Die Utah Jazz befinden sich mitten in einer richtungsweisenden Saison. "Make or break" lautet das Motto, das wie ein Damoklesschwert über dem Team baumelt. An guten Tagen sehen sie wie ein Championship-Team aus, an anderen sind ihre Probleme allgegenwärtig. Sollten sie diese nicht schleunigst in den Griff bekommen, droht der große Knall.
Die Utah Jazz sind die vielleicht größte Wildcard der NBA. Sie sind seit Jahren eines der besten Regular-Season-Teams der Liga, bekommen dafür aber bei weitem nicht die Anerkennung, die sie verdienen. Das veranschaulichte der All-Star Draft im vergangenen Jahr eindrucksvoll, als die Jazz die beste Bilanz der Liga aufwiesen und mit Donovan Mitchell und Rudy Gobert gleich zwei All-Stars stellten. Dennoch machten weder LeBron James noch Kevin Durant Anstalten, die beiden in ihre jeweiligen Teams zu wählen.
Die übrigen Stars gingen einer nach dem anderen vom Board, bis LeBron verkündete, dass er Größe in seinem Team vermisse, nur um anschließend den 2,11-Meter-Mann Domantas Sabonis auszuwählen. Wenn Gobert (2,16 Meter) sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht veräppelt vorkam, dann spätestens, als er einer der zwei letzten verbliebenen Spieler war - gemeinsam mit Mitchell.
LeBrons Erklärung? "Als ich klein war und wir Videospiele gespielt haben, haben wir nie mit Utah gespielt. So großartig Karl Malone und John Stockton waren, wir haben nie in Videospielen mit ihnen gespielt. Niemals."
Als Team in einem kleinen Markt haben die Jazz einen grundlegenden Nachteil. Wie man am Beispiel der Bucks gesehen hat, kann man dies durch sportliche Extraklasse kompensieren, doch das ist leichter gesagt als getan. Seit der kleinen Stichelei von LeBron ist nun mehr als ein Jahr vergangen und die Jazz haben nicht viel dafür getan, sich zum Videospiel-Liebling zu mausern.
In den Playoffs 2021 sind sie in den Semifinals gegen die Clippers nach einer 2-0-Führung auseinandergebrochen und haben die Serie noch mit 2-4 abgeschenkt, obwohl den Clippers am Ende ihr bester Spieler fehlte. Diese Inkonstanz hat man sich auch in der aktuellen Saison am Salzsee beibehalten.
gettyUtah Jazz: Die Makel der Regular-Season-Maschine
Mit einer Bilanz von 26-9 schloss Utah das Jahr 2021 auf Rang drei in der Western Conference ab. Viele schrieben dem Team eine realistische Chance auf den Gewinn der Championship zu, ehe das neue Jahr neue Probleme mit sich brachte. Mitchell fehlte verletzungsbedingt acht Spiele lang, Gobert sogar neun. Die Folge: Ein katastrophaler Januar mit einer Bilanz von 4-12, der die Schwächen des Teams offenbarte.
Die Stärke der Jazz ist im Normalfall ihr Passspiel und die Fähigkeit, von draußen brutal heiß zu laufen. Sie nehmen die zweitmeisten Dreier der Liga (40,4) und können ihre Gegner an einem guten Tag innerhalb von Minuten abschießen. Zudem sind sie in Transition brandgefährlich und schaffen es mit ihrem guten Shooting immer wieder, ihre Gegner an den Perimeter zu locken und so Platz für Lobs auf Gobert zu kreieren, der nicht umsonst die beste Feldwurfquote der Liga aufweist (71,3).
Mit dem Franzosen haben sie zudem den vielleicht besten Verteidiger der Liga in ihren Reihen, der Spiele in der eigenen Zone im Alleingang entscheiden kann. Fällt Gobert jedoch aus, bricht die ansonsten wackelige Defensive der Jazz komplett zusammen. Ohne Gobert ist die Verteidigung um 6,7 Punkte pro 100 Possessions schlechter, so waren die Jazz im Januar eine wahre Schießbude und stellten die fünftschlechteste Defense der Liga (115,8).
Daran ändert auch Mitchell nichts, der als ordentlicher Verteidiger in die Liga kam, aufgrund der hohen offensiven Last aber abgebaut hat. So verwundert es nicht, dass die Jazz-Defensive ohne ihn deutlich besser dasteht (+4,2). Das gilt aber nicht nur für den Superstar des Teams. Der Jazz-Kader ist auf offensive Duelle ausgelegt, neben Gobert sind nur Royce O'Neale und Danuel House ordentliche Verteidiger, was sich vor allem gegen Lineups mit guten Flügelspielern zeigt (dazu später mehr).
Zunächst lohnt sich ein genauerer Blick auf die Niederlagen in dieser Saison. In zehn der bis dato 24 verlorenen Partien führten die Jazz mit mindestens 10 Punkten, acht davon kamen sogar gegen Teams mit einer negativen Bilanz. Das dürfte jedes Mal eine Art Deja-vu für das Team sein, nachdem sie in Spiel 6 gegen die Clippers eine 25-Punkte-Führung herschenkten. Das spricht nicht für eine gute Teammoral, die ohnehin schon seit längerem immer wieder im Fokus steht.
