Woche 2 in der NFL - und alles ist anders als zuvor: Die Saints verlieren Drew Brees, die Steelers Ben Roethlisberger: Was bedeutet das für beide Teams? Außerdem: Ein Mini-Zwischenfazit an der Liga-Spitze, Arizonas Probleme in der Red Zone - und waren wir Zeuge des Beginns einer neuen Seahawks-Offense?
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Was bedeutet die Brees-Verletzung?
Die erste große Hiobsbotschaft zum Start in die neue Woche kam aus New Orleans, wo Drew Brees infolge seiner Daumenverletzung rund sechs Wochen lang ausfallen wird. Die zweite folgte nur Minuten später aus Pittsburgh mit dem Saisonaus von Big Ben - dazu mehr im Mailbag.
Natürlich ist Brees' Ausfall ein herber Rückschlag für ein Team, das zu den engsten Super-Bowl-Kandidaten zählt. Aber was genau bedeutet er für New Orleans?
Der Saints-Spielplan über die nächsten Wochen:
Spieltag | Gegner |
3 | Seattle Seahawks (auswärts) |
4 | Dallas Cowboys |
5 | Tampa Bay Buccaneers |
6 | Jacksonville Jaguars (auswärts) |
7 | Chicago Bears (auswärts) |
8 | Arizona Cardinals |
9 | Bye-Week |
10 | Atlanta Falcons |
Die Niederlage bei den Rams nimmt den Saints bereits einen wichtigen Tie-Breaker in der eigenen Conference. Weitere Niederlagen mit potenziell ähnlicher Tragweite könnten in Seattle sowie gegen Dallas in den nächsten beiden Wochen folgen. Es sind zugleich die schwierigsten Prüfungen in den nächsten Wochen.
Das könnte schon reichen, um im Rennen um die Top-Seeds womöglich zu weit zurück zu fallen. Die gute Nachricht für New Orleans: Mit Teddy Bridgewater, der nicht umsonst mit viel Geld in der Offseason gehalten wurde, hat man einen der besten Backup-Quarterbacks der Liga - und in der Division hat sich zumindest bislang kein anderes Schwergewicht hervorgetan.
Die Panthers dümpeln nach der alarmierenden Niederlage gegen Tampa Bay am Ende der Division herum und niemand weiß, wie die Offense funktioniert, falls Cam Newton tatsächlich nicht bei 100 Prozent ist; dazu im Mailbag mehr. Die Buccaneers-Offense ist ebenfalls noch weit weg von der erhofften explosiven Arians-Prägung und Atlanta verbuchte in Week 2 zwar einen wichtigen Sieg gegen die Eagles, doch die Probleme von Dirk Koetters riskantem Scheme wurden bereits mehrfach deutlich.
Die Falcons sind wohl der ernsthafteste Herausforderer, gleichzeitig aber haben wir es nicht mit dem Saints-Team vergangener Tage zu tun, das mitunter chancenlos war, wenn die Offense nicht mindestens 30 Punkte auflegte. New Orleans hat eine sehr gute Offensive Line, einige Elite-Waffen, eine talentierte Secondary und eine sehr starke Defensive Front. Die Offense muss in Spielen wie gegen Tampa, Jacksonville, Arizona und womöglich auch Chicago vielleicht nur "gut genug" sein, um aus den sechs Spielen ohne Brees drei Siege einzufahren. Das ist meine Prognose, was die reinen Ergebnisse angeht.
Und "gut genug" ist Bridgewater zuzutrauen. Er kennt die Offense bestens, er ist vom Grundsatz her ein Quarterback mit ähnlichen Stärken wie Brees: Pre-Snap-Reads, Pocket-Verhalten, Kurzpass-Accuracy. Die Saints-Offense kann zumindest funktional bleiben, weil sie maßgeblich über designte Matchups und Yards nach dem Catch funktioniert. Natürlich gibt es einen Drop-Off ohne den Elite-Quarterback, Bridgewater ist stilistisch aber der richtige Spielertyp, um den Saints-Motor bei geringerer Drehzahl am Laufen zu halten.
