Andrew Luck hat sein Karriereende verkündet. Vor seinem 30. Geburtstag, als einer der besten Quarterbacks der Liga und mit der Aussicht, in Indianapolis für mehrere Jahre endlich ein Team um sich zu haben, das um Titel mitspielen kann. Eine surreale Nachricht, die vor allem eine Reaktion hervorrufen sollte: Respekt vor Andrew Luck. Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Adrian Franke.
Die Pfiffe der Fans hätten ihm wehgetan, erklärte Andrew Luck am Samstagabend. Man glaubt ihm das natürlich. Nicht nur, weil es wie die logische Reaktion eines Spielers scheint, der im eigenen Stadion ausgebuht wird - sondern vor allem, weil Luck authentisch ist und während seiner gesamten NFL-Karriere immer authentisch war.
Selten wurde diese Charaktereigenschaft deutlicher als am Samstagabend. Als Luck mit immer wieder zitternder Stimme und Tränen in den Augen sein Karriereende verkündete und geduldig die Fragen der anwesenden Reporter beantwortete.
Es war buchstäblich das Gegenteil einer Entscheidung, die über Nacht gefallen ist. Luck hat seit Jahren mit Verletzungen gekämpft, und sich in einem Kreislauf, wie er es selbst ausdrückte, "aus Verletzung, Schmerzen, Reha, Verletzung, Schmerzen, Reha" und so weiter wiedergefunden.
Das Spiel zu verlassen, das ihn über Jahre geprägt hat, die Karriere zu beenden, auf die er jahrelang hingearbeitet hat, das erfordert vor allem eines: Mut. Mut statt Egoismus. Luck gibt viel Geld auf, genau wie womöglich zehn weitere Jahre in dem Sport, den er einst geliebt hat.
Luck und die Colts: Flashbacks zu 2017
Bereits als er im vergangenen August nach seiner quälend langen Schulterverletzung endlich zurückkam, blickte Luck auf die Reha-Phase so zurück: "Ich war ein trauriger, jämmerlicher Mensch. Ich war weder zu mir noch zu anderen nett. In meiner Nähe zu sein war damals für alle anderen wirklich nicht einfach. Ich war nervös. Und ich hatte Angst." 2016 hatte er unter großen Schmerzen gespielt, die 2017er Saison verpasste er komplett. Ein Bauchmuskelriss, ein Nierenriss, ein Knorpelriss in zwei Rippen und schließlich der Knorpelriss in der Schulter - Football hatte seinen Tribut gefordert.
Man merkte Luck nun bei der Verkündung seiner Entscheidung förmlich an, dass er große Angst davor hat, erneut in dieses Loch zu fallen. Seit dem Frühjahr bereits schlägt er sich mit Wadenproblemen herum, die einst als eine Blessur galten, die nach einer Woche wieder verheilt sei.
Nach Monaten der Ungewissheit beschlichen einen selbst als Außenstehender Flashbacks an 2017, als es aus Colts-Kreisen ebenfalls regelmäßig hieß, dass Luck bis zum Saisonstart fit sein würde.
Bis er eben nicht da war.
Der richtige Fokus
Als Fan genau wie als Reporter ist es nur zu leicht, in ein allzeit präsentes Loch zu fallen - das Loch, in dem man vergisst, dass die Spieler, die man analysiert, anfeuert und manchmal auch verflucht vor allem eines sind: Menschen.
Und Menschen haben Angst und sie haben Träume, egal, ob sie 100 Millionen Dollar oder fünf Dollar auf dem Konto haben. Viel zu häufig wird bei der ersten Kategorie der Ruhm und das Geld als Argument missbraucht, um ihnen die simpelsten menschlichen Emotionen abzuerkennen. Sich zu diesen Gefühlen zu bekennen erfordert umso mehr Mut, wenn man eine Entscheidung trifft, wie Luck sie über die vergangenen Monate getroffen hat.
Jeder konnte spüren, wie viel Frieden er mit seiner Entscheidung hat, den Football hinter sich zu lassen; und wie schwer es ihm gleichzeitig fiel, seine Mitspieler und Trainer zu verlassen. Die menschlichen Beziehungen standen bei Lucks Ansprache eindeutig im Fokus, und das war wunderschön und unfassbar traurig zugleich.
Hätte er die Entscheidung früher treffen können? Ja, sicher. Aber vielleicht war er vor zwei Monaten ganz simpel nicht an dem Punkt, an dem er jetzt ist. Und das ist menschlich. Luck ist vermutlich der Letzte, der seinen Mitspielern so kurz vor dem Saisonstart diese Bürde auflasten will. Er sagte offen, dass er das Gefühl hat, nicht mehr mit Herz und Seele alles auf dem Feld geben zu können. Dass seine Verletzungstortur ihm zu viel Spaß am Spiel genommen hat. Er wirkte traurig, er wirkte authentisch, und er wirkte sehr, sehr sicher mit seiner Entscheidung.
Andrew Luck hat mehr als genug Geld verdient, um finanziell ausgesorgt zu haben. Er blieb ein Jahr länger im College, ehe er in die NFL ging, um sein Architektur-Studium in Stanford abzuschließen. Er gilt als einer der intelligentesten und offen neugierigsten Spieler, die die NFL bis gestern Abend zu bieten hatte. Jetzt kann er seine Verletzungen in Ruhe auskurieren und sein Leben so leben, wie er es möchte. Mit seiner Frau, bald auch mit Kindern, und mit den Dingen, die er inzwischen mehr liebt als Football.
Dazu kann man ihm nur gratulieren. Er hat den Mut gefunden, sich einzugestehen, dass es nicht nur mehr gibt als Football, sondern dass andere Dinge auch höhere Prioritäten haben. Dass der Sport einen Menschen prägt, aber ihn nicht definiert. Er hat die Entscheidung getroffen, die in seinen Augen die beste Entscheidung für ihn und seine Familie ist. Ich hatte durchgehend Gänsehaut, während ich ihm zugehört habe und bewundere seine Ehrlichkeit mit sich selbst und gegenüber der Öffentlichkeit.
Colts: Vom Titel- zum Playoff-Anwärter
Und die sportliche Seite? Für die Colts ist es natürlich eine wahnsinnige Hiobsbotschaft zu einem katastrophalen Zeitpunkt. Auch wenn sie vielleicht schon seit einer Weile wussten, dass ein Rücktritt im Bereich des Möglichen lag: Der Franchise-Quarterback ist der eine Spieler, bei dem man selbst in diesem Szenario kaum eine vernünftige Lösung finden kann - ohne zu wissen, ob Luck wirklich zurücktritt.
Unter diesen Umständen sind die Colts mit Jacoby Brissett schon vergleichsweise sehr gut aufgestellt. Trotzdem ist es natürlich ein massiver Rückschlag für Indianapolis, das lässt sich nicht beschönigen. Die Colts fallen mit Lucks Rücktritt aus den Rängen der Titelanwärter in die Kategorie der Playoff-Anwärter.
Auch das macht das Timing so tragisch: In den ersten Jahren seiner Karriere hat Luck Colts-Teams tief in die Playoffs geführt, die dort eigentlich überhaupt nichts zu suchen hatten. Sein Rücktritt beraubt Luck der Chance, sich mit den Besten der Liga auf Augenhöhe zu messen, statt eine riesige Hypothek in die Playoffs schleppen zu müssen.
Auch das macht Lucks Entscheidung so authentisch. Auch das verdient Respekt.