Der Blockbuster-Trade um James Harden und Ben Simmons wirbelt die Liga kräftig durcheinander. Sowohl die Nets als auch die Sixers gehen auf den ersten Blick als Gewinner aus diesem Deal - doch vor allem für Philly verbirgt sich dahinter eine Gefahr. SPOX beantwortet fünf Fragen zum Trade.
NBA: Was bedeutet der Harden-Trade für die Sixers?
Am Ende hat Daryl Morey also doch seinen Willen bekommen. Der Sixers-Boss pochte von Beginn der Trade-Gerüchte um den ehemaligen Franchise-Hoffnungsträger Ben Simmons im vergangenen Sommer darauf, einen Top-30-Spieler als Gegenwert zurückzubekommen. Er saß dessen Streik zu Beginn des Training Camps genauso aus wie den öffentlichen Druck. Jetzt kann er mit Fug und Recht behaupten: Ich hab's euch doch gesagt.
Die Wiedervereinigung mit James Harden, den Morey 2012 nach Houston holte, wo "The Beard" zum MVP und einem der besten Scorer seiner Generation reifte, ist für die Sixers das Happy End auf eine schier unsägliche Saga. Ein Happy End, das gewisse Risiken mitbringt.
Die Chance auf ein Superstar-Duo für die nahe und wahrscheinlich auch mittelfristige Zukunft hat diese Risiken für Philadelphia aber bei weitem übertrumpft. Moreys Taktik ist seit jeher, so viel Superstar-Talent wie möglich anzuhäufen, der Rest wird sich dann schon irgendwie selbst regeln.
Das hat nicht immer ohne Stolpersteine geklappt und auch der Fit zwischen Harden und Franchise-Eckpfeiler Joel Embiid wurde in den vergangenen Wochen, als die Trade-Gerüchte um Harden, der angeblich unbedingt mit dem Center zusammenspielen wollte, aufkochten, mehrfach hinterfragt. Gerade in der Offense kann diese Antwort aber mitunter furios ausfallen, im positiven Sinne.
Embiid hatte noch nie einen so guten Shot-Creator an seiner Seite, ganz generell noch nie einen so talentierten Scorer und hervorragenden Playmaker in Personalunion. Gleichzeitig wusste auch Harden noch nie einen so starken Center neben sich. Zwar unterscheidet sich Embiids Spielstil grundlegend von dem der meisten Center-Kollegen Hardens, doch das dürfte letztlich kaum ein Problem darstellen.
Harden und Embiid bei den Sixers: Welche Defense soll dieses Duo stoppen?
Der Kameruner ist nicht der traditionelle Rim-Runner, der Blöcke stellt und Alley-Oops durch die Reuse hämmert. Harden kreiert aber am liebsten aus dem Pick'n'Roll oder Isolations, bei Letzteren würde man Embiid nur zu einer Rolle als Floor Spacer degradieren, was dem MVP-Kandidaten natürlich nicht gerecht wird. Stattdessen verspricht das Two-Man-Game der beiden - trotz der unterschiedlichen Stile - für so gut wie jeden Gegner ein wandelndes Mismatch zu werden.
Coach Doc Rivers hat zudem die Option, die Minuten seiner Stars so aufzuteilen, dass immer ein Trikot mit dem Namen Harden oder eins mit dem Namen Embiid auf dem Court zu finden ist. In der bisherigen Saison waren die Sixers um 8,6 Punkte pro 100 Possessions schlechter mit Embiid auf der Bank als mit ihm auf dem Court. Diese eklatante Differenz sollte Hardens Scoring ausgleichen können. Sitzt der Bärtige, dann kann Embiid im Post übernehmen.
Bei Harden bleiben aber gewisse Fragezeichen: Wie geht es dem Oberschenkel, der ihm in den vergangenen Playoffs zu schaffen machte und nun offenbar schon wieder? Kann sich Harden aus seinem Formtief befreien, das ihn die gesamte Saison über in Brooklyn verfolgte? Defensiv ist Harden eher das Gegenteil von einem Upgrade.
Dass Philly neben Simmons, Seth Curry (der eine nicht zu unterschätzende Rolle in Philly gespielt hat, nun aber von Harden ersetzt wird) und Andre Drummond auch zwei Erstrundenpicks abgeben musste, ist mit Blick auf die aktuellen Ziele verschmerzbar. So konnte Morey nämlich die jungen Talente Tyrese Maxey und Matisse Thybulle halten, die auf der Jagd nach einer Championship erstmal wichtiger sind als zukünftige Picks.
