Ausgerechnet die Dallas Mavericks leiden mit am meisten unter dem absurden Arbeitsstreik in der NBA. Der Kader ist zur Hälfte ein Torso und der Weggang von Schlüsselspieler Tyson Chandler scheint so gut wie sicher. Die Entwicklung der letzten Wochen und die drei Problemfelder.
Sie sind verdammt zur Sprachlosigkeit. Jason Terry steht auf der einen Seite des Fußball-Platzes, Rick Carlisle auf der anderen Seite - und die einzige Möglichkeit zur Interaktion sind Gesten.
Terrys und Carlisles Töchter gehen auf die gleiche Schule in Dallas und spielen zusammen in der Mädchen-Soccer-Mannschaft, doch wenn am Wochenende ein Spiel ansteht, müssen sich der Sixth Man der Dallas Mavericks und sein Coach so weit entfernt wie möglich von einander aufhalten.
Wegen den extrem strengen Verhaltensregeln während des NBA-Lockouts dürfen sich Spieler und Klub-Offizielle nicht einmal zu einem privaten Plausch treffen.
"Ich finde es schön, ihn nur zu sehen. Dann würde ich ihn einfach kurz begrüßen und umarmen, aber das ist ja verboten", sagt Terry. "Wenn überhaupt, geben wir uns Handzeichen. Dann schüttele ich wegen der absurden Situation den Kopf, dann schüttelt er den Kopf. Das ist einfach nur verrückt."
Die NBA ist unerbittlich und es drohen harte Sanktionen, wenn es doch zu einer direkten Kommunikation beider Lager kommt - was allen Teams die Planungen für die kommende Saison extrem erschwert, ob und wann immer sie denn beginnt.
Der Arbeitsstreik kommt jedoch ausgerechnet dem amtierenden Meister besonders ungelegen, weil fast die Hälfte des Mavs-Kaders vertragslos wurde und wegweisende Gespräche geführt werden müssten.
Die Realität ist folgende: Kontakt findet dem Vernehmen nach nicht einmal inoffiziell statt, dennoch beziehen die Protagonisten Stellung. Die Free Agents signalisieren selbst oder über ihre Berater in Interviews Verhandlungsbereitschaft und Interesse an einer Verlängerung.
Dem Front Office hingegen bleibt diese Möglichkeit jener indirekten Verhandlung verwehrt, weil Offizielle nicht einmal den Namen eines Spielers öffentlich in den Mund nehmen dürfen. Entsprechend schwierig gestalten sich die Planungen.
Die Entwicklung bei den Mavs in den letzten Wochen im Überblick:
Problemfeld Center: Chandler-Verbleib gefährdet wie nie
Problemfeld Small Forward/Shooting Guard: Troublemaker im Anflug?
Problemfeld Point-Guard-Backup: Zweifel an Roddy B.
Problemfeld Center: Chandler-Verbleib gefährdet wie nie
Die wichtigste, aber auch die am schwierigsten zu lösende Personalie: Der seit dem Sommer vertragslose Tyson Chandler verdiente vergangene Saison zwar 12,6 Millionen Dollar, angesichts seiner Wertigkeit hätte ihm jedoch mehr zugestanden. Sein Wirken war allgegenwärtig, ohne ihn wäre Dallas niemals so selbstbewusst aufgetreten und hätte eine solch starke Defense gespielt.
Aber: Egal wie das neue Collective Bargaining Agreement genau aussieht, die Mavs werden wohl nicht in der Lage sein, die von Chandler angedachte Gehaltserhöhung zu stemmen. Dallas' Payroll für 2011/12 beläuft sich bereits mit den zehn unter Vertrag stehenden Spielern auf 63,2 Millionen Dollar und übersteigt den Salary Cap des Vorjahres (58 Mio.). In der kommenden Saison wird dieser höchstwahrscheinlich weiter gesenkt werden.
