Die Oakland Raiders präsentierten sich zum Start des neuen Ligajahres der NFL äußerst entschlossen auf dem Transfermarkt und sorgten damit für Aufsehen. Doch gehen sie damit ein zu hohes, weil verfrühtes Risiko, wenn der Umzug nach Las Vegas noch fern und der Kader noch im Umbruch ist? Die Detailbetrachtung der Moves gibt eine klare Antwort.
Nach der Saison 2003 standen die Oakland Raiders zuletzt im Super Bowl. Das ist lange her, und seither ging es steil bergab für den dreimaligen Super-Bowl-Sieger.
Lediglich der 12-4-Ausreißer im Jahr 2016 schönt die ansonsten trostlose Bilanz seit dem damaligen Erfolg im AFC Championship Game. Nur dieses eine Mal erreichten die Raiders seither die Playoffs. Mehr noch: seit 2003 gelang es nur noch in drei Spielzeiten, wenigstens mit ausgeglichener Bilanz durchs Jahr zu gehen, 2016 war die einzige "Winning Season".
Die medienwirksame Rückholaktion von Head Coach Jon Gruden - für 100 Millionen Dollar insgesamt - sollte schließlich die Wende einleiten. Nach einem Jahr jedoch musste man zunächst konstatieren, dass nicht wahnsinnig viel Positives zu berichten war.
Gruden, dem die volle Verantwortung über die Kaderplanung obliegt, sorgte gleich mal für großen Unmut bei den ohnehin schon genervten Anhängern des Teams - die Verkündung des Abschieds nach Vegas ist noch frisch, der tatsächliche Umzug nicht mehr fern -, indem er mit Khalil Mack den Star des Teams wegschickte. Wenig später musste dann auch noch Wide Receiver Amari Cooper seine Sachen packen.
Das Resultat neben einer 4-12-Bilanz: Rang 25 in Sachen Offense DVOA, Rang 30 bei der Defense. Die Defensive Line kreierte mit 3,5 Prozent die mit Abstand schlechteste Adjusted Sack Rate der Liga, die O-Line landete hier auf Rang 25. Und das sind nur die Lowlights, präsentiert von Football Outsiders.
Jon Gruden manövrierte Oakland Raiders in eine Sackgasse
Im Grunde manövrierte Gruden das Team an der Oberfläche in eine Sackgasse. Wenn da nicht der Beginn der Free Agency 2019 gewesen wäre.
Spätestens jetzt nämlich kommt zum Vorschein, wo die Reise hingehen soll für die künftigen (Las) Vegas Raiders! Den Auftakt machte freilich der Trade für den in Pittsburgh in Ungnade gefallenen Star-Wide-Receiver Antonio Brown. Feierlich wurde dieser vor den drei Lombardi Trophys der Raiders aus längst vergangenen Zeiten vorgestellt.
Brown nannte die Organisation "legendär" und erklärte: "Ich bin aufgeregt, im selben Gebäude zu sein wie die ganzen Jungs die in der Vergangenheit schon großartig waren und ich bin aufgeregt, hier zu sein und den aktuellen Jungs zu helfen, ein Level zu erreichen, das eine erfolgreiche Umgebung erschafft."
Gruden wiederum gab sich gewohnt großspurig und erklärte: "Wir wollen nicht nur ein gutes Receiving Corps haben. Ich will das beste Receiving Corps im Football haben und ich denke, um das beste zu haben, muss man den Besten haben. Und meiner Meinung nach haben wir den besten Receiver im Football geholt."
Das wiederum hatte offenbar Signalwirkung, wie der offizielle General Manager des Teams, Mike Mayock, andeutete. Nach der Verpflichtung von Brown sollen auch diverse Free Agents Bereitschaft signalisiert haben, nach Oakland zu wechseln.
Free Agents folgen Antonio Brown nach Oakland
Einer, der dies bestätigte, ist Wide Receiver Tyrell Williams (4 Jahre, 44,3 Millionen Dollar), der von den Chargers kam und den Raiders eine starke Nummer 2 hinter Brown beschert. Eine namhafte und rund 22 Millionen Dollar teurere Investition war zudem Offensive Tackle Trent Brown, der nach einem guten Jahr in New England erwartungsgemäß einen neuen Rekordvertrag für Offensive Tackles abstaubte.
Ebenfalls stattlich entlohnt wurde Safety Lamarcus Joyner (4 Jahre, 42 Millionen Dollar), dessen Verpflichtung aber nicht bei allen auf Gegenliebe stieß.
Unterm Strich verpflichteten die Raiders den vermeintlich "besten Wide Receiver der Liga" (Gruden) und insgesamt vier der 101 besten Free Agents der Liga laut des Rankings von NFL.com.
Gleichzeitig erfolgte jedoch auch ein gewaltiger Aderlass. Nicht weniger als zwölf Defensivspieler werden wohl via Free Agency gehen, zudem mit Jordy Nelson, Donald Penn, Martavis Bryant und Marshawn Lynch auch zahlreiche, namhafte Spieler aus der Offensivabteilung. Bei Lynch allerdings besteht zumindest noch Hoffnung auf ein weiteres Jahr - Gruden ist ein Befürworter von Beast Mode.
Zahlreiche Baustellen wurden angegangen, weitere könnten in wenigen Wochen im Draft bearbeitet werden. Besonders Pass-Rush oder generelle Hilfe in der Front Seven sollte hier im Vordergrund stehen. Genauso allerdings wird von vielen Beobachtern nicht ausgeschlossen, dass die Raiders ihr beachtliches Draft-Kapital für Trades nutzen könnten.
