Tom Brady verlässt tatsächlich die New England Patriots - und wechselt als Free Agent nach Tampa Bay zu den Buccaneers. Doch passt Brady überhaupt in die Offense in Tampa Bay? Wie verschiebt sich das Kräfteverhältnis in der AFC East? Und wie geht es bei den Patriots auf der Quarterback-Position weiter? SPOX blickt auf die zentralen Fragen zum namhaftesten Wechsel des Jahres.
1. Tom Brady wechselt: Was ist passiert?
Quarterback Tom Brady und die New England Patriots haben ihre erfolgreiche Zusammenarbeit nach 20 Jahren in der NFL beendet. Brady gab die Trennung Anfang der Woche selbst bekannt und hat sich mittlerweile mit den Tampa Bay Buccaneers auf einen Vertrag geeinigt.
Das beendet ein Jahr voller Spekulationen und viel Kaffeesatzleserei, in dem viele Zeichen darauf hingedeutet haben, dass Brady tatsächlich sein ursprüngliches Team verlassen würde.
Brady und seine Frau Gisele Bündchen haben bereits im vergangenen Jahr ihr Haus in der Nähe von Foxborough verkauft und sind nach Connecticut gezogen. Zudem einigten sich die Patriots mit Brady im Sommer auf eine scheinbare Vertragsverlängerung, die sich auf den zweiten Blick lediglich als kreative Gehaltserhöhung entpuppte.
Der offiziell als Dreijahresvertrag deklarierte Deal war in Wirklichkeit einer, der sich nach einem Jahr - 2019 - selbst auflöst. Die Idee dahinter: Der Signing Bonus konnte so auf drei Jahre gestreckt werden für die Salary-Cap-Berechnung.
Letzteres hat nun auch zur Folge, dass die Patriots Dead Money in Höhe von 13,5 Millionen Dollar in ihrer Cap-Berechnung auf den Namen Brady stehen haben. Diesen hätte man nur umgehen beziehungsweise verschieben können, hätten sich beide Seiten auf einen neuen Vertrag geeinigt.
Brady, so die Berichte, wollte im Vorjahr einen Vertrag über zwei Jahre. Als klar war, dass die Patriots ihm den nicht geben würden, wollte er stattdessen die Freiheit, sich nach der Saison selbst - und zum ersten Mal überhaupt - als Free Agent ein Bild von seinem Markt machen zu können. New England stimmte zu, und Bradys Free Agency endete schließlich in Tampa Bay.
2. Was bedeutet der Teamwechsel für Tom Brady?
Für Tom Brady bedeutet der Wechsel nach Tampa Bay einen Neuanfang. Ein Tapetenwechsel nach 20 Jahren. Brady hat mit den Patriots alles erreicht, was man im Football erreichen kann. Er gewann genauso viele Super Bowls wie der bisherige Rekordchampion Pittsburgh Steelers und damit mehr als jeder andere Quarterback in der Geschichte der NFL.
Brady avancierte in New England zum mittlerweile unbestrittenen größten Quarterback aller Zeiten mit den meisten Siegen, Touchdown-Pässen (Regular Season und Postseason) und eben Titeln und Super Bowl MVP Awards. Doch mit bald 43 Jahren wollte er offensichtlich nochmal was Neues machen, eine neue Herausforderung suchen - und vielleicht auch vor allem sich selbst beweisen, dass er auch ohne Belichick gewinnen kann.
Die Bucs geben ihm diese Chance. Brady hatte auch Anfragen von anderen Teams, vor allem von den Los Angeles Chargers, die ihm offenbar ähnlich wie die Bucs auch einen Deal im Bereich von jährlich circa 30 Millionen Dollar geboten haben sollen.
Letztlich gab aber wohl die Tatsache den Ausschlag, dass Tampa Bay an der Ostküste liegt, wo der Großteil der Brady-Familie lebt. Brady, Ehefrau Gisele und deren zwei Kinder wohnen wahlweise in Connecticut oder New York City, Bradys Sohn aus einer früheren Beziehung mit Schauspielerin Bridget Moynihan wohnt ebenfalls in New York. Da half es dem Vernehmen nach sehr, dass ein Ostküstenteam großes Interesse zeigte.
