NBA-Kolumne Above the Break: Wilt mit Kobes Fußarbeit - Die bemerkenswerte Saison von Joel Embiid

Ole Frerks
01. Februar 202210:06
Joel Embiid spielt derzeit Basketball vom anderen Stern.getty
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Joel Embiid befindet sich in der besten Phase seiner Karriere und hat es geschafft, den Zirkus rund um sein Team vollkommen nebensächlich erscheinen zu lassen. Über den endgültigen "Durchbruch" eines Big Mans, der eigentlich keiner sein will.

Eigentlich macht Garrison Mathews alles richtig, als er sich im Spiel der Rockets gegen Philadelphia als letzte Verteidigungslinie gegen den Fastbreak positioniert. "Garry Bird" sortiert sich, steht stabil, ist bereit, ein Offensivfoul des heranrauschenden Joel Embiid auf Höhe der Freiwurflinie anzunehmen. Gegen normale 7-Footer genau die richtige Strategie.

Nur ist Embiid nicht normal - in vielerlei Hinsicht. Der Kameruner gehört zu den größten, stärksten und auch schwersten NBA-Spielern (offiziell 2,13 m und 127 Kilo), aber komischerweise auch zu denen mit der besten Fußarbeit. Embiid fängt den Ball in der Bewegung, ein schnelles Dribbling, und schlängelt sich via Euro-Step um Mathews, als gäbe es für jemanden mit seinen Maßen keine leichtere Übung.

Es ist nur ein Play, nur ein Spiel gegen einen überforderten Gegner, nur eins der Spiele, in denen Embiid nicht zu stoppen ist (31 Punkte in 29 Minuten). All das häuft sich jedoch in letzter Zeit, und diese Aktion verdeutlicht recht gut, was Embiid während der besten Phase seiner bisherigen Karriere so auszeichnet.

Joel Embiid verfügt über einen der besten Eurosteps der NBA.nba.com/stats

NBA: Die Renaissance der Big Men

Gewissermaßen erlebt die NBA nun schon seit einigen Jahren eine Renaissance der Big Men, nachdem diese vom Aussterben bedroht schienen. Das war zwar stets ein wenig übertrieben, so langsam schwingt das Pendel jedoch gefühlt wieder zunehmend weg von Alleskönnern auf dem Flügel zu den größeren Spielern.

Der Grund dafür leuchtet ein: Einige Bigs sind ebenfalls zu Alleskönnern geworden. Die letzten drei MVP-Awards wurden von zwei 7-Footern gewonnen (Giannis Antetokounmpo und Nikola Jokic), die in ihrem Team zumeist den primären Playmaker geben. Kevin Durant ist ein Big Man, wenn er will, und gibt in Brooklyn zusätzlich zum bekannten Komplettpaket in der Offensive zunehmend den Defensivanker.

Und dann ist da noch Embiid, der schon vor seinem Rookie-Jahr als Erbe von Hakeem Olajuwon bezeichnet wurde. Tatsächlich gibt es Parallelen zwischen ihm und dem Dream, Embiid selbst eifert jedoch in erster Linie anderen Vorbildern nach und macht auch keinen Hehl daraus. Er will Kobe Bryant sein, Michael Jordan, eben ein Superstar auf dem Flügel, kombiniert mit ein bisschen Hakeem, ein bisschen Dirk Nowitzki. Irgendwie funktioniert das.

Joel Embiid hat jedes Werkzeug

Embiid kam bereits mit einer für einen Center bemerkenswerten Fußarbeit und Körperkontrolle in die Liga, beides ist über die Jahre noch deutlich raffinierter geworden. Was jedoch mit am meisten hervorsticht, wenn man den aktuellen Embiid mit früheren Versionen vergleicht, ist sein Ballhandling.

Embiid packt regelmäßig solche Crossover aus, bei denen sich viele herkömmliche Bigs beide Beine brechen würden.

