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J.T. O'Sullivan im Interview: "Patriots waren komplett anders als jedes andere Team"

J.T. O'Sullivan berichtet im SPOX-Interview von seinen Erfahrungen unter Bill Belichick bei den Patriots.
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Wie gestaltet man eine Offense Quarterback-freundlich?

Würden Sie aber als übergreifendes Konzept zustimmen, wenn man sagt, dass ein System heutzutage in jedem Fall Quarterback-freundlich sein sollte?

O'Sullivan: Ich will nicht zu sehr für eine andere Generation sprechen, aber ich würde vermuten, dass wenn man vor 20, 30 Jahren Coaches gefragt hätte, die meisten der Meinung gewesen wären, dass ihr System Quarterback-freundlich ist. Heutzutage meinen wir etwas anderes, wenn wir von Quarterback-freundlich sprechen. Aber ja, absolut: Es ist viel einfacher, einem Spieler beizubringen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, als das elf Spielern beizubringen. Wenn man mit dem ganzen Thema Decision-Making anfängt: Das ist keine Demokratie. Du hast einen Spieler, in den du viel Geld investiert hast, viel Kapital, viel intellektuelles Kapital. Und du musst sicherstellen, dass dieser Spieler derjenige sein kann, der den Ball verteilen kann, der bei jedem einzelnen Spiel die wichtigsten Entscheidungen auf dem Feld treffen kann. Bedenkt man dann zusätzlich, wie sich das Spiel offensiv entwickelt hat, gerade mit den Spread Offenses, dann fallen viele Entscheidungen schon vor dem Snap mit Pre-Snap-Reads, mit dem Lesen einer Seite des Feldes, dem Lesen von Schlüsseln in Run Game. In manchen älteren Offenses sind die Prozesse hier simpler, man darf sich auch mal einfach umdrehen und den Ball abgeben. Das ist eine andere Art von "Quarterback-freundlich".

Gibt es denn ganz konkret praktische Anwendungen? Wenn Sie auf ihre Zeit als Spieler und jetzt als Coach schauen: Gibt es Dinge, die dem Quarterback das Leben leichter machen, unabhängig davon, welche spezifischen Stärken er hat?

O'Sullivan: Keine Frage, ja. Für mich ist es ein Prozess - zwei Spieler und erst recht zwei Quarterbacks gleichen sich nie Eins-zu-Eins, wenn es darum geht, was man strukturell aufbaut. Was ich beispielsweise mache: Ich gebe meinen Quarterbacks früh viel Material, um zu sehen, wie viel sie davon behalten und womit sie noch auf einem hohen Level funktionieren können. Ich will ihnen die bestmöglichen Werkzeuge zur Hand geben; natürlich kann man auch mit diversen Ablenkungen und Tricks auf dem Feld arbeiten, aber wenn der Quarterback unter dem Strich nicht schnell genug spielen kann, spielt das keine Rolle. Dann wären wir besser dran, mit nur zehn verschiedenen Plays ins Spiel zu gehen. Manche können mit einer Masse an Input immer noch sehr gut spielen, andere nicht. Ich hatte das Glück, viele verschiedene NFL-Organisationen kennen zu lernen, elf insgesamt. Ich habe Quarterbacks gesehen, die mit viel Input sehr gut gespielt haben und ich habe Leute gesehen, die im Meeting super waren und Fragen beantworten konnten, aber auf dem Feld war es dann zu schnell für sie.

In dem Fall muss man dann Kompromisse finden?

O'Sullivan: Es geht darum, herauszufinden, wie wir unsere Stärken maximieren können, während wir die Balance zu dem wahren, was unser Quarterback kann. Da gibt es einige Sachen, die RPO-Möglichkeiten beispielsweise sind großartig. Aber man kann auch zu schnell zu vielseitig werden. Manchmal ist es auch gut, wenn der Quarterback für einen Snap den Ball einfach an den Running Back übergeben darf und er eine Pause bekommt. Aber in anderen Situationen werden wir dann wiederum viel verlangen. Ich denke es ist gut, reine Progression-Calls für den Quarterback zu haben, wo er einfach mit seinem Read vom ersten zum zweiten zum dritten Receiver geht, unabhängig davon, welche Coverage gespielt wird. Aber man kann dann auch ein wenig vielseitiger werden, indem man diese Reads an Fragen knüpft. Ist die Mitte des Feldes offen oder geschlossen (ein tiefer Safety im Zentrum oder zwei tiefe Safeties je auf einer Seite des Feldes, d. Red.)? Ist es Man oder Zone? Welche Coverage genau ist es? Wenn der Quarterback das erkennt oder zumindest eine Idee hat, können wir in der Art und Weise, wie wir vertikal attackieren, vielseitiger werden. Am Ende kommt man immer darauf zurück, wie viel Zeit man in die Jungs investieren kann, wie viel sie behalten können und wie schnell sie spielen können. Das gilt für die niedrigsten Level bis hin zur NFL.

Wie man ein neues Scheme lernt - und warum Adam Gase stichelte

Sie haben bereits erwähnt, dass Sie in zahlreichen verschiedenen Teams und dementsprechend auch verschiedenen Offenses gespielt haben. Haben Sie dabei - womöglich auch rückblickend - ein besonderes System oder eine offensive Idee bevorzugt?