Aber auch sportlich machen die Bucs für Brady zum jetzigen Zeitpunkt seiner Karriere sehr viel Sinn. Nachdem das Talent um ihn herum bei den Patriots zuletzt sehr überschaubar war - lediglich in Woche 2 der Vorsaison standen ihm wirklich vorzeigbare Waffen zur Verfügung mit Antonio Brown, Josh Gordon und einem fitten Julian Edelman - sieht die Lage nun ganz anders aus. Brady wird mit Wide Receivern wie Mike Evans, Chris Godwin und den Tight Ends O.J. Howard und Cameron Brate deutlich mehr Playmaker im Visier haben.
Tom Brady braucht mehr Talent um sich herum
Brady hat im letzten Jahr aber auch selbst Zeichen abfallender Leistungsfähigkeit gezeigt. Inwieweit diese auf die eine oder andere Verletzung zurückzuführen waren, die seine Trainingszeit beeinträchtigten, sei dahingestellt. Mit 43 Jahren sollte es jedoch normal sein, dass Brady nicht mehr sein Topniveau bester Tage hat. Er bewegt sich etwas langsamer, einige seiner Pässe letztes Jahr kamen ungewöhnlich ungenau.
Brady ist eventuell nicht mehr gut genug, um Spiele gewissermaßen allein zu entscheiden. Insofern hilft es ungemein, ihm so viel Talent wie möglich an die Hand zu geben. Die Bucs werden genau dies tun.
Darüber hinaus ist Head Coach Bruce Arians bekannt dafür, sehr viel aus Top-Quarterbacks herauszuholen. Stars wie Peyton Manning, Ben Roethlisberger, Carson Palmer oder Andrew Luck können dies bestätigen.
3. Was bedeutet der Brady-Abgang für die Patriots?
Bradys Abgang bedeutet für die Patriots einen Neuanfang. Das Ende einer beispiellosen Ära in der NFL. Seitdem Brady Anfang der Saison 2001 für den damals schwer verletzten Drew Bledsoe übernahm, starteten außer Brady nur noch drei andere Quarterbacks für New England.
Damit wären wir auch schon beim großen Thema für New England in der nahen Zukunft: Wer tritt Bradys Nachfolge an? Stand jetzt deutet vieles darauf hin, dass Jarrett Stidham der Auserwählte ist. Stidham war ein Viertrundenpick der Patriots 2019 und überzeugte dem Vernehmen nach nicht nur in der Preseason, sondern über das Jahr hinweg im Training. Er bekam verhältnismäßig viele First-Team-Snaps im Training, weil Brady mit zahlreichen Blessuren immer mal wieder aussetzten musste.
Des Weiteren sollen die Patriots darüber nachdenken, einen erfahrenen, aber verhältnismäßig günstigen Quarterback ins Team zu holen, vermutlich, um den Backup zu geben. Laut Adam Schefter von ESPN könnte zudem ein weiterer Quarterback im Draft gezogen werden.
Aktuell steht neben Stidham nur noch Cody Kessler als Quarterback im Kader.
Welche Quarterbacks könnten die Patriots holen?
Darüber hinaus aber stellt sich den Patriots auch das Problem, dass sie durch den Brady-Abgang kaum noch Cap Space haben - ein teurer Brady-Ersatz war also nie ein Thema, umso mehr, da durch Bradys Abgang der Dead Cap über 13,5 Millionen Dollar noch in die Bücher wandert. Sie haben bereits den Vertrag von Safety Devin McCourty verlängert und Guard Joe Thuney mit dem Franchise Tag belegt. Das jedoch hat zur Folge, dass ihnen nun essenziell die Hände gebunden sind.
Welche Alternativen wären also überhaupt denkbar? Ein Trade für einen Quarterback mit Vertragsumstrukturierung oder kurzfristiger Verlängerung, um den Cap Hit aufzuteilen, wäre etwa machbar - für ein solches Szenario kämen ganz konkret Cam Newton (Panthers) und Andy Dalton (Bengals) in Frage.
Newton hat bereits die Trade-Freigabe von den Panthers erhalten, die sich mit Teddy Bridgewater als Newtons Nachfolger einig sind. Cincinnati derweil wird aller Voraussicht nach mit dem Nummer-1-Pick im kommenden Draft einen Quarterback auswählen, was den Weg für Daltons Abgang ebnet.
