Kurt Warner war nicht das einzige Positiv-Beispiel, das die NFL Europe über Jahre unabhängig vom Fan-Interesse in Europa als Daseinsberechtigung anbringen konnte. Da wäre Jake Delhomme: Ursprünglich ungedraftet, wurde er von den New Orleans Saints 1998 nach Amsterdam und 1999 nach Frankfurt geschickt. "Ich war voll dafür. Ich war ein Undrafted Free Agent, meine Aufgabe ist es, den Mund zu halten und hart zu arbeiten", erzählte er später.
Und auch bei Delhomme kann man sagen, dass es sich gelohnt hat: Delhomme schaffte mit den Panthers 2003 den Sprung in den Super Bowl, wo erst ein Last-Minute-Field-Goal von Adam Vinatieri die New England Patriots zum Champion krönte.
Der hatte zuvor selbst in Europa Erfahrungen gesammelt. Vinatieri spielte 1996 für Amsterdam, ehe er von den Patriots verpflichtet wurde. Heute schmücken vier Super-Bowl-Ringe seinen Trophäen-Schrank. Vinatieri, der noch immer für die Colts spielt, bilanzierte: "Für mich war die NFL Europe eine tolle Erfahrung. Sie gab mir die Möglichkeit, den Übergang von einer kleineren Schule in den Profi-Bereich zu schaffen. Und sie hat mir eine größere Bühne gegeben, wo ich NFL-Teams zeigen konnte, wie ich unter Druck vor mehr Zuschauern spielen kann."
NFL Europe als Schule für Coaches, Refs, Kommentatoren
So schön diese Geschichten sind, die Wahrheit ist jedoch auch: Die NFL Europe war mitnichten eine kontinuierliche Talentschmiede für die NFL-Teams. Vielmehr war es eher die Ausnahme, dass Spieler nach einem oder zwei Jahren in Europa in der NFL so richtig durchstarteten. Umgerechnet rund 400.000 Euro investierten die Teams pro Jahr in das Europa-Projekt, die Erträge aus rein geschäftlicher Sicht waren alles in allem überschaubar.
Das galt nicht selten auch für die Spieler, wie Hamburg-Quarterback Bramlet weiter erzählte: "Ich erinnere mich, den Leuten gesagt zu haben, dass sie nicht hier her kommen, um reich zu werden. Man ging da rüber, um Erfahrung zu sammeln und sich zu präsentieren. Denn oft kam man nach Europa, um sich für die anderen 31 Teams zu empfehlen, weil man insgeheim wusste, dass das eigene NFL-Team dich nach dem Jahr nicht behalten wird."
Auch wenn etwa der damalige Chiefs-Geschäftsführer Carl Peterson 2007 bei Bloomberg News betonte, dass das Geld, welches NFL-Teams in die NFL Europe stecken "die Investition absolut wert ist, weil wir nicht nur die Qualität unseres Spiels, sondern auch die Entwicklung unserer Spieler vorantreiben" - tatsächlich wurde die NFL Europe in ihren letzten Jahren eher eine Art Spielwiese für die NFL. Nicht nur Spieler, sondern junge Coaches, Schiedsrichter und auch TV-Kommentatoren sammelten in Europa ihre ersten Erfahrungen.
Die bekanntesten NFL-Europe-Spieler:
Spieler | Teams Europa | Jahr | NFL-Teams | Jahr |
QB Kurt Warner | Amsterdam | 1998 | Rams, Giants, Cardinals | 1998-2009 |
K Adam Vinatieri | Amsterdam | 1996 | Patriots, Colts | seit 1996 |
QB Jake Delhomme | Amsterdam, Frankfurt | 1998-1999 | Saints, Panthers, Browns, Texans | 1997-2011 |
OLB James Harrison | Düsseldorf | 2003 | Steelers, Ravens, Bengals | seit 2002 |
QB Brad Johnson | London | 1995 | Vikings, Redskins, Bucs, Vikings, Cowboys | 1992-2008 |
K David Akers | Berlin | 1999 | Redskins, Eagles, 49ers, Lions | 1998-2013 |
WR Dante Hall | Edinburgh | 2001 | Chiefs, Rams | 2000-2008 |
QB Jon Kitna | Barcelona | 1997 | Seahawks, Bengals, Lions, Cowboys | 1996-2011, 2013 |
CB Brent Grimes | Hamburg | 2007 | Falcons, Dolphins, Buccaneers | seit 2006 |
NFL Europe wird zur NFL Deutschland
Ab 1995 nämlich hatte Fox im Rahmen des neuen TV-Vertrags mit der NFL auch Übertragungsrechte für die WLAF erhalten und vor allem in Deutschland wurde die Liga mit offenen Armen empfangen. Als unter anderem die England Monarchs (1998) und die Barcelona Dragons (2003) ihre Teams abmeldeten, wurden diese durch deutsche Teams (Berlin Thunder und Cologne Centurions) ersetzt.
