Jugendwahn, neue Trends, Vitamin B

Von Adrian Franke
09. Februar 201715:55
Kyle Shanahan, Sean McVay, Anthony Lynn und Sean McDermott sind vier der sechs neuen Head Coachesgetty/imago
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Der Super Bowl verschwindet langsam aber sicher im Rückspiegel, der Blick geht auf die Offseason: Free Agency, Draft und Co. rücken in den Fokus! Sechs Teams gehen diesen Irrsinn 2017 mit neuen Head Coaches an, SPOX nimmt sie unter die Lupe - und erklärt, wem welche Probleme bevorstehen, und wer bei den Coordinator-Verpflichtungen voll ins Schwarze getroffen hat.

Die Wochen nach dem Super Bowl sind in der NFL von einem konstanten Thema geprägt: Neuanfänge. Die neuen Head Coaches stehen ab sofort voll im Fokus, insgesamt sechs Teams gehen 2017 mit neuem Cheftrainer in die Saison. Für die Entlassungen gab es verschiedene Gründe, die Teams stehen an unterschiedlichsten Punkten.

Trotzdem werden sich alle Coaches mehr oder weniger schnell beweisen müssen - wer hat dafür die besten Voraussetzungen? Was verraten die Coordinator und die Beziehungen untereinander über die Pläne der Teams?

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Ein Trend zeichnet sich in jedem Fall ab: Waren in den vergangenen Jahren oft die gerade heißesten Coordinator auch unweigerlich die Topkandidaten auf die vakanten Head-Coaching-Posten, scheint hier ein Umdenken stattgefunden zu haben. Teams behandeln, das wird etwa in Buffalo oder auch Denver deutlich, die Head-Coaching-Position zunehmend als das, was sie ist: Eine Art CEO-Job, in dem nicht zwangsläufig derjenige mit dem besten Scheme-Verständnis auch den größten Erfolg hat.

Wer kann delegieren? Wer kann den kompetentesten Trainerstab um sich herum aufbauen? Wer setzt auf sinnvolle Beziehungen? Diese und weitere Fragen stehen offenbar stärker im Fokus, das zeigt sich bei mehreren der neuen Trainer-Teams.

SPOXBuffalo Bills

Neuer Head Coach: Sean McDermott (letztes Team: Carolina Panthers)

Bisherige NFL-Erfahrung: Defensive Backs Coach (2004-2006), Secondary Coach (2007), Linebacker Coach (2008), Defensive Coordinator (2009-2016)

Wichtigste Baustelle: Disziplin und Komplexität. Erstere muss erhöht, Letztere reduziert werden. "Ich glaube, wir hätten defensiv aggressiver sein müssen, denn dafür haben wir das Personal. Wir wollen den Fuß auf dem Gas haben und nicht auf jedes Matchup reagieren. Wir wollen unsere eigene Identität", lautete die Botschaft von Bills-Defense-Säule Marcell Dareus an Ex-Coach Rex Ryan, nachdem der entlassen worden war.

Disziplin und Komplexität, beides sind klare Umbrüche im Vergleich zu Ryan. Dennoch ist es keine komplette 180-Grad-Drehung: Wie sein Vorgänger ist auch McDermott klar defensiv zuhause und hat über die letzten sechs Jahre dabei geholfen, die Panthers-Defense auf Vordermann zu bringen - auch wenn es in der vergangenen Saison ohne Josh Norman und durch die Verletzung von Luke Kuechly rapide bergab ging.

Er spielt eine simplere 4-3-Defense mit weniger komplizierten Blitz-Paketen. Darüber hinaus ist McDermott deutlich ruhiger und zurückgezogener als Ryan, an dieser Front also das klare Gegenteil.

Personelles Fragezeichen: Tyrod Taylor. Bleibt er oder geht er? Buffalo müsste sich finanziell verpflichten, doch haben die Bills eine wirklich bessere Option in der Hinterhand?

Coordinator: Rick Dennison (Offense), Leslie Frazier (Defense). Interessant ist vor allem Dennison. Der kennt Taylor einerseits noch aus gemeinsamen Tagen in Baltimore, wo Taylor als Backup für Joe Flacco fungierte.

Andererseits aber spielt er als Schüler von Gary Kubiak eine andere Offense als das, was Buffalo in der Vorsaison zum gefährlichsten Running-Team der Liga machte: Zone Run Game statt Gap-Scheme. Bleibt er dabei, wäre das eine drastische Umstellung für mehrere O-Liner - und auch für LeSean McCoy. Taylor dagegen sollte in beiden Schemes zurechtkommen.

