"Mir geht es gut, mit geht es gut", grinste Chiefs-Coach Andy Reid einige Minuten nach Spielende. "Mein Herz rast und ich werde älter. Ich darf es nicht zu sehr rasen lassen", schob der 61-Jährige hinterher.
Reid ist ohne Zweifel einer der besten und einflussreichsten Head Coaches in der NFL, zumindest in diesem Jahrtausend. Dennoch trug er stets ein Stigma mit sich herum: Viele Siege, viele Erfolge, verschiedene Einflüsse auf das Spiel - aber eben kein Titel. In das Duell am Sonntag ging er als der Head Coach mit den meisten Siegen (207 in der Regular Season sowie 14 weitere in den Playoffs) ohne Super-Bowl-Ring.
All das ist jetzt vorbei, und wie schon im Vorfeld der Partie wurde schnell klar, wie sehr seine Spieler auch für ihren Head Coach gespielt hatten. "Unglaublich emotional", sagte etwa Tight End Travis Kelce, "und ich freue mich so sehr für Andy Reid. Ihm zu diesem Ring zu verhelfen, die Lombardi Trophy nach Kansas City zu bringen - das bedeutet uns alles. Jeder von uns sieht, wie hart er arbeitet und welche Art Mensch er ist. Er ist für uns wie eine Vaterfigur, und wir wissen das zu schätzen."
Quarterback Patrick Mahomes fügte hinzu: "Wir wollten diesen Titel für ihn gewinnen, weil er es verdient hat. Er arbeitet so unglaublich viel - ich glaube nicht, dass er schlafen geht. Manchmal versuche ich, vor ihm da zu sein, doch das gelingt mir nie. Er arbeitet härter als jeder andere, den ich kenne und er verdient diesen Titel."
Chiefs-Besitzer Clark Hunt ging in die genau gleiche Richtung: "Ich bin so glücklich für unsere Spieler, Coaches und Fans. Und besonders für Andy Reid. Keiner verdient diese Trophäe mehr als Andy Reid."
49ers-Defense die erwartete Herkulesaufgabe
Aus Chiefs-Sicht war Super Bowl LIV ein Märchen, das perfekte Ende einer Saison, in der man zumindest offensiv nicht ganz so dominant auftrat wie im Jahr davor.
Erst der Ausrutscher der Patriots am letzten Spieltag der Regular Season hatte Kansas City überhaupt die Bye-Week und danach das Heimspiel in der zweiten Playoff-Runde beschert. Nur die Niederlage der Ravens sorgte dafür, dass das AFC Championship Game in Kansas City stieg.
Nachdem man im Vorjahr als Nummer-1-Seed denkbar unglücklich gegen die Patriots im Championship Game verloren hatte, brauchte es dieses Mal zwei Comeback-Siege gegen Houston und Tennessee für den Einzug in den Super Bowl. Und auch dort fehlte nicht viel und die Storyline wäre jetzt eine komplett andere.
Dann würde es an dieser Stelle um den Pass-Rush der 49ers gehen, der Mahomes vier Sacks aufzwang, acht Quarterback-Hits sammelte und zusätzlich vier Tackles im Backfield produzierte. Oder um die Coverage der 49ers, die flexibler auftrat und merklich versuchte, Mahomes auch mit Umstellungen nach dem Snap zu verwirren. Nicht selten erfolgreich. Und es würde um Mahomes selbst gehen, der insbesondere im zweiten und dritten Viertel zwei der schlechtesten Spielabschnitte seiner bisherigen NFL-Karriere hinlegte.
"Ich hatte nicht das dritte Viertel, das ich haben wollte", gab Mahomes, der erstmals seit Mitte der 2018er Saison zwei Interceptions in einem Spiel geworfen hatte, anschließend beim NFL Network offen zu. "Aber ich wusste, dass unsere Defense Stops hinbekommen würde, wenn ich weiter kämpfe. Und es war unglaublich, in dieser Situation zu sein - wir lagen sieben Minuten vor dem Ende mit zehn Punkten hinten und haben einen Weg gefunden, das Spiel zu gewinnen. Unglaublich."
"Dieses Team gibt niemals auf"
Zuvor hatte Mahomes offene Receiver verfehlt, bei seiner ersten Interception einen Linebacker komplett übersehen und beim zweiten Pick in den Rücken von Tyreek Hill geworfen. Nach rund der Hälfte des Schlussviertels brachte er nur 5,9 Yards pro Pass aufs Scoreboard.
