Stolze 16 Jahre lang beschenkte Steve Smith Sr. die NFL und ihre Fans mit explosiven Big Plays, großen Emotionen und dem wohl feinsten Trash Talking, das die Liga jemals gesehen hat. Mit 37 Jahren sagte das pfeilschnelle Muskelpaket im Januar auf Wiedersehen und grüßt zum Karriereende trotz seiner geringen Körpergröße aus der oberen Region des Wide-Receiver-Olymps. SPOX blickt auf die Laufbahn des vielleicht besten "alten" Receivers aller Zeiten zurück. Und auf seine Trash-Talk-Highlights.
Getty"Es ist vorbei. Ich weiß, dass meine Zeit gekommen ist!" Nach 16 Jahren in der NFL hat Steve Smith Sr. seine Footballschuhe an den Nagel gehängt. Dieses Mal wirklich. Denn schon 2015 wollte der Wide Receiver das letzte Kapitel seiner ereignisreichen Karriere schreiben. Da allerdings beendete ein schwere Verletzung die Saison des damals 36-Jährigen schon im November vorzeitig.
Kein würdiges Ende für einen prädestinierten Hall of Famer, der während seiner Laufbahn immer wieder abgeschrieben und dem immer wieder eine aussichtslose Zukunft nachgesagt wurde. Für Smith, der hinter seinen 1,75 Metern, 88 Kilo pure Muskelmasse und der Fassade eines nicht zu bändigenden Pitbulls ein riesengroßes Kämpferherz versteckt, kam ein Abgang durch eine Verletzung auf keinen Fall in Frage.
Stattdessen trat er das Rehabilitationsprogramm an, kämpfte sich zurück zu alter Form und stand pünktlich zum Start der regulären Saison wieder auf dem heimischen Rasen im M&T Bank Stadium. Baltimores Nummer 89 stellte in 14 Spielen - die Ravens schrammten denkbar knapp an den Playoffs vorbeis - ein letztes Mal unter Beweis, dass er einer der größten Receiver aller Zeiten ist. Indem er das tat, was er schon immer machen musste: die Kritiker eines Besseren belehren.
"Wir klauen eure ganze Brotzeitbox und lassen euch mit leeren Händen zurück!"
[Über die Einstellung, mit der man als Baltimore Raven aufs Feld geht]
Noch in der High School wurde Stevonne Latrall Smith Sr. an der University High School in Los Angeles als Running Back und Defensive Back eingesetzt, bis der Trainer seines späteren Teams am Santa Monica College andere Pläne hatte. "Wir haben beim All-Star-Game gesehen, wie er mit einem langen Pass überwunden wurde", erzählte Coach Robert Taylor, "also haben wir festgestellt, dass das so nicht funktionieren wird."
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Taylor funktionierte seinen explosiven Rekruten um, aufgrund des "Talents für Big Plays" und weil er "nie Bälle fallen ließ". Auf dem kleinen kalifornischen College war Smith nun im Wide Receiving Corps zu finden. Erst seine Zeit bei den Utah Utes brachte Smith auf den Schirm der NFL-Scouts, die allerdings hatten aufgrund der Körpergröße ihre Zweifel.
In der dritten Runde wurde er 2001 schließlich von den Carolina Panthers ("Ich wusste nicht einmal, wo North Carolina lag") gezogen und verbrachte seine Rookie-Saison bei den Special Teams. Hier returnierte er den Opening-Kick-Off seines ersten NFL-Spiels zu einem Touchdown und wurde am Ende des Jahres für den Pro Bowl nominiert.
"Fragen Sie Ihn, er hat doch das Spiel nicht beendet. Ab in die Eistonne, mein Sohn!"
[Nach einem hart umkämpften Duell mit Aqib Talib, in welchem der Patriots-Cornerback die Nerven verlor und von seinem Trainer zum Spielende nicht mehr eingesetzt wurde. Smiths "Ice up, son" wurde legendär]
Bei jenem Pro Bowl in Hawaii wurde Smith, der sich selbstverständlich nicht nur als Punt und Kick Returner verstand, mit hängenden Schultern aus der Receiver-Gruppe zu seiner eigentlich vorgesehenen Trainingsgruppe abkommandiert. Glücklicherweise sollte er hier auf John Harbaugh treffen, damals Special-Teams-Coach der Philadelphia Eagles.