Und als kleines Trostpflaster können sich die Saints ein unverhofftes Bild davon machen, ob sie Bridgewater als langfristige Option für die Zeit nach Brees' Abschied in Erwägung ziehen wollen.
NFL Week 2: Überraschungen und Top-5-Power Ranking
Nach zwei Spielen kann man noch nicht wirklich von Erkenntnissen sprechen. Tendenzen aber sind ablesbar, und mehrfach kam die Frage nach ersten Überraschungen und möglichen neuen Favoriten.
Washington und Oakland haben mich im Rahmen ihrer Möglichkeiten bislang offensiv überrascht, natürlich hatte auch ich die Ravens-Passing-Offense nicht mit einem derart explosiven Start auf dem Zettel. Aber stärker sind bei mir bisher die negativen Überraschungen hängen geblieben.
Pittsburgh hatte ich auch vor der Roethlisberger-News hier vorne mit dabei; ein Team, von dem ich offensiv wie defensiv, wo die Man-Coverage nicht wie erhofft funktioniert und die Zone-Coverage angreifbar bleibt, viel mehr erwartet hatte.
Die Chargers sollte man ebenfalls im Auge behalten. Die Offensive Line ist und bleibt ein Problem, nach Derwin James hat sich mit Adrian Phillips der nächste Safety verletzt, und wenn dann noch so tragisch-Chargers-typische Niederlagen wie in Detroit dazukommen, wird L.A. ganz schnell ein Team, das um ein Playoff-Ticket gehörig kämpfen muss.
Einschätzungen nach zwei Spielen sind nicht mehr als auf wackligen Füßen stehende Trends. Würde ich heute ein Power Ranking zusammenstellen, sähe die Top-5 - ohne die Saints, bei denen die Brees-Verletzung natürlich für große Fragezeichen sorgt - so aus:
5. Baltimore Ravens
So richtig einschätzen kann man die Ravens noch nicht, der Saisonstart war aber natürlich sehr ansprechend. Gegen Arizona hatte die Pass-Defense einige Probleme, wenn sich das Cornerback-Lazarett etwas lichtet und das Zusammenspiel noch besser funktioniert, sollte das wieder ein großer Trumpf des Teams sein. Aber natürlich ist die Offense das große Thema, mit einem herausragenden Lamar Jackson als Runner und als Passer, tollen Play-Designs und einem explosiven Waffenarsenal. Es bleibt abzuwarten, ob Jackson dieses Level ansatzweise halten kann - falls ja, sprechen wir vom ernsthaftesten MVP-Konkurrenten für Patrick Mahomes sowie einem sicheren Playoff-Team.
4. Los Angeles Rams
Zwei ganz wichtige Siege innerhalb der eigenen Conference in Carolina sowie zuhause gegen die Saints. Jared Goff glänzt dabei nicht gerade, aber das Wide-Receiver-Trio sieht sehr gut aus, das Run Game zeigt immer wieder Effizienz und das Big-Play-Potenzial aus dem Vorjahr, und defensiv wirkt die Secondary stabilisiert. Die bereits im Vorfeld der Saison thematisierte Offensive Line könnte ein Thema werden, aber die Rams sind erneut auf dem Weg in Richtung Playoffs und mehr.
3. Dallas Cowboys
Vielleicht die größte Positiv-Überraschung der bisherigen Saison, neben den Ravens auf jeden Fall. Kellen Moore hat über die ersten beiden Wochen eine tolle Offense entworfen, die das Potenzial einer Top-5-O-Line, eines guten Receiver-Trios und auch das von Dak Prescott, der einen tollen Saisonstart hatte, bislang maximiert. Die Defense ist nach wie vor gut sehr besetzt, doch ist es der offensive Umschwung, der die Cowboys für mich nach zwei Spielen zum Top-5-Team macht. Die wirklich ernsthaften Prüfungen warten noch, aber der Saisonstart hätte kaum besser verlaufen können.
