Schon bei seinem Einzug in die NFL hatte Chip Kelly bei vielen Experten seinen Ruf weg. Der Mann, der mit Oregon von 53 Spielen 46 gewonnen und insgesamt 40 Mal die 40-Punkte-Marke geknackt hatte, kam 2013 mit den Vorschusslorbeeren eines Offensiv-Genies nach Philadelphia. Und tatsächlich: Scheinbar wie auf Knopfdruck wurden die Eagles eine der produktivsten Offenses der NFL.
Kelly machte aus Nick Foles, dessen QB-Rating von 79 auf 119,2 schnellte, den effizientesten Quarterback der Liga. Nicht wenige sprachen von einer QB-unabhängigen Offense, die allein dank ihres genialen Schemes funktionierte. Doch das reichte dem 51-Jährigen nicht: Der große Wurf sollte her. So sicherte sich Kelly, der vor seinen beiden ersten Spielzeiten in Philly jeweils vergleichsweise wenig geändert hatte (nennenswert wäre vor allem die Entlassung von Receiver DeSean Jackson), die Kontrolle über die Kaderplanung.
Indem er Team-Eigentümer Jeffrey Lurie Anfang des Jahres mit einem ausgearbeiteten Schlachtplan überzeugte, war Ex-Geschäftsführer Howie Roseman schnell außen vor. Kelly dagegen konnte die nächsten Schritte angehen. Und so nahm eine scheinbar unglaubliche Free Agency ihren Lauf.
Die offensive Generalüberholung
Sobald er die Kontrolle hatte, begann Kelly, das Team nach seinen Vorstellungen umzukrempeln. Running Back LeSean McCoy, der unter Kelly bis dahin 2.926 Yards sowie 14 Touchdowns erlaufen hatte, wurde im Tausch für den jungen Linebacker Kiko Alonso nach Buffalo abgegeben. Auch Routiniers wie Trent Cole oder Todd Herremans mussten gehen, vor allem aber die offensiven Skill-Player waren nicht mehr gefragt.
So trennten sich die Eagles nach Jackson zum zweiten Mal in Folge von ihrem Top-Receiver: Free Agent Jeremy Maclin ging, zugegebenermaßen für viel Geld, zu den Kansas City Chiefs. Mit einem spektakulären QB-Deal tauschte Philly dann Foles gegen den verletzungsanfälligen Sam Bradford aus St. Louis, was die Eagles auch noch mehrere Draft-Picks kostete.
Was will Chip Kelly eigentlich?
Prompt kamen Vergleiche zu Jimmy Johnsons frühen Alleinherrscher-Tagen bei den Dallas Cowboys oder Bill Belichicks Anfängen bei den New England Patriots auf. Auch Pete Carroll krempelte den Kader in Seattle anfangs heftigst um. Der Erfolg gab ihnen allen Recht, doch viele fragten sich: Was will Chip Kelly eigentlich?
Dass sowohl sein Bild in der Öffentlichkeit, als auch die Meinung von Außenstehenden ihn herzlich wenig interessieren, ist spätestens jetzt klar. Kelly selbst brachte es Ende März auf den Punkt: "Ich denke, es bringt uns nichts, irgendwem zu sagen, was unsere Vision ist." Daran besteht wohl kein Zweifel. Dennoch ist es an der Zeit, den Motiven des Masterminds nachzuspüren.
Seite 2: Die turbulente Free Agency I: Das Running Game