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NFL Third and Long Week 4: Chicagos Offense und das Earl-Thomas-Debakel

Earl Thomas und die Seattle Seahawks gehen unschön auseinander.
© getty

Woche 4 in der NFL hatte so einiges an Drama zu bieten - nichts aber übertrifft die Situation in Seattle, wo zwischen Earl Thomas und den Seahawks endgültig ein Bruch entstanden ist. Was bedeutet das jetzt für Seattle und für Thomas selbst? Außerdem: Trubiskys Monster-Spiel unter der Lupe, die High-Scoring-Spiele erklärt, die Titans-Defense, AFC vs. NFC - die Week-4-Ausgabe von Third and Long blickt nach dem ersten Saisonviertel zurück.

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Mitch Trubiskys Breakout-Spiel (?) gegen Tampa Bay

In seiner Rookie-Saison im Vorjahr absolvierte Mitch Trubisky zwölf Spiele, warf dabei 330 Pässe und legte insgesamt auf die Saison gesehen sieben Touchdowns auf.

Gegen Tampa Bay am vergangenen Sonntag warf er 26 Pässe - für unglaubliche sechs Touchdowns. Es war nicht nur statistisch sein bisher bestes NFL-Spiel.

Das führt ganz unweigerlich zu der Frage: Wie geht man mit einer solchen Leistungsexplosion um? War die Partie gegen die Bucs jetzt Trubiskys Breakout, den viele mit Blick auf den neuen Trainerstab und die runderneuerte Offense schon fast gefordert haben? Oder war es doch nur eine Anomalie, ein Muster ohne größeren Wert?

Der Blick in das Tape liefert so einige Aufschlüsse, und zeigt auch: Chicago könnte es reichen, einfach nur durchschnittliches Quarterback-Play von Trubisky zu erhalten. So gut nämlich sind die Waffen und das Scheme.

Beim ersten langen Touchdown-Pass zu Trey Burton hat Trubisky seinen Tight End Outside im Eins-gegen-Eins-Duell - und Burtons Gegenspieler rutscht weg. Ein komplett freier Touchdown, den jeder Quarterback anbringen muss.

Ein bisschen anders dagegen stellt sich schon der zweite Touchdown-Pass zu Allen Robinson dar, und hier kommt das alles überlagernde Thema erstmals durch: Chicagos Offensiv-Scheme ist bereits richtig, richtig stark.

Trubisky wirft hier einen perfekt platzierten Ball zu Robinson, das Play-Design aber bringt die Defense von Anfang an in Schwierigkeiten: Durch die sich überkreuzenden Routes der beiden Receiver am oberen Bildrand sind die Verteidiger direkt in einer schwierigen Position, während die Flat-Route des Running Backs eine Underneath-Coverage fordert.

Ein weiteres Beispiel ist dieses Big Play zu Taylor Gabriel in der ersten Hälfte. Wieder sticht das Play-Design heraus: die Bears spielen ein Levels-Konzept, attackieren also den gleichen Bereich der Defense auf verschiedenen Ebenen. Tampa Bay spielt eine der vorhersehbareren Coverages der Liga mit immer wiederkehrenden Zone-Konzepten, und genau darauf zielt dieser Spielzug ab.

Der Running Back aus dem Backfield bindet einen Linebacker mittig, während der Tight End (unterer Bildrand) die Linebacker aus dem Zentrum weg zieht. Dies räumt den Weg frei für Gabriels tiefere Over-Route, die er aus dem Slot läuft - und beim Catch ist er komplett offen.

Vielleicht das beste Play-Design kam beim dritten Touchdown-Pass zu Tarik Cohen. Die Bears kreieren ein Route-Konzept wie aus einer Bunch-Formation - also wenn drei oder mehr Receiver eng beieinander stehen -, lassen Cohens Route aber aus dem Backfield starten.

Dabei muss der Linebacker von außen in der Man Coverage zu Cohen und hat keine Chance, so schnell nach innen zu kommen. Diese Angle-Route aus dem Backfield ist für Linebacker ohnehin schwierig zu verteidigen, Matt Nagy macht das mit den beiden anderen Routes, die für jede Menge Action über die Mitte sorgen, nochmal schwieriger.

Die Bucs hatten immer wieder Coverage-Probleme, weil sie die Zuteilungen in den Underneath- und Mid-Range-Coverages vermasselten und so riesige Löcher entstanden. Chicago setzte hier auch Tarik Cohen sehr gut als Ablenkung ein, ähnlich wie es die Chiefs oft mit Tyreek Hill machen.

Bei diesem 47-Yard-Pass zu Burton war das gleiche Problem festzustellen: Tampas Linebacker auf der linken Seite spielten kollektiv die Underneath-Route, was in sich betrachtet schon ziemlich absurd ist. Weil die beiden nach innen gerichteten Routes die tiefen Verteidiger mitzogen, war Burton hinter den Linebacker völlig frei. Derartige Plays könnte man noch zahlreich aus diesem Spiel aufzählen, die meisten Big Plays der Bears waren Scheme-Siege, oftmals unterstützt von Coverage-Fehlern.