Utah Jazz: Die nie enden wollenden Spannungen
Jedem in der Organisation ist bewusst, dass diese Saison ausschlaggebend für die weitere Zukunft der Franchise ist. Dieser Druck färbt sich auch auf die Stars ab. Vor allem Goberts und Mitchells Verhältnis bereitet seit längerem Grund zur Sorge.
Die beiden All-Stars harmonierten noch nie besonders und machen daraus auch keinen Hehl. Gobert sieht sich als unterschätzter Anführer des Teams und ist kein Fan davon, dass Defensive und Passspiel nicht die größten Stärken Mitchells sind. Dieser wiederum ist der offensive Leader des Teams und hat das Zeug, einer der besten Spieler der Liga zu werden. Es half nicht, dass Gobert als erstem positiven Corona-Fall der Liga vor zwei Jahren von seinen Teamkollegen vorgeworfen wurde, unvorsichtig mit der Situation umgegangen zu sein.
Zwischenzeitlich galt das Verhältnis zwischen den beiden sogar als "beyond repair", irgendwie haben sie sich dann aber doch wieder zusammengerauft. Wie man aus Jazz-Kreisen hört, ist dieser Frieden aber trügerisch. "Es gibt Spannungen in der Kabine und ich habe gehört, dass diese schlimmer sind, als wir alle denken", sagte Howard Beck (Sports Illustrated) zuletzt im "The Crossover NBA Show"- Podcast.
Brian Windhorst (ESPN) sprach ebenfalls von "passiv-aggressivem Verhalten" zwischen den beiden Stars. "Die Jazz haben große Probleme. Es sind hohe Erwartungen an sie gerichtet, die sie nicht erfüllen können und sie merken, dass sie nicht das Niveau vom Vorjahr haben. Obwohl sie beide langfristig unter Vertrag stehen, gehen Mitchell und Gobert sich gegenseitig auf die Nerven." Mitchell erklärte zwar, dass an diesen Berichten nichts dran sei, von Zeit zu Zeit drängen die Spannungen jedoch nach wie vor nach draußen.
NBA: Die Tabelle der Western Conference
Platzierung | Team | Bilanz |
1. | Phoenix Suns | 54-14 |
2. | Memphis Grizzlies | 47-22 |
3. | Golden State Warriors | 46-22 |
4. | Utah Jazz | 42-25 |
5. | Dallas Mavericks | 42-26 |
6. | Denver Nuggets | 40-28 |
7. | Minnesota Timberwolves | 39-30 |
8. | L.A. Clippers | 36-34 |
9. | Los Angeles Lakers | 29-38 |
10. | New Orleans Pelicans | 28-40 |
Utah Jazz: Die Probleme des Rudy G. (und des Kaders)
Gobert ist unbestritten der defensive Anker des Teams und der wohl beste Regular-Season-Verteidiger der vergangenen Jahre. In den Playoffs kann er diese Dominanz jedoch nicht immer bestätigen - was wiederum auch an der Konstruktion des Kaders liegt. Die Jazz begleitet nun schon seit mehreren Jahren das Problem, dass sie auf konsequenten Small-Ball keine gute Antwort haben.
Das zeigte sich etwa gegen die Clippers, die Gobert durch ihr Five-Out vom Korb wegzogen. Er war dadurch so weit vom Korb entfernt, dass er die (etlichen) Löcher nicht wie sonst stopfen konnte, die von den anderen Flügelverteidigern und ihrer miesen Defense hervorgerufen wurden. Er konnte nicht überall gleichzeitig sein, was zum Mythos des "schlechten Playoff-Verteidigers Gobert" führte, dabei wurde er in der Realität von seinem Team in eine Position gebracht, in der er nicht gewinnen konnte.
Gobert ist dieser Umstand durchaus bewusst. Während seiner Abwesenheit in dieser Saison schwärmte er ungefragt von Suns-Star Devin Booker und dessen defensivem Einsatz - wohl eine Stichelei in Richtung Mitchell. Gleichzeitig kann Gobert gegnerische Teams auf der Gegenseite auch nicht für ihren Small-Ball "bestrafen" und das Problem damit lösen, indem er offensiv dominiert.
Das ist schlichtweg nicht sein Skillset. Gobert ist stark als Blocksteller und Rim-Runner und leistet so seinen Beitrag zur besten Offensive der Liga, gegen kleine Lineups, die sowieso alles switchen, hat das aber nur einen recht geringen Wert. Die Moves, um Mismatches im Post zu bestrafen, hat der "Stifle Tower" nicht. Und das ist ein Problem - denn mit Ausnahme der Denver Nuggets dürfte jeder potenzielle Playoff-Gegner im Westen gegen Utah viele kleine Lineups einsetzen.
