Die Name-Games. Im Football gibt es sie vielleicht mit höherer Frequenz als in irgendeinem anderen Sport: Spiele, die so ikonisch, so unglaublich, so prägend waren, dass sie einen eigenen Namen bekommen haben. Da wäre etwa "The Longest Game Ever", als Miami 1971 die Chiefs in der zweiten Overtime nach über 82 Spielminuten mit 27:24 ausschaltete. Oder "The Comeback", als die Bills in den Playoffs 1993 Houston nach einem 3:35-Rückstand noch mit 41:38 schlugen.
Patriots-Fans, die den "Comeback"-Titel nach dem jüngsten Super-Bowl-Triumph ebenfalls beanspruchen können, dürfte das "Tuck Rule Game" noch in bester Erinnerung sein - das Playoff-Spiel gegen die Raiders, in dem ein vermeintlicher Brady-Fumble kontrovers zurückgepfiffen wurde. Oder natürlich "The Greatest Game Ever Played": Das erste national übertragene NFL-Spiel, ein episches Duell zwischen den Baltimore Colts um Johnny Unitas und den New York Giants.
Und dann gibt es da auch den "Ice Bowl", vielleicht das ikonischste Spiel aller Zeiten.
An jenem 31. Dezember 1967 spielten die Dallas Cowboys und die Green Bay Packers den NFL-Champion aus, der dann im zweiten Super Bowl auf den AFL-Champion Oakland treffen würde. Zu sagen, dass es an diesem Tag in Lambeau Field kalt war, wäre wohl eine gehörige Untertreibung. Die Zuschauer berichteten später, dass sie Schlafsäcke mitbrachten, in denen sie sich verkrochen, während sie auf ihren Plätzen im Stadion saßen. Wir sprechen von Temperaturen beim Kick-Off von etwa -26 Grad, mit Wind gefühlt rund -40 Grad Celsius.
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Es war so kalt, dass die Rasen-Heizung nicht funktionierte und das Feld festfror. Die Marching-Band, die eigentlich vor dem Spiel und in der Halbzeitpause spielen sollte, gab nach dem Einspielen auf - die Kälte machte es unmöglich, einen Ton aus den Instrumenten zu bekommen und die Mundstücke froren an den Lippen der Musiker fest. Folgerichtig konnten die Schiedsrichter auch ihre Pfeifen nicht benutzen.
CBS-Kommentator Frank Gifford brachte es schließlich während der Live-Übertragung auf den Punkt, als er sagte: "Ich beiße jetzt mal in meinen Kaffee."
"Und wir haben Starr"
Es waren damals die Hausherren, die besser in die Partie kamen. Starr fand Boyd Dowler aus acht und aus 43 Yards zu Touchdowns, Green Bay zog auf 14:0 davon. Aber Dallas fand sich immer besser zurück. Zwei Packers-Fumbles, einer davon durch Starr, brachten die Cowboys wieder ins Spiel und schließlich ging Dallas mit 17:14 in Führung. Über 37 Spielminuten blieben die Packers ohne eigene Punkte, als sie schließlich den Ball 4:50 Minuten vor dem Ende ein weiteres Mal via Punt an der eigenen 32-Yard-Line zurückbekamen. Vom dritten NFL-Titel in Folge trennten Green Bay 68 Yards.
"Wir waren bei diesem letzten Drive bereit", blickte Starr später zurück. "Wir waren komplett fokussiert auf das, was wir tun mussten, um das Spiel zu gewinnen. Als ich meinen Mitspielern in die Augen schaute, wusste ich, dass ich einfach nur den Spielzug ansagen musste." Und wann immer Starr den Huddle betrat, waren die übrigen zehn Spieler überzeugt: Wir punkten. "So war er einfach. Er hat jeden inspiriert", betonte Guard Fuzzy Thurston.
Linebacker Ray Nitschke brachte das Gefühl damals an der Seitenlinie auf den Punkt: "Wir liegen hinten, aber wir haben den Ball. Und wir haben Starr."
Ein symptomatischer Touchdown
Bei Temperaturen von rund -50 Grad Celsius legte Starr einen beeindruckenden Drive hin. Kurze Pässe gegen Dallas' Off-Coverage, dazu einige gut geblockte Runs. Mit noch 16 Sekunden auf der Uhr standen die Packers innerhalb der 1-Yard-Line. Third and Goal.
Alles rechnete mit einem schnellen Pass, würde eine Incompletion doch zumindest die Möglichkeit auf einen letzten Versuch offen halten - im Gegensatz zu einem Run. Doch Starr blieb im entscheidenden Moment ruhig. Er wusste, dass seine Linemen Probleme hatten und angesichts der acht Sacks, die Starr hatte einstecken müssen, ist das wohl noch nett gesagt. Und er wusste, dass die Running Backs aus dem Backfield heraus auf dem gefrorenen Platz keinen vernünftigen Halt fanden.
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Er selbst dagegen stand direkt hinter dem Center und war sicher, dass er den kurzen Sprung über die Goal Line schaffen würde. Coach Vince Lombardi soll nur gesagt haben: "Mach es, und dann lasst uns verdammt noch mal hier abhauen." Und Starr hielt Wort. Mit dem Kopf voran drückte er sich in die Endzone, die Packers hatten das NFL-Championship-Game gewonnen und sollten wenig später den zweiten Super Bowl gegen die Raiders für sich entscheiden.
Es war eine Szene, die fast symptomatisch für Starrs Football-Karriere war. Effektiv. Wohl durchdacht. Den Umständen angepasst. Ohne unnötigen Firlefanz.
