Seahawks übernehmen Auburns Run Pass Option
Es dauerte fünf Jahre, ehe sich die Run Pass Option von einem Konzept, das einige wenige College-Teams benutzten, zu einem prägenden Element auf der größten NFL-Bühne entwickelte.
Einen ihrer ersten NFL-Auftritte hatte die Run Pass Option zum Start der 2014er Saison, beim 36:16-Auftaktsieg der Seahawks über die Green Bay Packers. Seattles Head Coach Pete Carroll bestätigte anschließend den direkten Einfluss aus dem College: "Wir gehen überall hin, um ein Play zu finden. Wir haben das bei Auburn gesehen, Gus Malzahn verdient das Lob dafür. Es ist ein großartiges Play. Ich habe den Trainern über den Sommer immer wieder gesagt, dass es klappen würde - auch wenn es im Training nie funktioniert hat."
Und hier sieht man ein Umdenken in der NFL in den vergangenen Jahren: Konzepte, die im College funktionieren, fassen in der NFL heute schneller Fuß als in früheren Jahren. Eagles-Quarterback Nick Foles etwa, für den die RPOs in den vergangenen Playoffs auf dem Weg zum Super-Bowl-Titel ein maßgebliches Standbein waren, hat die Run Pass Options erst in der NFL gelernt - obwohl er in der Pass-freudigen Pac-12 spielte.
Die Beziehung ist intensiver geworden - mit dem College als treibender Kraft.
Hal Mumme und die Passspiel-Explosion
Das war längst nicht immer so, und auch im College Football in sich dauerte es manchmal länger, bis gewisse Dinge akzeptiert wurden - selbst so offensichtliche wie das Passspiel. Es war der legendäre LaVell Edwards, der in seinen fast 30 Jahren als Head Coach von BYU (1972 - 2000) wie kaum ein anderer dafür stand, das Passspiel als primäre Offense-Waffe zu nutzen. In Zeiten, in denen das Run Game alles dominierte, suchte Edwards nach Alternativen, um die individuelle Unterlegenheit seines Teams gegenüber den großen Schulen auszugleichen. Er fand sie im Pass.
Doch obwohl er dadurch große Erfolge feierte und für Upsets auf der ganz großen Bühne sorgte - keiner wohl größer als der Sieg über SMU im Holiday Bowl 1980, als BYU in den letzten vier Minuten einen 25:45-Rückstand noch aufholte - beharrte der allergrößte Teil der Coaches auf seinem Ansatz. Auch Sid Gillman, der auf dem NFL-Level bei den Chargers in den 60er Jahren ähnliches vollbrachte, hatte keine Massen-Revolution auslösen können.
Vielleicht war die Coaching-Welt einfach eher bereit für einen Umbruch, als Hal Mumme - rückblickend Edwards' einflussreichster Schüler - in den frühen 90er Jahren einen weiteren Versuch startete: Mit seinen Iowa Wesleyan Tigers schockte Mumme Division-II-Powerhouse Northeast Missouri State im August 1991, als der 25-Punkte-Underdog die College-Football-Welt mit einem 34:31-Sieg und 537 Offense-Yards erschütterte.
Mumme trieb die Ideen von Edwards dabei ins Extrem, die grundlegenden Prinzipien aber waren unverkennbar. Statt Ballkontrolle - für Mumme eine der nutzlosesten Statistiken - setzte er auf explosive Plays und nicht selten gelang ihm ein Kantersieg mit 20 Minuten Ballbesitz. Statt die Uhr und so vermeintlich den Spielfluss zu diktieren, setzte Mumme auf Tempo und überrumpelte seine Gegner: Seine Teams legten pro Spiel 80 bis 100 Plays auf, statt 60, wie die meisten Gegner der Zeit. Es war eine Revolution, auch wenn sie Zeit brauchte.
Ein anderer Mann, dessen Coaching-Karriere in den frühen 80er Jahren bei BYU unter Edwards begann und der von ihm nachhaltig geprägt wurde, ist Andy Reid.
Andy Reid und die College-NFL-Offense
"Ich denke", versuchte sich Bucs-Coach Dirk Koetter jüngst an einer Erklärung, "die NFL ist beim Übernehmen dieser Dinge langsamer, weil sich die NFL nicht verändern will. Ich will mich ja auch nicht zwangsläufig verändern. Man hat eben seine Muster."
Wenn man diese Aussage als Basis hinnimmt und den Gedanken weiterspinnt, kann man eigentlich nur zu einem Schluss kommen: wer bereit ist, die einheitlichen Schienen zu verlassen, wird früher oder später im Vorteil sein und seine Gegner auf dem falschen Fuß erwischen. Sei es mit einem einzelnen Konzept oder mit einem generellen Ansatz. Letztlich geht es für eine Offense darum, Räume zu kreieren und zu nutzen. Der Weg dahin ist erst einmal sekundär, solange dieses Ziel verfolgt wird.
