Mit gesenktem Kopf trottet Aaron Rodgers vom Feld. Alleine. Ungefähr zehn Yards vor der eigenen Endzone. Einmal mehr hat ihn der Pass Rush der Miami Dolphins unter Druck gesetzt. Einmal mehr ist der Ball nicht in den Armen eines seiner Receiver gelandet, sondern vor dessen Füßen. Einmal mehr heißt es: Three and Out.
Als Ryan Tannehill die Dolphins im direkten Gegenzug dann auch noch scheinbar spielerisch zum Touchdown führt, werden Erinnerungen an die Niederlage gegen die Lions vor wenigen Wochen wach - und vor allem die Kritik, die daraufhin auf Rodgers und sein Team niederging. "Die Packers haben ein großes Offensiv-Problem", hatte Ex-Quarterback und NFL-Experte Kurt Warner damals gesagt.
Der Vorwurf: Vielen der aktuellen Packers-Receiver fehle die Erfahrung, ein blindes Verständnis mit Rodgers existiere nur mit Jordy Nelson und Randal Cobb. "Wer hat dahinter ein blindes Verständnis mit dem QB? Ich sehe niemanden", so Warner.
Verjüngungskur seit 2012
Tatsächlich haben sich die Packers seit 2012 einer strikten Verjüngungskur unterzogen. Nach Donald Driver (Karriereende 2012) und Greg Jennings (seit 2013 bei den Vikings) verließ vor der Saison mit James Jones (Raiders) der letzte "echte" Routinier das Team.
Mit 30 Jahren ist Rodgers nun der erfahrenste Offensivspieler. Nelson (sieben Jahre NFL-Efahrung) und Cobb (vier Jahre) sind seine engsten Vertrauten. Sie sitzen im Locker Room in Rodgers' Ecke, sie wissen bestens, wohin sich ihr Quarterback bewegt.
"Du musst deinen Quarterback verstehen", sagte Cobb zu SPOX: "Besonders wenn ein Spielzug nicht so läuft wie geplant. Wenn Aaron improvisiert, dann müssen wir nicht nur sehen wo der Ball hingeht, sondern es auch spüren."
"Green Bay ist zu berechenbar"
Und das, so jedenfalls die Kritik, funktioniere bisher eben nur bei Nelson und Cobb. Tatsache ist, dass fast 60 Prozent aller Pass-Versuche bei den beiden Top-Receivern landen - in entscheidenden, brenzlichen Situationen sogar noch mehr. Bei den meisten Teams liegt die Quote weit unter 50 Prozent. Warner's Fazit: "Green Bay ist zu berechenbar."
Die Offense sei zu statisch und käme besonders unter Druck zudem immer wieder aus dem Rhythmus. Muss Rodgers improvisieren - und das muss der Packers-Quarterback häufig - fehlt es ihm nicht selten an geeigneten Anspielstationen. Es ist Rodgers' Ballsicherheit zu verdanken, dass dieser Engpass nicht auch noch in zahlreichen Ballverlusten resultiert.
Seine 15 Touchdowns bei nur einer Interception sind Rekord. Sein Motto lautet: Wenn keiner meiner Receiver den Ball sicher haben kann, dann bekommt ihn keiner. Entweder rennt Rodgers dann selbst, oder er wirft den Ball weg.
Schon 15 Sacks
Erschwerend kommt hinzu, dass Rodgers für solche Entscheidungen wenig Zeit hat. Die durch Verletzungen immer wieder ausgedünnte Offensive Line kann dem gegnerischen Pass-Rush nur bedingt standhalten. Auch gegen die Dolphins. "Ich habe schon einiges eingesteckt", sagte Rodgers nach dem Spiel zu SPOX. Bereits 15 Sacks musste er in dieser Saison verkraften, so viel wie kaum ein anderer QB.
Wenn dann auch noch das Laufspiel stockt (im Durschschnitt unter 100 Yards pro Spiel), dann ist das Ergebnis eine Offense, die lediglich auf Rang 21 der Liga-Statistik rangiert. Der schlechteste Wert seit Rodgers' Amtsantritt.