Es deutet alles darauf hin, dass die Texaner ihren Championship-Heiland verlieren werden. So erklärte Chandler zuletzt, dass ursprünglich angedacht war, dass der Klub und sein Berater noch im Juni, vor dem Lockout, verhandeln. "Aber es gab nicht einmal ein Treffen. Nichts ist passiert, weil unsere Vorstellungen zu sehr auseinandergingen."
Das realistischste Szenario: Dallas lässt Chandler ziehen und vertraut zwangsläufig seinem Vertreter Brenden Haywood. Er ist zwar überbezahlt (45 Millionen Dollar für die nächsten 5 Jahre) und ihm gehen Chandlers Passion, die Konstanz sowie die Leichtfüßigkeit ab, dennoch gehört er zu den besseren Centern der NBA.
Ian Mahinmi könnte in der Rotation als neuer Center-Backup nachrücken und gemeinsam mit Brian Cardinal zusätzlich Dirk Nowitzki als Power Forward entlasten. Cardinal ist wie Chandler Free Agent, doch der Custodian machte bereits deutlich, dass ihm ein Verbleib in Dallas wichtiger ist als eine Erhöhung seines letztesjährigen Salärs von 1,4 Millionen Dollar.
Problemfeld Center: Chandler-Verbleib gefährdet wie nie
Problemfeld Small Forward/Shooting Guard: Troublemaker im Anflug?
Problemfeld Point-Guard-Backup: Zweifel an Roddy B.
Problemfeld Small Forward/Shooting Guard: Troublemaker im Anflug?
Neben Chandler eine zweite Grundsatzentscheidung, die es zu fällen gilt: Wie soll die zukünftige Small-Forward/Shooting-Guard-Rotation aussehen? Shawn Marion und Terry als Sixth Man sind feste Größen, ansonsten aber dominieren die Fragezeichen: Wer wird neuer Starting-Shooting-Guard? Wer wird Marions Small-Forward-Backup? Welche Rolle kommt Caron Butler zu?
Dass die Mavs ohne Butler, der angedachten zweiten Option hinter Nowitzki, Meister wurden, gleicht noch immer einem Wunder - was gleichzeitig aber auch Zweifel an der Signifikanz des 31-Jährigen weckt. Ist Butler abkömmlich? Oder würde Dallas mit ihm sogar noch besser werden?
Eine Lehre der Vergangenheit: Butler fühlt sich trotz vorhandener Anlagen nicht wohl als Shooting Guard, daher bleibt nur seine angestammte Small-Forward-Position. Auf dieser jedoch erwies sich Marion als Starter wertvoller, zumal dieser sich bereits entschieden dagegen aussprach, von der Bank zu kommen. Heißt: Butler müsste sich im Falle einer Verlängerung mit dem Posten des Small-Forward-Reservisten anfreunden - und das zu deutlich geringeren Bezügen (Vorsaison: 10,6 Millionen Dollar).
Ob Butler - im Wissen darüber, dass sein Marktwert wegen der langen Pause gesunken ist - zu beiden Kompromissen bereit ist, mag keiner zu beantworten. Ende Juli erklärte sein Berater Raymond Brothers, dass ihm Mavs-GM Donnie Nelson vor dem Lockout eine SMS geschrieben hätte, wonach er Butler einen langfristigen Vertrag anbieten wolle. Oder ist das nur ein Bluff des Agenten?
Denn Bedarf hätten die Mavs nicht, wenn sie mit DeShawn Stevenson verlängern und Neuzugang Rudy Fernandez tatsächlich nach Dallas kommt. Stevenson kann als Small Forward einige Minuten aushelfen, unersetzlich ist er aber als emsiger Verteidiger, der den gegnerischen Shooting Guard bearbeitet und selbst den offenen Dreier trifft.
So zumindest lautet die maßgebliche Meinung von Nowitzki, Terry und Jason Kidd, die sich schon in den Playoffs bei Carlisle dafür einsetzten, dass Stevenson in die erste Fünf zurückkehrt. "Wir müssen DeShawn behalten. Er hat das gewisse Etwas und ich werde dafür kämpfen, dass er wieder im Mavs-Trikot aufläuft", sagt Terry.
