Der Druck des alten Mannes

Von Adrian Franke
04. Februar 201613:55
Die Broncos stellten die beste Defense der Regular Season - und dominierten auch Tom Bradygetty
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Die Defense der Denver Broncos spielt eine beeindruckende Saison. Die Taktik, das "Scheme" von Defensive Coordinator Wade Phillips passt perfekt zu den Spielern und umgekehrt, die Stars blühen durch die Bank weg auf. So könnte Denver auch im Super Bowl gegen die Carolina Panthers (Mo., ab 0.30 Uhr im LIVETICKER) die richtigen Antworten auf Cam Newton und Co. parat haben.

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Zwei Dinge, das bestätigte Denvers Defensive Coordinator Wade Phillips nach dem Sieg im AFC-Championship-Spiel gegen die Patriots im MMQB, waren für ihn der Schlüssel: Er wollte Brady mit Finten und Variationen aus dem Konzept bringen und darüber hinaus beweisen, dass sein Team auch mit nur drei Rushern einen gefährlichen Pass Rush zustande bringen kann.

"Ich habe eine Defense voller Stars", fügte Phillips hinzu, stellte gleichzeitig aber klar: "Ich verstehe nicht, warum manche Leute sagen: 'Das ist unser Scheme und Spieler X kann darin spielen. Spieler Y ist zwar auch sehr gut, aber er passt nicht in unser Scheme.' In dem Fall stimmt in meinen Augen etwas mit deinem Ansatz nicht. Du musst das Scheme dem anpassen, was die Spieler leisten können."

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Es ist ein Motto, das Phillips seit Jahren verfolgt. Er nimmt das, was die Defense ihm gibt, und versucht, daraus das bestmögliche Gesamtkonstrukt auf den Platz zu bringen. In Denver gibt ihm die Defense enorm viel und das ist ein Grund dafür, dass die Broncos in der Regular Season sowohl die wenigsten Yards pro Run, als auch die wenigsten Net Yards pro Pass-Versuch zuließen - als erst viertes Team überhaupt seit 1970 gelang den Broncos dieser Doppelpack. Doch erst die Symbiose aus Talent und dem dazu passenden Scheme erlaubt Vergleiche mit den großen Defenses der NFL-Geschichte.

Die Basis: 3-4 und 5-2: Die Broncos agieren in ihrer Basis aus einer 3-4-Defense heraus, das bedeutet: Drei Defensive Linemen werden durch vier Linebacker ergänzt. Hier wird bereits deutlich, wo Phillips einen Hebel ansetzte: Während sein Vorgänger Jack Del Rio noch primär eine 4-3-Defense spielen ließ, entschloss sich Phillips früh zu der Umstellung - weil er wusste, dass er zwei seiner besten Spieler so in die Position bringen konnte, Gegner zu dominieren.

Gemeint sind seine beiden Outside Linebacker: Die Pass Rusher Von Miller und DeMarcus Ware sind wie gemacht für die 3-4, beide kannten die Rolle bereits nur zu gut aus früheren Jahren. Durch Phillips extrem aggressiven Ansatz wird auf dem Platz aus der 3-4-Defense häufig eine 5-2: Ware und Miller positionieren sich ebenfalls an der Line of Scrimmage und setzen die Offense so schon vor dem Snap enorm unter Druck. Es entspricht Phillips' Idealvorstellung einer Defense, seit jeher baut er seine Verteidigungen bevorzugt über die Edge Rusher (Outside Linebacker oder Defensive Ends) auf.

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Ist die Offensive Line mit den fünf an der Line positionierten Spielern beschäftigt, öffnet das viele Möglichkeiten für Blitze und Attacken aus allen Richtungen. Doch dazu später mehr, denn das AFC Championship Game hat, gemäß Phillips' Wunsch, gezeigt: Die Broncos können defensiv auch dominieren, wenn sie nicht blitzen. Ein Grund dafür: Nicht nur Ware und Miller haben von der defensiven Umstellung vor der Saison profitiert - gleiches lässt sich auch über die Defensive Line sagen.

