Top 10 - die Takeaways zu Week 9 in der NFL
1. Wie weit können die Seahawks so kommen?
Bei 27 von 45 Dropbacks hatten die Seahawks gegen die 49ers in der Vorwoche geblitzt, und die große Frage lautete: ist das die neue Identität dieser Defense? Will Seattle endgültig - wie schon mehrfach dieses Jahr angedeutet - den Schritt zu einer Blitz-lastigen Defense hinlegen und so bewusst ein hohes Risiko für mehr Big Plays in Kauf nehmen als Ergänzung zur eigenen, explosiven Offense?
In gewisser Weise war das Bills-Spiel eine Antwort darauf: Offensichtlich würde Seattle gerne deutlich mehr in diese Richtung gehen - genauso schmerzhaft offensichtlich war allerdings gegen die Bills zu sehen, dass das nur mit dem richtigen Personal geht. Und dass der Plan B nur bedingt funktioniert.
Aufgrund mehrerer Cornerback-Verletzungen war Seattle nämlich zu mehr Sicherheit in Coverage gezwungen, wollte aber gleichzeitig in puncto Aggressivität nicht nachlassen. Das Resultat? Die Seahawks blitzten viel aus Soft Coverages, viele 3-Deep-3-Under-Coverages, bei denen die Receiver einiges an Spielraum hatten.
So verpuffte der Effekt des Blitzes davor häufig komplett, weil die Bills aus ihren Spread-Formationen schnelle Pass-Optionen gegen die Off-Coverage hatten und Josh Allen den Ball gegen den Blitz gut verteilen konnte. Buffalo hatte in der ersten Hälfte 32 designte Pässe und zwei designte Runs. Seit 2006 werden diese Daten erhoben, die Pass-Quote von 94,1 Prozent ist seither der zweithöchste Wert für ein Team in einer ersten Halbzeit. Die Bills hatten taktisch die richtige Antwort für Seattles Ansatz.
Seattles Pass-Rush mit einem Lebenszeichen
Und doch war es keineswegs so, das der Ansatz grundsätzlich nicht funktioniert hätte: Seattle verzeichnete sieben Sacks, davon gingen 1,5 auf Jamal Adams, einer auf K.J. Wright und einer auf Bobby Wagner, drei designierte Blitzer. Wagner wurde in der Hinsicht bereits gegen die Niners ungewohnt intensiv genutzt, für Adams ist es ohnehin so etwas wie die Paraderolle.
Doch insgesamt wirkte Seattles Blitzing-Strategie mitunter fast ein wenig verzweifelt und kopflos. Oder andersherum formuliert: Seattle blieb so strikt dabei, obwohl man gerade früh im Spiel oftmals verbrannt wurde, dass man sich offensichtlich im Vorfeld ganz klar dieser Taktik verschrieben hatte.
Und was ist der Takeaway davon? Die Seahawks können so Big Plays auflegen, aber selbst wenn ihre Cornerbacks alle fit sind, werden sie mit diesem Ansatz auch anfällig sein. Insbesondere, wenn es gegen die Top-Quarterbacks geht.
Dementsprechend, und das ist für mich hier der Knackpunkt und der primäre Takeaway, funktioniert dieses defensive Konzept mit diesem Personal auch nur, wenn es als Komplementär-Stück zur eigenen Offense fungiert. Doch während Seattle letztlich zwar 34 Punkte und über 400 Yards aufs Scoreboard brachte, waren eigene Turnover abermals ein Faktor.
Wieder warf Wilson eine Interception in der Red Zone, insgesamt vier Turnover (zwei Interceptions, zwei Fumbles) verzeichnete Seattles Quarterback. Buffalo punktete nach jedem einzelnen Turnover im Folgedrive direkt (drei Field Goals, ein Touchdown). Buffalo auf der anderen Seite leistete sich keinen eigenen Turnover.
"Spielraum für Fehler" wird in diesen Woche-9-Erkenntnissen noch ein häufiger wiederkehrendes Thema sein. Seattle hat davon offensiv nur relativ wenig. Gegen die besseren Teams der Liga scheinen Shootouts der einzige Weg für die Seahawks zu sein, was die Offense wiederum unter permanenten Druck setzt.
