DeRozan und LaVine: Mismatch-Jäger der Extraklasse
Die Bulls sind natürlich weitaus mehr als DeRozan, der sich in Chicago in einem perfekten Umfeld wiederfindet. Noch nie in seiner Karriere hatte er so gutes Spacing um sich herum. In der modernen NBA geben die Defenses Mitteldistanzwürfe gerne ab, sofern sie Dreier und Korbleger verhindern können. Gegen DeRozan ist das ein Fehler.
Der viermalige All-Star drückt öfter aus der Midrange ab als jeder andere Spieler. Für den nötigen Platz sorgen die Mitspieler, die Bulls stellen das beste Shooting-Team der Liga (38,5 Prozent Dreierquote, allerdings bei den wenigsten Versuchen). Vor allem aus den Ecken (43,3 Prozent) ist Chicago tödlich, dort finden DeRozan, LaVine, Lonzo Ball und Co. immer wieder ihre Kollegen.
Die Formkurve bei Nikola Vucevic zeigt derzeit nach oben, auch Alex Caruso oder Rookie Ayo Dosunmu sind zur Stelle, wenn sie den Ball bekommen. Ball trifft seine Dreier selbst hochprozentig und LaVine sowieso. Gemeinsam mit DeRozan stellt Letzterer ein brandgefährliches Scoring-Duo, im Schatten des Veteranen vergisst man leicht, dass der 26-Jährige ähnliche Zahlen auflegt wie in seiner bärenstarken Vorsaison, sowohl was die Effizienz als auch was die Counting Stats betrifft.
LaVine ist nur einer von sechs Spielern, die in der laufenden Saison eine Usage-Rate von über 30 Prozent und einen True-Shooting-Wert von über 60 Prozent vorweisen können. Die anderen heißen Giannis, Nikola, Stephen, Kevin und LeBron. Ganz nebenbei kommt auch LaVine auf einen Top-10-Wert beim Scoring im vierten Viertel.
"Sie wechseln sich einfach ab", brachte Pacers-Coach Rick Carlisle das Dilemma für gegnerische Verteidigungen vor wenigen Wochen auf den Punkt. DeRozan und LaVine jagen Matchups, bis einer von beiden die Defense bestraft. Die wenigsten Teams haben gleich zwei starke Perimeter-Verteidiger im Kader, die da mithalten können. Denn: "Beide gehören zu den besten Eins-gegen-Eins-Spielern im Basketball."
Chicago Bulls: Was fehlt zum Contender-Status?
Entsprechend verwundert es nicht, dass Coach Billy Donovan, beziehungsweise Interimscoach und Ex-Nationaltrainer Chris Fleming während Donovans Corona-Abwesenheit, kaum Minuten ohne einen der beiden Offensiv-Stars spielen lässt - in der bisherigen Saison sind es sogar nur 41 ohne Garbage Time. Das Resultat spiegelt sich in der laut Cleaning the Glass viertbesten Offense der NBA wieder.
Doch auch in der Defense - die vor der Saison proklamierte Schwachstelle - verbucht Chicago einen Top-10-Wert. DeRozan, LaVine und Vucevic sind in dieser Hinsicht zwar immer noch keine Plusspieler, auch wenn sie immerhin Einsatz zeigen, doch Ball und Caruso schaffen es bislang sehr ordentlich, die Lücken zu füllen. Als die beiden verletzt beziehungsweise im Corona-Protokoll fehlten, litt die Verteidigung erwartungsgemäß.
Top-10-Werte an beiden Enden des Courts sind normalerweise ein Indiz für einen echten Contender. Es gibt jedoch auch Indizien in die entgegengesetzte Richtung. Chicago kreiert sich derzeit sehr viele Vorteile in Transition, in der Postseason wird das Spiel aber traditionell langsamer. Dann werden die gegnerischen Offenses wohl auch gezielter und besser DeRozan und LaVine attackieren können.
In der Defense fehlt es zudem etwas an Länge auf den großen Positionen, der Hoffnungsträger in dieser Hinsicht, Patrick Williams, wird wohl mindestens die komplette Regular Season wegen einer Handgelenks-OP verpassen. Immerhin erstarkte Coby White in den vergangenen Wochen, sodass ein Upgrade für die Bank (Platz 29 ligaweit) womöglich nicht mehr so wichtig wird. Dennoch heißt das in der Summe: Den Bulls fehlen noch ein, zwei Puzzleteile zum echten Titelanwärter, die Bucks und Nets sind auf dem Papier ein Level über Chicago.
Chicago Bulls: Mehr als eine Feel-Good-Story
"Wir haben noch eine Menge Basketball vor uns", warnte auch Fleming nach dem Wochenende vor zu viel Euphorie - schließlich sähe die Stimmungslage wohl ganz anders aus, wenn die beiden DeRozan-Treffer nicht reingegangen wären oder der glanzlose Auftritt gegen Orlando in einer Pleite gemündet hätte. Doch die Euphorie ist im Umfeld längst nicht mehr zu bremsen. Lauter, stolzer und in größerer Anzahl versammeln sich die Fans mittlerweile wieder in den Auswärtsarenen.
Ganz Chicago schmachtet nach der ersten Postseason-Teilnahme seit 2017, auf eine erfolgreiche Playoff-Runde wartet man sogar seit 2015. Die Chancen stehen Stand jetzt ziemlich gut, dass sich das in dieser Saison ändern wird. Und damit dürfte auch eine Vertragsverlängerung von LaVine, der im Sommer zu den begehrtesten Free Agents zählen wird, wahrscheinlicher werden.
In der vergangenen Offseason wurde Bulls-Boss Arturas Karnisovas für den lukrativen Deal für DeRozan (3 Jahre/81,9 Millionen Dollar) kritisiert, langfristig könnte der Vertrag den Bulls tatsächlich auch wehtun, wenn er als 34-jähriger Non-Shooter knapp 30 Millionen Dollar verdient. Doch kurzfristig zahlt sich das Signing aus.
Die Bulls machen wieder Spaß, sie sind eine der Feel-Good-Stories der Saison, nachdem die Anhänger in den vergangenen Jahren wenig zu feiern hatten. Und geht es nach Bradley Beal, sind sie sogar mehr als das.