NFL: Fünf Fragen zu den Tampa Bay Buccaneers und Antonio Brown - Sind die Bucs nun der Topfavorit?

Marcus Blumberg
24. Oktober 202011:13
Tom Brady (l.) dürfte ein gehöriges Wörtchen mitgesprochen haben bei der Verpflichtung von Antonio Brown bei den Buccaneers.getty
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Die Tampa Bay Buccaneers haben sich überraschend mit Wide Receiver Antonio Brown auf einen Vertrag bis Saisonende geeinigt. Ein Schritt, der sportlich sinnvoll ist - und dennoch einige Fragen aufwirft. Wie kam es zum Deal, wird sich Brown zusammenreißen und was bringt er seinem neuen Team? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.

Buccaneers: Wie kam es zur Verpflichtung von Antonio Brown?

Seit ein paar Wochen bereits kursierten Spekulationen, nach denen mehrere Teams zumindest mal vorsichtiges Interesse an Antonio Brown hätten. Namen wie die Baltimore Ravens oder Seattle Seahawks wurden gehandelt, Letztere sollen sogar größeres Interesse gehabt haben. Quarterback Russell Wilson nannte die Seahawks sogar einen "großartigen Ort, um zu wachsen" für Brown.

Die Bucs wurden zwar auch genannt, aber einen solchen Deal hatte Head Coach Bruce Arians eigentlich schon im März ausgeschlossen. Er nannte den Wide Receiver, mit dem er bereits in seiner Zeit bei den Pittsburgh Steelers zusammengearbeitet hatte, unpassend für die Kabine der Bucs. In einem Podcast sagte er sogar, Brown sei für seinen Geschmack "zu sehr Diva".

Jetzt allerdings kam die Kehrtwende. Hauptgrund dafür dürfte ein Mann gewesen sein: Quarterback Tom Brady. Brady spielte bereits für eine Woche mit Brown bei den Patriots zusammen. 2019 in Woche 2 hatte Brown seinen bislang einzigen Auftritt mit Brady, beeindruckte sofort und erzielte sogar einen Touchdown. Anschließend wurde er direkt wieder entlassen, weil er eine Frau und ihre Kinder, die mit Sports Illustrated über Brown sprach, in einer E-Mail bedroht hatte und das an die Öffentlichkeit gelangte. Seither wartete Brown auf eine weitere Chance in der NFL.

Zu allem Überfluss wurde er wegen diverser Verstöße gegen die Personal Conduct Policy der NFL für acht Spiele gesperrt und ist damit auch erst ab Woche 9 für die Bucs spielberechtigt.

Tom Brady (l.) dürfte ein gehöriges Wörtchen mitgesprochen haben bei der Verpflichtung von Antonio Brown bei den Buccaneers.getty

Antonio Brown: Brady hielt stets zu ihm

Brady wiederum trauerte Brown seit dessen Entlassung nach und hielt Kontakt zum Receiver. Er sprach ihm häufiger über Social Media Mut zu und soll ihn sogar in der Woche vor dem vergangenen Super Bowl in Miami besucht haben.

Brady dürfte auch jetzt wieder derjenige gewesen sein, der hinter den Kulissen für Browns Verpflichtung geworben hat.

Dass es letztlich tatsächlich so kam, ist dennoch überraschend, auch wenn die Bucs von Verletzungen im Receiving Corps geplagt sind. Wie lange schon Kontakt zwischen den Bucs und Brown bestand, ist unklar. Am Freitag jedoch ging dann alles dem Vernehmen nach sehr schnell. Was erst wie ein Besuch samt Workout aussah, entpuppte sich dann doch als grundsätzliche Einigung, ohne ein Probetraining davor zu absolvieren. Beide Seiten waren sich also sehr sicher.

Was den Vertrag, der bis Saisonende laufen wird, angeht, ist noch nicht viel bekannt. Er soll jedoch ein geringes Grundgehalt und zahlreiche Leistungsboni enthalten.