2. Kansas City Chiefs
Die Offense ist selbst ohne Tyreek Hill so unglaublich gefährlich, man kann es nicht oft genug betonen: Das Zusammenspiel aus Andy Reids Play-Designs und Play-Calls, dem Arm von Patrick Mahomes und dem Speed, den die Chiefs offensiv überall aufs Feld bringen, ist eine Kombination, die aktuell vielleicht kein Team in der NFL wirklich verteidigen kann. Wäre die Defense, und dort insbesondere die Coverage, ein wenig besser, KC wäre ein genauso legitimer Platz-1-Kandidat.
1. New England Patriots
In meinem ersten Entwurf für das Power Ranking zum Saisonstart hatte ich die Patriots auf Platz 1, und genau da hätte ich sie lassen sollen, ob nun mit oder ohne Antonio Brown. Die Offense ist so vielseitig wie eh und je, New England attackiert Defenses genauso mit zwei Running Backs aus einer engen Formation wie auch mit 4-Wide-Receiver-Spread-Sets. Und konstant haben sie dabei die besten Matchups. Die Offense, jetzt auch mit Brown, läuft schon unglaublich rund - und die Defense ist vielleicht noch stärker. Die Patriots sind ein heißer Kandidat, um im Januar tatsächlich nach Miami zurückzukehren.
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Schottenheimer 2.0 - eine neue Seahawks-Offense?
Was war das denn?
So in etwa fiel meine erste Reaktion aus, als ich das Duell der Seahawks gegen die Steelers am Montagmorgen analysiert hatte. Wer diese Kolumne schon länger liest, der kennt meine Abneigung gegenüber dem Play-Calling und dem generellen Ansatz der Seahawks-Offense in der jüngeren Vergangenheit unter Pete Carroll und Offensive Coordinator Brian Schottenheimer - mit dem Negativ-Highlight in der letzten Wildcard-Playoff-Runde.
Seattle will den Ball laufen, den Run "etablieren". Schottenheimer warf in der Offseason mit obskuren Zahlen-Beispielen und Parolen um sich, die nahelegten, dass sich daran nichts ändern wird. Woche 1 gegen die Bengals unterstrich das nochmals.
Woche 2 war anders, sehr anders.
Seattles Play-Calling bei First Down gegen die Steelers:
Erste Halbzeit | ||||||||||||
Run | +1 | +21 | +3 | +16 | Fumble (+1) | +5 | +3 | |||||
Pass | +16 | Inc. | +6 | +9 | Inc. | Inc. | Inc. | +30 | +5 | +9 | -1 | +3 |
Kursiv markiert sind die Plays des 2-Minute-Drives am Ende der Halbzeit, als Seattle in die No-Huddle-Offense überging.
Zweite Halbzeit | ||||||||
Run | -2 | 0 | +5 | +5 | +4 | Fumble | +1 | +3 |
Pass | Inc. | 12 TD | +8 | +5 | +3 | DPI (+38) | +11 | +4 |
Die Seahawks drehten den Spieß um. Gegen eine Steelers-Defense, deren Stärke fraglos in der Front liegt und deren Secondary man attackieren sollte, machte Seattle genau das; und das schon bei Early Downs, wenn die Defense häufiger in Base-Personnel auf dem Feld steht und damit deutlich vorhersehbarer ist und vorteilhafte Offense-Matchups leichter zu kreieren sind.
Seattle warf nicht nur bei First Down mehr, als dass gelaufen wurde. Selbst wenn man den 2-Minute-Drive kurz vor der Halbzeitpause ausklammert, waren es mehr Pässe als Runs.
Die Seahawks führten über weite Strecken der zweiten Hälfte und dann durchgehend im vierten Viertel - und hielten den Fuß auf dem Pass-Pedal. In diesen Situationen ging Seattle in der jüngeren Vergangenheit nahezu immer zum Run Game über. Das war diesmal umso wahrscheinlicher, da Wilson früh im Spiel einige harte Sacks gegen den Pass-Rush der Steelers eingesteckt hatte.
Aber es war nicht nur das Play-Calling selbst, es war das Zusammenspiel aus Play-Calling und Play-Designs, die für die richtig große Überraschung sorgten.