Die Gesamtgröße von sechs Teams blieb so über zwölf Spielzeiten (1995 bis 2007) beständig, in ihrem letzten Jahr aber kamen bereits fünf der sechs Teams aus Deutschland - ergänzt lediglich durch die Amsterdam Admirals. "NFL Europe fest in deutscher Hand", titelte die FAZ bereits 2005 und NFL-Europe-Organisationschef Marshall Happer betonte damals: "Eine kompakte Liga hauptsächlich in Deutschland hat für uns die besten Perspektiven. Alle sagen, die deutschen Teams verkaufen sich besser."
Auch einige ehemalige Bundesliga-Fußballer versuchten ihr Glück als Kicker, etwa Axel Kruse - der den Sport noch heute verfolgt, wie er dem Donaukurier verriet: "Man hat gemerkt, dass in Deutschland eine große Fangemeinde da ist und die NFL-Übertragungen gute Einschaltquoten haben. Natürlich war das Aus schade, aber es hat wirtschaftlich nicht funktioniert. Es war eine tolle Erfahrung, weil es extrem viel Spaß gemacht hat."
Mit Blick auf die Zuschauerzahlen hatte Happer damals jedoch sogar Recht: 2005 kamen insgesamt 568.935 Fans zu den 30 Spielen, ein Schnitt von knapp 19.000 Zuschauern pro Spiel - der Höchstwert seit 1992. Gleichzeitig aber brachen zunehmend die TV-Verträge mit den nicht mehr beteiligten Ländern weg, was zu beträchtlichen finanziellen Tiefschlägen führte.
Am 23. Juni 2007 im letzten NFL-Europa-Endspiel warf Bramlet nochmals für 347 Yards und vier Touchdowns, Hamburgs 37:28-Sieg gegen Titelverteidiger Frankfurt war der punktreichste World Bowl. Sechs Tage später war das Abenteuer beendet.
NFL: "Wir werden ein Team in London haben"
Rückblickend könnte man den Umgang der NFL mit der NFL Europe durchaus kritisieren. Immerhin wurden durch die Entscheidung zahlreiche Fans in Europa ihres Teams und vor allem ihrer Liga beraubt, eine Entscheidung, die auch nach hinten hätte losgehen können. Immerhin war es so durchaus möglich, dass Fans dem Sport den Rücken kehren.
Stattdessen aber schaffte es die NFL, das Fan-Potential stärker an ihr Hauptprodukt zu binden. Seit dem Ende der NFL Europe - beziehungsweise NFL Europa, wie die Liga in ihrem letzten Jahr hieß - wurde die International Series mit mindestens einem NFL-Spiel pro Jahr in London gestartet. "Wenn wir es schaffen, zwei oder drei Spiele pro Jahr in London auszutragen, und sich die Fans darauf einlassen, dann werden wir in Europa einen deutlichen Wachstum erleben", hatte NFL-International-Vizepräsident Mark Waller 2007 bereits festgestellt. In der kommenden Saison finden vier Regular-Season-Spiele in der Stadt an der Themse statt.
Der Wille zur Internationalisierung ist seit 2007 nie abgerissen, und nicht wenige NFL-Verantwortliche sehen auch Bedarf nach einer Entwicklungs-Liga - insbesondere angesichts der strengen Trainings-Vorschriften für Teams heute. Cowboys-Vizepräsident Stephen Jones betonte im Vorjahr gegenüber CBS Sports erneut: "Wir haben mit der NFL Europe viel Geld verloren. Aber da gab es auch viele Dinge, die die Liga gut gemacht hat. Insbesondere was Coaches, Schiedsrichter und vor allem Quarterbacks angeht. Wir müssen uns das genau anschauen und auswerten. Eventuell ist der Zeitpunkt für eine Entwicklungsliga gekommen."
Und die Gespräche über eine stärkere Involvierung Europas? Die reißen schon seit einer Weile nicht mehr ab. Dafür sorgte in der Vorwoche Patriots-Besitzer Robert Kraft: "Wir tragen aktuell vier Spiele pro Saison in London aus und verkaufen dafür jeweils 80.000 Tickets. Und wir werden ein Team in London haben."