Utah Jazz: "Etwas hat sich verändert"
Die Jazz verfügen über große Qualitäten, eine der wichtigsten in den Playoffs, die Lineup- und systemische Flexibilität, geht ihnen jedoch ab. In der Offseason kamen Eric Paschall und Rudy Gay als potenzielle Small-Ball-Optionen für die Fünf, sie sind jedoch nicht eingeschlagen. Jazz-Lineups ohne Gobert oder seinen Backup Hassan Whiteside erlauben gegnerischen Teams 118 Punkte pro 100 Ballbesitze.
Das liegt an Paschall und Gay, aber eben auch wieder am restlichen Kader: Wenn die anderen vier Verteidiger ihren Job mehr schlecht als recht erledigen, braucht es schon ein absolutes Monster, um daraus eine gute Defensive zu machen. Gobert ist dieses Monster in der Regular Season - in den Playoffs wäre mehr Hilfe nett. Es ist auch insofern verwunderlich, dass die Jazz zur Trade Deadline davon absahen, mehr defensive Hilfe für den Flügel zu besorgen, schließlich ist der Mangel offensichtlich.
Dennoch gibt es Hoffnung am Salzsee. Vielleicht kam der Negativlauf im Januar für das Team zur richtigen Zeit. Seither stehen sie bei einer Bilanz von 11-3 und setzten sich unter anderem gegen die Mavs und Suns durch. "Unsere Energie hat sich verändert", stellte auch Gobert fest. "Es fühlt sich so an, als hätte sich etwas verändert. Ich habe das Gefühl, dass wir als Team etwas erreichen wollen."
Berichten zufolge sind die Jazz ihre Probleme in der Kabine proaktiv angegangen, um sich endlich von dem Kleinkrieg zwischen ihren beiden Stars zu verabschieden. Ob das wirklich von Erfolg gekrönt war, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, die Taten auf dem Feld sprechen aber für sich. Gegen die Mavs und Suns erkämpften sie sich ihre Siege hart mit Einsatz und Willen und hofften weniger darauf, dass ihnen der Erfolg irgendwie schon zufallen würde, wie man sonst oft das Gefühl hatte.
Utah Jazz: Bereit für die Championship?
"So baut man eine Siegermentalität auf", freute sich auch Mitchell. "Und ich kann nicht behaupten, dass wir diese schon das ganze Jahr lang hatten. Wir nehmen uns gegenseitig in die Verantwortung und kommunizieren besser, was es uns erlaubt, den nächsten Schritt zu machen."
Der nächste Schritt wäre logischerweise die Championship oder mindestens ein tiefer Playoff-Lauf, alles andere wäre eine Enttäuschung und hätte mit Sicherheit weitreichende Folgen. Wenn alle tatsächlich fit sind, sind die Jazz nur schwer zu schlagen. Sie haben die beste Offensive der Liga (fast 118 Punkte pro 100 Possessions) und stehen bei einer Bilanz von 29-11 mit Mitchell, Gobert und Mike Conley auf dem Feld.
Ob das in der Postseason reicht, darf man mit Blick auf die Vergangenheit aber bezweifeln. Das Problem mit der Defensive wird in den Playoff-Serien größer werden und auch der dringend benötigte Perimeter-Verteidiger wird nicht einfach vom Himmel fallen. Es wird viel davon abhängen, ob die Jazz ihre Offensive auf einem elitären Niveau halten können und es endlich auch mal schaffen, Mismatches zu ihren Gunsten auszuspielen. Wenn nicht, könnte es bald den großen Knall geben.
Utah Jazz: "Trader Danny" in Lauerstellung
Sollte die Saison in die Hose gehen, wird das Duo Mitchell-Gobert aufgebrochen, da sind sich die Experten nahezu einig. Dafür spricht auch, dass Ex-Celtics-GM Danny Ainge seit Anfang des Jahres im Front Office das Sagen hat. Vor großen Trades ist dieser noch nie zurückgeschreckt, sein Spitzname "Trader Danny" kommt schließlich nicht von ungefähr.
Auch wenn die "Mitchell wants out"-Gerüchte in diesem Fall groß sein werden, wird Ainge alles daran setzen, um um Mitchell, der noch bis 2026 unter Vertrag steht und gerade einmal 25 ist, neu aufzubauen. Dafür sind dessen Anlagen schlichtweg zu gut. Da müsste ein Team schon mit einem unfassbaren Angebot um die Ecke kommen, um die Verantwortlichen von einem Trade zu überzeugen.
Gobert wäre damit der logische Kandidat für den nächsten Trade, nachdem Franchise-Fackelträger Joe Ingles schon während der Saison gehen musste. Der 205-Mio.-Dollar-Vertrag des Centers läuft allerdings ebenfalls bis 2026 und ist so üppig, dass es knifflig werden dürfte, einen Trade zu finden, der alle Seiten zufriedenstellt.
Die Situation der Jazz ist kompliziert - ungewöhnlich kompliziert für ein eigentlich so erfolgreiches Team. Fast alle Probleme würde sich auflösen, wenn Utah tatsächlich erstmals seit 2007 über die Conference Semifinals hinauskommt. Aber sonst?