Fast auf den Tag genau vier Jahre ist es her, dass Kirk Cousins es erstmals global auf die NFL-Bildfläche schaffte. Als Quarterback der Washington Redskins führte er sein Team nach einem 0:24-Rückstand gegen die Tampa Bay Buccaneers zurück ins Spiel. Cousins brachte damals 33 seiner 40 Pässe für 317 Passing Yards an den Mann, warf drei Touchdowns und keine Interception - und gewann das Spiel.
Nach dem 31:30-Erfolg lief Cousins durch die Katakomben des FedExFields und schrie: "You like that!" Das Video der Szene ging viral. Der Mann, der zuvor in sechs Spielen nur sechs Touchdowns und acht Interceptions geworfen hatte und womöglich kurz davor war, seinen Posten als Starting Quarterback zu verlieren, lief plötzlich auf allen Sportsendern der USA hoch und runter.
Für Cousins war sein bis dahin bestes Spiel seiner Karriere der Start seiner besten Saison. Der damals 27-Jährige warf in den letzten zehn Spielen der Spielzeit 23 Touchdown-Pässe bei nur drei Interceptions. Die Redskins gewannen sieben der Spiele, darunter die letzten vier in Serie, und zogen in die Playoffs ein. Es sollte der Beginn einer neuen Ära in Washington werden - doch es kam anders.
Kirk Cousins: Wechsel zu den Minnesota Vikings verändert wenig
Cousins spielte zwei weitere gute Jahre als Starter der Redskins, statistisch bewegte er sich in ähnlichen Sphären wie schon 2015. Doch es blieben Zweifel. Der ehemalige Drittrundenpick hatte immer wieder herausragende Phasen, mehrere Spiele in Serie, in denen er aussah wie einer der besten Quarterbacks der Liga, doch zu oft tauchte er ab. Besonders gegen die besten Teams der Liga überzeugte Cousins zu selten.
Nach zwei Saisons unter dem Franchise Tag ließ Washington seinen Quarterback daher ziehen. Cousins unterschrieb einen voll garantierten Dreijahresvertrag über 84 Millionen Dollar bei den Minnesota Vikings. Es war der Move, der die Franchise von einem guten zu einem der besten Teams der NFL machen sollte.
Doch das Narrativ, das Cousins seit Jahren begleitete, änderte sich kaum - mit der einzigen Ausnahme, dass er für viele Beobachter ab sofort als überbezahlt galt. Cousins spielte gut, warf so viele Touchdowns wie noch nie und brachte mehr seiner Pässe zu seinen Mitspieler als jemals zuvor in seiner Karriere. Doch die Vikings gewannen nur acht Spiele. Besonders in großen Spielen schien Cousins' Team zu häufig den Kürzeren zu ziehen. Mal wieder.
Minnesota Vikings: Thielen schlägt nach Saisonstart Alarm
Als dem Team zu Beginn der laufenden Spielzeit kein Schritt nach vorne zu gelingen schien, es sich vielmehr in die entgegengesetzte Richtung entwickelte, begann es in Minneapolis zu knistern. Nach zwei Niederlagen, ausgerechnet gegen die Division-Rivalen aus Green Bay und Chicago, in den ersten vier Spielen, schlug unter anderem Star-Receiver Adam Thielen öffentlich Alarm.
"Irgendwann wirst du es nicht mehr schaffen für 180 Yards zu laufen, selbst mit dem besten Running Back der NFL", beschwerte er sich bei seinem Team, das in puncto Pass Attempts, Passing Yards und Passing Touchdowns zum Bodensatz der Liga zählte. "Dann musst du den Ball werfen können. Du musst tiefe Pässe treffen können. Das muss gehen!"
Ein offensichtlich frustrierter Stefon Diggs ging noch einen Schritt weiter als Thielen, blieb mehreren Trainingseinheiten fern und forderte Medienberichten zufolge einen Trade. Cousins sah sich offenbar dazu gezwungen, sich öffentlich bei Thielen zu entschuldigen: "Ich möchte mich wirklich bei ihm entschuldigen, denn wir haben am Sonntag zu viele Möglichkeiten ungenutzt gelassen, wo wir ihn hätten anspielen können", sagte der Quarterback bei KFAN.
Kirk Cousins: Nach drei Spielen plötzlich ein MVP-Kandidat?
Die Saison der Vikings stand nach nur vier Spielen bereits an einem Scheideweg. Gut, dass mit den New York Giants genau zum richtigen Zeitpunkt eine der schlechtesten Pass-Defenses der Liga auf dem Spielplan stand. Minnesota gewann klar mit 28:10, Cousins zeigte sein mit Abstand bestes Spiel der Saison und auch Thielen konnte nach sieben Catches für 130 Yards und zwei Touchdowns zufrieden sein.
Seitdem läuft es plötzlich wie geschmiert für die Vikings. Minnesota gewann seine letzten drei Spiele in Serie und Cousins überbot seine starke Leistung der Vorwoche in jedem Spiel. Gegen die Eagles und die Lions brannte der 31-Jährige jeweils ein absolutes Feuerwerk durch die Luft ab.
Nur einen knappen Monat, nachdem das Team im Norden der USA kurz vor der Implosion zu stehen schien, ist es zurück im Playoff-Rennen - und Cousins für so manchen Experten ein echter MVP-Kandidat. Tatsächlich sind dessen Statistiken nach seinen drei Monster-Spielen herausragend. Cousins führt die Liga in Yards pro Pass (9,1) und Touchdown Percentage (6,9 Prozent) an.