Reid hat diese These in der vergangenen Saison wieder einmal eindrucksvoll untermauert. Seine Spread-Option-Offense, die mit jeder Menge Misdirection und Motion arbeitet, sorgte für die beste Saison in der Karriere von Alex Smith und soll jetzt dabei helfen, Patrick Mahomes an die NFL heran zu führen.
Jedes Team spielt heute irgendeine Version einer Spread-Offense, manche mehr, manche weniger. Tempo, No-Huddle, Zone Reads und Option-Football sind in der NFL angekommen, und gerade die Playoffs der vergangenen Saison - mit den Eagles und Chiefs und ihren RPOs, den Titans und Panthers (und teilweise auch den Jaguars) mit dem Zone Read, den Patriots mit ihrer Flexibilität und Motion - haben gezeigt, wie offen die College-NFL-Verbindung inzwischen ist.
College-NFL-Ausblick: Wie geht es weiter?
Was aber bedeutet all das für die Zukunft? Wird das Run Game irgendwann auf eine Randerscheinung dezimiert und das Passspiel dominiert schlicht alles? Das ist ein zumindest unwahrscheinliches Szenario, denn die häufig zyklisch verlaufenden Aktionen und Reaktionen zwischen Offense und Defense werfen einmal mehr ihre Schatten voraus.
In der vergangenen Saison waren sowohl die Scoring- als auch die Touchdown-Statistiken auf dem tiefsten Wert seit sechs Jahren: Teams verzeichneten im Schnitt 28,8 Punkte pro Spiel und damit 1,3 Punkte weniger als noch 2016. Die Offense-Yards pro Spiel gingen auf 403,6 runter, ebenfalls der Tiefstwert seit 2011 (392,4), die Touchdowns auf 3,65. Insgesamt 22 Rekorde wurden seit 2010 in zentralen offensiven Statistiken gebrochen, als Spread-Offenses auf die Bühne stürmten und Defenses nach Antworten suchten.
Doch langsam aber sicher lässt sich feststellen, dass die Defensive Coordinator diesen Antworten immer näher kommen. Konnten Offenses einst mit Geschwindigkeit und Flexibilität punkten, setzen Defenses jetzt ihrerseits auf vielseitige Verteidiger. Linebacker müssen covern können, Safeties sind Hybrid-Spieler und jeder versucht, ein tiefes Cornerback-Corps zusammen zu stellen. Ein Verteidiger darf nicht mehr völlig verloren wirken, wenn er alleine im freien Raum agiert und der Pass-Rush ist ein zentraler Aspekt, auch für Interior Linemen.
Oder, wie es Ex-College-Coach Dan McCarney einst ausdrückte: "Das Spiel ist heutzutage so schnell. Früher hatten wir diese großen, harten, physischen Linebacker. Ich hab diese Jungs geliebt, aber heute ist es ein anderes Spiel. Football wird nicht mehr auf diesem engen Raum gespielt." Eine Folge daraus, und hier kommt der zyklische Ablauf ins Spiel: Schon in der vergangenen Saison war festzustellen, dass Teams in der NFL erstmals seit einigen Jahren wieder stärker auf den Run setzten.
"Es gibt kein Patent auf Schemes"
Und Mike Tomlin? Nein, es ist ihm nicht gelungen, den Zone Read aus dem NFL-Spiel zu nehmen. Er ist sicher nicht mehr die Säule einer Offense wie noch vor vier, fünf Jahren - doch der Option-Football ist auch in die NFL gekommen, um zu bleiben. Deshaun Watson und die spektakuläre Texans-Offense waren in der vergangenen Saison ein weiteres Beispiel dafür, auch die Titans und die Cowboys, neben etwa den Panthers, laufen noch den Shotgun Zone Read, der einst von Rodriguez "entdeckt" wurde.
Vielleicht ist auch "umgesetzt" das bessere Wort, und Rodriguez selbst wird nicht müde zu betonen: "Es gibt kein Patent auf Schemes." So viele Dinge, die in der NFL und auch im College heute funktionieren, gab es in sehr ähnlicher Form - wenn auch aus völlig anderen Formationen oder mit anderem Ansatz - bereits früher. Nahezu alle "Innovationen" sind so heute eher von anderswo übernommen.
Das trifft ganz konkret auch auf das Wechselspiel zwischen College Football und der NFL zu. Weiter noch: Man erwartet, dass sich NFL-Coaches bei anderen Coaches auf dem College- und auch dem High-School-Level bedienen. Beispielhaft sei hierfür der Touchdown-Pass zu Nick Foles im Super Bowl sowie dessen Entstehungsgeschichte erwähnt.
Moderne, offene Herangehensweisen wie etwa bei den Eagles und den Chiefs - bei den Bears darf man in der kommenden Saison ähnliches erwarten - sollten die Tür für eine noch bessere Pipeline von College-Konzepten in der NFL weiter öffnen. Das wird auch, insbesondere so lange es keine Developmental League gibt, den Schritt vom College in die NFL für Quarterbacks vereinfachen. Klar ist: man darf gespannt sein, wie die nächsten Schritte in der College-NFL-Verbindung aussehen.