht an der Oberfläche bleiben. Die Nuggets sind derzeit nicht zu vergleichen mit Golden State oder Brooklyn; Denver ist ohne Jokic nicht konkurrenzfähig, ihr Net-Rating ohne ihn beträgt beinahe -18. Selbst die Orlando Magic (-11,1) rümpfen bei dieser Zahl die Nase. Steht der Serbe auf dem Court, ist das Net-Rating hingegen besser als der Liga-Bestwert von Utah (+12,4 laut Cleaning the Glass).
Die On/Off-Differenz beträgt fast genau 30 Punkte und ist damit größer als bei jedem anderen Spieler der Liga. Zum Vergleich: Durant liegt bei +11,2, Curry bei +19,3, und das sind sehr hohe Werte. Jokic steht nur deutlich drüber.
Wer ihn nicht als MVP-Kandidaten sieht, tut das nur aufgrund seines Teams - Jokic kann nur die Minuten beeinflussen, in denen er auf dem Court steht. Und diese Minuten sind sehr gut, überragend sogar. Was sich gut ins Gesamtbild fügt: Blickt man nur auf den nächsten harten Faktor, die Zahlen, dann gibt es derzeit eigentlich keine Debatte.
Für den MVP kann man natürlich andere Faktoren mit einbeziehen und daher ist es auch legitim, dass in der momentan ohnehin verfrühten Diskussion Curry und Durant bei fast allen in diesem Rennen vorne stehen. Aber wir sprechen hier ja auch über den besten Spieler der Welt - und das ist, rein statistisch betrachtet, derzeit eindeutig Jokic.
Nikola Jokic punktet effizienter als Kevin Durant
Der 26-Jährige sprengt derzeit diverse Advanced Metrics; er legt das höchste Player Efficiency Rating der Geschichte auf (34,2), er führt die Liga unter anderem an bei: Offensive Win Shares, Win Shares/48 Minuten, Offensive Box Plus Minus, Defensive Box Plus Minus, Box Plus Minus, Value Over Replacement Player. Klingt kompliziert, geht aber auch simpler.
Ein Spieler, der offensiv schon die vergangenen Jahre über jeden Zweifel erhaben war, ist besser geworden; er trifft 66 Prozent seiner Zweier und 38 Prozent von Downtown, holt mit Abstand die meisten Rebounds seiner Karriere. Eine (gerundete) Statline von 26, 14 und 8 gab es noch nie in der Geschichte, Jokic legt sie auf und ist dabei noch unheimlich effizient.
Alle Spieler, die vor Jokic beim True Shooting (66,4 Prozent) stehen, sind Play-Finisher; Jokic erarbeitet sich den größten Teil seiner Punkte selbst, ist Jump-Shooter, Post-Player, läuft Pick'n'Rolls, macht alles mögliche. Es gibt gerade keinen besseren Volume-Scorer in der Liga, selbst Durant (62,6) steht ein ganzes Stück hinter ihm. Er ist von jedem Fleck im Halbfeld aus gefährlich und trifft hochprozentig von jedem Areal aus dem Feld.
True Shooting: Die effizientesten Scorer der NBA
Rang | Spieler | True Shooting % | Punkte |
1 | Rudy Gobert | 74,1 | 15,4 |
2 | Richaun Holmes | 73,7 | 14 |
3 | Jarrett Allen | 72,3 | 16,8 |
4 | Ivica Zubac | 69,9 | 9,6 |
5 | Montrezl Harrell | 68,2 | 14,5 |
6 | JaVale McGee | 67,5 | 10,9 |
7 | Nikola Jokic | 66,4 | 26,3 |
8 | Domantas Sabonis | 65,6 | 18,3 |
9 | Pat Connaughton | 65 | 12,1 |
10 | John Collins | 64,5 | 17,2 |
Dabei ist das Scoring nicht Jokic' bester Offensiv-Skill. Das ist nach wie vor sein Passing Game, auch wenn er mit 7,5 Dimes pro Partie etwas weniger verteilt als im letzten Jahr. Jokic ist hier kein bisschen schlechter geworden, es macht sich höchstens bemerkbar, dass die beiden besten Verwerter seiner Pässe nicht zur Verfügung stehen.