Mit Dalton könnte New England stilistisch eine zumindest ähnliche Offense spielen wie mit Brady. Newton dagegen würde eine klare offensive Umstellung mitbringen. Sind die Pats dazu gewillt? Zu haben wäre außerdem Jameis Winston, der sogar als Free Agent und ohne Trade. Doch gibt es Gerüchte, wonach Belichick nicht der größte Fan des stets risikofreudigen Ex-Bucs-Quarterbacks sein soll.
UPDATE: Die Patriots haben sich zum Wochenbeginn mit Brian Hoyer auf eine Rückkehr nach New England geeinigt. Somit wird ein Modell mit Hoyer als Backup hinter Stidham zunehmend wahrscheinlicher.
Stehen die Patriots vorm Neuaufbau?
Die ursprüngliche Idee, Brady mit mehr Talent in der Offense, die nach Rob Gronkowski keinen brauchbaren Tight End und scheinbar keine verlässlichen Reicever außer Edelman mehr hat, zu unterstützen, ist nun hinfällig - auch mit Blick auf den Brady-Nachfolger, wer auch immer dieser letztlich wird.
Es gibt schlicht kaum Möglichkeiten, in der Free Agency zuzuschlagen. Der Draft dürfte also die Anlaufstelle sein, auch um in der Defense für mehr Jugend zu sorgen, nachdem auch hier bereits einige größere Namen neue Teams gefunden haben.
Für die Patriots wird sich nun kurzfristig die Frage stellen, ob ein kompletter Neuaufbau ratsam wäre - dass McCourty und Thuney gehalten wurden spricht eher dafür, dass das nicht der Weg ist. Oder ob man Stidham tatsächlich zutraut, mit ein paar Verstärkungen die Playoffs zu erreichen, zumal die Nummer-1-Defense des Vorjahres größtenteils zusammenbleiben wird.
Klar sein dürfte aber, dass die Konkurrenz auch in der eigenen Division Morgenluft wittern wird. Gerade die Buffalo Bills dürften nach der Verpflichtung von Stefon Diggs ein großer Anwärter auf einen Divison-Titel in der AFC East sein.
4. Was bedeutet Bradys Ankunft für die Buccaneers?
Brady wird keineswegs eine neue Ära prägen in Tampa Bay, dazu ist er dann doch seinem letztlichen Karriere zu nah. Aber er dürfte noch genügend im Tank haben, um die Bucs auf das nächste Level zu heben. Bradys Ankunft in Tampa Bay könnte kurzfristig einen ähnlichen Effekt auf die Buccaneers haben wie Peyton Manning einst in Denver.
Ähnlich wie Manning damals findet Brady nun ein sehr gutes Gerüst vor, mit dem er als Kopf des Ganzen aufblühte. Der Unterschied nun wird vermutlich sein, dass Brady sich an das System von Head Coach Bruce Arians anpassen werden wird. Manning brachte damals essenziell "seine" Offense aus Indy mit.
Abgesehen davon erhalten die Buccaneers mit Brady einen Quarterback, der um Welten reifer ist als sein Vorgänger Jameis Winston. Winston mag rein physisch besser sein als Brady, doch Letzterer macht signifikant weniger Fehler. Winston hat im Vorjahr 30 Interceptions geworfen, Brady unterliefen in seiner Karriere nie mehr als 14 in einer Saison - das war zuletzt 2005 der Fall!
Brady macht sehr wenige Fehler und ist zudem ein unumstrittener Leader, an dem sich die meist jungen Kollegen aufrichten können, wenn es mal brenzlig wird. Er hat buchstäblich alles gesehen und hat die Angewohnheit, auch unter großem Druck äußerst ruhig zu bleiben.
Buccaneers: Brady stärkt indirekt die Offensive Line
Ebenfalls hat Brady die Tendenz, den Ball nicht allzu lang zu halten, besonders wenn Pressure kommt. Ein Grund, warum die Bucs letztlich laut Football Outsiders in der O-Line eine Adjusted Sack Rate von 7,8 Prozent hatten, war Winstons Tendenz, den Ball eben recht lange - zu lange - zu halten. Brady allein dürfte diese Zahl merklich senken.
