Mit Woche 7 im Rückspiegel stellen sich einige zentrale Frage: In wie weit kann man mit defensivem Football heute überhaupt noch gewinnen? Haben die Jacksonville Jaguars ihren Fehler endlich eingesehen - und was wären Alternativen zu Blake Bortles? Und wie aggressiv sollten sie dabei sein? Außerdem: MVP-Diskussionen, modernes Run Game und wessen Trainerstuhl wackelt eigentlich am meisten?
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Jacksonvilles Bortles-Debakel - und welche Optionen bleiben
Die Jaguars haben am Sonntag womöglich den Anfang vom Ende der Blake-Bortles-Ära eingeleitet. Mit der Bereitschaft, Bortles während des Duells mit den Texans raus zu nehmen und dem anschließenden Kommentar von Coach Doug Marrone, wonach die Quarterback-Situation "offen ist", ist fraglos klar: Bortles hat eine sehr kurze Leine, auch wenn er das London-Spiel gegen die Eagles in der kommenden Woche erneut starten darf.
Umso ironischer wirkt es da, dass ESPN-Insider Adam Schefter ausgerechnet vor diesem Spiel berichtete, dass Jacksonville die Quarterback-Position intern als "das geringste Problem" sehe und ein Trade für einen anderen Quarterback nicht in Betracht gezogen wird. Erstaunlich für sich, das Spiel gegen die Texans und letztlich die Entscheidung, Bortles durch Kessler - ein Spieler, der letztlich geholt wurde, um Bortles' Position als Starter zu zementieren - zu ersetzen, muss diese Frage aber neu auf den Tisch bringen. Mindestens.
Das Problem mit Jacksonville und Bortles war immer, dass Bortles mit seinen vereinzelt spektakulären, zu häufig aber außerhalb der Top-25 auf seiner Position stattfindenden Auftritten genau der Quarterback war, der in die Struktur dieses Jaguars-Teams überhaupt nicht passt. Ein Jaguars-Team, das nichts anderes als einen sicheren, soliden Game-Manager mit einer stabilen, durchschnittlichen Base-Line braucht, um konkurrenzfähig zu sein.
Dass dann die Offensive Line dieses Jahr ein zunehmend großes Problem wurde, die Verpflichtung von Andrew Norwell bisher enttäuschend ist, Verletzungen das Receiving-Corps dezimierten und Drops diese Jaguars-Saison im Passspiel prägen, hilft natürlich wenig. Aber die Frage muss auch erlaubt sein: Haben die Jaguars ihr Team nicht auch einfach philosophisch falsch zusammengestellt?
Jacksonville und das Problem mit der Defense
Die Defense selbst spielt dieses Jahr auch nicht auf dem dominanten Vorjahres-Level. Gegen die Cowboys gab es mehrere Coverage-Breakdowns in den Soft Zone Coverages, die intern bei den Spielern ohnehin nicht allzu beliebt sein sollen und angesichts des Jags-Personals in der Secondary auch nicht ratsam scheinen. Der Pass-Rush ist nicht so gefährlich und von Snap zu Snap nicht so vernichtend wie im Vorjahr, auch wenn die individuelle Qualität noch immer hoch ist.
Die Jaguars-Defense im Vorjahr war vor allem stark durch Sacks, Turnover und die Red-Zone-Defense, drei von Jahr zu Jahr nur selten konstant haltbare Kategorien. Und das vor dem Hintergrund, dass defensive Production und defensive Leistung ohnehin von Jahr zu Jahr inzwischen statistisch größeren Schwankungen unterliegen, als auf der anderen Seite des Balls.
Natürlich hilft es, eine sehr gute Pass-Defense zu haben. Aber man muss heute in der Lage sein, selbst Spiele über das Passspiel konstant (!) gewinnen zu können; andernfalls wird man irgendwann in Spielen auf Hindernisse stoßen, die man schlicht nicht überwinden kann.
