Die Denver Broncos sicherten sich zum Saisonabschluss den Spitzenplatz der AFC - auch dank Quarterback Peyton Manning, der das Team von der Bank kommend zum Sieg über die San Diego Chargers führte. Hat er sich damit den Startplatz gegenüber Konkurrent Brock Osweiler zurückgeholt? Coach Gary Kubiak steht eine schwere Entscheidung bevor.
Ein altes NFL-Sprichwort sagt: "Wenn du zwei Quarterbacks hast, dann hast du keinen." Heißt: Wenn sich zwischen dem Starter und dem Ersatzmann keine qualitative Lücke auftut, ist wohl keiner der Beiden besonders fähig in seinem Job - vom ständigen Hin und Her, der Unsicherheit im Team und dem folgenden Medienecho ganz zu schweigen.
Die Denver Broncos und ihr Head Coach Gary Kubiak tun derzeit ihr Möglichstes, dieses Sprichwort auf Herz und Nieren zu prüfen. Nach dem gefeierten Comeback von Peyton Manning beim Sieg über die San Diego Chargers ist nämlich wieder alles offen: Haben die Broncos wieder einen fünffachen MVP als Quarterback? Mit ihm und dem aufstrebenden Brock Osweiler sogar eine Doppelspitze? Oder in Wahrheit doch eher eine Lücke under Center?
Und trotzdem grüßt das Team in Orange von der Spitze der AFC, mit dem Top Seed in der Tasche und der Bye Week vor der Brust.
Willkommen in der NFL.
Manning als Wrestling-Held
Es hatte etwas von einem WWE-Skript, als Manning am Sonntag nach 49 Tagen Pause das Gras des Mile High Field betrat, zu Standing Ovations von 74.601 Zuschauern. Die Musik des Helden bricht aus den Lautsprechern, der Bösewicht lässt schockiert von seinem Opfer im Ring ab und starrt ungläubig in Richtung Rampe: "Du hier? Unmöglich!" Der Held stürmt in die Mitte, wehrt den halbherzigen Schlag des Bullys ab und prügelt ihn aus dem Ring, begleitet von begeisterten Anfeuerungsrufen in der Arena.
Der Bösewicht waren in diesem Fall die Chargers, die es irgendwie geschafft hatten, Denver zu gleich fünf Turnovern zu zwingen und soeben die Führung übernommen hatten. Plötzlich drohte Denver Platz zwei in der eigenen Division, Auswärtsspiele und Wildcard-Weekend statt Freilos. Also zog Kubiak sein verbliebenes Ass aus dem Ärmel - wobei, Joker wäre passender. Ein Joker, von dem man nicht weiß, ob er trumpft.
"Mein Bauchgefühl sagte mir, Peyton ins Spiel zu bringen", erklärte der Coach später. Er habe jemanden gebraucht, der dem Team einen Schub gibt - mit "enormen Führungsqualitäten. Manchmal spürt man einfach, dass das Team nach so jemandem sucht." Es funktionierte. Plötzlich war wieder Schwung im Spiel der Broncos, die in der verbleibenden Zeit 20 Punkte auflegten und das Must-win-Game für sich entschieden. Aber warum?
Manning-Magie? "Das ist real."
Nicht weil Manning plötzlich Pässe aus seinen goldenen Zwanzigern aus dem Hut zauberte - oder gar aus seiner Rekordsaison 2013. Ein paar kurze Pässe, ein paar gute Comeback-Routen, ein paar überworfene lange Pässe. Nichts Besonderes eigentlich. Stattdessen "habe ich den Ball ziemlich gut abgegeben", scherzte er. Nicht ganz zu Unrecht: Insgesamt 16 Mal, für 133 Yards.
Mit solchen Zahlen kann fast jeder Quarterback gut aussehen. Und es darf nicht vergessen werden - wie es übrigens auch Manning und Kubiak nach dem Spiel heraushoben -, dass Osweiler kein sonderlich schlechtes Spiel machte: Die zwei Interceptions waren kaum seine Schuld, ebenso die Fumbles von Emmanuel Sanders und Running Back C.J. Anderson.