Nichts anderes ist in Philadelphia das Ziel. Den Sixers drohte mit dem ungenutzten Simmons-Kaderplatz die Verschwendung einer überragenden und vor allem gesunden Embiid-Saison, der bekommt nun aber in seiner Prime einen ehemaligen MVP an seine Seite, der in einem "Down-Year" 22 Punkte, 10 Rebounds und 8 Assists auflegt. Auch ohne Harden steht Philly bei 32-22 und in Reichweite der Ost-Spitze. Die Sixers sind nun noch gefährlicher geworden.
NBA: Der Blockbuster-Trade um James Harden und Ben Simmons in der Übersicht
Nets erhalten | Sixers erhalten |
Ben Simmons | James Harden |
Seth Curry | Paul Millsap |
Andre Drummond | - |
Erstrundenpick 2022 oder 2023 | - |
Erstrundenpick 2027 (Top-8-geschützt) | - |
NBA: Was bedeutet der Simmons-Trade für die Nets?
Wer in 50 Jahren in den Geschichtsbüchern der NBA blättert, der wird kaum glauben können, was dort über die Brooklyn Nets Anfang der 2020er-Dekade geschrieben steht. Genau 392 Tage liegen zwischen den beiden Harden-Trades, die Brooklyn erst zum - auf dem Papier - dominanten Titelfavoriten und dann zum vielleicht ultimativen "What if..." der Basketball-Historie machten.
Die Nets hatten einen Kevin Durant auf MVP-Niveau, aber eben auch den Impfverweigerer und Teilzeit-Star Kyrie Irving. Sie hatten einen James Harden als dritten Star, aber eben auch immer wieder Verletzungspech. Nun hat die Franchise ganze 364 Minuten und 16 (!) Spiele der Big Three vorzuweisen. In diesen Spielen stand Brooklyn bei 13-3, kaufen können sie sich davon nichts.
Das liegt neben den bereits genannten Gründen wohl auch an gewissen Unstimmigkeiten innerhalb der Kabine. Laut einem Bericht von The Athletic sind Harden und Irving nicht besonders gut miteinander klargekommen, auch wenn Kyrie via Twitter dieser Erzählung bereits widersprach. Wie dem auch sei, es wurde offensichtlich, dass Harden nicht mehr in Brooklyn bleiben wollte. Die Nets realisierten, dass "The Beard" wohl im Sommer weg wäre, und stellten mit dem Blockbuster zur Trade Deadline sicher, dass er nicht ohne Gegenwert verschwindet.
Und nun? "Wir freuen uns einfach auf unsere Zukunft", analysierte Coach Steve Nash den Trade trocken. Freuen dürfen sich die Nets tatsächlich, Brooklyn hat einen sehr guten Deal für den neunmaligen All-Star bekommen. Simmons ist sieben Jahre jünger und für drei weitere Jahre nach dieser Saison gebunden (insgesamt 113,6 Mio. Dollar).
Ben Simmons bei den Nets: Eine neue Dimension für die Defense
Dennoch sparen die Nets ein wenig Geld, zusätzlich gibt es zwei Erstrundenpicks obendrauf, die das Pick-Paket an die Rockets aus dem ersten Harden-Deal etwas erträglicher machen. In Drummond kommt mehr Tiefe auf Center und in Curry vor allem ein dringend benötigtes Upgrade beim Thema Shooting. Curry ist einer der treffsichersten Schützen der Liga (40 Prozent Dreierquote), der den verletzten Joe Harris ersetzt. Brooklyn hatte bislang mit dem Shooting enorme Schwierigkeiten.
Das Prunkstück des Deals aus Nets-Sicht ist aber natürlich Simmons. Dessen Offensiv-Schwächen (hust, der Wurf) oder das eventuelle Abtauchen in wichtigen Momenten sollten an der Seite von KD und Irving nicht so sehr zum Tragen kommen wie in den letztjährigen Playoffs. Stattdessen kann er offensiv in Transition Akzente setzen oder als Playmaker und Screener im Halbfeld.