Harbaugh sprach Smith Mut zu und sagte ihm, dass er den Receivern zeigen solle, was in ihm steckt. Wie könne man seine Fähigkeiten schließlich besser unter Beweis stellen, als mit einem Pro-Bowl-Quarterback under Center. Ein Aufeinandertreffen, das auch auf eine spätere Entscheidung Einfluss nehmen sollte.
In seiner dritten Saison spielte Agent 89 schließlich erstmals eine ernsthafte Rolle in der Panthers Offense. Parallel konnte auch das Team endlich Erfolge einfahren, wie den Sieg über die "Greatest Show On Turf"-Rams in den Divisional Playoffs, bei dem Smith mit einem 69-Yard-Touchdown-Catch in der zweiten Verlängerung für die Entscheidung sorgte.
"Große Spieler zeigen große Aktionen in großen Spielen"
[Während seines ersten Spiels für Baltimore in Richtung seines Ex-Teams in Carolina]
Die nächste Titelchance fiel nach einem Beinbruch im folgenden Season-Opener gegen die Green Bay Packers flach. Smiths Jahr war frühzeitig beendet, eine Rückkehr zu alter Leistungsstärke wurde - bekanntlich nicht zum letzten Mal - in Frage gestellt. Doch auch dieses Mal hatte Smith die richtige Antwort.
Eine Antwort, die es in sich hatte. Er führte die Liga 2005 in den Kategorien Receiving Yards, Receptions und Touchdowns an und dominierte folgerichtig auch die Post Season mit vier Touchdowns in drei Spielen. Im NFC Championship Game war dann jedoch Schluss.
"Ich will, dass sogar deine Mutter angepisst ist"
[Über seine Motivation im Duell mit dem Gegenspieler]
Nicht nur durch seine aggressive Spielweise, sondern auch durch seine unnachahmlichen Künste in der Kategorie Trash Talk sorgte Smith für eine Menge Aufsehen. Die Formulierungen waren dabei gerne so krass, dass selbst in die Kamera gerichtete Parolen für ein kurzes Zurückschrecken vor den TV-Geräten sorgten. Die Intensität, mit der Smith seine Gegner dabei verbal attackierte, ließ den Zuschauer rätseln: Handelte es sich nur um psychologische Spielchen? Oder meinte er das tatsächlich ernst?
So polarisierend und unangenehm, wie Smith sich regelmäßig gegenüber Gegenspielern zu verhalten wusste, ging es auch im eigenen Team zu. Schon zu College-Zeiten geriet der Hitzkopf während des Trainings ein ums andere Mal in Auseinandersetzungen, die seine Coaches zu Bestrafungen zwangen. Bei den Panthers wurden Guilian Gary, Anthony Bright und Ken Lucas zu Opfern des Heißblüters, der sich so mehrfach teaminterne Suspendierungen einhandelte.
Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass er für die Panthers ein guter Leader gewesen ist. Das kann der langjährige Panthers-Quarterback Jake Delhomme bestätigen, den Smith nach einer Katastrophenleistung 2008 in Arizona an der Seitenlinie mit den Worten "Du könntest 50 Interceptions werfen und ich würde immer noch zu dir stehen" tröstete.
"Ich habe mich schrecklich gefühlt. Aber als er zu mir gekommen ist, den Arm um mich gelegt hat und mir sagte, dass er zu mir steht ... das weiß ich wirklich zu schätzen", so Delhomme in der Doku Steve Smith - A Football Life.
Auch privat war und ist Smith ein anderer Mensch als in Pads. Dies betonte der vierfache Familienvater immer wieder: "Viele denken, dass ich als Footballspieler und privat die selbe Person bin. Dabei macht mich meine Familie zu dem Menschen, der ich bin." Neben dem Familienmensch Smith gibt es auch den Wohltäter: So wäscht er Obdachlosen die Füße und spendet unter anderem vor jedem Auswärtsspiel neue Sneaker an Bedürftige. Irgendwann will er davon 500.000 verschenkt haben.
Getty"Es gibt nichts Besseres, als einen Spieler aufgeben zu sehen. Das gefällt mir."