nba.com/statsNikola Jokic: Auch die Defense passt mittlerweile
Auch die Geschichte vom schlechten Verteidiger ist veraltet, ähnlich übrigens wie bei Curry, der im Alter von 33 Jahren die beste Defense seiner Karriere spielt. Jokic hat sich auch hier in den vergangenen Jahren massiv entwickelt und ist mittlerweile ein positiver Faktor.
Jokic ist kein Rim-Protector wie Rudy Gobert, es gibt jedoch unterschiedliche Arten, gut zu verteidigen. Was ihm defensiv hilft, sind sein riesiger Körper, seine schnellen Hände (immer eine Gefahr für Steals) und die Spielintelligenz, die ihn auch offensiv so gut macht. Er ist mobiler geworden, zeigt dadurch auch Fortschritte in der Drop Coverage.
Die Nuggets erlauben weniger Dreier und weniger Abschlüsse am Ring, dafür mehr Mitteldistanzwürfe, wenn Jokic auf dem Court steht. Gegner treffen dabei vor allem aus der Mitteldistanz deutlich schwächer. Das war noch in der vergangenen Saison anders, aber die größere Mobilität erlaubt es Jokic häufiger, in der Floater Range als Hindernis aufzutauchen.
Denver Nuggets: Shooting Luck spielt eine Rolle
Jokic hat defensiv seine Makel, aber das Positive überwiegt. Ein nicht unwesentlicher Teil seines Beitrags sind auch die Rebounds - in seinen Minuten lässt Denver kaum Offensiv-Rebounds zu, vermeidet Fouls und ist momentan sogar in Transition-Situationen sehr solide.
Generell erlauben die Nuggets stolze 16,8 Punkte pro 100 Ballbesitzen weniger, wenn Jokic auf dem Court steht. Das Defensiv-Rating in diesen Minuten (104,1) würde aktuell für Platz drei ligaweit reichen. Shooting Luck spielt dabei eine Rolle: Derzeit treffen gegnerische Teams in Jokic' Minuten nur 33 Prozent von draußen, das ist ungewöhnlich schwach und liegt nicht komplett in seiner Kontrolle oder der Kontrolle der Nuggets im Allgemeinen.
Es ist aber auch nicht die einzige Kategorie, in der Jokic derzeit überzeugt. Die Nuggets haben es geschafft, um ihn herum eine solide bis gute Defense aufzubauen, mit Ausnahme der Vorsaison waren sie das auch in den Jahren zuvor. Das ist auf Dauer schwer, wenn der Spieler auf der defensiv wichtigsten Position wirklich so schlecht ist, wie er oft gemacht wird.
Nikola Jokic ist kein Außenseiter mehr
Womit wir wieder beim Ausgangspunkt angekommen wären: Die Leistungen passen bei Jokic einfach nicht (mehr) zu dem Bild, das viele von ihm haben. Wenn ein amtierender MVP sich im Vergleich zur Vorsaison merklich steigert, sollte das eigentlich weitaus höhere Wellen schlagen.
Und Jokic sollte kein Außenseiter sein, wenn es um die Frage nach dem derzeit besten Spieler der Liga geht. Er mag nicht den Konventionen entsprechen, aber er gehört mitten rein in diese Diskussion, bewegt sich auf Augenhöhe mit KD, Steph und Giannis Antetokounmpo.
Den Zahlen zufolge müsste Jokic momentan sogar ganz oben stehen. Niemand hat derzeit statistisch von Spiel zu Spiel einen größeren Einfluss auf das Geschehen als er. Natürlich erzählen die Statistiken nie die ganze Geschichte - die anderen Faktoren (Eye-Test, Respekt, Team-Erfolg) nur eben auch nicht. Jokic ist ein Paradebeispiel dafür.