Die Buccaneers befanden sich bis zur Vorsaison im Neuaufbau unter Arians und zeigten durch eine sehr gute Offense Potenzial für mehr. Doch die Defense hielt sich gerade durch die Luft merklich zurück. Letzteres wird Brady nicht verbessern, doch weniger Turnovers im Passspiel allein könnten schon helfen, das Team insgesamt zu verbessern.
Bradys Ankunft sendet zudem ein klares Signal an die Konkurrenz, dass die Bucs nun wieder ernstzunehmen sind. Erstmals seit 2007 sollten daher auch die Playoffs drin sein. Dafür spricht auch, dass in der NFC South lediglich die Saints ein großer Konkurrent sein werden - die Panthers und auch Falcons befinden sich mehr oder minder tief im Neaufbau.
5. Passt Brady überhaupt nach Tampa Bay?
Die Corona-Pandemie wird auch vor der NFL nicht Halt machen. Die Free Agency geht mehr oder minder geregelt über die Bühne, doch darüber hinaus wird es schwierig. Für Brady und sein neues Team könnte das besonders problematisch werden, denn bereits jetzt wurden die ersten OTAs (Organized Team Activity) abgesagt und es ist nicht absehbar, wann Brady und seine neue Offense erstmals auf gemeinsam auf dem Platz stehen werden.
Die verringerten Trainingseinsätze haben Brady in New England mit ein paar neuen Receivern wie Rookie N'Keal Harry und Neuzugang Mohamed Sanu sicher nicht geholfen. Nun kommt er in ein komplett neues Team mit neuen Coaches, neuer Nomenklatur und einem für ihn komplett neuen System und wird wohl sehr viel weniger Zeit als üblich bekommen, um das alles kennenzulernen.
Das ist eine Herausforderung, die selbst für einen Quarterback mit der Spielintelligenz eines Bradys nicht zu unterschätzen ist.
Momentan gehen wir davon aus, dass die Saison planmäßig im September beginnt. Aber selbst dann könnte es gerade zu Saisonbeginn zu anfänglichen Schwierigkeiten kommen, weil die Trainingszeit fehlen könnte.
Wie funktioniert Brady in der Arians-Offense?
Das wiederum birgt die Gefahr, dass die besser eingespielte Konkurrenz, speziell die gut geölte Maschine in New Orleans, schon früh davon ziehen könnte in der NFC South. Das allerdings muss die Playoff-Hoffnungen der Bucs nicht zu sehr trüben, schließlich wird es 2020 erstmals drei Wildcards pro Conference geben. Selbst mit Fehlstart sollten die Playoffs für Tampa Bay mit Brady also weiterhin greifbar sein. Und dies wäre ohnehin nur ein Worst-Case-Szenario.
Aus schematischer Perspektive geisterten bereits viele Takes durch die sozialen Medien, nachdem klar wurde, dass es Brady wohl nach Tampa Bay zieht. Der Tenor dabei häufig: Bruce Arians lässt eine vertikale Offense spielen, Brady ist ein Kurzpass-Quarterback - wie passt das zusammen?
Wie so häufig liegt die Wahrheit wohl in den Nuancen. Arians lässt zwar eine vergleichsweise vertikale Offense spielen, die aber ist keineswegs primär durch die tiefen Bomben 40, 50 Yards Downfield geprägt. Vielmehr ist die Mid-Range - etwa 10 bis 20 Yards tief - der Fokus der Offense; und dort sind die Bucs mit Godwin, Howard und Brate auch glänzend aufgestellt.
Auf der anderen Seite ist Brady nicht der Kurzpass-Quarterback, zu dem er teilweise gemacht wird - Brees, Carr und Co. sind da ganz andere Kaliber. Brady hat, wenn er die entsprechenden Waffen hatte, auch in den vergangenen Jahren den Ball durchaus das Feld runter geworfen. Und gerade diese Mid-Range war jahrelang mit Rob Gronkowski eine Brady-Spezialität.
Insofern werden sich Brady und Arians zwar fraglos aneinander annähern müssen, was Konzepte, Play-Calling und teilweise vielleicht auch die Sprache der Offense angeht. Doch im Vakuum betrachtet ist Brady keineswegs ein schlechter Fit für die Arians-Offense.