Buccaneers: Wie geht es jetzt weiter mit Antonio Brown?

Antonio Brown ist noch bis zum Ende von Woche 8 gesperrt. Zudem darf er die Teameinrichtungen der Buccaneers ohnehin noch nicht betreten, da er zunächst mal das Covid-19-Protokoll durchlaufen muss.

Es ist geplant, dass er am Samstag seinen ersten Test absolviert und sich danach in eine sechstätige Selbstisolation begibt. Weist er bis zum fünften Tag drei negative Tests vor, dürfte er dann theoretisch das Teamgebäude Ende der kommenden Woche betreten. Aber nur theoretisch, denn aufgrund der Sperre ist er dazu erst nach Woche 8 berechtigt.

Entsprechend wird Brown dann am Dienstag, den 3. November, erstmals zu seinen Teamkollegen stoßen und voraussichtlich folgenden Mittwoch erstmals trainieren. In Woche 8 spielen die Bucs im Monday Night Game bei den New York Giants.

Entsprechend würde Brown dann am Sonntag, den 8. November, sein Debüt für sein neues Team geben. Im dann anstehenden Sunday Night Game ginge es gegen den Hauptkonkurrenten in der NFC South, die New Orleans Saints (9. November, 2.20 Uhr live auf DAZN). Jene hatten Brown indes Ende der vergangenen Saison zu einem Probetraining zu Gast, nahmen anschließend aber Abstand von einer Verpflichtung, was Brown aufgebracht auf Social Media kommentierte.

Was bedeutet der Brown-Deal für die Buccaneers?

Die Bucs starteten in die Saison mit einer ohnehin schon imposanten Offense. Doch in den vergangenen Wochen wurden sie von einigen Verletzungen geplagt. Top-Receiver Mike Evans etwa plagt sich seit Woche 4 mit einer Knöchelverletzung herum, während Chris Godwin mit Oberschenkelproblemen bereits zwei Spiele verpasst hat.

Darüber hinaus verloren die Bucs Tight End O.J. Howard in Woche 4 mit einer Achillessehnenverletzung für den Rest der Saison.

Brady war also mehr und mehr auf eher unerfahrene Receiver angewiesen. Mit solchen hatte er bereits zu Patriots-Zeiten öfter so seine Probleme. Erschwerend kam hinzu, dass Deep Threat Scotty Miller mit Problemen an der Leiste und der Hüfte zu kämpfen hat, was auch seine Verfügbarkeit und Effektivität infrage stellt.

Eine mögliche Lösung für die Situation kristallisierte sich bereits in der Vorwoche gegen die Packers heraus, denn Tight End Rob Gronkowski wurde im Prinzip erstmals intensiv in die Offense eingebunden. War er zuvor hauptsächlich ein glorifizierter Blocker, durfte er dieses Mal auch im Passspiel in Erscheinung treten. Das Ergebnis: 5 Receptions (8 Targets) für 78 Yards und sein erster Touchdown seit 2018!

Doch mit der Verpflichtung von Brown eröffnet sich den Bucs für die zweite Saisonhälfte nun eine ganz neue Welt. Sie spielten ohnehin schon größtenteils (59 Prozent ihrer Offensiv-Snaps) in 11-Personnel, also mit drei Wide Receivern. Das dürfte nun auch so bleiben mit Gronkowski als Tight End und einem der zahlreichen Running Backs im Backfield. Doch mit Brown bekommen die Bucs nun einen zweiten Outside-Nummer-1-Typ, der gegenüber von Evans spielen kann.

Buccaneers: Brown bedeutet mehr Flexibilität im Receiving Corps

Das wiederum ermöglicht es Godwin, in seine Paraderolle als Slot-Receiver zu gehen. Genauso kann aber auch Godwin außen und Brown im Slot spielen. Brown ist das perfekte Paket für einen Receiver: Er ist schnell, kann alle Routes laufen und schafft konsequent Separation, was in der heutigen Zeit wahrlich nicht jeder von sich behaupten kann. Zudem fängt er auch die schwierigen Bälle in enger Coverage.