Ob Regeländerungen in den vergangenen Jahren, die nahezu alle die Offense stärken - ganz aktuell natürlich die neue Sack-Regel -, die Tatsache, dass sich die NFL inzwischen endlich offensiv für "College-Elemente" öffnet oder auch ein generell hohes Quarterback-Level aktuell: selbst die besten Defenses können in jedem Spiel auseinander genommen werden und es ist mitnichten ein Zufall, dass Woche für Woche Passing-Rekorde aller Art fallen.
Wir leben im Zeitalter des Passing Games, und wer das nicht akzeptiert und sein Team dementsprechend, was Coaches und Spieler angeht aufbaut und die Quarterback-Position dementsprechend behandelt, der fällt zurück. Wer seine Offense über ein Run Game aufbauen will und sich so auch im Play-Calling und in der Team-Zusammenstellung verhält, der wird schon bald wie ein Dinosaurier daherkommen, der versucht, ein Spiel zu verlangsamen, das an ihm vorbei rauscht.
Jacksonville war im Vorjahr darauf ausgelegt, mit einer eigenen Führung im Rücken Spiele offensiv zu verwalten und defensiv zu gewinnen: Den Jags gelangen 2017 in zwölf Spielen die ersten Punkte - davon konnten sie zehn gewinnen. Dieses Jahr stehen sie bei 3-0 in den gleichen Szenarien, und bei 0-4 wenn der Gegner zuerst punktet. So, wie die Jaguars ihr Team zusammengestellt haben, werden sie in der heutigen NFL immer limitierter und mehr von verschiedenen Umständen abhängig sein als andere Teams.
Jaguars: QB-Trade? Welche Optionen bleiben?
Letztlich bleibt eine klare Frage: Welche Optionen bleiben für Jacksonville? Die Defense kann immer noch sehr gut sein, sie ist aber eben (noch?) nicht wieder auf dem elitären Level der Vorsaison. Und wenn man sich die Entwicklungen in der NFL anschaut, dann darf man eben auch fragen, ob eine dominante Defense heute überhaupt noch für den ganz großen Wurf reicht.
Um der noch immer sehr guten Defense zumindest eine Chance zu geben und das Fenster dieser Unit bestmöglich auszunutzen, sollte Jacksonville endlich auf den absoluten Win-Now-Modus schalten; etwas, dass die Jaguars im Frühjahr in der Free Agency und dann im Sommer in der Preseason - ganz besonders mit Teddy Bridgewater auf dem Trade-Markt - erfolgreich ignoriert hat. Das bedeutet vor allem, dass Jacksonville offensiv in der Lage sein muss, konstanter zu punkten; auch bei eigenem Rückstand.
Dieses Team darf nicht permanent auseinander fallen, wenn es einen 2-Score-Rückstand aufholen muss - was natürlich die Frage aufwirft: wer wäre überhaupt verfügbar? Wären die Saints bereit, Bridgewater für einen Zweitrunden-Pick nochmals weiter zu traden? Was ist mit Ryan Fitzpatrick? Nick Foles? Tyrod Taylor? All diese Kandidaten wären verfügbar und im mindesten Fall als ernsthafte Konkurrenz in Jacksonvilles aktueller Quarterback-Situation sofort eine Hilfe.
Jacksonville hat sein Fenster mit dieser Defense lange genug mit Bortles Woche für Woche aufs Spiel gesetzt. Es ist fünf vor zwölf, die Jaguars sollten jetzt reagieren.
Die Baltimore Ravens: Die beste Defense der NFL
Der Anschlusspart an die Defense-Frage in der heutigen NFL dreht sich um die aktuell beste Defense der Liga: die der Baltimore Ravens. Als einziges Team sind die Ravens aktuell in der Lage, schlechte Teams komplett zu dominieren und gegen Offenses mit viel Feuerkraft den Schaden regelmäßig zu begrenzen - mit dem Bengals-Spiel als Ausnahme.
Das lässt sich mit zwei Säulen zentral begründen, auf denen diese Ravens-Defense neben der individuellen Qualität steht. Baltimore hat die Defense mit der vielleicht größten Erfahrung auf Schlüsselpositionen und nutzt das, um die schematisch derzeit vielleicht komplexeste Defense der Liga zu spielen.