Und wie lautet nun das Fazit? Auch wenn Tampa Chicagos Offense die Arbeit nun wirklich nicht schwer gemacht hat, so ist mein primärer Takeaway für Trubisky positiv. Denn die offenen Receiver und die vorteilhaften Matchups Pre- und Post-Snap waren auch in den vergangenen Wochen da - Trubisky sah sie aber nicht, oder er bekam den Ball nicht zu seinem offenen Receiver.

In der Hinsicht war es gegen Tampa ein komplett anderer Auftritt. Trubisky zeigte mehr Spielverständnis für die Formationen und seine Matchups vor und nach dem Snap, was dazu führte, dass die Reads für ihn viel klarer waren. Das sind allesamt ermutigende Anzeichen - genau wie, und das kann man nicht genug betonen, die riesigen Fortschritte, die Chicagos Scheme unter Nagy bereits zeigt.

Sind die Tennessee Titans das am meisten unterschätzte Team der Liga?

Nach dem wilden, mehrfach unterbrochenen Auftaktspiel in Miami haben die Tennessee Titans jetzt - teilweise mit Blaine Gabbert - drei Spiele in Folge gewonnen. Mit Kreativität in der Offense, mit Mut im Play-Calling, mit Tricks im Special Team und mit einer schon jetzt sehr guten Defense, die über die kommenden Wochen und Monate noch besser werden sollte. Sie war auch ein Schlüssel zum Sieg diese Woche über den Titelverteidiger.

Eagles-Quarterback Carson Wentz stand am Sonntag bei 20 seiner 56 Dropbacks unter Pressure, insgesamt 18 Blitze brachten die Titans. Gegen den Blitz gelang Wentz kein Touchdown (10/15, 106 YDS, 3 Sacks), gegen Pressure insgesamt brachte er kaum einen Pass an den Mitspieler (4/14, 114 YDS, TD, 4 Sacks).

Tennessee gelang es das ganze Spiel über, Wentz in der Pocket nie zur Ruhe kommen zu lassen und die eigentlich so starke Offensive Line der Eagles aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wie? Mit kreativen und mutigen Blitz- und Pressure-Paketen und vor allem mit einer Unvorhersehbarkeit in der Defense, die auch noch anderen Teams Probleme bereiten wird.

Exemplarisch für das, was Tennessee am Sonntag gemacht hat und um zu verdeutlichen, wie schwierig das für eine Offensive Line und für einen Quarterback sein kann, habe ich mir drei Pass-Rush-Szenen ausgesucht: Einen Quarterback-Hurry sowie zwei Sacks.

Gleich das erste Play ist der Sack von Cornerback Malcolm Butler früh im Spiel. Die Titans stellen dabei sechs Spieler direkt an der Line of Scrimmage auf, Butler ist postiert, als würde er den Tight End auf seiner Seite übernehmen. Doch Tennessee lässt das Linebacker-Safety-Trio dahinter komplett in Zone Coverage fallen, um seinen Nummer-1-Cornerback über den Edge-Blitz direkt zu Wentz zu schicken, wo er ungehindert ankommt.

Das zweite Play hat Ähnlichkeiten mit einigen der Blitz-Designs, die unter anderem Minnesota in der laufenden Saison häufiger einsetzt und damit unter anderem gegen San Francisco große Erfolge hatte.

Die Titans überladen dabei letztlich eine Seite der Offensive Line, bringen aber einen Linebacker verspätet als Blitzer, während sich der zweite, näher an der Line postierte Linebacker in Coverage zurückfallen lässt.

Und auch das dritte Play zeigt wieder, wie schwierig es für Philadelphia war, vor dem Snap die Rusher zu erahnen. Tennessee stellt sich für einen Double-A-Gap-Blitz auf, also mit beiden Linebackern direkt links und rechts gegenüber vom Center. Im Endeffekt lässt sich einer der beiden Linebacker sowie der Outside-Linebacker auf der gleichen Seite zurückfallen. Dafür kommt von außen noch ein Defensive Back als zusätzlicher Blitzer und der tiefer postierte Butler übernimmt den Receiver auf dieser Seite.

All das sind keine einfachen Aufgaben, und es ist kein Zufall, das ein eigentlich so gut gecoachtes und auch individuell in der Line so stark besetztes Team wie Philadelphia in dieser Partie derartige Protection-Schwierigkeiten hatte. Und Tennessee beschränkt die Komplexität nicht auf die Front: Die Defense mischt gerade in seiner Zone Coverage immer wieder Spieler durch, sodass etwa ein Cornerback den eigentlich vom Safety besetzten Spot übernimmt und umgekehrt. Das erschwert dem Quarterback die Pre- und Post-Snap-Reads.