O'Sullivan: Ich mochte viele Systeme, in denen ich gespielt habe. Die Dinge, die ich übergreifend am wenigsten mochte, war die Striktheit einiger Schemes. An irgendeinem Punkt muss man Footballspieler auch Footballspieler sein lassen und etwas Kreativität erlauben. Manche können ein Playbook exakt verinnerlichen und laufen ihre Route dann genau so, wie sie auf Papier steht. Aber in bestimmten Situationen funktioniert das vielleicht einfach nicht. Man braucht etwas Kreativität, um die Räume und Winkel zu verstehen - dieses Gespür oder Football-IQ, wie auch immer man das nennen will. In manchen Systemen wird das gefördert, in anderen unterdrückt. Ich mag Systeme, in denen es einige Kern-Prinzipien für die Struktur gibt und das "Warum?" erklärt wird. Aber dann will ich, dass die Spieler auch Plays machen können, wenn die Chance da ist. Ansonsten mochte ich es, wenn Systeme anpassungsfähig waren und sich verändern konnten. Ein System sollte so zusammengestellt sein, dass es bewusst anpassungsfähig ist und sich von einer Woche auf die nächste, von einem Drive zum nächsten oder auch von einem Play zum nächsten verändern kann. Dahin entwickelt sich das Spiel in meinen Augen. Einige Dinge aus den Schemes bleiben hängen, weil es auch einfach Konzepte gibt, die gegen alles funktionieren. Aber ich will eine Weiterentwicklung haben und neue Ideen ausprobieren.

Kann man das in ein grobes Verhältnis packen? Wie viele Systeme, die Sie kennengelernt haben, waren offener und wie viele waren strikter?

O'Sullivan: Die meisten Leute, die ihre Wurzeln in der West Coast Offense haben, denken, dass sie anpassungsfähig sind, wenn sie die Formation verändern und dann das gleiche Play spielen lassen. Das ist dann vielleicht nicht exakt das gleiche Play, aber irgendwo auch wieder schon. Dem gegenüber steht das Zahlenystem (Routes in den Play-Calls haben einzelne Zahlen, um die Route eines Receivers zu verändern muss man nur eine Zahl im Play-Call anpassen, d. Red.), bei dem man ein Play mit nur einer Ziffer komplett verändern kann. Dieser Ansatz hat mir immer besser gefallen. Aber gleichzeitig nutze ich selbst auch zahlreiche West-Coast-Konzepte nach wie vor. Am Ende ist es doch eine Mischung aus beidem. Was das Verhältnis angeht - früh in meiner Karriere war ich mehr in West Coast Offenses und kannte den Unterschied gar nicht wirklich. Aber als ich später mehr in die Zahlensysteme kam, hat mich der Ansatz fasziniert.

Wie groß sind die Unterschiede gerade in der Terminologie, wenn man von einem Scheme in ein anderes geht? Wie lange dauert es, das zu lernen?

O'Sullivan: Ich bin kein Linguist, aber ich denke, dass es da Überschneidungen zum Lernen einer neuen Sprache gibt. Es gibt diese Idee, dass die dritte Fremdsprache leichter zu erlernen ist als die zweite, weil man die allgemeinen Strukturen einer Sprache besser versteht und das dann wieder anwenden kann. Als ich in die Liga kam, war Mike McCarthy mein Offensive Coordinator und er war sehr gut darin, Football-Grundprinzipien zu lehren. Vielleicht hieß ein Play bei uns dann "Vanilla Icecream"; aber wenn es Slant/Flat ist, dann kommt man vielleicht zu einem anderen Team und das Play heißt anders - aber der Read bleibt gleich. Das wurde früh in meiner Karriere mein Ansatz: Wenn ich die Prinzipien, die dieser Protection, diesem Run Play, diesem Pass-Konzept oder was auch immer zugrunde liegen verstehen kann, dann kann ich es auch umsetzen. Egal, wie es heißt. Wenn ich in meinem Kopf die Bezeichnung übertragen kann, kann ich in jedem System spielen.

Also kannten Sie die Plays im Laufe der Zeit und haben den Play-Call jeweils für sich selbst im eigenen Kopf übersetzt?

O'Sullivan: Adam Gase (Head Coach der Jets, d. Red.) ist ein guter Freund von mir, er war bei mehreren Teams mein Quarterback-Coach. Er hat sich tatsächlich immer über mich lustig gemacht, weil wenn er mir den Play-Call gegeben hat, konnte er sehen, wie ich ein paar Mal geblinzelt habe, weil ich durch die verschiedenen Bezeichnungen die ich für das Play kannte gegangen bin, um das Play dann richtig umzusetzen. Ich habe mir gemerkt, was er mir gesagt hat, dann bin ich das Play in meinem Kopf durchgehen: Wie bezeichnen wir die Personnel-Gruppe? Wie die Formation? Was ist das Konzept? Also hab ich ein paar Mal geblinzelt und er hat dann immer gesagt: "Du siehst aus wie ein alter Computer, der etwas herunterladen muss!" (lacht) Aber für mich wurde es mit jedem neuen Team leichter. Ich musste das Play quasi immer nur durch meinen Filter jagen, aber mit der Zeit hatte ich die Terminologie jeweils schnell drauf, weil im Kern sind es letztlich doch häufig die gleichen Dinge.

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