Hier wird es interessant sein zu sehen, ob Pete Carroll irgendwann statt "Let Russ cook" wieder mehr kalte Küche serviert. Die Turnover häufen sich, und das wird Carroll nicht gefallen. Auch wenn das hier für mich die klar falsche Schlussfolgerung wäre.
2. Ravens-Offense: Panik oder Overreaction?
Am Ende steht auf dem Papier ein letztlich souveräner Ravens-Sieg. Baltimore zeigte den Colts in der zweiten Hälfte klar die Grenzen auf, die Defense hielt das Spiel eng und irgendwann kamen dann die längeren Offense-Drives. Die Colts-Offense wurde schlicht komplett abgemeldet. Hier sah man den Unterschied zwischen einem Top-Team und einem Team im Dunstkreis der Top 10.
Doch so fühlte sich das Spiel lange nicht an, und das ist kein neues Thema in Baltimore. Die Ravens-Offense ist längst nicht so explosiv wie letztes Jahr, einige der früheren Saisonspiele täuschten darüber noch teilweise hinweg. Doch wenn die Ravens den Ball werfen mussten, oder auch teilweise in Spielen, die sie kontrollierten, mal versuchten, mehr über das Passspiel aufzuziehen, dann wurde gehörig Sand im Getriebe deutlich.
Gegen Pittsburgh musste man den Ravens noch zugutehalten, dass sie den Ball wenigstens am Boden bewegen konnten. Die Turnover waren in der Partie der maßgebliche Unterschied zugunsten der Steelers, doch auch in dem Spiel ging durch die Luft wenig, insbesondere eben bei offensichtlichen Passing Downs.
Die Defense der Colts ist philosophisch ganz weit weg von der der Steelers. Indianapolis kommt über den 4-Men-Rush, blitzt nur äußerst selten und fordert Offenses auf, lange, konstante Drives hinzulegen. Die simple Analyse: die Ravens können das aktuell nicht. Einzelne Drives, ja - aber die Offense wirkt immer wieder für längere Phasen eines Spiels abgemeldet.
Ravens-Offense: Es ist nicht nur Lamar Jackson
An dieser Stelle sollte das Lob für den Gegner nicht zu kurz kommen. Die Colts stoppten die Runs der Ravens über weite Strecken extrem diszipliniert, sie ließen sich nicht von den Motion-Paketen, den Jet Sweeps, den End Arounds oder den Screens auf die falsche Fährte locken.
Und, das sei gesagt: Es ist auch mehr als nur Jackson, wenn man über die Probleme in der Ravens-Offense spricht. Die offenen Würfe aus der vergangenen Saison sind schlicht nicht da, die Ravens bedrohen absolut niemanden Outside. Alles findet in der Mitte des Feldes statt, der ganze Raum wird komprimiert und Jackson muss deutlich häufiger enge Fenster treffen. Hinter einer wackligeren Offensive Line.
All das hängt zusammen. Das historisch gute Run Game der Ravens in der Vorsaison öffnete Räume im Passspiel; Defenses hatten gar keine andere Wahl als aggressiv die Box zu spielen. Das ist dieses Jahr anders. Weil die Offensive Line im Vergleich zum Vorjahr ein gutes Stück weit schlechter ist, weil auch Jackson als Runner nicht so gefährlich ist. Defenses kommen mit den Empty-Sets der Ravens deutlich besser zurecht und bringen Baltimore in mehr lange Second und Third Downs - und da wiederum macht Jackson zu viele Fehler.
Auch gegen die Colts hätte er mindestens ein, zwei Interceptions haben können, wenn nicht sogar müssen, weil er wieder Underneath-Verteidiger übersah. Auch das zieht sich wie ein roter Faden durch diese Saison. Die Ravens sind ein exzellentes Beispiel dafür, dass man nie aufhören sollte, in die offensiven Premium-Positionen zu investieren, selbst wenn man aus einer historischen Saison kommt. Gleichzeitig stellten Jackson und Co. mit ihrem 31. Spiel in Folge mit mindestens 20 Punkten einen neuen NFL-Rekord auf.
Was bedeutet das unter dem Strich für Baltimore? Die Ravens haben offensiv noch immer individuelle Qualität und einen klaren Plan. Und sie können den Ball damit bewegen, auch die Colts-Defense ließ im Laufe der Partie zunehmend mehr zu und wurde ultimativ geknackt, weil die Colts-Offense keine Entlastung mehr schaffte.