Starr und der Schock der Kindheit
Mit ein wenig Vorstellungskraft lässt sich von diesem Touchdown der Bogen bis zu Starrs Kindheit spannen, denn es war eine Kindheit, in der die Starr-Kinder flexibel sein mussten. Die Familie zog dahin, wo der Vater Arbeit fand - Alabama, Columbia, Tennessee und wieder zurück nach Alabama. "Ich werde immer dankbar für die Dinge sein, die ich gelernt habe, als ich mich stets neu an verschiedene Umstände und Umgebungen anpassen musste", sagte Starr einst.
Auch Disziplin wurde ihm schon im Kindesalter beigebracht: "Ich bin in einer Militär-Familie aufgewachsen, mein Vater war ein Berufssoldat. Daher hatte ich schon früh diese Disziplin und das Training." Für den jungen Bart war sein Vater ein großes Vorbild, "ich wollte so sein wie er". Gleichzeitig bedeutete das Militär-Leben allerdings auch Entbehrungen. Etwa als sein Vater während des zweiten Weltkriegs in den Pazifikraum abkommandiert wurde und seine Familie für mehrere Jahre nicht sah.
Doch das prägende Ereignis in Starrs Kindheit war ein anderes. Sein Bruder Hilton verstarb infolge einer beim Spielen erlittenen Verletzung an einer Infektion, weil seine Mutter ihm die noch recht neue Tetanus-Spritze ersparen wollte. Hilton war auf einen Hundeknochen getreten, drei Tage später war er tot. Bart Starr war damals lediglich zwölf Jahre alt.
Darunter litt die Familie sehr. Seine Mutter vergab sich selbst nie, Vater Ben machte seiner Frau zusätzliche Schuldgefühle und kam nie über den Verlust hinweg, was er wiederum an Bart ausließ.
"Hört sofort auf zu plappern"
Es wäre an dieser Stelle in der Geschichte einfach, zu sagen, dass Starr im Sport Ablenkung fand und so schneller über den Verlust hinweg kam. Tatsächlich allerdings wollte er das Football-Team der Sidney Lanier High School in Montgomery, Alamaba, nach nur zwei Wochen wieder verlassen - woraufhin ihn sein Vater vor die Wahl stellte: Entweder er würde das Training am nächsten Morgen wieder aufnehmen, oder aber in der neu gewonnenen Freizeit die Gartenarbeit erledigen. Starr wählte Football.
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Und auch Coach Bill Moseley, dessen High-School-Team vor bis zu 25.000 Zuschauern spielte war zunächst so gar nicht überzeugt, wie er später dem Milwaukee Journal Sentinel verriet: "Mein erster Eindruck von Bart? Ein etwas vorlauter Junge vom Land. Ich habe mich gefragt, warum er sich überhaupt für das Football-Team beworben hatte. Aber es war leicht, ein guter Lehrer für Bart zu sein. Er schaute dir in die Augen und hat deine Worte wie ein Schwamm aufgesogen. Er war kein großes Muskelpaket. Aber er hat all seine Fähigkeiten genutzt, um sein Spiel zu verbessern und unsere Siegchancen so weit wie möglich zu steigern."
Allerdings dauerte es eine Weile, bis Starrs Stunde schlug. Don Shannon stand als klarer Starter in der Hackordnung vor ihm - bis er sich im Oktober 1950 das Bein brach. "Ein sehr bitterer Moment", betonte Moseley Jahre später. "Aber ich habe Bart gesagt, dass das seine Chance ist." Und der eher schmächtige Teenager verschwendete keine Zeit.
Keith Dunnavant berichtet in seinem Buch Bart Starr: America's Quarterback and the Rise of the National Football League von Starrs unmissverständlicher Ansage, die anschließend im Huddle stattfand: "Hört sofort auf zu plappern. Ich habe im Huddle das Sagen. Ich sage die Plays an. Wenn ich euren Rat will, dann frage ich danach." Starr spielte ein bemerkenswertes Spiel und führte Lanier zum 13:0-Upset über Tuscaloosa. Lanier verlor in der weiteren Saison mit Starr kein Spiel mehr.
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Es war die erste von noch vielen folgenden Druck-Situationen, in denen Starr letztlich die Oberhand behielt. Ein Vorgeschmack auf Starrs klare Ansagen im Huddle, seine später unangefochtene Rolle auf dem Platz. Genau wie einige Jahre danach: Als während eines College-Spiels der junge Fullback Tommy Lewis auf den Platz kam und im Huddle den Spielzug ansagen wollte, sagte Starr forsch: "Halt die Klappe, Tommy! Ich sage die Plays an."
Eine geheime Hochzeit
Zu diesem Zeitpunkt hatte Starr bereits seine wahre College-Heimat gefunden. Zunächst nahm er noch das Angebot der University of Kentucky an, um aber bei seiner Jugendliebe Cherry Morton zu sein, kam er zurück nach Alabama und wechselte auf das dortige College. Im Mai 1954 sollte er seine Cherry schließlich auch heiraten. Beide hielten die Hochzeit allerdings zunächst geheim, da Starr andernfalls um sein Stipendium hätte bangen müssen: In den 1950ern war die Haltung vorherrschend, dass sich College-Athleten ausschließlich auf den Sport zu konzentrieren hätten.
Doch sportlich lief es zunächst nicht sonderlich gut. Starr kam als dritter Quarterback nach Alabama und erhielt zunächst nur wenige Spielminuten, ehe er in seine zweite Saison als Starting-Quarterback, Starting-Safety und Starting-Punter ging. Es war allerdings eine durchwachsene Saison für Alabama, das schließlich auch den Cotton Bowl gegen die Rice Owls aus Houston mit 6:28 verlor. Und die nächsten beiden Jahre sollten nicht wirklich besser werden.