Noch vor einem Jahr wäre es wohl nicht vorstellbar gewesen. Der GOAT verlässt sein Team nach zwei unglaublich erfolgreichen Jahrzehnten gemeinsamer Zeit. Doch auch wenn dies gerade für Fans New Englands schwer zu schlucken ist, ist es am Ende für alle Beteiligten der richtige Schritt.
Aus Bradys Sicht ist es vor allem nochmal ein Tapetenwechsel. Im August wird er 43, das Karriereende ist greifbar. Wenn er also in dieser Liga nochmal etwas Neues ausprobieren will, dann genau jetzt. Erklärtermaßen wolle er bis 45 spielen, das machte er in den vergangenen paar Jahren stets deutlich.
Dass es nun ausgerechnet Tampa Bay wurde, nicht unbedingt eine der Top-Adressen in der NFL und bei weitem nicht auf dem Level der Patriots-Organisation, spielt dabei keine ganz große Rolle. Dem Vernehmen nach gab es ohnehin nur eine Handvoll echter Optionen. Und was auch immer die Beweggründe waren für genau diese Wahl, ergibt sie von außen betrachtet durchaus Sinn.
Anders als zuletzt in Foxborough findet Brady bei den Buccaneers mit Chris Godwin und Mike Evans das wohl beste Wide-Receiver-Duo der Liga vor, ebenso zwei beachtliche Tight Ends in O.J. Howard und Cameron Brate. Wer weiß, auf wen er dieses Jahr in New England geworfen hätte? Wenn die letzte Saison in New England eines gezeigt hat, dann, dass Brady vielleicht nicht mehr das Niveau hat, um auch mit schwächerem Personal um sich herum Spiele dennoch zu gewinnen. Insofern werden ihm seine neuen Kollegen da durchaus weiterhelfen.
Zudem dürfte die Perspektive reizen, mit einem sehr kreativen und sympathischen Head Coach wie Bruce Arians zusammenzuarbeiten. Tampa Bay wiederum ist vielleicht nicht der attraktivste Teil Floridas, aber es liegt immerhin an der Ostküste, nah genug an der neuen Heimat der Brady-Familie in Connecticut.
Tom Bradys Abschied: Eine Chance für die Patriots
Für die Patriots auf der anderen Seite ist es die Chance, einen soften Neuaufbau einzuleiten. Die Moves der letzten Tage deuten darauf hin, dass der Kern zusammengehalten wird - so bekam Star-Safety Devin McCourty einen neuen Vertrag, Guard Joe Thuney erhielt den Franchise Tag mit der Intention, auch hier einen langfristiges Abkommen zu schließen.
Die große Frage bleibt freilich, wer denn künftig die enormen Fußstapfen Bradys füllen wird. Erster Anwärter, das erscheint gerade sehr offensichtlich, ist Jarrett Stidham. Der letztjährige Rookie, der alle Beteiligten über das Jahr im Training beeindruckte. Ob er dies auch im Spiel zeigen kann, wird die spannende Frage sein.
Letztlich haben jedoch sowohl Brady als auch Head Coach Bill Belichick das bekommen, was sie hinter vorgehaltener Hand schon immer wollten: Eine Chance, zu zeigen, dass der jeweils eine ohne den jeweils anderen Erfolg haben kann. Beide haben Hochachtung voreinander, das drückten die Statements aus, die zur Trennung veröffentlicht wurden. Belichick nannte Brady sogar unverblümt den "größten Quarterback aller Zeiten", was zwar unbestritten ist, aus dem Munde Belichicks aber durchaus nochmal mehr Gewicht mit sich bringt.
Klar sein muss aber vor allem eines: Bei dieser Entscheidung von Brady und New England - und wir wissen nicht, welche Seite nun den Ausschlag gegeben hat, da hier die Berichte auseinander gehen und weder Belichick noch Brady jemals offen zugeben werden, wie es wirklich war - ging es unterm Strich nicht ums Geld. Es ging nicht um mangelnden Erfolg oder fehlende Perspektive.
Brady auf den Spuren von Jordan und LeBron
Es dürfte einfach an der Zeit gewesen sein. Jeder (Sport-)Romantiker hätte zwar gerne gesehen, dass Brady seine Karriere im einzigen Trikot beendet, das er je getragen hat, aber das ist leider nicht immer möglich. Michael Jordan hat es bei den Bulls nicht geschafft, Bradys Kindheitsidol Joe Montana landete ganz am Ende bei den Chiefs und LeBron James spielt in der NBA aktuell bei seinem dritten Team.
Der Spruch: "Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist", greift für Brady auch nicht, da dies wohl nach Super Bowl LIII im Jahr 2019 hätte passieren müssen. Doch eines hat er geschafft: Er hört bei den Patriots auf, wenn es am vernünftigsten ist. Wenn er noch anderswo die Chance auf Erfolg hat und die Patriots wiederum die Möglichkeit haben, den Umbruch einzuleiten, bevor ein Absturz droht.
Die Vernunft siegt in diesem Fall tatsächlich über die Romantik.
Tom Brady: Karriere-Highlights
- 6-mal Super-Bowl-Sieger
- 4-mal Super Bowl MVP
- 3-mal Regular Season MVP
- Zweitmeiste Passing Yards All-Time
- Zweitmeiste Touchdown-Pässe All-Time
- Meiste Siege All-Time
- 13-mal Pro Bowl
- 3-mal All-Pro First Team
- 2-mal Offensive Player of the Year