Vor allem lässt es aber einen Takeaway zu: Baltimore hat deutlich weniger Spielraum für Fehler offensiv, und der Spielraum, der da ist, kommt vor allem durch die eigene Defense. Das war auch gegen Indianapolis so: Die Colts hätten aus ihrer Überlegenheit in der ersten Hälfte mehr Zählbares machen müssen. Die sehr wacklige, aber wohl regelkonforme Interception von Marcus Peters war ein Killer in der zweiten Hälfte. Die Defense muss Shootouts verhindern und mit Turnovern nachhelfen, und das ist eine wacklige Formel.
Wo letztes Jahr die Big Plays am Boden und in der Luft phasenweise fast nach Belieben kamen, ist jetzt jedes Yard hart erarbeitet. Und Jackson in langen Passing-Downs ist in diesem Jahr ein ernsthaftes Problem, was teilweise Fragen zu Jackson aufwirft, aber auch als Kritik auf Baltimores offensiven Alternativplan in puncto Roster-Building - ein X-Receiver fehlt dieser Offense nach wie vor überdeutlich sichtbar - und in puncto Play-Calling zu verstehen ist.
3. Titans? Bears? Was macht Hoffnung?
Die Titans führen aktuell ihre Division an. Die Bears sind zumindest rechnerisch weiterhin im Wildcard-Rennen in der NFC. Doch das direkte Duell zwischen diesen beiden Teams, in Kombination mit dem Eindruck, den diese beiden Teams zuletzt bereits hinterlassen hatten, dürfte unabhängig vom Ergebnis auf beiden Seiten zum Wochenbeginn für einige Unzufriedenheit in der Aufarbeitung sorgen.
Den offensichtlichen Part kann man zuerst abhaken, denn er wiederholt sich Woche für Woche: Die Bears-Defense ist gut - die Bears-Offense ist schlecht. Nick Foles spielt nichtmal sonderlich inkonstant, er spielt einfach weitestgehend schwach. Matt Nagy kritisierte nach dem Spiel die Strafen, doch Chicago ging durch seine ersten sechs Drives ohne Strafe - und ohne Punkte. Stattdessen müsste Nagy zuallererst vor der eigenen Haustür kehren, und damit aufhören, hinter seiner massiv angeschlagenen Offensive Line ein schlecht designtes Run Game durchprügeln zu wollen.
Einzelne Big Plays sind der einzige "Motor" dieser Offense und bis spät im Spiel, als die Titans dann auch mehr zuließen, konnten Foles und Matt Nagy die Offense überhaupt nicht bewegen. Der Leading-Rusher für Chicago früh im dritten Viertel war Barkevious Mingo - seines Zeichens Defensive Lineman - infolge eines 11-Yard-Runs bei einem Fake Punt.
Lebenszeichen vom Pass-Rush der Titans
Dass Tennessee auf der anderen Seite defensiv nicht nur bei Third Down sein vermutlich bestes Saisonspiel hatte, sondern nach dem ganz schwachen Auftritt gegen Cincinnati in der Vorwoche Foles auch ohne Clowney drei Mal sacken und mehrere weitere Plays im Backfield hinlegen konnte, war ein positives Signal für die Titans.
Gleichzeitig aber war es auch ein alarmierendes Signal für die Bears, deren Pass-Protection merklich größere Probleme an den Tag legt, seitdem Foles für Mitch Trubisky übernommen hat. Auch Neuzugang Desmond King machte sich direkt positiv bemerkbar.
Doch auch über die Titans-Offense muss man einmal mehr kritisch sprechen. Die linke Seite der Offensive Line hatte einige Probleme, und wenn man die Kneeldowns ausklammert, holte Tennessee bei seinen acht Drives ohne Punkte unter dem Strich sieben (!) Yards. Insgesamt. Nach dem Fumble-Return-Touchdown zum 17:0 hatte Tannehill fünf Completions, die Titans hatten sechs Mal gepuntet und 145 Total-Offense-Yards. Und Tannehill hatte noch Glück, dass er nicht früh eine ganz teure Interception warf.
Tennessees Offense scheint aktuell schlicht nicht stark und nicht konstant genug, um ganz oben - also mehr als der olympische Gedanke in den Playoffs - mitzuspielen. Insbesondere mit Blick auf die eigene Defense. Und es wird nur selten gegen eine ähnlich wacklige Offense wie die der Bears gehen.