Die Chiefs lagen 10:20 zurück als ein Play die Geschicke der Partie in andere Bahnen lenkte: Ein weiteres langes Third Down erwartete die Offense, doch nachdem Mahomes hier bislang gewaltige Probleme an den Tag gelegt hatte, hatte er dieses Mal sein Matchup gefunden: Hill mit einer tiefen Route gegen den Safety - der 44-Yard-Pass war der Dosenöffner für die Chiefs-Offense. Kurz darauf warf Mahomes seinen ersten Touchdown-Pass und KC verkürzte auf drei Punkte.
"Dieses Team gibt niemals auf", betonte Cornerback Bashaud Breeland nach der Partie gegenüber NFL.com. "Wir lagen mit 0:24 hinten (gegen die Texans in der Divisional Round, d. Red.) und kamen zurück. Als wir heute also hinten lagen, wussten wir, dass wir einfach auf unserem Kurs bleiben und den Sturm aushalten müssen."
Mit Mahomes ist alles möglich
Doch ist das vermutlich leichter gesagt als getan, denn im Vergleich zu den Partien gegen Houston oder auch Tennessee war die Ausgangslage dieses Mal anders. In den beiden vorherigen Playoff-Runden spielte Mahomes nahe an der Perfektion und es waren eher Fehler seiner Receiver oder Patzer im Special Team, welche für Rückstände sorgten.
Dieses Mal war es Mahomes selbst, der bedenklich wackelte. Das Vertrauen der Mitspieler war dennoch unerschüttert: Mahomes hatte schon vor dem Super Bowl alle vier Spiele in dieser Saison gewonnen, in denen die Chiefs mit mindestens zehn Punkten hinten gelegen hatten.
Das Ende ist bekannt: Die Chiefs legten drei Touchdowns in fünf Minuten auf, während Garoppolo auf der Gegenseite nicht die notwendigen Pässe anbringen konnte, um die Niners in dem plötzlich ausgebrochenen Shootout im Rennen zu halten. "Wir haben die Fähigkeit als Team, nicht nur als Offense, herauszufinden, was das andere Team macht und dann eine Linie zu ziehen und zu sagen: 'Genug ist genug'", fasste Kelce zusammen. Fullback Anthony Sherman stellte weiter klar, dass mit Mahomes "alles möglich" ist.
Beginn einer Dynastie? Wie geht es weiter für die Chiefs?
Diese Aussage von Sherman lässt sich kaum als Übertreibung im Zuge des Titel-Adrenalins abtun. Zu eindrucksvoll waren die beiden Jahre von Mahomes als Starter, welche er als jüngster Spieler aller Zeiten mit einem NFL MVP Award und einem Super-Bowl-Titel im Trophäenschrank beendet. Und gleichzeitig wirft sie eine übergreifende Frage auf: Nachdem Andy Reid so lange auf den Titel warten musste - steht er jetzt womöglich vor dem Start einer Dynastie?
KC hat ein gutes Gerüst mit einem der besten Head Coaches der Liga, der zusätzlich einer der besten offensiven Play-Caller ist, sowie dem besten und gefährlichsten Quarterback der NFL. Frank Clark steht noch vier Jahre unter Vertrag, Hill noch drei, Kelce, Schwartz und Mathieu noch je zwei Jahre, Hardman hat gerade seine Rookie-Saison beendet.
Dieses Team wird nicht - wie so manche andere Super-Bowl-Teams der vergangenen Jahre - auseinander fallen oder gar abstürzen. Auch wenn mit Chris Jones ein ganz kritischer Spieler einen auslaufenden Vertrag hat und die Vertragsverlängerung von Mahomes immer näher rückt. Der Kontrakt, der alle Rekorde brechen wird, könnte schon im Sommer unterschrieben werden.
Um eine Dynastie selbst nur über einige Jahre zu formen, braucht es in der heutigen NFL neben Glück auch eine Situation, in der alles zusammenpasst. Das betrifft einige Draft-Picks und Free-Agency-Verpflichtungen, die sitzen müssen, es betrift das Scouting des eigenen Teams und das erfolgreiche Adressieren einzelner Baustellen - und es ist unmöglich ohne den richtigen Coach und Quarterback. Unter allen 32 NFL-Franchises, das haben die diesjährigen Playoffs eindrucksvoll untermauert, haben die Chiefs die beste Grundlage für Erfolg über mehrere Jahre.
Für Reid zumindest ist heute klar: Das Warten hat sich gelohnt. "Absolut, absolut", beantwortete er die entsprechende Frage noch auf dem Feld. "Ich liebe diesen Kerl (Patrick Mahomes, d. Red.) hier. Und all die Jungs, die vor ihm kamen, euch liebe ich auch. Darum geht es doch. Was für ein großartiges Team und großartige Coaches. Ich weiß alles davon zu schätzen."