Kurzum: Es läuft nicht rund. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass viele Experten die Packers beim Spiel gegen die Dolphins bereits abgeschrieben hatten, als sie im Schlussviertel zwei Touchdowns kassierten und plötzlich in Rückstand gerieten. Viele Journalisten hatten ihren Spielbericht bereits geschrieben und den Laptop zugeklappt, als Rodgers gut zwei Minuten vor dem Ende ohne Timeouts noch einen Drive startete.
"Zwischenzeitlich schon nicht so gut"
Alles, was die Dolphins nun tun müssten, ist Cobb und Nelson bewachen und Rodgers unter Druck setzen. Und genau so scheint es auch zu kommen. Die bevorzugten Anspielstationen für Rodgers sind dicht, kurze Pässe auf Tight End Andrew Quarless und Running Back James Starks bringen nichts ein.
Dann wird Rodgers sogar gesackt und verliert den Ball - Guard T.J. Lang kann sich gerade noch darauf werfen. "Unsere Offense sah zwischenzeitlich schon nicht so gut aus", gab Rodgers später zu.
Was dann passiert, versetzt die versammelte Presse-Box jedoch in Erstaunen und könnte den weiteren Verlauf der Packers-Saison entscheidend mitbestimmen. Nicht weil die Packers in den letzten Sekunden noch gewinnen - sondern wie.
Plötzlich stimmt die Chemie
Denn neben Nelson (18-Yard-Reception bei 4th and 10) und Cobb spielen diesmal auch andere Spieler entscheidende Rollen. Erst sichert Starks den Packers am Rande der Red Zone einen neuen Satz Downs, dann reagiert Rookie-Receiver Davante Adams bei Rodgers' Fake-Spike am schnellsten und ist auch noch umsichtig genug, die Uhr mit einem Gang ins Aus anzuhalten. Am Ende nutzt Quarless das Matchup gegen Dolphins-Linebacker Philip Wheeler aus und vollendet das Comeback.
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Plötzlich scheint die Chemie zwischen Quarterback und Passempfängern zu stimmen. Rodgers sagt, man könne sich sogar "ein bisschen Freestyle" erlauben. Einzelfall oder Wendepunkt für die Packers? Vermutlich eine Mischung aus beidem.
"Wir haben zuletzt verstärkt an unserem Zusammenspiel gearbeitet", erklärte Adams gegenüber SPOX. Es sei von Anfang an der Plan gewesen, ihn nach seinem ersten Touchdown im Spiel zuvor mehr in den Gameplan einzubeziehen. "Ich habe ihm unter der Woche schon gesagt, dass es ein gutes Spiel für ihn werden wird", bestätigte Rodgers.
"Wir vertrauen einander"
Gleiches gilt für Quarless. "Der lag mir schon das komplette Spiel über in den Ohren, dass ich ihn anspielen soll", meinte Rodgers. Dass der Pass dann ausgerechnet in der entscheidenden Situation kommt, "zeigt, wie gut wir uns entwickeln", so Quarless. Und auch Cobb stellte nach dem Spiel erleichtert fest: "So soll das aussehen. Wir sind Teamkollegen. Wir vertrauen einander. Wir glauben aneinander."
Auf der anderen Seite muss aber auch festgehalten werden, dass die Dolphins den Packers in der Schlussphase das Leben oftmals leicht machten. Mismatches in der Coverage (Linebacker gegen Tight End), den Fake-Spike verschlafen und dazu Timeouts, die den Packers in den letzten Sekunden nicht gerade ungelegen kamen.
Was der "Charakter-Sieg" (Zitat Rodgers) am Ende für die generelle Entwicklung wert ist, muss sich also erst noch zeigen. Besonders, da es auch in der Defensive Löcher zu stopfen gibt. Die Packers erlauben aktuell zum Beispiel die meisten Run-Yards der Liga.
Ein Schritt in die richtige Richtung war es aber allemal. Vor der Bye-Week im November geht es noch gegen die Carolina Panthers und die New Orleans Saints. Beide Teams gehören nicht zu den Besten, wenn es darum geht, den gegnerischen Quarterback unter Druck zu setzen. Das sollte den Packers entgegenkommen.
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