Was Brown aber noch viel attraktiver macht für die Bucs, ist, dass er ein bemerkenswert gutes Verständnis mit Brady auf dem Platz hat. Auch wenn die beiden nur ein Spiel zusammen absolvierten, war jener Auftritt gegen die Dolphins bemerkenswert: Er fing 4 Pässe (8 Targets) für 56 Yards und einen Touchdown. Mehr noch: Brown lief 14 Routes in dem Spiel und sah 8 Targets. In 2300 Fällen, in denen ein Wide Receiver mindestens 10 Routes in einem Spiel gelaufen ist seit 2019, wurde nur einer häufiger anvisiert als Brown in einem Spiel - Deebo Samuel bei den 49ers in Woche 2 2019.

Zudem legte Brown in seiner Karriere eine Konstanz an den Tag, die man so gerade in Tampa nicht kennt. Von 2013 bis 2018 legte er sechs 100-Catch-Saisons in Serie hin, was die längste derartige Strähne in der Geschichte der NFL ist. Für die Bucs gab es eine solche Saison nur einmal überhaupt.

Zudem hat Brady nun drei der acht Spieler als Anspielstationen, die seit 2014 - Mike Evans' Rookie-Saison - die meisten Touchdowns in der NFL gefangen haben. Brown (60), Evans (54) und Gronkowski (38). Evans belegt aktuell im Übrigen Rang 2 der NFL mit 6 Touchdown-Receptions.

Buccaneers: Was bedeutet der Deal für Antonio Brown?

Für Antonio Brown bedeutet die Unterschrift bei den Buccaneers schlicht eines: es dürfte seine absolut letzte Chance in der NFL sein.

Brown war äußerst erfolgreich in seiner Zeit bei den Pittsburgh Steelers, die ihn schließlich nach Oakland getradet hatten, weil er sich schlicht herausgeekelt hatte mit ständigen Eskapaden neben dem Platz. Das Fass zum Überlaufen brachte dann eine Auseinandersetzung im Training mit Quarterback Ben Roethlisberger, was zu einer Suspendierung führte. Anschließend verließ er das Stadion an einem Spieltag vorzeitig unerlaubt. In Oakland wollte Brown offensichtlich nicht sein und tat ab seiner Ankunft im Grunde alles, um auch dort wegzukommen.

Es begann mit einer unglaublichen Geschichte mit einer Kältekammer und verbrannten Füßen, die ihn vom Training abhielten. Dann weigerte er sich, einen den Regularien entsprechenden Helm zu tragen und schließlich wäre er beinahe gegen den GM der Raiders, Mike Mayock, handgreiflich geworden. Die Raiders entließen ihn zu Saisonbeginn 2019. Anschließend schloss er sich den Patriots an, die ihn nach einem Spiel bereits wieder entließen.

Was war passiert? Abgesehen davon, dass er für diverse Eskapaden in den vergangenen Jahren gesorgt hatte - von Sachbeschädigung seiner gemieteten Wohnung samt beinahe Körperverletzung eines 22 Monate alten Kindes über zu schnellen Fahrens bis hin zu Handgreiflichkeiten gegenüber seiner schwangeren Freundin war so ziemlich alles dabei. Zudem kam es dann im Vorjahr auch noch zu einer Zivilklage, in der ihm sexuelle Übergriffe von einer Personal-Trainerin vorgeworfen wird. Bei den Patriots flog er schließlich raus, weil er eine weitere Frau, die über ihn mit "Sports Illustrated" gesprochen hatte, per E-Mail bedroht hat und das Ganze an die Öffentlichkeit durchsickerte.

Buccaneers: Kann Brown doch noch professionell sein?

Seither lief eine Untersuchung gegen ihn durch die NFL, die Teams lange davon abhielt, ihn trotz alledem unter Vertrag zu nehmen. Vor Saisonbeginn wurde schließlich die Acht-Spiele-Sperre für die laufende Saison ausgesprochen.

