Swinney zum Anfassen
Kommt man nach Clemson im US-Bundesstaat South Carolina, dann wird man kaum jemanden finden, der ein böses Wort über den Coach verliert. Swinney ist weltoffen, geht selbst einkaufen und auf Leute zu. Auch hat er kein Problem damit, wenn er auf der Straße oder im Supermarkt angesprochen wird. Im Gegenteil: Im Grunde genießt er diese Nähe. Mehr noch: Seit er für Clemson tätig ist, veranstaltet er jährlich mit seiner Frau Kathleen eine Weihnachtsparty in seinem Haus.
Im letzten Jahr ließ er Santa Clause auf seinem Dach auftreten und diesen Süßigkeiten zu den unten wartenden Kindern über ein Transportrohr herunterbefördern. Durch ein Headset flüsterte Swinney dem Weihnachtsmann gar die Namen der Kinder, die entsprechend erfreut waren, dass Santa ihre Namen kannte.
Zudem hat der Coach auch kein Problem damit, seine Dance Moves zu zeigen oder sich selbige von seinen Spielern beibringen zu lassen. Nach Siegen stellt er sie dann in der Kabine unter Beweis - nach 14 Siegen in 14 Spielen hatte er in dieser Saison so einige Anlässe dafür.
Der grimmige Saban
Das komplette Gegenteil zum stets lächelnden Swinney ist der oft gequält und grimmig wirkende Saban, der damit ziemlich gut an Belichick erinnert. Zudem neigt er zur Medienschelte oder generell deutlichen Worten, wenn er damit auf Pressekonferenzen einen gewissen Zweck verfolgt, etwa um eine Nachricht zu senden an den Gegner, die Fans, die eigene Mannschaft oder das Etablissement selbst. Beobachter sprechen oftmals davon, dass Saban während der Saison nie Freude verspürt, geschweige denn versprüht.
Das scheint Methode zu sein: "Er liebt es einfach zu malochen", erklärte es sein Ex-Spieler Barret Jones: "Er genießt es, ins Büro zu kommen und Game-Film zu schauen. Er liebt Training. Er liebt es, sein Team vorzubereiten. Aber er ist nicht immer so drauf. Er macht Witze und liebt es, Leuten das Leben schwer zu machen. Er hat definitiv eine spaßige Seite, die vielleicht nicht jeder sieht."
Vor kurzem sogar lud er die Eltern von potenziellen College-Rekruten zu einer Party ein, dessen Höhepunkt eine Karaoke-Veranstaltung war. Davon berichtete der Ex-NFL-Spieler Corey Miller, dessen Sohn mittlerweile für die Tide spielt. "Er bringt die Karaoke-Maschine raus und alle drehen so richtig auf. Alle tanzten und sangen. Assistenzcoach Burton Burns machte den DJ und wir hatten alle Spaß. Und zehn Fuß neben mir war Coach Saban, der das auch machte", beschrieb Miller die verrückte Szenerie.
Recruiting-Genies
Rein von der Persönlichkeit her sind beide also oberflächlich recht verschieden: Swinney, der viel Leid in seinem Leben erfahren hat - unter anderem auch einen schweren Autounfall seines Bruders, der seither auch an Alkoholsucht litt oder die lange Funkstille zu seinem Vater, mit dem er sich allerdings später versöhnt und bis zu dessen Tod im letzten August sehr gut verstanden hatte - und dennoch immer einen fröhlichen Eindruck macht. Auf der anderen Seite Saban, der trotz seiner schroffen Art doch einen weichen Kern zu haben scheint.
Was ihre fachlichen Eigenschaften betrifft, sind sie jedoch gar nicht so weit auseinander. Beide verstehen es, große Talente zu rekrutieren, die es dann auch in die NFL schaffen. Swinney und Saban sind zwei von nur vier Coaches im College-Bereich, denen es gelungen ist, fünf Jahre in Serie mit ihren Programmen zu den Top-20-Recruiting-Klassen - nach Ansicht von ESPN - zu zählen. Die anderen beiden, denen dies gelang, sind Les Miles (LSU) und Bob Stoops (Oklahoma).
Zudem hing auch Swinney lange ein Zitat nach. Vor dem Orange Bowl 2011 gegen West Virginia proklamierte er die Hoffnung, dass "mehr über Clemsons Defense" gesprochen würde. Gesagt, getan - die Tigers bekamen eine deftige 37:70 Klatsche!
Energie an der Seitenlinie
An der Seitenlinie versprüht Swinney sehr viel Energie, redet viel auf Spieler und Coaches ein, springt mitunter hyperaktiv umher. Saban dagegen steht da und grummelt. Zudem steht Letzterer eher für ein routiniertes, konservatives Auftreten mit einem vom Lauf dominierten System, obwohl er schon diverse Top-Receiver, allen voran Julio Jones und Amari Cooper, hervorgebracht hat. Mit Mark Ingram vor ein paar Jahren und Derrick Henry jetzt hatte er aber eben auch zwei Heisman-Gewinner unter den Running Backs.
Swinney setzt hier eher auf die modernere Schule: QB Deshaun Watson schickt sich an, auch im im kommenden Jahr mit seinem Arm und seinen Beinen um die Heisman Trophy zu spielen. Und dann wäre da noch sein mutiges Play-Calling.
Im Orange Bowl gegen Oklahoma, man lag im zweiten Viertel 3:7 zurück, ließ er einen Fake-Punt spielen. Punter Andy Teasdall wurde zum Passgeber und bediente den massigen Defensive Tackle Christian Wilkins mit einem Pass für 31 Yards - bei 4th and 4.
"Ich hatte das Gefühl, wir stagnierten ein wenig, waren angespannt", so Swinney: "Ich wollte eine Message senden: 'Wir sind hier, um zu spielen. Lasst uns loslegen!'" Die Nachricht kam an, von da an schwang das Momentum vollends zugunsten von Clemson um.
Saban auf Bryants Spuren
Im Championship Game kreuzen sich nun die Wege dieser zwei eigentlich so verschiedenen, aber am Ende dann doch recht ähnlichen Typen. Ein Titelgewinn wäre für Saban historisch bedeutsam, würde er doch mit Bama-Legende Bear Bryant gleichziehen - beide hätten dann fünf nationale Meisterschaften nach Zählung der Associated Press, die meisten überhaupt. Der Titel würde also Sabans Standing als einer, wenn nicht den besten Coach seiner Generation, festigen.
Für Swinney wäre es natürlich der erste nationale Titel und größte Erfolg seiner noch jungen Head-Coaching-Laufbahn. Und es würde seine Serie fortsetzen, denn seine letzten drei Bowl-Siege kamen allesamt gegen Teams, die seit 2000 mindestens einmal National Champion waren.
Auch könnte durch einen solchen Erfolg die NFL auf ihn aufmerksam werden, wobei es unwahrscheinlich erscheint, dass er seine zweite Heimat - nach Alabama - so schnell verlassen würde. Dazu scheint er zu sehr in die Gesellschaft integriert und bis zur ersten Heimat ist ja auch nicht weit.