Defensive End Derek Wolfe hinterließ schon in der 4-3 einen mehr als soliden Eindruck, in der 3-4 aber blüht er inzwischen auf. DE-Kollege Malik Jackson hatte ebenfalls keinerlei Probleme mit der Umstellung, ganz im Gegenteil. Die größten Schwierigkeiten hatte da noch Nose Tackle Sylvester Williams in der Mitte. Alle drei glänzen aber in der Run-Defense und Phillips' 1-Gap-Scheme (siehe unten) wirkte auch bei Williams Wunder.

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Stark in der Mitte - die Linebacker: Doch selbst die starke Defensive Line in Kombination mit einem der besten Outside-Linebacker-Duo der NFL wird am Sonntag nicht reichen. Denver muss gegen die Panthers in der Lage sein, das starke Inside Running Game über die Mitte genauso wie die Quarterback-Runs von Cam Newton zu stoppen. Im Mittelpunkt dabei: Die Inside Linebacker Danny Trevathan und Brandon Marshall.

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Nach wie vor fliegen sowohl Trevathan, als auch Marshall, zwei ausgezeichnete Blitzer, ein wenig unter dem Radar. In Mile High aber wissen sie nur zu gut, wie wichtig das ILB-Duo ist - insbesondere im Super Bowl. "Es ist gut möglich, dass das die beiden schnellsten Linebacker der Liga sind. Ich weiß nicht, ob sie schon Spieler gesehen haben, die von Seitenlinie zu Seitenlinie schneller sind als Danny und Marshall", betonte Cornerback Chris Harris.

Neben einer beeindruckenden Explosivität, die Marshall (101 Tackles in dieser Saison) und Trevathan (109) zu sehr guten Run-Verteidigern machen, bestechen Denvers Inside Linebacker auch in Coverage. Die Broncos sind extrem gut darauf vorbereitet, eine Read-Option wie die der Panthers zu verteidigen - im Gegensatz zum Broncos-Seahawks-Super-Bowl vor zwei Jahren, als Denvers Inside Linebacker Paris Lenon und Nate Irving hießen.

Das 1-Gap-Scheme: Passend zu der aggressiven Grundordnung lässt Phillips seine Spieler auch technisch möglichst geradlinig und initiativ agieren. Im Klartext heißt das, 1-Gap statt 2-Gap ist angesagt. Alles ist darauf ausgelegt, möglichst kompromisslos Druck erzeugen zu können. Ein Beispiel: Im (für die 3-4 eigentlich typischeren) 2-Gap-Scheme ist ein Verteidiger an der Line of Scrimmage für zwei "Bereiche" (= Gaps) zuständig. Ein Nose Tackle etwa wird in dem Fall direkt gegenüber vom gegnerischen Center positioniert und wäre nach dem Snap für den Bereich links und rechts vom Center verantwortlich.

Spielt eine Defense aber ein 1-Gap-Scheme muss ein jeder Verteidiger, wie der Name schon sagt, nur eine Gap übernehmen. Er muss also nach dem Snap nicht abwarten, was die Offense macht und den Spielzug großartig lesen - er kann vielmehr sofort seine Gap (also beispielsweise den Bereich zwischen einem Tackle und einem Guard) angreifen. Athletik und Geschwindigkeit kommen hier voll zum tragen. Davon profitierte etwa auch Williams: Statt Guards oder Center beschäftigen zu müssen, kann er aktiv eine Gap angreifen.

Für diesen Ansatz ist es unabdingbar, dass die Linebacker und Defensive Lineman topfit sind und auch spät im Spiel mit Explosivität glänzen können. Hier kommt es den Broncos entgegen, dass ihr Kader extrem tief ist.