Oakland Raiders: Was tun mit hohen Draftpicks?
Spekulationen gehen hier indes in beide Richtungen. Es gibt Leute, die glauben, dass Gruden liebend gern Kyler Murray als neuen Quarterback begrüßen würde. Munition für einen Up-Trade gibt es genug, verfügen die Raiders doch über drei Erstrundenpicks dank der Trades von Mack und Cooper.
Oder man nutzt speziell die zwei Erstrundenpicks der Bears und Cowboys, um runter zu traden für mehr Picks noch in diesem Jahr - insgesamt verfügt man bereits über acht Picks, jedoch nur zwei in den Runden 2 bis 4, also dort, wo in der Regel der größte Wert verortet wird.
In jedem Fall sollte alles daran gesetzt werden, die vorhandenen Picks, und sei es via Trades, so effektiv wie möglich zu investieren. Die Marschroute scheint durch die bereits getätigten Moves jedenfalls klar: Man nähert sich nach dem zuletzt angestrebten Rebuild dem Win-Now-Modus; je besser der Draft, desto eher geht das Titelfenster vielleicht auf.
Oakland Raiders: Draftpicks 2019
Runde | Pick-Position |
1 | 4. |
1 | 24. (Bears) |
1 | 27. (Cowboys) |
2 | 35. |
4 | 107. |
5 | 141. (Jets) |
7 | 220. |
7 | 237. (Seahawks) |
Das allerdings unter der Voraussetzung, dass man speziell in der Offense tatsächlich noch voll auf Derek Carr als Quarterback setzt. Dieser mag zwar noch Vertrag bis 2022 haben, doch der garantierte Part des Kontrakts ist nahezu ausgeschöpft. Eine Trennung in diesem Jahr wäre Cap-technisch noch ungünstig, aber ab 2020 könnte dem QB ohne größere Negativ-Konsequenzen (5 Millionen Dollar Dead Money) der Laufpass gegeben werden.
Carr galt einst als langfristiger Quarterback der Zukunft, speziell nach seiner starken Saison 2016, die den Grundstein legte für seine üppige Vertragsverlängerung, die ihm über 70 Millionen Dollar garantierte. Doch seither gehört Carr eher zum unteren Durchschnitt aller NFL-Quarterbacks. Zu wenig bei seinem Gehalt.
2019: Make-or-Break-Jahr für Derek Carr
Freilich war sein Receiving Corps nach dem Cooper-Trade nicht mehr sonderlich imposant, aber Carr zeigte schon zuvor absteigende Form. 2019 wird somit mutmaßlich zu einer Make-or-Break-Saison. Mit seiner neuen hochklassigen Gruppe an Receivern dürften ihm die Ausreden ausgehen. Liefert er nicht, kann er ganz schnell ersetzt werden.
Die Tatsache, dass die Raiders aber gerade jetzt so aggressiv auf Shopping-Tour gehen, wirft auch Fragen auf. Ursprünglich schien es das Ziel zu sein, mit Eröffnung des neuen Stadions in Las Vegas wieder voll anzugreifen, schließlich muss man spätestens dann eine große Show abliefern.
Nach derzeitigem Kenntnisstand wird das neue Prunkstück jedoch nicht vor 2021 stehen, heißt: Zwei Jahre gilt es noch zu überbrücken; übrigens im Oakland Alameda County Coliseum, darauf einigte man sich mit dem Stadtrat nach Klage der Stadt, Kündigung der Pacht seitens der Raiders und einer teils abenteuerlichen Suche nach einer Alternative.
Die plötzlich vorgelebte Dringlichkeit in der Kaderplanung erscheint vor diesem Hintergrund zumindest überraschend. Es besteht eben noch keine Notwendigkeit, in die Vollen zu gehen. Allerdings ist das, was die Raiders hier gemacht haben, alles nur mit überschaubarem Risiko behaftet. Nahezu alle Verträge, die sie ausgeteilt haben, sind "back loaded", was bedeutet, dass sie erst in ein paar Jahren richtig teuer werden. Und das auch nur, wenn sie nicht in naher Zukunft gekündigt sind.
gettyOakland Raiders 2019: Fehlschlag oder Geniestreich?
Williams etwa könnten die Raiders trotz Vierjahresvertrags im kommenden Frühjahr ohne negative Konsequenzen wieder entlassen. Ähnlich verhält es sich bei Joyner. Trent Brown wiederum könnte man vor der Saison 2021 ohne Dead Money loswerden und Antonio Brown hätte lediglich 333.000 Dollar an Dead Cap, wenn er zum selben Zeitpunkt gefeuert werden würde.
Keiner weiß, was in zwei Jahren ist. Keiner weiß, ob Carr dann noch der Quarterback sein wird oder wie das generelle Personal der Raiders aussieht. Doch was man schon jetzt recht sicher weiß, ist, dass die Raiders, sollte ihr recht forsches derzeitiges Experiment scheitern, ohne große Probleme zum Umzug erneut die Reißleine ziehen und alles auf null stellen könnten.
Alles, was bis dahin passiert, kann ergebnisabhängig entweder als gescheiterter Versuch oder als Geniestreich verbucht werden. Wirklich verlieren kann gerade Gruden in dieser Konstellation nicht, zählt es für ihn und die Raiders doch ohnehin erst in Vegas.