Das größte Plus bringt der Australier aber in der Defense mit. In der eigenen Hälfte stellt er ein massives Upgrade zum vorherigen Kader dar. Für die Switch-lastige Defense der Nets (Platz 22 ligaweit, 112,8 zugelassene Punkte pro 100 Ballbesitze) ist der Zweitplatzierte im DPOY-Rennen der Vorsaison der perfekte Mann, der den besten gegnerischen Flügel in Schach halten oder auch gegen Big Man seinen Mann stehen kann. In den vergangenen Monaten kam oftmals zu kurz, was für ein talentierter Spieler Simmons eigentlich ist.
Vom reinen Wert des Gesamtpakets her hat Brooklyn diesen Trade mit einem leichten Vorsprung gewonnen. Nun ist nur die Frage, ob sich das auch schon kurzfristig in Form eines Championship-Runs bezahlt macht. Das hängt zu einem großen Anteil von der Frage ab, wann und in welcher Verfassung Simmons auf das Parkett zurückkehrt.
NBA: Wann kehrt Ben Simmons aufs Parkett zurück?
Diese Frage lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht beantworten. Chris Haynes (Yahoo Sports) berichtete, dass Brooklyn dem Guard die Zeit geben will, die er braucht. Aufgrund von mentalen Problemen hat er bislang kein Spiel in dieser Saison absolviert, nachdem er im Anschluss an das Playoff-Aus der Sixers im Vorjahr von Teamkollege Embiid und dem eigenen Coach Rivers öffentlich kritisiert wurde. Das hat offenbar Narben hinterlassen, wodurch er Philly unbedingt verlassen wollte.
Laut Ramona Shelburne (ESPN) wird er weiter mit seinem Therapeuten daran arbeiten, möglichst bald auf den Court zurückkehren zu können. Simmons sei "begeistert" vom Tapetenwechsel. Gespräche mit Durant soll es bereits gegeben haben, Simmons habe aber "noch Arbeit" vor sich, bevor er sein Comeback feiern könne, so sein Agent Rich Paul. Der Trade sei aber schon mal ein "großartiger Schritt in die richtige Richtung".
Derzeit ist komplett unklar, in welcher psychischen und in welcher physischen Verfassung sich Simmons befindet und ab wann er den Nets weiterhelfen kann. Auch bleibt ein gewisses Risiko, ob er auf Dauer dem Playoff-Druck und der Aufmerksamkeit Stand halten kann. Mit KD an seiner Seite könnte Simmons sein zweifelfrei enormes Talent aber womöglich besser entfalten. Die Nets werden genau darauf hoffen.
Immerhin soll Simmons laut Brandon Robinson (Bally Sports) bereits am Wochenende in Miami zum Team dazustoßen. Allzu viel Zeit, um sich als Team zu finden, bleibt Brooklyn aber ohnehin nicht. Durant wird noch mindestens bis zum All-Star Break (18. bis 23. Februar) verletzt fehlen, nach der Pause haben die Nets noch 23 Spiele in der regulären Saison übrig, davon wird Irving allerdings nur in acht der zehn Auswärtspartien zur Verfügung stehen (in Toronto und im MSG darf er nicht), sofern nicht doch noch der Impfnachweis für Indoor-Events in New York City gekippt wird oder sich Irving impfen lässt.
Dem Team bleibt also kaum Zeit, um vor den Playoffs eine Chemie zu entwickeln. Durant zeigte sich davon aber unbeeindruckt. "Ich freue mich auf das Team. [...] Wir haben vielseitige Spieler, wir sollten einen Weg finden, den Fit passend zu machen. Ich bin einfach nur froh, dass wir jetzt Jungs hier haben, die auch ein Teil von dem hier sein wollen." Eine kleine Stichelei gegen Harden, gefolgt von einer großen im All-Star Draft, als er seinen Ex-Teamkollegen einfach mal komplett ignorierte.
NBA: Wer ist jetzt der Favorit in der Eastern Conference?
Geht es nach den Buchmachern, dann lautet die Antwort immer noch Brooklyn. Obwohl die Nets aktuell nur auf einem Play-In-Platz rangieren (29-26, Platz 8 im Osten) und die Wettquoten der Sixers direkt nach dem Trade in die Höhe geschnellt sind, vertrauen die Wetter wohl Durant immer noch am meisten.
Auf die aktuelle Position im Osten sollte ohnehin nicht allzu viel Wert gelegt werden, selbst Brooklyn ist nur 5,5 Spiele von der Spitze entfernt und könnte bei einem Lauf entsprechend schnell klettern. Sollte KD zum Ende der regulären Saison und in den Playoffs komplett fit sein, ist den Nets alles zuzutrauen.