Ähnlich sieht es offenbar Nelson, der Stevensons Berater Mark Bartelstein im Juni erklärte, dass der Verlängerung eine hohe Priorität zukommt - obwohl mit Fernandez ein Konkurrent verpflichtet wurde und Stevenson mehr als seine bisherigen 4,5 Millionen Dollar verlangen dürfte. "Donnie sagte mir, dass der Fernandez-Trade nichts mit DeShawn zu tun hat", so Bartelstein.
Sollte das stimmen, könnte das ein Indiz dafür sein, dass Dallas auf Butler verzichtet und mit Marion/Fernandez/Corey Brewer als Small Forwards und Stevenson/Terry/Dominic Jones als Shooting Guards die Titelverteidigung anstrebt. Wobei ausgerechnet bei Fernandez, dem einzigen Zugang bisher, noch immer einiges im Unklaren ist.
Erst kokettierte er allzu öffentlich mit einer endgültigen Abkehr von der NBA und einer lukrativen Zukunft in seiner spanischen Heimat, dann unterzeichnete er einen Vertrag mit Real Madrid, der doch eine Ausstiegsklausel für Dallas beinhaltet, sollte der Lockout beendet sein. Sportlich wäre Fernandez ein Gewinn: Er kann als Shooting Guard wie auch Small Forward auflaufen und verfügt über einen besseren Drive und Dreierwurf als Butler.
Nur: Es bestehen Zweifel an seiner Integrität. Die "Dallas Morning News" schrieb zuletzt ungewohnt scharf: "Ihm geht es doch nur darum, so viele Euros wie möglich abzugreifen. Warum verschwenden die Mavs so viel Zeit damit, Fernandez von sich zu überzeugen?" - was als Beleg dafür dient, welche Irritationen Fernandez' Verhalten in Dallas ausgelöst hat.
Problemfeld Center: Chandler-Verbleib gefährdet wie nie
Problemfeld Small Forward/Shooting Guard: Troublemaker im Anflug?
Problemfeld Point-Guard-Backup: Zweifel an Roddy B.
Problemfeld Point-Guard-Backup: Zweifel an Roddy B.
Verletzungen, Zweifel an seinem Arbeitseifer, Kritik an den Leistungen in den wenigen Spielen letztes Jahr: Rodrigue Beaubois, einst die Zukunft der Franchise, ist so etwas wie die unbekannte Variable bei den Mavs. Im Sommer verzichtete er auf die EM-Teilnahme mit Frankreich und brachte sich gemeinsam mit Mahinmi in Form.
Doch ob der 23-Jährige jemals wieder so gut sein wird wie in der Saison 2009/10, bleibt fraglich. "Roddy ist in einer schwierigen Situation", sagt Terry. Folglich kommt J.J. Bareas Verlängerung eine große Bedeutung zu. Barea ist klein und Barea ist ein wackeliger Dreipunkt-Schütze, aber Barea ist auch ein veritabler Backup für Jason Kidd und mit seiner beherzten Art der Liebling der Massen.
"Zu 75 Prozent bleibe ich in Dallas, zu 25 Prozent könnte etwas anderes passieren. Um zu einem anderen Klub zu gehen, muss mich das Angebot schon von den Socken hauen. Dallas ist meine erste Wahl", sagt Barea. Aber bei aller Klubtreue: Der Puertoricaner wird sich nicht mehr mit den 1,7 Millionen Dollar aus der Vorsaison zufrieden geben.
Ob Dallas seinen Vorstellungen entsprechen kann, hängt wie bei allen anderen Entscheidungen vom neuen Collective Bargaining Agreement ab. Es heißt also: weiter warten.
Problemfeld Center: Chandler-Verbleib gefährdet wie nie
Problemfeld Small Forward/Shooting Guard: Troublemaker im Anflug?