Seahawks: Kurzpassspiel und Effizienz
Unter Quarterbacks mit mindestens 200 Dropbacks hielten im Schnitt nur Josh Allen (3,01 Sekunden) und Lamar Jackson (2,9) in der vergangenen Saison den Ball vor dem Wurf länger als Wilson (2,86). Das hatte zweierlei Gründe: Einerseits baute Seattle extrem auf das vertikale Passspiel in Ergänzung zu dem Run-lastigen Ansatz - folgerichtig war es häufig schon via Design notwendig, dass Wilson den Ball länger hielt.
Darüber hinaus aber hat Wilson, ähnlich wie Deshaun Watson oder auch Aaron Rodgers, allerdings auch die Tendenz, den Ball zu lange zu halten. Auf der Suche nach dem Big Play und darauf vertrauend, dass er aufgrund der eigenen Mobilität Pass-Rushern ausweichen kann, sorgt diese Spielweise auch für Sacks.
Ein guter Weg für einen Play-Caller, um mit Play-Designs dagegen zu arbeiten, sind klar definierte, kurze Route-Konzepte. Und genau das war gegen Pittsburgh zu beobachten.
NFL GamepassSeattle setzte gegen Pittsburgh auf verschiedene Curl-Route-Konzepte; ein Element, das in Air Raid Offenses häufig zu finden ist. Eine Curl-Route bedeutet, dass der Receiver etwa fünf bis zehn Yards vertikal läuft, und sich dann blitzartig umdreht und ein, zwei Schritte zurück in Richtung des Quarterbacks macht.
Der Effekt: Der Quarterback erhält stationäre Ziele, die sich horizontal über das Feld verteilen - und er kann sich etwa mit Blick darauf, ob die Defense Press- oder Off-Coverage spielt, bereits vor dem Snap ein gutes Bild darüber verschaffen, wo er mit dem Ball hin will. Das oben abgebildete Beispiel war ein 11-Yard-Pass zu Tight End Will Dissly (innen postiert auf der rechten Seite der Formation) zu Beginn des letzten Drives.
NFL GamepassDas Beispiel hier zeigt den 30-Yard-Catch-and-Run von Malik Turner zu Beginn des letzten Drives vor der Halbzeitpause. Das Konzept ist offensichtlich auch genau darauf ausgelegt, Turner gegen die Off-Coverage der Steelers Underneath Platz zu verschaffen, sodass er den Ball nicht nur sichern, sondern auch Yards nach dem Catch produzieren kann.
Und das sind nur zwei Beispiele eines Musters, das immer wieder klar erkennbar war. Seattle attackierte Pittsburgh, vor allem wenn sich die Steelers in Coverage etwas zurückzogen, wieder und wieder mit Curl-Konzepten. Das gab Wilson klare Reads, das sorgte für Raumgewinn bei Early Downs.
(All-)Curl-Konzepte sind spezifisch darauf ausgelegt, bei First Down "sichere" Pass-Spielzüge umzusetzen, um so in kurze Second Downs zu kommen - etwas, das Seattle bisher bevorzugt mit Runs bei First Down versuchte. Das macht diesen Wechsel so bemerkenswert.
Wilson warf den Ball laut Next Gen Stats im Schnitt in 1,89 Sekunden, seit 2016 ist das die schnellste Durchschnitts-Wurf-Zeit für einen Quarterback mit mindestens 20 Pässen in einem Spiel. Wilson warf den Ball am Sonntag insgesamt 35 Mal, 29 seiner Pässe kamen an.
Das war größtenteils auf eben dieses schnelle Underneath-Passspiel zurückzuführen. Im Bereich zwischen der Line of Scrimmage und zehn Yards Downfield brachte er 20 von 22 Pässen zum Mitspieler und fand auch gegen Pittsburghs Blitz-Versuche schnelle Checkdown-Optionen.
NFL GamepassSteelers-Secondary mit erneuten Matchup-Problemen
Und es war nicht nur dieses Muster, das immer wieder auffiel. Seattle hatte generell sehr gut designte Route-Kombinationen, die in Pittsburgh zu Big Plays führten.
Die hier abgebildete Szene zeigt den Touchdown von Dissly Mitte des dritten Viertels. First Down, Red Zone - und erneut geht Seattle zum Passspiel. Via Pre-Snap-Motion bewegt sich Tyler Lockett auf die linke Seite der Formation, sodass die Seahawks die Steelers-Defense hier überladen können.