Die SPOX-NFL-Webshow: "So muss ein Saisonfinale aussehen"
Aber Manning bewies in seinem ersten NFL-Auftritt als Backup überhaupt, dass trotz seiner 39 Jahre und erodierten körperlichen Fähigkeiten immer noch mit ein paar Aspekten punkten kann: Ein schneller Release - er kassierte nur einen Coverage Sack -, dazu sein Computerhirn an der Linie, welches die Defense mehrfach zum Fehlstart trieb und dem Running Game große Lücken bescherte. Doch sein größter Beitrag an diesem Abend war sein Einfluss auf Mitspieler, Gegenspieler und Zuschauer, von denen viele mit der lebenden Legende Peyton Manning groß geworden waren.
"Als ich drin war, war unser Running Game besser, wir hatten keine Turnover und wir fingen den Ball besser. So war es einfach", beschrieb der Altmeister seine Wirkung, und Defensive Tackle Antonio Smith hatte eine Botschaft für die zahlreichen Manning-Skeptiker: "Wir brauchten diese Energie [als er aufs Feld lief]. Das ist real. Die Leute sprechen nicht so gern darüber, weil man das nicht messen oder beweisen kann. Aber es ist wahr. Man konnte spüren, wie sich das Blatt wendete. Und der Rest ist Geschichte."
"Solange wir Spiele gewinnen..."
Wasser auf den Mühlen der Manning-Fans, die ihrem Idol einen glorreichen Ritt in den Sonnenuntergang wünschen - doppelt beringt natürlich. Aber so leicht dürften genannte Skeptiker nicht zu besänftigen sein. Schließlich war die beschworene Manning-Magie über weite Strecken der Saison nicht zu sehen, dafür aber 17 Interceptions. Noch ist Osweiler der der Mann hinter der O-Line, der fitter ist, sich besser bewegt und den besseren Arm bietet.
Auch deshalb hielten sich alle Beteiligten bedeckt. "Solange wir Spiele gewinnen, Mensch, da ist mir doch egal, wer der Quarterback ist", betonte Osweiler. Manning selbst verwies darauf, dass er nach seinem wochenlangen Kampf gegen eine frustrierende Fußverletzung nun erst einmal abwarten müsse. Außerdem habe er einen harten Schlag gegen die Brust abbekommen: "Wir haben zwei Wochen Zeit vor unserem nächsten Spiel. Mal sehen, wie ich mich fühle und wie es meinem Fuß geht."
Kubiak im Fokus
Die Entscheidung in dieser "komischen Situation" muss Kubiak treffen, so sie ihm die Gesundheit Mannings nicht abnimmt. Man werde erst einmal den Sieg genießen, dann werde er sich mit beiden zusammensetzen. "Ich habe nichts für euch", bekräftigte er am Montag noch einmal gegenüber wartenden Journalisten. Es gebe auch keine Deadline.
Das Hollywood-Drama würde diktieren, dass Manning eine weitere Playoff-Chance bekommt - inmitten von widersprüchlichen Wachstumshormon-Vorwürfen, um die es erstaunlich schnell erstaunlich still geworden ist. Hält der Fuß, hält der Arm?
Ein Vorteil wäre, dass es sich um maximal drei Partien in fünf Wochen handelt. Traut Kubiak das seinem Altmeister zu, dürfte er in den kommenden Tagen zum Starter ernannt werden. Und die Fans dürften sich auf besondere Schmankerl freuen. Vielleicht gegen Big Ben - oder noch einmal gegen Tom Brady.
Charles Woodson: Time to say Goodbye...
Und den womöglich letzten Rest der Manning-Magie. Um es mit den Worten von Charles Woodson beim MMQB zu sagen, als er von Mannings Sieg hörte: "Wow. Ich schätze, die Draft-Klasse von 1998 kann immer noch gewinnen."