Die Atlanta Hawks gingen nach dem Erreichen der Conference Finals mit großen Erwartungen in die Saison, die Resultate sind trotz einer starken Saison von Trae Young bislang ernüchternd. Das Management deutete bereits mögliche Trades an, es dürfte zu Veränderungen kommen - ob klein oder groß.
Mit dem Erfolg wachsen die Ansprüche, das wusste bereits Pat Riley in den Achtzigern, als er die Showtime-Lakers von Meisterschaft zu Meisterschaft führte. Der heutige Heat-Präsident nannte es "Disease of more" und meinte damit vor allem, dass jeder Spieler mehr Minuten, mehr Touches oder auch mehr Würfe erhalten wolle, sobald sich die Erfolge einstellen.
Diese Diagnose stellte Riley einem Championship-Team, davon sind die Atlanta Hawks noch weit entfernt. Aber: Nicht wenige sahen in den Hawks erneut ein gutes Playoff-Team. Warum auch nicht? In Trae Young hat Atlanta einen der besten jungen Spieler der NBA, der sich schon jetzt auf der Spielmacher-Position vor niemandem verstecken muss. Hinzu kommen zahlreiche junge sowie entwicklungsfähige Spieler, denen ein weiterer Sprung zugetraut werden durfte, sowie einige Veteranen.
Und doch stecken die Hawks auf Platz zwölf im Osten fest - nur wenige Monate nach dem etwas überraschenden Run in die Conference Finals, als man dort auch dem späteren Champion Milwaukee zwei Spiele abnehmen konnte. Es ist eine weitere Erinnerung, dass Erfolg nicht planbar ist und die Entwicklung eines Teams nicht linear erfolgt. Die Hawks haben ihr Team in gleicher Besetzung mit minimalen Veränderungen gehalten, doch mit wenigen Ausnahmen kann Atlanta nicht die Vorstellungen wiederholen, welche sie im Vorjahr nach dem Coaching-Wechsel zu Nate McMillan zum heißesten Team der NBA machten.
Warnsignale gab es dabei schon früh in der Saison. "Die Regular Season ist viel langweiliger als die Playoffs. Es ist manchmal schwer, dafür die richtige Motivation zu finden", sagte Young nach nur neun (!) Saisonspielen und nicht etwa im Januar oder Februar, wenn die Längen einer Saison zu Tage treten.
Atlanta Hawks im Vergleich zum Vorjahr
Saison | O-Rating | D-Rating | Net-Rating |
20/21 unter Pierce | 112,7 (11.) | 112,9 (23.) | -0,3 (15.) |
20/21 unter McMillan | 115,9 (8.) | 111,3 (10.) | +4,5 (7.) |
21/22 | 112,6 (3.) | 113,1 (28.) | -0,5 (18.) |
Atlanta Hawks: Corona ist keine Ausrede
Und doch trifft die Aussage den Nagel auf den Kopf. Die proklamierte Langeweile lässt die Hawks vor allem in der eigenen Hälfte viel zu oft viel zu lethargisch wirken. Atlanta stellt nach Houston und Portland die schlechteste Defense der NBA, im Vorjahr war man nach der Installation von McMillan immerhin respektabler 13. Siebenmal kassierten die Hawks in dieser Spielzeit bereits mindestens 130 Punkte, alleine viermal in den vergangenen beiden Wochen.
Natürlich fehlten zuletzt mehrere Rotationsspieler, aber Atlanta gilt weiterhin als tiefes Team und ist nicht das einzige Opfer der grassierenden Omikron-Welle. General Manager Travis Schlenk lässt das ohnehin nicht als Ausrede gelten, vielmehr schlug ein überraschend deutliches Interview in der vergangenen Woche zumindest in Georgia Wellen.
"Keiner fühlt sich dafür verantwortlich, in der Defense alles zu geben", ätzte Schlenk in einem Radio-Interview bei 92.9 The Game. "Wenn jemand gegen dich scort, dann geht es eben auf der anderen Seite weiter. Es stört bei uns einfach niemanden." So deutlich hört man vor allem einen GM während einer Saison selten, was für tiefer gehende Probleme im Kader spricht. An der Offense ist die bislang enttäuschende Saison dagegen nicht festzumachen, dafür sorgt Young fast im Alleingang.
Zuletzt gesehen in Portland, als der 23-Jährige mal eben 56 Punkte und 14 Assists aus dem Handgelenk schüttelte. Auf dieser Seite des Feldes spielt der Guard auf All-NBA-First-Team-Niveau. Durchschnittlich 28 Punkte und 9,6 Assists bei ordentlichen Quoten sind ein Brett. Ohne Young zerbröselt dagegen der Keks, sowohl Lou Williams als auch Delon Wright können hier nicht annähernd den Angriff am Laufen halten.
Hawks: Die Defense ist zu schwach für ein Playoff-Team
Das sorgt für Unmut beim Hawks-Star, der nach der Niederlage in Portland angab, am liebsten die vollen 48 Minuten spielen zu wollen. "Es ist frustrierend und macht keinen Spaß. Wir sind ein tolles Offensiv-Team, aber wir lassen hinten viel zu viel zu", weiß der Guard, der gleichzeitig Teil dieses Problems ist.