Die Sixers haben ihr Ceiling mit dem Harden-Trade ganz klar erhöht, doch die angesprochenen Fragezeichen wie die Gesundheit beziehungsweise Form des Neuzugangs oder eine gewisse Eingewöhnungsphase verhindern Stand jetzt, dass Philadelphia die Favoritenkrone übernimmt. Denn die gehört aktuell weder den Sixers, noch den Nets, egal was die Buchmacher sagen.
Der amtierende Champion aus Milwaukee hat in dieser Diskussion ein gewaltiges Wörtchen mitzureden und sollte derzeit als der Ost-Favorit genannt werden. Auch die Miami Heat als aktueller Primus in der Conference sollten nicht unterschätzt werden. Diese beiden Teams stehen weitestgehend, während sich Brooklyn und Philly nun neu formiert haben und sich erst noch finden müssen.
Für noch mehr Spannung als ohnehin schon ist durch den Blockbuster aber definitiv gesorgt. Es kommt selten vor, dass sich zwei Divisions-Rivalen mit Championship-Ambitionen während der regulären Saison auf einen solch richtungsweisenden Trade einlassen - und dann auch noch mit potenziell positiven Auswirkungen auf beide Seiten. Der Effekt auf das Titelrennen könnte faszinierend werden.
NBA: Wie sieht James Hardens Zukunft nach dem Trade aus?
Es lodert durchaus das Potenzial, dass das angesprochene Happy End für Morey ein Happy End für alle Beteiligten wird. Für Harden, der endlich aus Brooklyn raus und zu seinem alten Boss kommt. Für Simmons, der endlich aus Philly rauskommt. Für Embiid, der endlich einen Superstar an seine Seite bekommt. Für die Nets, die einen hervorragenden Verteidiger bekommen. Und für die gesamte NBA, dass die Simmons-Saga endlich vorbei ist.
Dieses Happy End birgt für Philadelphia allerdings Gefahren und davon gleich 270,4 Millionen. Das ist das Gehalt, das die Sixers ihrem neuen Co-Star wohl in den kommenden fünf Jahren zahlen müssen. Harden wird einem Bericht zufolge wohl seine Spieleroption für 2022/23 ziehen (47,4 Mio. Dollar) anschließend ist er berechtigt, eine Verlängerung über weitere vier Jahre und 223 Mio. Dollar zu unterschreiben.
Spielen wir dieses Szenario mal bis zum Ende durch, dann könnte Harden in seinem letzten Vertragsjahr im Alter von 37 Jahren knapp 60 Millionen Dollar verdienen. Das ist eine Menge Holz. Erst recht für jemanden, der aktuell die schwächsten Effizienzwerte seit seiner Rookie-Saison auflegt (57,6 Prozent True Shooting) und immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen hat.
In seiner 13-jährigen Karriere in der NBA hat er bislang 36.667 Minuten - sowohl Regular Season als auch Playoffs - abgerissen, die zehntmeisten unter allen Aktiven. Zu Rockets-Zeiten trug er dabei meist eine enorme Last. Selbst in seiner Prime hat Harden in der Postseason nie komplett überzeugen können, weil er oftmals ausgelaugt war. Wie wird das in den kommenden Jahren werden, wenn er sich immer weiter von seinem Zenit entfernt?
Sein Shooting und sein Passing sollten Harden garantierten, dass er auf Jahre hinaus eine Gefahr in der Offense bleibt - allerdings hat er bereits in dieser Saison etwas abgebaut. Inwiefern das an den Umständen in Brooklyn und seiner Motivation lag, wird sich zeigen. Defensiv ist er aber schon jetzt mehr Last als Hilfe, das wird in Zukunft nicht besser werden.
Deshalb sah sich ESPNs Cap-Experte Bobby Marks am Donnerstag zu einer drastischen Einschätzung bezüglich Hardens potenzieller Vertragsverlängerung gezwungen: "In drei Jahren werden wir über Hardens Vertrag genauso sprechen wie wir es heute über den von Russell Westbrook oder John Wall tun. Der Vertrag wird der schlechteste Vertrag in der NBA-Geschichte!"
Die Sixers werden aber keine andere Wahl haben, als sich diesen Stein ans Bein zu binden. Ansonsten hätte Philly einen zu großen Preis bezahlt, wenn Harden 2023 wieder geht. Morey und die Sixers setzen alles darauf, dass dieses Risiko in naher Zukunft mit einer Championship belohnt wird.