"Ich weiß, dass er sich viel Mist anhören muss, aber er geht damit sehr gut um und führt dieses Team so gut an, wie er es nur kann", lobt ihn auch Diggs, der nach mehr als 300 Receiving Yards und drei Touchdowns in den letzten zwei Spielen plötzlich wieder mit einem Verbleib in Minnesota leben zu können scheint.
Minnesota Vikings: Veränderte Offense führt zum Erfolg
Einer der Hauptgründe für die plötzliche Reinkarnation von Cousins sowie der Vikings-Offense: Eine Veränderung des Play-Callings. Offensive Coordinator Kevin Stefanski setzte nicht nur generell mehr auf Pass-Plays, vor allem verknüpfte er diese deutlich besser mit den Run-Game-Designs in seinem Playbook. So spielte Minnesota in den vergangenen drei Spielen mehr aus 12-, 21-, 13- und 22-Personell, also kaum noch aus Sets mit drei Receivern auf dem Feld.
Vor allem aber callte Stefanski deutlich mehr Play-Action-Pässe, häufig auch in Verbindung mit Rollouts oder Misdirection. In den ersten vier Spielen der Saison nutzte Cousins Play Action noch bei nur 27 Prozent seiner Pässe für 6,7 Yards pro Pass. In den vergangenen drei Spielen stiegen diese Zahlen auf herausragende 45,8 Prozent und 14,1 Yards pro Pass - ligaweit der zweitbeste Wert.
"Er ist derselbe Kerl wie zuvor, aber wir ermöglichen ihm deutlich dankbarere Situationen", erklärt Tight End Kyle Rudolph. "Wir geben ihm Selbstvertrauen durch Dinge, die er sehr gut kann, wie Play Action, Bootlegs und schnelle Würfe. Am Anfang der Saison sind wir das ganze Spiel nur gelaufen und haben ihn überhaupt nicht seinen Rhythmus finden lassen."
Das Vertrauen der gesamten Franchise in Cousins ließ sich am vergangenen Sonntag besonders gut beobachten: Drei Minuten vor Schluss verließ sich Minnesota beim Stand von 35:30 nicht auf sein Laufspiel, wie man es bei einem Old-School-Coach wie Mike Zimmer womöglich erwarten könnte. Die Vikings callten einen Play-Action-Pass, Cousins fand Diggs mit einem tiefen Pass über 66 Yards. Eine Minute später führten die Gäste mit 42:30, das Spiel war praktisch entschieden.
Jahr | Team | Starts | Bilanz | Cmp% | Yds | TD | Int | Yds/Att |
2012 | Redskins | 1 | 1-0 | 68,8 | 466 | 4 | 3 | 9,7 |
2013 | Redskins | 3 | 0-3 | 52,3 | 854 | 4 | 7 | 5,5 |
2014 | Redskins | 5 | 1-4 | 61,8 | 1710 | 10 | 9 | 8,4 |
2015 | Redskins | 16 | 9-7 | 68,9 | 4166 | 29 | 11 | 7,7 |
2016 | Redskins | 16 | 8-7-1 | 67,0 | 4917 | 25 | 12 | 8,1 |
2017 | Redskins | 16 | 7-9 | 64,3 | 4093 | 27 | 13 | 7,6 |
2018 | Vikings | 16 | 8-7-1 | 70,1 | 4298 | 30 | 10 | 7,1 |
2019 | Vikings | 7 | 5-2 | 69,8 | 1711 | 13 | 3 | 9,1 |
Kirk Cousins: Ganz besonderes Spiel gegen die Washington Redskins
Dass Cousins und die Offense der Vikings während ihrer Siegesserie auch von eher schwachen Defenses auf der Gegenseite profitierten, spielte ohne Frage eine Rolle. Hier bleibt abzuwarten, wie sich das Team präsentiert, sobald es erneut auf Teams wie seine Rivalen aus Chicago oder Green Bay trifft.
Und doch darf man in Minnesota durchaus optimistisch in die nahe Zukunft schauen. Mit den Redskins, den Chiefs ohne Patrick Mahomes (?), den Cowboys und den Broncos, treffen die Vikings vor ihrer Bye Week auf vier schlagbare Gegner. Drei Siege in den nächsten vier Spielen scheinen für die Franchise somit alles andere als ein vermessenes Ziel zu sein.
Für Cousins stellt allerdings zunächst das Spiel gegen Washington ein ganz besonderes dar. "Ich habe dort die Möglichkeit bekommen zu starten, als viele Leute dachten, dass ich das lieber nicht sollte. Sie haben zu mir gehalten", sagt der Quarterback. "Ich bin so dankbar dafür, dass sie mich gedraftet haben, wenn 31 andere Teams mich nicht genommen hatten. Es gibt dort so viele besondere Coaches und Mitspieler, mit denen ich mein Leben lang verbunden sein werde. Wenn meine Karriere lange vorbei ist, werde ich sie immer noch anrufen und ihnen schreiben."
Ob Cousins seine herausragende Form gegen sein altes Team bestätigen kann oder doch - mal wieder, wie Redskins-Fans unken würden - in einem landesweit übertragenen Primetime-Spiel enttäuscht, steht vorerst noch in den Sternen. "Im Moment spielt er wie Pro Bowl Kirk Cousins", erklärt Redskins-Safety Landon Collins. "Aber wir haben schon bei den Giants immer gesagt: 'Bei Kirk Cousins weißt du nie, was du am Ende bekommst.'"