Nicht allzu viele Bigs könnten dieses Dribbling unfallfrei auspacken.nba.com/stats

Das Handling hilft ihm dabei, sich Platz für Stepback-Jumper zu verschaffen oder zum Korb durchzukommen. Sein Wurf wurde von Verteidigern schon immer respektiert (mittlerweile ist das auch gerechtfertigt), was Embiid mit einem der besten Shotfakes der Liga clever einsetzt, entweder für Freiwürfe oder abermals, um seine Verteidiger einfach stehen zu lassen.

Joel Embiid: "Shaq mit Fußarbeit"?

Danny Green nannte Embiid vor kurzem "Shaq mit Fußarbeit" - was ziemlich unsinnig war, schließlich hätte O'Neal die Liga nie so dominieren können, wenn seine Fußarbeit nicht ebenfalls exzellent (!!!) gewesen wäre. Der weitaus größere Unterschied sind die verschiedenen Abschlüsse, die größere Range, die Embiid im Spiel hat.

In der Mitteldistanz beherrscht er mittlerweile fast jeden Wurf. Er trifft zwar in dieser Spielzeit nicht ganz so lächerlich gut wie in der vergangenen (43 statt 47 Prozent), aber immer noch sehr gut bei seinem Volumen - und Schwierigkeitsgrad.

Es gibt regelmäßig Aktionen, in denen man Kobe erkennt ...

Dieser Wurf kommt nicht nur Lakers-Fans bekannt vor.nba.com/stats

... oder Dirk ...

Nicht exakt, aber doch ähnlich wie ein gewisser Dirk N.nba.com/stats

... oder dann eben doch den großen Jungen, der er ist. Embiid kann natürlich auch mit purer Power am Korb abschließen, besser als jeder andere NBA-Spieler. Er postet wesentlich häufiger auf (8,6 Male pro Spiel) und trifft dabei effizienter (1,11 Punkte pro Play) als die Konkurrenz, selbst Jokic kommt hier nicht an Embiid heran.

Selbst Anthony Davis ist körperlich unterlegen.nba.com/stats

Das hier ist immerhin Anthony Davis, einer der besten Verteidiger der Liga, der Embiid körperlich schlichtweg nicht standhalten kann. Gegen schwächere Bigs sieht es häufig sogar noch schlimmer aus.

Mehr als in der Vergangenheit gewinnt man als Zuschauer den Eindruck, dass Embiid um seine Stärken weiß und dass er besser einschätzen kann, wann er welche einsetzen muss. Er liest das Spiel besser, auch Double-Teams, was ihm zur besten Passing-Saison seiner Karriere verhilft, auch wenn er von Jokic noch weit entfernt ist.

Beim Scoring ist es dafür schwerer zu sagen und wohl auch Präferenz-abhängig. Sowohl Jokic als auch Embiid sind legitime Three-Level-Scorer, die von überall auf dem Court Gefahr ausstrahlen können. Jokic ist aus dem Feld wesentlich effizienter, Embiid zieht dafür fast doppelt so viele Freiwürfe wie der Serbe.

Es ist eigentlich auch unerheblich, wer besser ist: Gemeinsam mit Giannis sind die beiden Center derzeit die dominanten Figuren der Liga. Und was Embiid über die vergangenen Wochen veranstaltet, weckt auf seine Weise dann doch auch wieder Erinnerungen nicht nur an Kobe, sondern auch an den großen Dominator der NBA-Geschichte.

Joel Embiid: Ein bisschen wie Wilt Chamberlain

Über den Januar erzielt Embiid pro Minute, die er auf dem Court steht, mehr als 1 Punkt. Über einen Vier-Spiele-Stretch waren es 170 Punkte in 128 Minuten, das entspricht einem Schnitt von 1,32 Punkten pro Minute. Der einzige Spieler, der das über mindestens 50 Minuten überhaupt mal übertroffen hat, ist Wilt Chamberlain.

Klingt obskur, ist es natürlich auch, aber wer in Sachen Scoring überhaupt mal mit Wilt verglichen werden kann, macht irgendetwas richtig. Und man kann das Ganze weiterspinnen.

Wilts 61/62er Saison, in der er 48,5 Minuten pro Partie spielte und 50,4 Punkte auflegte, ist das größte statistische Monstrum der NBA-Geschichte. Wie sieht der Vergleich mit Embiids Januar aus, wenn man die Spielzeit auf 36 Minuten normiert (Embiid spielte schließlich nur knapp 32 Minuten)?