Die Titans haben ein tolles, vielseitiges Cornerback-Trio in Butler, Adoree' Jackson, und Logan Ryan, das es ihnen erlaubt, gegen unterschiedliche Receiving-Corps Man Coverage zu spielen. Sie haben den - in meinen Augen - besten Pass-Rusher des Drafts in Harold Landry in ihren Reihen, der über das erste Saisonviertel absolut beeindruckt hat und gleichzeitig hat Tennessee im Pass-Rush mit unter anderem Derrick Morgan, Brian Orakpo und natürlich Jurrell Casey eine tiefe Gruppe.

Vor allem aber ist es nicht nur Tennessees Defense, die einen sehr guten Start in die Saison hatte - über die letzten Wochen sehen wir auch absolut positive Tendenzen in der Offense, inklusive individuell bei Quarterback Marcus Mariota. Der hatte gegen Philly aus der Pocket heraus erneut einen sehr guten Tag und die neue Titans-Offense mit neuem, modernerem Scheme nimmt immer konkretere Formen an.

Noch ist die Saison jung und die Titans haben eine extrem holprige Phase mit drei Siegen - darunter einer gegen den direkten Division-Konkurrenten Jacksonville sowie jetzt einer gegen den Titelverteidiger - äußerst erfolgreich gemeistert. Wenn sich dieses Team jetzt, und davon gehe ich aus, auf beiden Seiten des Balls konstant besser findet, dann muss man Tennessee auch Richtung Januar auf dem Zettel haben. Erst recht wenn man sieht, wie sich die vermeintlichen AFC-Schwergewichte bislang präsentieren.

Earl Thomas und der unschöne Seahawks-Abschied

Nur wenige Fans auch in Seattle dürften noch realistisch gehofft haben, dass die Situation um Earl Thomas doch noch irgendwie gelöst wird und Thomas einen langfristigen Vertrag unterschreibt. Das Tischtuch schien nach öffentlich geführten Diskussionen darüber, dass Thomas nicht mit einem nur noch bis Saisonende gültigen Vertrag in die Saison gehen will, bereits im Sommer zerschnitten.

Dass einer der besten Spieler der Franchise-Geschichte die Seahawks-Bühne aber verlässt, indem er den Stinkefinger in Richtung der Seahawks-Seitenlinie zeigt, während er vom Platz gefahren wird - das war auch nicht wirklich absehbar.

Für Thomas ist mit der schweren Verletzung - der All-Pro-Safety hat einen Beinbruch erlitten - das Worst Case Szenario eingetreten, auch wenn ihm zumindest eine Beschädigung der Bänder wohl erspart blieb.

Dennoch: Genau die finanziellen Sicherheiten für die nächsten Jahre, die er von seinem Team wollte, sind jetzt in Gefahr, nun wird er nach einer schweren Verletzung auf den Free Agency Markt kommen. Für ihn selbst eine unglaublich bittere Situation und ein äußerst unschönes Ende einer Ära in Seattle. Aber, und das sollte nicht unter den Tisch fallen: Auch für die Seahawks könnte es noch interne Folgen haben.

Denn es war schon auffällig, wie sich zwei der verbliebenen Leader hinter Thomas stellten: Doug Baldwin und Bobby Wagner zeigten offen Verständnis für Thomas und seine Aktion, und es ist schwer vorstellbar, dass all das innerhalb des Teams einfach beiseite geschoben werden kann.

Die Seahawks haben über die letzten Monate einen klaren Weg verfolgt, einen Weg des Umbruchs. Mit Bennett, Sherman und jetzt bald auch Thomas (sowie außerdem Chancellor, aber bekanntermaßen aus anderen Gründen) haben sich die Seahawks von meinungsstarken Anführern getrennt, die dieses Team über Jahre geprägt haben. Das ist natürlich kein Zufall und zeigt den Wunsch, ein neues Team mit jungen Spielern aufzubauen, ohne die "alte Garde" dabei als Leader im Team zu haben.

Das ist riskant, wenngleich natürlich jedes Team irgendwann einen Umbruch einleiten muss. Die jetzt noch medienwirksamere Situation um Thomas wird den Seahawks jedenfalls bei möglichen Free-Agency-Verpflichtungen nicht unbedingt helfen, wenn es darum geht, etablierte Spieler zu überzeugen. Aber Seattles eingeschlagener Weg wird ohnehin daran gemessen, wie schnell Carroll ein neues, junges Team aufbauen und zum jährlichen Playoff-Kandidaten formen kann.

Und ich denke außerdem, dass Thomas' Verletzung nochmals ein anderes Licht auf etwa die Situation von Le'Veon Bell und dessen Entscheidung, die mittel- und langfristige Zukunft über das kurzfristige Geld zu stellen, wirft, genau wie auf die Holdouts von Aaron Donald und Khalil Mack.

Spieler haben in der NFL nur ein sehr kurzes Fenster und wenige Gelegenheiten, um abzukassieren. Und umgekehrt - das sollte man nicht vergessen, wenn man Spieler daran erinnert, dass sie gefälligst ihre Verträge erfüllen sollen - entlassen Teams Spieler, wenn das Preis-/Leistungsverhältnis nicht mehr stimmt, ohne mit der Wimper zu zucken.

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