Nun muss Brown zeigen, dass er es zum einen sportlich immer noch draufhat, was sicherlich das geringere Risiko für ein Team sein dürfte, wenn man bedenkt, wie talentiert er ist und wie akribisch er an seinen Fähigkeiten seit jeher arbeitet. Doch genauso muss er nun zeigen, dass er nach langer Zeit mal wieder professionell außerhalb des Platzes sein kann.

Schafft er es dieses Mal, diszipliniert zu bleiben und für keine weiteren Skandale oder sonstige Misstöne zu sorgen? Was ist zum Beispiel, wenn er mal nicht aus seiner Sicht genügend Targets im Spiel bekommt, was angesichts der zahlreichen Topleute im Team durchaus möglich erscheint? Bleibt er ruhig und besonnen? Und wird Arians, der generell eher der entspannte Typ Coach ist, ihn so behandeln, dass Brown sich komplett aufs Sportliche konzentriert?

Das sind letztlich die größeren Fragezeichen. Die Bucs waren schon vor Brown ein ernsthafter Titelanwärter, mit ihm könnten sich die Titelchancen nochmal merklich erhöhen. Doch nur, wenn Brown sich selbst zur Abwechslung im Griff hat.

Scheitert er dagegen auch dieses Mal bei diesem Vorhaben, dürfte auch der Letzte in dieser Liga verstanden haben, dass für Brown hier kein Platz mehr ist.

Was bedeutet Browns Ankunft in Tampa für das Kräfteverhältnis in der NFL?

In der erster Linie beeinflusst Antonio Brown mit seiner Unterschrift das Kräfteverhältnis in der NFC. In der Conference gibt es mit den Seattle Seahawks (5-0) nur noch ein ungeschlagenes Team. Würden heute die Playoffs beginnen, wären die Bucs der Nummer-3-Seed und hätten in der ersten Runde ein Heimspiel gegen die Nummer 6 der NFC. - aktuell die Arizona Cardinals

Mit der Brown-Verpflichtung verstärken die Bucs nun nicht nur sich selbst, sondern schnappen einem direkten Konkurrenten - den Seahawks - diesen Ausnahmespieler vor der der Nase weg. Brown gibt den Bucs ein Offensivpersonal, das so in der Liga seinesgleichen sucht und macht sie noch gefährlicher in jedem noch anstehenden Spiel.

Dass Brown direkt im zweiten Duell mit den Saints auf dem Platz stehen dürfte, macht die Sache noch ein wenig spannender, denn mit einem Sieg in jenem Spiel könnte man direkt den Abstand zum aktuell ärgsten Verfolger in der NFC South vergrößern. Die Saints, bei denen Top-Receiver Michael Thomas seit Wochen fehlt.

Während in New Orleans so langsam hinterfragt wird, ob Drew Brees noch ganz hohen Ansprüchen gewachsen ist, gibt man Brady in Tampa noch einen weiteren Top-Receiver an die Hand und erfüllt ihm damit noch einen weiteren großen Wunsch nach der Reaktivierung von Gronkowski zu Saisonbeginn.

Buccaneers gehen mit Brown All-in

Mit den Buccaneers muss man nun noch mehr als bisher schon rechnen, sie gehen All-in und bringen zudem eine Defense mit, die gerade für Shootouts mehr als gerüstet ist mit einem aggressiven Pass Rush und einer ziemlich guten Secondary. Die Bucs sind gerüstet für einen langen Playoff-Run und haben mit Brady den größten Postseason-QB überhaupt in ihren Reihen.

Wenn man es dann tatsächlich bis nach Tampa - in den heimischen Super Bowl - schaffen würde, wäre man auch dort gegen niemanden Außenseiter, denn auch die Topteams der AFC, seien es die Kansas City Chiefs, Baltimore Ravens oder Pittsburgh Steelers, verfügen nicht über so viel Feuerpower wie Tampa Bay mit Brown.