SPOXDenver Broncos

Neuer Head Coach: Vance Joseph (Miami Dolphins)

Bisherige NFL-Erfahrung: Defensive Backs Coach (2005-2015), Defensive Coordinator (2016)

Wichtigste Baustelle: Zweierlei: Auf der einen Seite steht vor Joseph und seinem Trainerstab offensiv eine große Herausforderung - wie kann man die anfällige Offensive Line verbessern? Auf der anderen Seite geht es auch um die Defense: Nach dem überraschenden Abschied von Defensive Coordinator Wade Phillips wird Joseph als Defensiv-Coach hier besonders im Fokus stehen.

Gibt es dabei früh Probleme, werden die Kritiker auf Josephs mangelnde Erfahrung (nur ein Jahr als Coordinator) deuten. Er täte wohl gut daran, schematisch nicht allzu viel zu verändern.

Gleichzeitig aber gilt Joseph in NFL-Kreisen als hochrespektierter, talentierter und mental starker Anführer. Nicht umsonst war er schon im Vorjahr bei diversen Teams auf dem Zettel und der zurückgetretene Gary Kubiak hat bereits von 2011 bis 2013 in Houston mit Joseph zusammengearbeitet - Phillips an gleicher Stelle übrigens auch. Eine Vertrautheit mit dem Scheme ist also vorhanden, ein wichtiger Fakt.

Personelles Fragezeichen: Paxton Lynch und Trevor Siemian. Auch in Denver geht es um die Quarterbacks. Siemian ist aktuell der Favorit auf den Starting-Job 2017, unantastbar ist er aber sicherlich nicht, sollten die Coaches Lynch doch schneller weiterentwickeln können. Klar ist aber auch: Ohne eine signifikant verbesserte O-Line ist es fast egal, welcher der beiden Anfang September die Snaps erhält.

Coordinator:Mike McCoy (Offense), Joe Woods (Defense). Ein Rückkehrer und ein Gebliebener - McCoy war bereits von 2009 bis 2012 bei den Broncos, als Offensive Coordinator und QB-Coach. Einen Offensive Coordinator mit Head-Coach-Erfahrung (2013-2016 bei den Chargers) zu verpflichten, macht für Joseph Sinn, so kann er McCoy diese Seite des Balls weitestgehend überlassen.

Die Entscheidung für Woods als Defensive Coordinator spricht derweil ebenfalls für Scheme-Kontinuität. Woods hat in den letzten beiden Jahren unter Phillips die Defensive Backs gecoacht.

Eine weitere interessante Personalie: Der neue QB-Coach Bill Musgrave. Der 49-Jährige war über die letzen beiden Jahre Offensive Coordinator in Oakland, hat aber auch jahrelange Erfahrung als Quarterback-Coach in der NFL. Mit McCoy und Musgrave haben die Broncos ein gutes Duo, was Game Plans, aber auch die Entwicklung der Quarterbacks angeht.

SPOXJacksonville Jaguars

Neuer Head Coach: Doug Marrone (Jacksonville Jaguars)

Bisherige NFL-Erfahrung: Offensive Line Coach (2002-2005, 2015-2016), Offensive Coordinator (2006-2008), Head Coach (2013-2014)

Wichtigste Baustelle: Die Offense. Unter Gus Bradley entwickelte sich die talentierte Defense im Laufe der Saison kontinuierlich weiter, doch durch die massive Regression der Offense half ihm das letztlich nicht. Das betrifft mehrere Facetten: Können Marrone, der als Head Coach der Bills vor einigen Jahren aus freien Stücken seinen Hut nahm, und sein Trainerstab Quarterback Blake Bortles wieder die enormen technischen Probleme austreiben? Können sie ein stabiles Running Game installieren?

Sollte das Bortles-Experiment in Jacksonville nach der kommenden Saison beendet werden (müssen), wäre der nächste generelle Umbruch nicht unwahrscheinlich.

Personelles Fragezeichen: Tom Coughlin. Was die Spieler angeht, ist hier natürlich Bortles ganz oben, und wurde auch ausführlich diskutiert. Ein möglicher X-Faktor allerdings ist Coughlin: Der wird, das hat Team-Besitzer Shad Khan klar gestellt, das finale Wort in allen Football-Aspekten haben und hatte bereits seinen Einfluss auf die Einstellung der neuen Position-Coaches.

Die Entscheidung für Marrone ist eine Entscheidung für die Kontinuität und dafür, dem eingeschlagenen Weg eine weitere Chance zu geben. Coughlin könnte das schnell ändern, sollte auch die kommende Saison enttäuschend beginnen.

Coordinator:Nathaniel Hackett (Offense), Todd Wash (Defense). Hackett war hier die Überraschung. 2015 als Quarterbacks-Coach gekommen, übernahm er im Laufe der vergangenen Saison als Offensive Coordinator - trotz Bortles' massiver Probleme. Chip Kelly war ein Kandidat, beide Seiten konnten sich aber nicht einigen.