Hinter Wolfe und Jackson glänzten Vance Walker und Antonio Smith in dieser Saison: Walker war einer der besten 3-4-Defensive-Ends in der Run Defense, Smith gelangen trotz Backup-Rolle 18 Quarterback-Hurries. Brauchen Ware oder Miller eine Pause, stehen Shaquil Barrett und Shane Ray bereit. Denver kann so mit einem vergleichsweise simplen, aber (wenn von jedem richtig ausgeführt) sehr effizienten Ansatz über 60 Minuten Druck machen.

Allerdings ist das längst nicht alles, was Phillips zu bieten hat.

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Overload - den Gegner überrennen: Den Broncos gibt die Kadertiefe, gepaart mit dem aggressiven Grundsatz und den flexiblen Spielern in der Front Seven, extrem viele Variationsmöglichkeiten. Um es mit den Worten von Antonio Smith zu sagen: "Es ist die perfekte Mischung. Jeder ist anders, ich kann es gar nicht richtig erklären. Es ist, als hätte man alles mögliche zusammengeworfen und das Ergebnis ist richtig gut."

Etwas taktischer formuliert: Denver ist in der Lage, aus seiner Base-Aufstellung heraus in beliebigen Kombinationen seinen Pass-Rush zu betreiben. Ob mit drei, vier, fünf, sechs oder sieben Spielern - und das in verschiedensten Kombinationen. Eine Waffe, die Phillips dabei gerne nutzt: Der Overload Blitz. Hierbei geht es darum, eine Seite der Offensive Line zu "überladen", also idealerweise mit mehr Pass-Rushern zu attackieren, als die O-Line an Blockern zur Verfügung hat.

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Phillips macht das oftmals aus einer Nickel- (fünf Defensive Backs) oder gar Dime- (sechs Defensive Backs) Aufstellung heraus - und wieder wird hier der Ansatz des Defensive Coordinators ideal mit seinem Spielermaterial kombiniert. Safety T.J. Ward ist ein herausragender Blitzer, unter Phillips wird er wieder dementsprechend eingesetzt. "Diese Art Spieler durfte ich in der vergangenen Saison nicht sein", betonte Ward.

Der Trick dabei: Die Offenses wissen nie, welche Seite Denver überladen will und woher der große Druck kommt. So ist es keine Seltenheit, dass ein Defensive Lineman einen Running Back deckt und stattdessen der Inside Linebacker oder der Safety Jagd auf den Quarterback macht. Auch die Outside Linebacker bekommen mitunter Coverage-Aufgaben. Die Folge: Unter Umständen verschwendet eine Offensive Line kostbare Ressourcen in Form von Blockern, die niemanden zu blocken haben - weil sich ihr vermeintlicher Gegenspieler zurückfallen lässt.

Parallel hat ein anderer O-Liner plötzlich mehrere Gegenspieler. Phillips täuscht Rusher über die Mitte an und zieht sie dann zurück, er schafft es wie kaum ein Zweiter, den Gegner zu verwirren und so eben auch mit weniger Spielern Sacks zu kreieren. Ex-Bills-DE Phil Hansen, der 1995 selbst unter Phillips gespielt hat, erinnert sich: "Ich weiß noch genau wie ich dachte: "Wow, was für verrückte Blitze. Er bringt einen Linebacker UND einen Corner?" Er kam aus allen Richtungen. Es war wirklich leicht zu lernen, weil es funktioniert hat."

Die Secondary - Press Coverage: Der kreative Umgang mit der Front Seven und ein Scheme, das seinen Edge-Rushern möglichst häufig einen freien Run auf den Quarterback ermöglicht, sind seit jeher Phillips Steckenpferd. Was Denvers Defense aber zusätzlich besonders macht ist eine Secondary, die der eigenen Front Seven in Punkto Qualität kaum in etwas nachsteht.