Der Running Back aus dem Backfield läuft in die Flat und beschäftigt so den Linebacker, Lockett läuft eine kurze Route nach außen und bindet so den Outside-Cornerback - und all das führt dazu, dass hinter dem Corner und dem Linebacker auf der rechten Seite aus Sicht der Defense ein Raum entsteht. Dissly kann so, komplett frei, exakt vor dem tiefen Safety den Pass fangen und in die Endzone laufen.
NFL GamepassAuch der Touchdown von D.K. Metcalf zeigt die Fähigkeit, Pittsburghs Defense gezielt zu attackieren und Matchups zu schaffen. Wieder attackiert Schottenheimer eine Seite des Feldes, indem er den Cornerback durch die Outside-Route des Tight Ends Nick Vannett aus dem Play nimmt und den Linebacker (Mark Barron, Nummer 26) mit Lockett nach außen zieht
Das kreiert ein Eins-gegen-eins-Duell für Metcalf gegen Safety Terrell Edmunds - ein enormes Mismatch für die Steelers. Das sind einfache Reads und verhältnismäßig einfache Big Plays für Wilson. Seattle ist damit im Übrigen nach den Pats das zweite Team, das Pittsburghs starre Coverages auseinandernimmt.
Das war ein sehr ermutigendes Spiel für die Seahawks-Offense, die unter Schottenheimer viel zu häufig ihren Top-5-Quarterback versteckt statt in den Mittelpunkt gerückt hat. Pittsburghs Defense mag eine Rolle dabei gespielt haben - doch noch in der Vorwoche gegen Cincinnati änderte eine gute Bengals-Front ebenfalls nichts an Schottenheimers Herangehensweise.
Wenn das nicht nur eine einmalige Sache, sondern der Beginn eines neuen Trends war, muss man Seattle deutlich ernsthafter als bisher auf dem Zettel haben. Nicht gleich als Titelkandidat - aber die Seahawks geben sich so eine Chance, statt ihren besten Spieler zu verstecken und gleichzeitig auf einen ineffizienten Ansatz zu bauen.
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Steelers, Dolphins, Newton, Fitzpatrick - eure Fragen
JHK, Lukas, ua_9, Kai B: Was ist in Pittsburgh los? Sind die Steelers für dich noch ein Playoff-Kandidat?
Zunächst einmal muss man bei den Steelers auf jeden Fall beide Spiele getrennt voneinander betrachten. Gegen die Patriots war Pittsburgh chancenlos, weil man - wieder einmal - defensiv nicht im Ansatz die richtigen Antworten fand und die Patriots-Defense in diesem Jahr vielleicht die beste Defense der Liga ist. Gegen Seattle muss man natürlich die Verletzung und den Ausfall von Ben Roethlisberger in der ersten Hälfte erwähnen.
Trotzdem gibt es in der Offense ein klares schematisches Thema nach den ersten beiden Spielen: Die Steelers haben ein Wide-Receiver-Problem. Die Steelers sind eine Air-Raid-Offense, das wurde über die ersten Wochen deutlich. Unheimlich viele Empty-Sets, sehr viel Spread, sehr viele 4-Wide-Receiver-Formationen und viele Freiheiten für Roethlisberger an der Line of Scrimmage.
Daraus versuchen sie auch, Roethlisberger durch kurze Route-Kombinationen über die Mitte schnelle Pässe zu geben und die Coverage-Tiefe der gegnerischen Defense mit dem dritten und vierten Wide Receiver zu testen. Das Problem ist, dass Pittsburghs Receiver sich trotzdem auffällig häufig kaum von ihren Gegenspielern lösen können.
Gegen die Patriots war das besonders eklatant, als wir zum ersten Mal sahen, wie inkonstant diese Offense wird, wenn JuJu Smith-Schuster die Rolle des Nummer-1-Receivers ausfüllen muss; nicht nur in der Depth Chart, sondern wenn die Defense ihn auch dementsprechend behandelt. Donte Moncrief (Drops!) ist bisher eine enorme Enttäuschung und kann die erhoffte "1B-Rolle" nicht ausfüllen.
