Selbst wenn man die Diskussionen über Positional Value, die Austauschbarkeit eines Running Backs in der heutigen NFL und die Fragen danach, wann man überhaupt einen Running Back draften sollte, für einen kurzen Moment ausklammert, kommt man nach der Analyse der diesjährigen Running-Back-Klasse im Draft zu einem kritischen Schluss: Es handelt sich nicht gerade um die vielversprechendste Running-Back-Klasse der letzten Jahre.
Das bedeutet nicht, dass es keine interessanten Talente gäbe; der Punkt ist eher ein anderer: So viele Running Backs dieser Klasse sind entweder Spezialisten - wie die physischen Power-Backs A.J. Dillon und Michael Warren oder auf der anderen Seite die Speedster Raymond Calais und Levante Bellamy - oder aber sehr Scheme-spezifische Backs.
Vanderbilts Ke'Shawn Vaughn beispielsweise wäre in einem Outside-Zone-Scheme, wie es unter anderem die San Francisco 49ers unter Kyle Shanahan so erfolgreich laufen, extrem gut aufgehoben. Doch in puncto Agilität und genereller Beweglichkeit ist er wiederum so limitiert, dass andere Schemes, die überspitzt formuliert mehr als "One Cut and Go" von ihren Backs verlangen, ihn vermutlich schnell an seine Grenzen bringen würden.
Und so kommt man letztlich doch wieder auf die vergleichsweise große Abhängigkeit der Position zurück. Abhängigkeit vom Blocking, Abhängigkeit vom Scheme, Abhängigkeit von der Qualität des Passspiels und Abhängigkeit von der Herangehensweise der gegnerischen Defense.
Gibt es Backs in diesem Draft, die in guten Umständen gut funktionieren werden? Keine Frage. Allerdings dann eben oftmals als letztes Teil der Kette. Die Running Backs, die vielversprechend dahingehend sind, dass sie über Scheme und Umstände hinaus Offense kreieren können, sind deutlich rarer gesät.
NFL Draft 2020: Running Back Ranking
10. J.J. Taylor, Arizona
Stärken:
- Elite in puncto Agilität, Cuts und Beschleunigung. Taylor geht in Sekundenbruchteilen von 0 auf 100, seine Explosivität und Agilität sind bei fast jedem Tape sichtbar.
- Taylors Richtungswechsel sind scharf und ohne Geschwindigkeitsverlust. Regelmäßig lässt er Verteidiger auf engstem Raum aussteigen und kreiert so neue Winkel und teilweise komplett neue Spielsituationen im Play.
- Seine physischen Qualitäten übertragen sich auch auf seine Rolle im Passspiel. Taylor hat explosive Routes auf Tape und setzt auch hier scharfe Cuts. Linebacker werden große Probleme haben, Eins-gegen-Eins mit ihm mitzuhalten. Mit 1,59 Yards pro gelaufener Route belegte Taylor letztes Jahr Platz 31 unter allen College-Running-Backs.
- Taylor ist unter dem Strich konstant gefährlich mit dem Ball in der Hand, inklusive bei Screens und dergleichen. Seine Physis macht es zur Voraussetzung, dass er mehr als Waffe im Raum und weniger als Running Back im engeren Sinne der Definition eingesetzt wird. In einer solchen Gadget-Rolle aber könnte er durchaus Wert für eine Offense in der NFL mitbringen.
Schwächen:
- Die Physis ist hier als erstes zu nennen. Taylor ist 1,65 Meter groß und keine 85 Kilo schwer - das limitiert ihn hinsichtlich seiner denkbaren Rolle in der NFL doch ein gutes Stück.
- Die physischen Nachteile sieht man auch auf Tape. Als Pass-Blocker ist er kaum zu gebrauchen, direkter Kontakt beendet quasi jedes Play. Schon seine Workload bei Arizona war limitiert. Arizona setzte ihn bereits meist in einer Gadget-Rotations-Rolle ein. Taylor wird in der NFL eine spezifische Rolle brauchen.
- Teilweise will er mit seiner Agilität auch zu viel und tänzelt dann zu viel, was zu negativen Plays statt kurzem Raumgewinn führt.
SPOX-Draft-Runden-Empfehlung: 5. Runde.
9. Darius Anderson, TCU
Stärken:
- Ein spektakulärer, explosiver Spieler. Anderson verfügt über enorme Beschleunigung, kann blitzartig in den zweiten und auch den dritten Gang schalten und der Defense davonlaufen. Hat er Platz, ist er weg.