Auch wenn Phillips dank seines Schemes und der Besetzung der eigenen Front Seven oftmals mit nur vier Spielern Druck auf den Gegner machen kann: Blitze in Kombination mit Manndeckung (Denver befindet sich in der Secondary insgesamt häufig in Manndeckung) sind ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Defense. Denver bringt hier eine ideale Kombination mit, um die ebenfalls aggressive Press Coverage zu spielen und Receiver somit direkt ab dem Snap zu beschäftigen. Das geht Hand in Hand mit der opportunistischen Front.

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Aqib Talib verfügt über große Reichweite und kann es mit größeren, physischeren Receivern aufnehmen. Chris Harris ist ein Meister im Slot und zuständig für schnellere, beweglichere Receiver - und einer von vielen Spielern in der Broncos-Defense, der ein Spiel hervorragend lesen kann.

Dazu kommt Bradley Roby: Denvers nominell dritter Cornerback hilft als Outside Cornerback, wenn Harris im Slot ist und die Broncos mit drei CBs gleichzeitig spielen. "Du bist so viel häufiger in deinen Sub-Aufstellungen, als in der Base. Deshalb ist es essentiell, einen guten dritten Corner zu haben", erklärte Denvers Defensive-Backs-Coach Joe Woods im MMQB. Alle drei Cornerbacks sind in der Lage, ihre Coverage sehr lange aufrecht zu erhalten, was wiederum der Front hilft. Sacks und Interceptions entstehen so in wechselseitiger Abhängigkeit.

Zusammenfassung: Die Defense wurde im Vergleich zu Phillips Vorgänger Del Rio um 180 Grad gedreht: Von "erst denken, dann reagieren" hin zu "schnell spielen und agieren". "Sieh den Ball, hol dir den Ball", bringt es Wolfe auf den Punkt.

Dabei gibt sich Phillips selbst mit einer gehörigen Portion Selbstironie stets nahbar, etwa wenn er erklärt: "Das ist das Gute daran, wenn man alt ist und schon seit einer Weile in dieser Liga arbeitet: Die Leute denken: "Das ist ein guter Coach." Egal, ob es stimmt oder nicht - die Leute denken es. Deshalb glauben die Jungs alles, was ich sage. Und sie wissen, dass ich sie und meinen Job liebe."

Der 68-Jährige hat den Draht zu den Spielern stets gepflegt, glänzt mit lustigen Kommentaren auf Twitter und nimmt sich gleichzeitig selbst nie aus der Verantwortung: "Etwas das mich wirklich stört sind Coaches, die nach dem Spiel sagen: 'Wir haben zu viele Fehler gemacht.' Das fällt direkt auf die Coaches zurück - wir müssen den Spielern die Dinge besser beibringen. Hier erlauben wir nicht, dass Fehler in der Abstimmung passieren."

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Selbiges ist am Sonntag gegen Newton auch absolut tabu - und ausgerechnet von den ansonsten so hoffnungslos enttäuschenden Tennessee Titans gibt es für Denver wertvolles Videomaterial: Keinem Team gelangen in dieser Saison mehr Sacks gegen Newton als den Titans (5). Bei drei dieser fünf Sacks agierte Tennessee aus einer 3-4-Aufstellung heraus, bei allen fünf brachten die Titans mindestens fünf Pass Rusher.

Wie so oft dieser Tage muss Denvers Defense das Geschehen diktieren, um ein Spiel für sich zu entscheiden. Die Edge Rusher müssen über außen Druck machen, während in der Mitte das komplette Blitz-Arsenal über Linebacker und Safeties aufgefahren werden muss - womöglich ergänzt durch einen speziell für Newton abgestellten Quarterback-Spion, um auch improvisierte Runs besser zu kontrollieren. Dann wird Newton schneller werfen müssen, als sein Saison-Durchschnitt: 2,83 Sekunden braucht er dafür nach dem Snap. Der Schnitt von Denvers Gegnern? 2,51 Sekunden.

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