[Über das Gefühl, den Willen eines Gegenspielers zu brechen]
Als in Carolina 2011 mit dem ersten Draft-Pick eine neue Ära beginnen sollte, kamen die Dinge anders als erwartet. Drei Jahre versuchte Smith sein Glück an der Seite des neuen Gesichts der Franchise, Cam Newton. Jedoch stellte die Zusammenarbeit mit dem talentierten Quarterback eine nicht zu erwartende Bürde dar. "Wir sind aus offensichtlichen Gründen aneinander geraten. Er war der First-Overall-Pick und ein Star in der Heimat. Ich war 31 Jahre und hatte drei Kinder. Wir waren in verschiedenen Phasen unseres Lebens", erklärte Smith die anfänglichen Schwierigkeiten mit Newton.
Smith soll keinerlei Geduld für die Entwicklung des neuen Franchise Players aufgebracht haben. Er hatte keine Zeit darauf zu warten, dass Newton die Terminologie des Spiels und die Variation der Laufrouten des Veteranen-Receivers verstand. Wo es auf dem Platz eine Chemie zu geben schien, spielten sich an der Seitenlinie wieder hitzige Diskussionen und lautstarke Wortgefechte ab.
Die Panthers lösten den Vertrag mit Smith 2014 schließlich zum Wohle der Entwicklung des Teams auf - und weckten in ihrem ehemaligen Franchise-Player einen verloren geglaubten Tiger. "Bei jedem Team das angerufen hat, habe ich mir den Spielplan angeschaut", eröffnete Smith, nachdem er sich Ravens unter der Leitung des altbekannten Harbaugh anschloss. "Ich wusste zwar nicht in welcher Woche, aber ich wusste dass die Panthers auf diesem Spielplan standen."
"Überall werden Blut und Eingeweide sein"
[Vor dem Spiel gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber]
In Woche vier war es soweit. Smith traf auf sein altes Team und kündigte Großes an. Sieben Catches für 138 Yards und zwei Touchdowns später war den Panthers bewusst, dass er das Mundwerk wieder einmal nicht zu voll genommen hatte.
Und die Liga wusste nach Smiths erstem Jahr in Maryland, dass er sich auch noch mit 35 Jahren an einen neuen Quarterback gewöhnen konnte. Er spielte seine achte Saison mit über 1.000 Receiving-Yards und sollte auch seinen letzten Playoff-Auftritt bekommen.
Nach dem Wild-Card-Aus gegen New England im Januar 2015 jedoch sah sich auch Smith auf die Zielgerade seiner Football-Laufbahn abbiegen. Eine letzte Saison sollte folgen, bevor sich die Big-Play-Maschine, die in keiner Spielzeit weniger als zehn Yards pro Catch verzeichnete, auf das Familienglück konzentrieren konnte. Stattdessen folgte nach einem harten Richtungswechsel, wie man ihn von ihm so häufig gesehen hatte, ein Achillessehnenriss.
"Werde Einige verletzen, beschädigen und punktieren, bevor ich abtrete"
[Nach der Ankündigung seines Comebacks im Dezember 2015]
Nein, so wollte er nicht abtreten. Der Receiver, den Larry Fitzgerald einst den besten Routenläufer der Liga nannte, entschied sich für eine letzte Rückkehr. Bis der Zähler im Januar 2017 nach 16 Jahren purer Passion bei 1.031 Catches, 14.731 Yards und 81 Receiving Touchdowns stehen blieb. Smith grüßt zum Abschied vom siebten Platz der ewigen Receiving-Yards-Rangliste - und mit der einen oder anderen Träne im Auge.
"Ich habe versucht nicht emotional zu werden, aber es ist dann doch passiert", sagte Smith über seinen Abschied. Er freut sich auf eine ruhige Zukunft mit einer Menge Zeit für die Familie: "Ich werde die Jungs vermissen, aber während sie im Training Camp sind, bin ich es nicht. Ich werde am Pool abhängen und im September Disneyland besuchen. Ich werde einfach nur Vater sein und freue mich darauf."
Gänzlich wird er die NFL glücklicherweise nicht verlassen. Smith wird künftig für das NFL Network in diversen TV-Shows als Experte auftreten. Freunde des unnachahmlichen Sprücheklopfers werden also weiterhin voll auf ihre Kosten kommen. Und außerdem erwartet ihn in fünf Jahren ja noch eine goldene Jacke und eine Büste in Canton.
Bis dahin darf er aber erstmal weiter am Pool abhängen. Oder auch in der Eistonne. Ice up, son. Ice up!