- Zusätzlich dazu ist Anderson extrem schwer zu tackeln; er ist neben seinem Speed auch das, was man als "Elusive Runner" bezeichnen würde - heißt: Anderson bewegt sich gut durch enge Räume und läuft regelmäßig durch mehrere Tackle-Versuche.
- Dabei hilft es ihm zusätzlich, dass er neben Speed und Beweglichkeit auch eine sehr gute Contact Balance hat. Ein Tackle-Versuch ist keinesfalls das automatische Ende des Plays.
- Anderson hat auch gute Ansätze als Receiver gezeigt. Mitunter auch im Slot aufgestellt, hatte er einige gute Cuts und vor allem gute Hände.
Schwächen:
- Das größte Fragezeichen bei Anderson ist nicht physischer Natur, sondern hängt mit seiner Art, das Spiel zu lesen zusammen. Kurzum: Vision - also die Art und Weise, wie er Blocks liest, wie er Lücken antizipiert und erkennt genau wie die Fähigkeit, Bewegungen von Verteidigern zu verstehen, ist ein riesiges Fragezeichen bei Anderson.
- Nicht selten wirkt es fast so, als würde Anderson hier ohne jegliches Muster handeln - als wäre es Glückssache oder Zufall, wo er seinen Cut setzt und ob er damit richtig oder eben falsch liegt. Manchmal ist es der ideale Cut, mit dem er seine Athletik auch voll ausspielen kann, dann wieder lässt er offene Gaps ungenutzt und rennt in einen Verteidiger rein.
- Diese Defizite in seiner Vision und seiner Art, das Spiel zu lesen, wirken sich auch auf sein Spiel insgesamt aus. Anderson will bevorzugt Runs nach außen tragen, häufig will er Yards kreieren, wo gar keine da sind.
- Alles wirkt noch unkontrolliert, der mentale Part der Position scheint bei Anderson noch ein Projekt zu sein. Doch die physischen Voraussetzungen sind verlockend.
SPOX-Draft-Runden-Empfehlung: 4.-5. Runde.
8. Cam Akers, Florida State
Stärken:
- Akers ist eines der eingangs angesprochenen "holt, was da ist"-Prospects. Heißt: Akers spielt gut in der Struktur des Plays, hier und da auch mal ein paar Yards darüber hinaus - gleichzeitig aber wird er weder NFL-Verteidigern regelmäßig davonlaufen, noch ist er die ultimative Matchup-Waffe im Passspiel.
- Anders formuliert: Akers ist durch und durch solide. Er navigiert gut durch enge Räume, er zeigt Power und läuft durch Kontakt (904 Yards nach Kontakt letztes Jahr, Platz 12) und kann so gelegentlich auch Big Plays auflegen.
- Als Pass-Blocker ist er physisch fähig und willig, im Passspiel ist er funktional, nicht mehr.
- Auch seine Agilität ist auf einem ausreichenden Level.
- Unbedingt zu erwähnen bei Akers ist die Tatsache, dass er - verglichen mit den meisten hier höher gerankten Backs - furchtbare Umstände hatte. Eine schlechte Offensive Line, schlechte Run-Designs, viele aussichtslose Runs über die Mitte. Seine 4,9 Yards pro Run in der vergangenen Saison sind ihm da hoch anzurechnen. Die Base-Line mit Akers ist unbestreitbar solide.
Schwächen:
- Akers ist weder ein Speedster, noch ein explosiver Runner. Unter besseren Umständen hätte er fraglos auch bessere Stats produziert, doch darf man berechtigte Zweifel daran haben, dass er in der NFL im offenen Raum plötzlich ein überdurchschnittlicher Playmaker wird.
- Generell ist er kein "scharfer" Runner. Zwar lässt Akers durchaus Verteidiger aussteigen, doch werden seine Cuts nicht plötzlich komplett neue Spielsituationen kreieren.
- Im Passspiel ist er zwar funktional, was aber eben auch bedeutet, dass er zu viele negative Plays hier hat: Drops, Fehltritte als Blocker - beides sieht man noch zu häufig auf Akers' Tape.
- Zwar ist er bei seinen Reads geduldig und trifft auch häufig die richtige Entscheidung; teilweise aber wollte er zu viel erzwingen und war zu abwartend auf der Suche nach einer besseren Gap, was hinter der Offensive Line der Seminoles schlicht nicht funktionierte.
SPOX-Draft-Runden-Empfehlung: 4. Runde.