Das ist auch perspektivisch ein ernsthaftes Problem. Dass der Abgang von Antonio Brown die Offense schlechter macht, war natürlich abzusehen - derartige Probleme hatte ich allerdings nicht erwartet. Womöglich muss Pittsburgh noch mehr Mismatches erzwingen und JuJu noch aktiver in der Formation herumbewegen. Pittsburgh nutzt kaum simple Elemente wie Play Action und ist auch im Screen Game längst nicht so effizient wie andere Teams.
All das sind Dinge, die man zumindest im Ansatz reparieren kann. Doch die Verletzung von Ben Roethlisberger werden die Steelers nicht ausgleichen können. Mason Rudolph hatte ein paar gute Pässe und er ist ein talentierter Backup, aber das ist ein enormer Drop-Off. Dazu kommt: Man muss all diese Probleme reparieren, während Rudolph seine ersten NFL-Starts sammelt und der Spielraum für Fehler gleichzeitig schrumpft. Diese Kombination ist gravierend.
Rudolph ist eine interessante Personalie, die die Steelers jetzt genau unter die Lupe nehmen können - aber eher nicht der Quarterback, von dem man erwarten kann, dass er das Team aus dem 0-2-Loch zurückführt. Pittsburgh ist für mich kein Playoff-Kandidat mehr.
Kilian, Nico: Ist es bei den Dolphins schon Wettbewerbsverzerrung und wo liegen die Parallelen und Unterschiede zu den Browns? Gehen die Dolphins 0-16?
Die Dolphins waren natürlich bereits letzte Woche ausführliches Thema, und eine Sache ist wichtig: Nicht in Panik verfallen. Die Defense war gegen die Patriots - auch wenn das angesichts des Endresultats merkwürdig klingt - im Vergleich zum Ravens-Spiel deutlich verbessert. Zwei Defense-Scores sowie ein Garbage-Time-Touchdown für die Patriots machten die Sache am Ende nochmal deutlicher, was natürlich nicht heißen soll, dass das Spiel ansonsten eng gewesen wäre.
Und trotzdem: Nicht in Panik verfallen. Das ist elementar wichtig. Das gilt für die Fans, das gilt für die Verantwortlichen. Die Dolphins müssen im Umbruch intern innerhalb des Teams eine positive Atmosphäre kreieren. Das ist eine gigantische Herausforderung bei einem solch tiefgreifenden Umbruch, aber es muss, neben dem Bewerten der jungen Spieler, eine der obersten Prioritäten sein. Und das wird auch ein Maßstab für Coach Brian Flores sein.
Miami wird noch Spiele bekommen, in denen man eine deutlich bessere Chance auf Zählbares hat. Washington vielleicht, die Giants, vielleicht Cincinnati, vielleicht - je nach Saisonverlauf und je nach Darnolds Krankheitsverlauf - auch die Jets. Und nein, das soll in keiner Weise die Leistung der Offense beschönigen, die gegen die Patriots bei 24 First-Down-Plays 13 Mal keinen Raumgewinn oder gar Raumverlust erzielte. Die Dolphins werden ein oder zwei Spiele gewinnen, und wenn sie danach ihren Franchise-Quarterback finden, fragt in zwei Jahren niemand mehr nach 2019.
Der Saisonstart mit zwei Heimspielen gegen AFC-Schwergewichte war denkbar unschön; aber ganz platt gesagt: Solche Niederlagen waren zu erwarten. Parallelen zu den Browns, die 2016 Alex Mack, Mitchell Schwartz, Tashaun Gipson, Karlos Dansby und Travis Benjamin gehen ließen, gefolgt von Cornerback Joe Haden ein Jahr später, gibt es. Cleveland hielt 2016 kaum einen Spieler, der wirklich zum tragenden Gerüst dieses Teams zählte - Joe Thomas und Joel Bitonio wären wohl am ehesten die Ausnahmen. Der Unterschied ist, dass Miami noch aktiv junges Talent gezielt abgibt, um Picks zu sammeln.