Baltimore agiert defensiv extrem flexibel. Generell spielen die Ravens viel Nickel, drei Cornerbacks - Rückkehrer Jimmy Smith ist da noch nicht dabei - haben schon über 200 Cover-Snaps auf dem Konto. Aber sie spielen auch gerne Big Nickel, also mit drei Safetys statt drei Cornerbacks; neben Tony Jefferson und Eric Weddle kommt dann Anthony Levine aufs Feld.
NFL GamepassDie Ravens nutzen ihre Safetys außerdem nur zu gerne, um Coverages zu verstecken, Spieler in für die Offense unerwartete Matchups zu bringen und gleichzeitig auch DB-Blitzes zu spielen: Die Ravens haben bereits vier Defensive Backs (die drei Safetys und Cornerback Tavon Young) mit je mindestens einem Sack auf dem Konto.
Außerdem ist Baltimore in seinen Blitz- und Pressure-Paketen nicht nur aggressiv, sondern ebenfalls vielseitig. Bei einem frühen langen Third Down der Saints etwa spielt Baltimore einen zumindest in dieser Partie vergleichsweise selten eingesetzten Overload-Blitz, bei dem sich die rechte Seite der Front komplett in Coverage zurückfallen lässt, während vier Spieler die andere Seite attackieren.
Das passt auch zu einer anderen Qualität: Die Ravens stellen immer wieder - unabhängig vom Down - die Line of Scrimmage mit verschiedensten Spielern zu, um Pressure aus verschiedenen Richtungen zu bringen und dann beim nächsten Snap wieder aus ähnlicher Formation die Spieler, die gerade noch geblitzt haben, nach dem Snap doch in Coverage zurück zu ziehen.
All diese Elemente dienen auch dazu, dem Quarterback die Pre-Snap-Reads zu erschweren und die Post-Snap-Reads hinauszuzögern. Der Quarterback soll beim Snap möglichst selten wissen, woher der Druck kommt und welche Spieler sich in Coverage zurückfallen lassen.
Ganz eklatant war das letzte Woche gegen die Titans, als zehn der elf Sacks bei Plays zustande kamen, bei denen Mariota den Ball mindestens 2,5 Sekunden nach dem Snap noch in der Hand hatte. Das gelang tatsächlich auch gegen Brees, der - komplett untypisch für sein Spiel - den Ball in fast 42 Prozent der Dropbacks 2,5 Sekunden oder länger in der Hand hielt. Dass er trotzdem so wenig Pressure bekam, ist ein großes Lob an die eigene Offensive Line.
Ravens-Blitzing: Druck aus allen Richtungen
NFL GamepassDenn die Ravens lieben es, dann auch tatsächlich zu blitzen; so wie bei diesem ultra-aggressiven Double-Corner-Blitz, wohlgemerkt bei einem First Down der Saints. Keine falsche Zurückhaltung, kein auf Sicherheit bedachtes Play-Calling - Baltimore lässt beide Cornerbacks den Edge-Blitz losfeuern, und eigentlich ist es ein Sack - wenn Jimmy Smith Brees auch zu Boden bringen könnte.
Baltimore, das sich dieses aggressive Vorgehen mit einer tiefen, sehr stark besetzten Coverage-Unit leisten kann, hat bislang in dieser Saison in jedem Spiel in mindestens einem Viertel der gegnerischen Dropbacks geblitzt und hatte schon vor dem Spiel am Sonntag zwei Partien mit einer Blitz-Quote von über 55 Prozent (Browns, Titans) - gegen die Saints kam ein weiteres dazu, Baltimore blitzte Drew Brees in 58 Prozent seiner Dropbacks.
Gegen eine der gefährlichsten Screen- und Kurzpass-Offenses der NFL zeugt das auch von Selbstvertrauen in die eigenen Qualitäten - auch wenn Brees letztlich bei 18 Blitzes nur einen Sack einsteckte, elf von 17 Pässen anbrachte und einen Touchdown-Pass warf. Das wiederum beschreibt letztlich auch einfach Brees' Klasse.
NFL GamepassDer frustrierendste Blitz aus Ravens-Sicht kam kurz vor Ende des dritten Viertels. Baltimore hatte oftmals in diesem Spiel den richtigen defensiven Play-Call, Brees zerstörte ihn nur einfach - genau wie bei diesem absolut kritischen Play.