Hackett hat bereits in Buffalo unter Marrone gearbeitet und dürfte eine neue Offense spielen lassen. Während der Saison drehte er nur an einigen Schrauben von Vorgänger Greg Olson, über das Frühjahr ist damit zu rechnen, dass Hackett seine eigenen Spielzüge installiert. Ob das Bortles in seiner Entwicklung hilft, bleibt abzuwarten.

Und auch Wash, 2013 bis 2015 D-Line-Coach und Run Game Coordinator in Jacksonville (davor D-Line-Coach in Seattle und Tampa Bay) steht vor einer schwierigen Aufgabe: Mehrere Spieler hatten sich nach Saisonende lautstark darüber beschwert, dass sie sich vom Scheme eingeschränkt gefühlt haben - Rookie-Cornerback Jalen Ramsey forderte gar einen "kompletten Umbruch" im Defensiv-Trainerstab. Mögliche Umstellung: Eine traditionellere 4-3-Front, mehr Cover 2 in der Secondary.

SPOXLos Angeles Chargers

Neuer Head Coach: Anthony Lynn (Buffalo Bills)

Bisherige NFL-Erfahrung: Special Teams Assistant (2000-2002), Running Backs Coach (2003-2014), Assistant Head Coach/Offensive Coordinator/Running Backs Coach (2015-2016)

Wichtigste Baustelle: Der Neustart. Die Chargers sind, wenn alle Stars wieder fit sind, nicht schlecht aufgestellt - auch wenn sie in der harten AFC West ran müssen: Ein Franchise-Quarterback, ein guter Running Back, ein starkes Receiving Corps, gute Cornerbacks und mehrere Pass-Rusher.

Somit geht der Blick eher neben den Platz: Wie groß ist der Faktor des Umzugs von San Diego nach Los Angeles? Hier wird Lynn, der die Bills in der Vorsaison zur Top-Rushing-Offense formte und bei den Spielern in Buffalo sehr beliebt war, früh abseits aller Scheme-Fragen als Head Coach gefordert sein. Mit minimaler Coordinator-Erfahrung eine Herkulesaufgabe.

Personelles Fragezeichen: Die Offensive Line. Seit Jahren ein Problem bei den Chargers, auch im Vorjahr kam das Team über Zahlen im unteren Durchschnitt was Run-Blocking und Pass-Protection angeht nicht hinaus. Darüber hinaus wäre den Chargers viel geholfen, würden sie 2017 mal von dem absurden Verletzungspech der letzten Jahre verschont bleiben.

Coordinator:Ken Whisenhunt (Offense), Gus Bradley (Defense). Vielleicht der beeindruckendste Coordinator-Stab der neuen Head Coaches, mit zwei ehemaligen Head Coaches. Bradley kann sich jetzt nach dem Debakel in Jacksonville als Coordinator neu beweisen, spannend dabei: Geht er weg von der Zone Coverage und baut auf Man Coverage? Die Chargers haben dafür das Personal, sind vor allem bei den Cornerbacks stark aufgestellt.

Whisenhunt wurde aus dem Vorjahres-Trainerstab übernommen, kennt Personal und Scheme somit bestens. Lynn könnte ihm mit seinem Erfahrungsschatz vor allem im Running Game assistieren. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass die drei gemeinsam eine starke Team-Führung bilden.

SPOXLos Angeles Rams

Neuer Head Coach: Sean McVay (Washington Redskins)

Bisherige NFL-Erfahrung: (Assistant) Tight Ends Coach (2010-2013), Offensive Coordinator (2014-2016)

Wichtigste Baustelle: Die Offense. Die Rams haben viel Draft-Kapital investiert, um Jared Goff zu bekommen - scheinbar hatte der Trainerstab um Jeff Fisher aber keinen konkreten Plan, wie sie aus Goff einen NFL-Franchise-Quarterback machen. Umso mehr Sinn macht McVay, der mit inzwischen 31 Jahren der jüngste NFL-Head-Coach aller Zeiten ist.

Draft, Free Agency und Co.: Die Termine der NFL-Offseason im Überblick

Als Offensive Coordinator in Washington hat McVay über die letzten Jahre um Kirk Cousins herum eine starke Offense aufgebaut, McVay galt in Insider-Kreisen trotz seines Alters als ganz heißer Head-Coach-Kandidat und soll an der generellen Entwicklung der Offense, aber auch von Cousins selbst großen Anteil haben. Dabei kann er sich gleich beweisen, von einer Top-O-Line und einem der besten Receiving-Corps der NFL in Washington geht McVay jetzt zu einem Rams-Team, das offensiv nahezu überall dringend nachbessern muss.