Niemand hat gesagt, dass der Umbruch einfach oder schön anzuschauen wird. Und es ist absolut richtig, es kritisch zu hinterfragen, wenn die Dolphins junge potenzielle Säulen wie Laremy Tunsil und jetzt auch Minkah Fitzpatrick abgeben. Miami agiert ein gutes Stück radikaler als die Browns, zu einem gewissen Grad aber schlicht auch deshalb, weil die Dolphins mehr junges Talent hatten als Cleveland 2016.
Das Ziel, und das muss jedem klar sein, lautet: den Franchise-Quarterback finden. Alles andere lässt sich mit Ressourcen und über Zeit auf die eine oder andere Art lösen, aber dieser Punkt ist nicht verhandelbar. Der Quarterback verändert alles.
Man wird dieses Projekt erst in zwei bis drei Jahren bewerten können, wenn Miami sich für einen Quarterback entschieden hat. Genau wie bei Cleveland damals. Kleiner Mutmacher: Welches Browns-Team sah auf dem Papier - und davon reden wir im ersten Schritt der Kader-Zusammenstellung ja - in den letzten 20 Jahren besser aus als die 2019er Version?
Miami hat nächstes Jahr weit über 100 Millionen Dollar Cap Space sowie drei Erst- und zwei Zweitrunden-Picks, und 2021 könnte sich das Spiel genau so wiederholen. Je zwei Erst- und Zweitrunden-Picks halten sie auch für 2021. Das ist der Punkt, an dem der Umbruch bewertbar wird und das Team Spaß machen sollte.
Roarks: An welchen Schrauben muss Kingsbury drehen, damit es auch in der Redzone bei den Cardinals klappt?
Zwei Punkte, die man ganz klar thematisieren muss: Kingsburys Play-Designs waren bislang herausragend, seine Play-Calls außerhalb der Red Zone auch weitestgehend gut, zumindest seit dem vierten Viertel gegen Detroit. Aber seine Entscheidungen im Laufe des Spiels muss man kritisch betrachten.
In beiden Partien gab es jetzt insgesamt mehrere - allein in Baltimore drei - Situationen, in denen Arizona zurückliegend bei kurzem Fourth Down kurz vor der Endzone das Field Goal wählte. Das war sogar historisch: Seitdem die Torstangen 1974 versetzt wurden, gab es noch nie ein Team, dass im Rückstand innerhalb der gegnerischen 5-Yard-Line drei Field Goals versucht hat. Hier wäre mehr Mut dringend wünschenswert; das sind genau die Plays, bei denen die Analytics-Erkenntnisse förmlich danach schreien, das Fourth Down auszuspielen.
Und dann sind es auch die Play-Calls in der Red Zone. Vielleicht vertraut er seiner Offensive Line in diesen Situationen aktuell nicht, vielleicht fällt das noch in den "Ankommen in der NFL"-Prozess. Aber gerade bei Short-Yardage-Situationen wären Runs für David Johnson eine willkommene Alternative. Gerne auch aus Spread-Formationen, um gegen eine leichte Box zu laufen, oder mit Motion-Elementen, um Verteidiger abzulenken - so wie beim Touchdown-Run von Johnson gegen die Ravens.
NFL GamepassEine angetäuschte Ballübergabe an Larry Fitzgerald kombiniert mit dessen Pre-Snap-Motion zieht den Cornerback von der rechten Seite der Defense auf die andere Seite der Formation. Er ist damit aus dem Play raus. Die zweite Gefahr für die Defense ist Murray selbst, und der provoziert eine Disziplinlosigkeit in der Ravens-Defense: Zwei Verteidiger (roter Kreis) stürzen sich auf Murray. Johnson (blauer Pfeil) läuft ohne Gegnerkontakt in die Endzone.
Mehr Short-Yardage-Runs und Murray als gelegentliche Rushing-Bedrohung sollten Arizona in der Red Zone effizienter machen. Wichtiger ist aber, dass Kingsburys In-Game-Entscheidungen mutiger werden.
Lord: Glaubst du, dass Cam Newton "durch" ist?