Die Ravens führten 1:22 Minuten vor dem Schlussviertel mit 17:7, es war ein langes Third Down tief in der Saints-Hälfte. Baltimore griff erneut tief in die Blitz-Kiste und holte einen Defensive Back/Linebacker Triple-A-Gap-Blitz aus dem Second Level heraus! Ein toller Call, und der tiefe DB kam auch frei auf Brees durch, hing an ihm - konnte den Pass aber trotzdem nicht verhindern. Brees' Pass landete dann fast an der Line of Scrimmage bei Michael Thomas, der mit einer herausragenden individuellen Leistung das First Down erkämpfte.
Am Ende kamen die Ravens nur auf acht individuelle Pressures, Strong Safety Tony Jefferson hatte als einziger Spieler derer zwei und Brees stand bei nur sechs seiner 31 Dropbacks unter Druck.
Trotzdem hatte Brees seine niedrigste Yard-Ausbeute für dieses Jahr (212), blieb klar unter seinem Schnitt was Yards pro Pass angeht (7,1) und hatte sein zweitschlechtestes Saisonspiel was Completion Percentage angeht (73,3 Prozent), während Alvin Kamara (3,8 Yards pro Run) und Mark Ingram (2,7) beide nicht an die 4-Yards-pro-Run-Marke kamen.
Lediglich der erste PAT-Fehlschuss in der Karriere von Justin Tucker verhinderte am Ende zumindest die Overtime, dennoch war es ein positives Spiel für eine Ravens-Defense, die eine klare Identität hat und in einer Saison, die komplett von Offenses dominiert und diktiert wird, für ein kleines bisschen Balance sorgen kann.
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AFC Playoffs, MVP, Rams, Bears, wackelnde Trainerstühle - eure Fragen
Ein Juppie: Läuft dieses Jahr in der AFC alles auf ein Championship Game zwischen den Patriots und den Chiefs hinaus? Oder siehst du da jemanden (Ravens, Chargers), der sich noch einmischen kann? Außerdem: Wer wäre aktuell für dich MVP, wenn die Saison heute endet?
Aktuell sind die Chiefs und die Patriots auch meine klaren Favoriten in der AFC, aber: bis zu den Playoffs ist noch unglaublich viel Zeit, und Chiefs- sowie Eagles-Fans können leidvolle Erfahrungen mit Andy Reids Coaching in den Playoffs teilen. Würde es mich also schocken, wenn Kansas City (nach heutigen Eindrücken, natürlich) in der Divisional Runde an einem disziplinierten, komplexen Ravens-Team mit einer unglaublich unangenehmen Defense und einer in Phasen gefährlichen Offense scheitert? Nein.
Die Chargers, mit der Rückkehr von Joey Bosa erst recht, sind auch ein richtig gefährliches Team, gerade wenn man sieht, wie stark die Offense auftritt. Und wer weiß schon, wie die Steelers in vier, fünf Wochen vielleicht mit Le'Veon Bell zurück und einer sich weiter stabilisierenden Defense aussehen?
Und zum zweiten Teil der Frage: Es gibt in meinen Augen noch keinen klaren Top-Kandidaten, ich bleibe bei der generellen Auswahl aber bei den Quarterbacks. Philip Rivers muss man zunehmend weit vorne auf der Liste haben, Drew Brees ebenfalls. Patrick Mahomes wäre aktuell aber mein Pick. Was er vor und nach dem Snap bereits mental leistet, was er physisch mit dem Ball in der Hand in und außerhalb der Pocket kann und wie weit er einfach als Quarterback schon ist, ist unglaublich beeindruckend. Und die Zahlen in jeder Hinsicht hat er natürlich auch.
Ich würde beispielsweise keineswegs Gurley, der ja gerade viel MVP-Hype bekommt, wählen. Gurley ist ein sehr guter Spieler, aber ist er der wertvollste Spieler der Liga? Oder überhaupt in seinem Team? Oder in seiner Offense? Für mich ein klares Nein zu jeder Frage.