Aus Young wird nie ein guter Verteidiger, doch auch der Einsatz ist teilweise fragwürdig bzw. kaum vorhanden. Natürlich kostet es Kraft, eine Offense so dominant zu gestalten, wie es "Ice Trae" Abend für Abend tut, doch wenn man bereits im zweiten Angriff des Gegners, wie hier gegen die Lakers, so lustlos seinen Gegner gewähren lässt, ist das ein fatales Zeichen für die eigenen Mitspieler.
stats.nba.comYoung soll dabei aber gar nicht als Sündenbock für die defensiven Probleme herhalten, vielmehr ist es ein Problem, welches sich durch den Kader zieht. In De'Andre Hunter fehlt der beste Verteidiger bereits seit Monaten, während Clint Capela auf der Center-Position nicht mehr annähernd das Niveau erreicht, welches ihn im Vorjahr in die All-Defense-Diskussion brachte.
Der Schweizer hat immer wieder Probleme mit der Achillessehne und wirkt einfach nicht spritzig. 2020/21 waren die Hawks defensiv mit ihm noch fast 10 Zähler besser, nun ist Atlanta in den Minuten ohne Capela sogar besser. Immerhin: Der Ringschutz des Centers ist weiter solide, nur bewegt er sich außerhalb der Zone nicht mehr so gut.
Atlanta Hawks: Ein Rückfall in alte Zeiten
Aber nicht nur Capela hat nachgelassen, es zieht sich eher wie ein roter Faden durch das Team. Seien es Bogdan Bogdanovic, Kevin Huerter, John Collins oder die ohnehin defensiv fragwürdigen Danilo Gallinari und Lou Williams - Atlanta generiert im Team-Verbund keine Stops und kann so individuelle Mängel wie in der Vorsaison nicht mehr kaschieren.
Vielmehr ähneln die Hawks inzwischen wieder der Version unter Ex-Coach Lloyd Pierce, der recht schnell das Vertrauen von Young und der kompletten Mannschaft verlor. Dazu scheint es im Team erneut nicht zu stimmen. Dass aus Collins und Young nicht mehr beste Freunde werden, wurde bereits im vergangenen Januar berichtet. Keine zwölf Monate später gibt es ähnliche Berichte über die Unzufriedenheit des Power Forwards mit seiner schwindenden Rolle.
In der Honeymoon-Phase mit McMillan war das anders, einstige Streitigkeiten schienen beiseite gelegt, der Blick auf das große Ganze gerichtet. "Vielleicht war es nicht die beste Idee, dieses Team so zurückzubringen", rätselte auch Schlenk. In der jetzigen Form wird Atlanta maximal um das Play-In-Turnier spielen, zu stark präsentiert sich die Eastern Conference in dieser Spielzeit.
Die kommenden Spiele und Wochen könnten nun das Schicksal dieses Teams bestimmen. Das Programm bis zur Trade Deadline ist knüppelhart, zehn der kommenden 14 Gegner haben eine positive Bilanz (unter anderem dreimal gegen Miami). Hinzu kommen Duelle gegen direkte Konkurrenten wie New York oder Boston, dafür sind zehn dieser Partien in der heimischen State Farm Arena.
Atlanta Hawks: Beste Voraussetzungen für einen Trade
Ob Atlanta aber all diese Spiele mit dem bekannten Roster absolvieren wird, ist ungewisser denn je. "Wir werden uns jetzt genau anschauen, ob die Gruppe die gleiche ist, welche wir in der vergangenen Saison in der zweiten Saisonhälfte gesehen haben", kündigte Schlenk unlängst an. "Darauf basierend werden wir dann ermitteln, ob und welche Veränderungen gemacht werden müssen."
Die Position der Hawks auf dem Trade-Markt ist gut. Es deutet schon länger einiges darauf hin, dass Atlanta früher oder später einen Trade machen wird. Mit Young, Collins, Bogdanovic und Capela haben die Hawks ab der kommenden Saison vier Großverdiener, wobei Youngs Rookie Extension mit ziemlicher Sicherheit eher 207 Millionen über fünf Jahre denn 172 Millionen Dollar schwer sein wird. Voraussetzung dafür ist, dass der Guard in eines der All-NBA-Teams gewählt wird.
Davon ist auszugehen, dazu stehen ab dem Sommer auch noch Verhandlungen mit Hunter sowie Cam Reddish an, die beide vorzeitig verlängert werden könnten. Mit beiden wird Atlanta nicht verlängern wollen, schließlich wäre so die Luxussteuer kaum zu vermeiden.
Die Alternative ist die Jagd nach einem echten Co-Star für Young - Collins in allen Ehren. Mit Hunter oder Reddish, dem Vertrag von beispielsweise Gallinari (nur 5 der 21,5 Mio. für 22/23 sind garantiert) oder eben Collins sowie eigenen Picks ließe sich ein gutes Paket schnüren. Selbst andere Youngster wie Backup-Center Onyeka Okongwu sollten Interesse wecken.
Atlanta Hawks ein Team für Ben Simmons?
Ein fast schon logischer Kandidat wäre Ben Simmons, der viele defensive Probleme mildern, wenn nicht gar lösen könnte. Aber auch kleinere Alternativen wie Detroits Jerami Grant oder Sacramentos Harrison Barnes könnten dem Team kurz- und mittelfristig helfen.
Ob das dann genug ist, um ernsthaft um einen Titel mitzuspielen, ist die andere Frage. Für den Moment geht es aber darum, eine bisher verkorkste Saison noch irgendwie zu retten. "Meine Aufgabe ist es, ein Team aufs Feld zu stellen, das so viele Spiele wie möglich gewinnen kann", betonte Schlenk. "Im Moment zweifele ich aber daran, ob ich das wirklich geschafft habe."
Auf dem Papier hat er das, nur passen die Teile eben nicht so zusammen wie noch im Vorjahr. Atlanta wird im kommenden Monat zur Deadline ein Player sein, es bleibt die Frage, wie groß die Veränderungen dann wirklich sein werden. Dass welche kommen, steht für den Moment außer Frage.