"Durch" ist natürlich ein harter Ausdruck, aber einer meiner ersten Gedanken zum Panthers-Tape gegen die Buccaneers war tatsächlich: Etwas stimmt mit Cam Newton nicht. Seine Wurfbewegung wirkte immer wieder, als müsse er mehr Kraft aus dem ganzen Oberkörper kreieren, als sei die gewohnte Armstärke nicht mehr vorhanden; außerdem fehlt der Offense auch schematisch das vertikale Element - und wenn Newton tief wirft, ist er ungenau.
Gegen die Bucs warf er neun Pässe über mindestens 20 Yards tief, davon kamen drei an. Mehrfach, auch in der Midrange, kamen seine Würfe zu kurz, und dass die Panthers ihn als Runner deutlich stärker schonen, ist nicht von der Hand zu weisen. Gegen Tampa Bay hatte er zwei designte Runs, gegen die Rams beim Auftakt drei. Dass sie ihm den Ball am Ende nicht gaben, um das Spiel potenziell zu gewinnen, war symptomatisch.
Und das führt zu einem anderen Punkt: Wenn man Newton als Runner gar nicht oder nur minimal, wie es aktuell der Fall ist, einsetzt, limitiert man ihn signifikant. Newton war nie der Quarterback, der als "klassischer" Pocket-Passer konstant gewinnt. Er braucht die Dimension als Runner. Andernfalls, umso mehr mit Blick auf mögliche Schulterprobleme, "entwertet" man ihn als Quarterback so sehr, dass man ihn zwar schont, aber Newton und damit die ganze Offense zu sehr limitiert.
Falls Newton nach wie vor Probleme mit der Schulter hat, wäre es ratsam, ihn pausieren zu lassen, bis er wieder bei 100 Prozent ist. Für ihn, aber auch für die Offense insgesamt betrachtet, ehe Carolina in eine ähnliche Situation rutscht wie letztes Jahr bereits. Im Moment bekommt man den Eindruck, als würde die Panthers-Offense mit einem eingeschränkten Playbook agieren.
Sascha Quast: Könntest du dir Minkah Fitzpatrick im Backfield der Jets vorstellen, bzw. kann er auch als Outside CB fungieren? Oder wo siehst du ihn, falls die Dolphins ihn traden sollten, und in welchem Bereich siehst du seinen Preis? Welche Teams wären mögliche Spots für ihn?
Berichte aus Miami legten zuletzt nahe, dass drei Teams ernsthaft im Rennen um Fitzpatrick waren - inzwischen wissen wir, dass die Steelers den Zuschlag erhalten haben. Das verrät uns zweierlei: Die Dolphins sind davon überzeugt, dass Pittsburgh mit 0-2-Start und der Roethlisberger-Verletzung einen hohen Pick haben wird, und ich bin geneigt, dem zuzustimmen. Das könnte ein Top-10-Pick werden.
Auf der anderen Seite sagt es uns, dass die Steelers davon überzeugt sind, mit Mason Rudolph eine passable Saison spielen zu können - und dass sie von Fitzpatrick so überzeugt sind, dass sie bereit sind, das Risiko einzugehen, ihn als Top-10-Pick mit verkürztem Rookie-Vertrag zu verpflichten. Es füllt eine Baustelle mit einem Spieler, bei dem man weiß, was man bekommt; das Risiko angesichts des Picks ist aber nicht von der Hand zu weisen.
Was Fitzpatricks Position angeht: Ja, er ist ein sehr flexibler Spieler in der Secondary, doch ein sich wiederholendes Thema - und das haben wir in ähnlicher Version vor einigen Jahren mit Tyrann Mathieu in Arizona erlebt - ist eine gewisse Ineffizienz dadurch, dass er zu viel herumgeschoben wird.
Als Outside-Corner sehe ich ihn nicht, mein Rat wäre, ihn als "Slot-Corner Plus" einzusetzen. Fitzpatrick hatte eine sehr gute Rookie-Saison im Slot, und diese Position ist in der heutigen NFL extrem wertvoll. Natürlich kann man ihn dann nach wie vor hier und da herumschieben und etwa als Blitzer oder auch mal als Sub-Package-Linebacker einsetzen, beziehungsweise auf bestimmte Matchups reagieren. Aber vielleicht ist es nicht ideal, wenn Flexibilität sein Positions-Standard ist.