Gurley ist in einem herausragenden Scheme, das ihn perfekt einsetzt und ihm einfache Runs (dazu später mehr) und Screens beziehungsweise Pässe im offenen Raum beschert, während er ganz nebenbei hinter einer der besten Lines läuft. So dynamisch er als Downhill-Runner und nach dem Catch auch ist. Gurley, mit all seinen spektakulären Zahlen, ist ein Komplementär-Teil in einer unglaublich guten Rams-Maschine.
Max Vatter: Welcher Coaching-Stuhl wackelt derzeit am meisten?
Ich glaube, wir sind tatsächlich an dem Punkt angekommen: Es ist Hue Jackson in Cleveland. Wo die anderen Kellerkinder der Liga im kompletten Umbruch sind (Buffalo), einen First-Year-Coach haben (Arizona, Oakland, Giants) oder von Verletzungen einfach zerstört wurden (San Francisco), gehen nach und nach selbst Jackson langsam die Ausreden aus.
Das ist ein talentiertes Team, mit einer aggressiven, zu Big Plays fähigen Defense, einer soliden Offensive Line und einem vielversprechenden Rookie-Quarterback - und trotzdem sehen wir Woche für Woche einige unerklärliche Entscheidungen. Die betreffen das Play-Calling auf beiden Seiten des Balls, aber auch In-Game-Entscheidungen in kritischen Situationen. Dass er nach dem Spiel dann öffentlich seinen Offensive Coordinator ans mediale Messer liefert, riecht ebenfalls nach Verzweiflung.
Die Browns sind jetzt an einem kritischen Punkt in ihrer Franchise, mit Mayfield auf dem Rookie-Vertrag beginnt das im Idealfall fünfjährige Fenster, in dem man als Team etwas aufbauen und aggressiv sein will. Und die Frage muss schon erlaubt sein: Glaubt irgendwer noch, dass Jackson dafür der richtige Mann ist? In wie weit hat er gezeigt, dass er junge Spieler und ein junges Team entwickeln kann? Glaubt Dorsey, dass Gregg Williams und Todd Haley dafür die richtigen Kandidaten sind?
Ehrlicherweise könnte ich keine dieser Fragen positiv beantworten. Fast auf Augenhöhe mit Hue ist dann Dirk Koetter in Tampa, der sein erstes Bauernopfer (wenngleich: völlig zurecht) mit der Entlassung des Defensive Coordinators bereits hinter sich hat. Dieses Team stagniert unter Koetter, ich kann mir nicht vorstellen, dass er den Black Monday noch als Bucs-Coach erlebt.
Fabian Maltzan: Die Rams sind mit ihren 11-Personnel-Formationen und Play-Action-Spielzügen offensiv brutal erfolgreich. Warum setzen andere Offensive Coordinators nicht auch konsequenter auf diese Spielweise? Und warum ist es - obwohl bekannt - so schwer zu verteidigen?
Das habe ich mich selbst schon sehr häufig gefragt in dieser Saison. Im Prinzip ist der Gedanke doch ganz simpel: Bei einem Run-Play beginnt man, sagen wir bei fünf Blockern gegen vier Defensive Linemen und einen Linebacker. Dann nimmt die Offense zusätzlich einen Tight End als Blocker In-Line dazu, die Defense zieht einen Linebacker nach. Die Offense zieht noch einen Linebacker oder einen Fullback mit dazu, und ein dritter Linebacker ist in der Box.
Und schon hat man eine wahnsinnig enge Formation - mit viel mehr Möglichkeiten, wo das Play für die Offense schiefgehen kann. Bei einem Run Play gibt es wahnsinnig viele Variablen, von denen der Running Back und letztlich der Erfolg des Run Plays abhängen. Je mehr Blocker (und damit auch Verteidiger) in diese Formel gepackt werden, desto enger und schwieriger wird alles für die Offense.
Die Rams spielen nahezu exklusiv aus 3-Receiver-Sets und laufen viel aus ihren Spread-Formations, die ganz direkte Konsequenz? Kaum ein Running Back läuft gegen so wenige 8+ Men Boxes wie Todd Gurley. Für Gurley werden somit die Reads einfacher, genau wie für die Offensive Line und im Endeffekt gibt es eigentlich nur Vorteile.