Personelles Fragezeichen: Jared Goff. Goff wirkte bereits in der Preseason überfordert und nachdem er schließlich in der Regular Season für Case Keenum übernehmen durfte, änderte sich das nur sehr bedingt. Er hat noch große Probleme mit dem Pass-Rush, geht zu inkonstant durch seine Reads - und bekommt bei alldem aber auch nur wenig Hilfe von Receivern oder der O-Line. Goff zu formen, mit allem was dazugehört, ist die oberste Priorität in L.A.

Coordinator:Matt LaFleur (Offense), Wade Phillips (Defense). LaFleur hat von 2010 bis 2013 sowie 2015 und 2016 unter Kyle Shanahan gearbeitet, und dürfte Elemente von dessen Offense mitbringen - nicht wenige hatten ihn als Shanahans Nachfolger in Atlanta auf dem Schirm. Gemeinsam mit McVay ist das eine potentiell hochinteressante Kombination, und ein weiteres Indiz dafür, dass die Rams alles auf Goffs Entwicklung ausrichten.

Noch spannender ist aber Phillips. Der hat nicht nur jahrelange Head-Coaching-Erfahrung, sondern auch über die letzten beiden Jahre in Denver eine absolute Top-Defense aufgebaut. Es ist davon auszugehen, dass er in allen Defense-Fragen die oberste Autorität ist und mit seinen aggressiven Blitz-Paketen aus der D-Line und den schnellen Linebackern der Rams alles rausholen kann. McVay gilt als lernwilliger Coach, der gut mit anderen Coaches zusammenarbeitet. Phillips ist enorm wertvoll für dieses Team.

SPOXSan Francisco 49ers

Neuer Head Coach: Kyle Shanahan (Atlanta Falcons)

Bisherige NFL-Erfahrung: Receiver Coach (2006), QB Coach (2007), Offensive Coordinator (2008-2016)

Wichtigste Baustelle: Bei den 49ers muss man tatsächlich sagen: Wo liegt keine Baustelle? San Francisco hat den wohl größten Umbruch aller Teams zu bewältigen, auch vor etwa den Cleveland Browns. Nicht umsonst haben Shanahan und der neue Geschäftsführer John Lynch Verträge für sechs Jahre erhalten.

Es gibt dabei zumindest aktuell noch wenige Lichtblicke - die Defensive Line wäre einer davon. Offensiv stellt sich somit die spannende Frage: Wie sehr kann Shanahans Scheme und seine Fähigkeit, Schwächen einer gegnerischen Defense zu attackieren, die personellen Baustellen ausgleichen?

Die erste Aufgabe dabei wird es direkt sein, einen Quarterback zu finden - irgendeinen Quarterback. Colin Kaepernick verlässt das Team mutmaßlich, die Niners sind Anfang März dem kompletten Neustart noch einen Schritt näher. Unter anderem Kirk Cousins und Jimmy Garoppolo werden bisher als Kandidaten genannt, auch die Kombination Free-Agency-Routinier plus Rookie ist denkbar.

Personelles Fragezeichen: Kyle Shanahan. Die 49ers-Aufgabe ist ein Mammut-Projekt, das gilt umso mehr für einen Rookie-Head-Coach. Dazu kommt, dass Shanahan nicht nur Head Coach ist, er wird wohl auch als Offensive Coordinator fungieren und Geschäftsführer-Aufgaben übernehmen. Nicht umsonst war allem Anschein nach Shanahan die treibende Kraft hinter der Lynch-Verpflichtung, und nicht etwa andersherum. Bekommt er all das hin oder übernimmt er sich womöglich? Mit Lynch dahinter fehlt es generell schlicht an Erfahrung.

Coordinator:Kyle Shanahan (Offense). Kein Tippfehler hier: Shanahan wird Berichten zufolge keinen Offensive Coordinator verpflichten, da er diese Seite des Balls fest in seiner Hand sieht. Damit wären die 49ers neben Cleveland das einzige Team, dass diesen Titel nicht vergibt. Falcons-Offensive-Assistant Mike McDaniel soll stattdessen als Run-Game-Chef kommen, Rich Scangarello (2015 ebenfalls in Atlanta) als QB-Coach.

Wer als Defensive Coordinator übernimmt, ist noch unklar - durch Shanahans Doppelfunktion und damit unweigerlich verbundene Fokussierung auf die Offense kommt ihm jedoch in jedem Fall eine prominente Rolle zu. Zuletzt genannte Kandidaten: Patriots-LB-Coach Brian Flores und Jaguars-LB-Coach Robert Saleh.

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