Nun:

Embiid vs. Chamberlain: Die Stats pro 36 Minuten

SaisonMinutenPunkteFG%Freiwürfe
Wilt in 61/6248,550,450,617
Embiid, Januar 202232,13454,212,4
Wilt in 61/62pro 3637,450,612,6
Embiid, Januar 2022pro 3638,154,213,8

Machen wir es kurz: Embiid ist nicht Wilt, das Spiel, die Umstände sind andere, aber er gibt den Zuschauern derzeit eine vage Vorstellung davon, wie dominant Goliath zu seiner besten Zeit auftrat. Nur eben als vollkommen anderer Spieler.

Joel Embiid bleibt ruhig im Auge des Sturms

Embiids vielleicht größte Leistung dabei ist, dass er es mit seinen Leistungen geschafft hat, vom ganzen Chaos um ihn herum abzulenken. Seine Zeit in Philadelphia könnte ihn locker als tragische Figur erscheinen lassen: Drei Spieler wurden von den Sixers nach ihm innerhalb der Top 3 gedraftet, keiner davon spielt derzeit für Philly.

Jahlil Okafor hat seit dem Draft 2015 für vier verschiedene Teams gespielt und hat derzeit keinen Job in der NBA, zu Ben Simmons kommen wir gleich. Es gibt eine Welt, in der Philly 2018 statt Markelle Fultz Jayson Tatum zieht, aber auch das ist bekanntlich nicht passiert und Fultz spielt heutzutage für Orlando, wenn er fit ist. Den Nr.10-Pick 2018 namens Mikal Bridges, den Philly nicht behalten wollte, muss man nicht dazurechnen, kann man aber durchaus.

Den besten Mitspieler, den Embiid je hatte (Jimmy Butler), verlor er nach einer halben Saison an Miami, nicht zuletzt deshalb, weil dieser mit einem Coach und einem Front Office (und einem Spieler) nicht so gut zurechtkam, die bzw. das allesamt nicht mehr da sind.

Die aktuelle Spielzeit könnte mit dem Theater um Simmons, der weiter auf seinen Trade wartet und das aller Voraussicht nach auch noch bis in den Sommer hinein tun wird, aus Sicht der Sixers im Chaos versinken - so lückenhaft, so mittelmäßig ist ihr Kader eigentlich in der aktuellen Version. Eigentlich.

Philadelphia 76ers: Mit Embiid ein 60-Siege-Team

Wenn Embiid zur Verfügung steht, spielt die Langsamkeit des Kaders, die fehlende Athletik und Länge im Backcourt zwar eine Rolle, aber keine allzu große. Mit Embiid steht Philly bei 27 Siegen und elf Niederlagen und hat das Point Differential eines 60-Siege-Teams.

Embiid hält das Team offensiv wie defensiv zusammen und ist über die Jahre auch zu einem der besten Clutch-Spieler der Liga gereift. Niemand erzielt aktuell mehr Clutch-Punkte pro Spiel (5,6) als er, mit ihm haben die Sixers in solchen Spielen eine exzellente Bilanz (13-7).

Ein Titelkandidat ist Philly in der jetzigen Version nicht, auch wenn die Sixers aktuell brandheiß sind (15 Siege aus den letzten 18 Spielen), und trotzdem ist die Panik, dass die Sixers ein Verbrechen begehen, wenn sie nicht jetzt sofort per Simmons-Trade irgendeine Unterstützung für ihn holen, etwas übertrieben. Es ist zwar etwas frustrierend, aber dennoch verständlich, dass Philly das Maximum aus seinem letzten großen Asset herausholen will, selbst wenn das am Ende vielleicht nicht gelingt.

Verschenkt ist diese Saison so oder so nicht. Vielmehr könnte es rückblickend das Jahr sein, in dem einer der begabtesten Bigs der Geschichte endgültig alle Teile zusammengefügt hat. Embiid kontrolliert eben das, was er kontrollieren kann. Und das ist einiges.