Meine Vermutung: viele Coaches sind nach wie vor einfach gefangen in ihrer eigenen Prägung und den Ideen von Football, die vor acht, zehn oder 15 Jahren noch zutreffend waren. Die gute Nachricht aber: erfolgreiche Ansätze in der NFL werden früher oder später immer übernommen, und Teams werden in der Offeseason die Rams und die Chiefs ganz genau analysieren.
Jonas Barthel: Von 1 bis 10: Wie hoch schätzt du die Chance ein, dass die Bears mit Mitch Trubisky ein Contender werden können?
Ich würde es Richtung 4 einordnen. In Chicago passt aktuell schon sehr viel: Ich glaube, dass der Trainerstab enormes Potential hat, wir haben jede Menge Potential in der Offense was die Skill-Position-Player angeht und die Defense insgesamt hat ohne Frage Top-5-Potential.
Die Situation um ihn herum ist also sehr gut, aber noch bin und bleibe ich bei Trubisky skeptisch. Vor allem zwei Aspekte sind dabei für mich alarmierend: Accuracy und Reads. Wir haben es in dieser Saison jetzt schon sehr oft gesehen, dass über das Scheme Receiver frei sind - Trubisky findet sie aber nicht, oft scheint er auch gar nicht zu wissen, wo er mit seinen Augen hingehen soll und macht mitunter haarsträubende Fehler. Gegen die Pats hätte er zwei Endzonen-Picks haben müssen.
Und in puncto Accuracy ist er einfach wahnsinnig inkonstant. Da segeln Pässe teilweise deutlich über seine Receiver, hier hat Trubisky noch eine Menge Arbeit vor sich. Und natürlich ist er noch jung und hat vergleichsweise extrem wenig Erfahrung, da er auch im College nur sehr wenig gespielt hat. Insofern kann das alles noch kommen, zur Mitte seiner zweiten NFL-Saison ist tendenziell bei mir die Skepsis aber noch größer als der Optimismus.
Becks23: Sind die Texans gut?
Die Texans haben die Star-Power mit Watson und Hopkins offensiv sowie Clowney, Watt, Mercilus und Mathieu defensiv, um enge Spiele für sich zu entscheiden und schlechte Teams zu bezwingen.
Aber sind sie wirklich gut? So weit würde ich nicht gehen, dafür sind sie in zwei ganz zentralen Bereichen zu anfällig: Outside-Cornerbacks und Offensive Line. Letzteres insbesondere ist für mich eine tickende Zeitbombe, die irgendwann Watson dann auch mal in die Knie zwingen wird.
Und ihnen spätestens in den Playoffs, die ich Houston mit Blick auf den Zustand der Division aktuell definitiv zutraue, um die Ohren fliegen wird. Gerade im Vergleich zur AFC-Spitze sind die Problemzonen bei den Texans doch eklatant.
Steffen Taut: Die Art und Weise, wie Taysom Hill als "QB" in New Orleans (und teilweise auch Lamar Jackson in Baltimore) eingesetzt werden, ist extrem kreativ und vielseitig. Siehst du hier einen Trend auf die NFL zukommen, oder hältst du das für einen Einzelfall?
Einen generellen Trend - also dass Teams dafür bewusst einen Spieler suchen und bewusst die entsprechenden Plays installieren - sehe ich damit nicht kommen. Eher eine zusätzliche Dimension für Teams, die einen Spieler mit derartigen Möglichkeiten im Team haben. Immerhin darf man nicht vergessen, dass für derartige Plays wertvolle und nur begrenzt vorhandene Trainingszeit geopfert werden und man außerdem bereit sein muss, seinen (Franchise-)Quarterback in mitunter kritischen Situationen den Ball aus der Hand zu nehmen.
Umgekehrt zwingt man natürlich auch eine Defense, sich auf die entsprechenden Plays vorzubereiten und somit auch wertvolle Trainingszeit unter der Woche zu investieren. Aber für mich ist es nicht mehr als ein Gimmick-Play - auch wenn gerade die Saints das dieses Jahr sehr gut und aggressiv einsetzen.