Top 10: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 9 in der NFL

Von Adrian Franke
09. November 202010:43
SPOX-Redakteur Adrian Franke liefert euch an jedem Montagmorgen seine wichtigsten Takeaways zum vergangenen NFL-Sonntag.getty
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Was sagt das Primetime-Debakel über die Bucs und die Saints? Die Baltimore Ravens gewinnen indes am Ende vor allem aufgrund ihrer Defense in Indianapolis - wie lange kann das so gutgehen? Außerdem: Die Seahawks verlieren in Buffalo und werfen größere Fragen auf, die Cardinals stehen sich selbst im Weg und die Raiders sind ein ernsthafter Playoff-Kandidat. SPOX-Redakteur Adrian Franke bringt Euch am Montag auf Stand mit seinen zehn wichtigsten Punkten und Einschätzungen zum vergangenen NFL-Sonntag.

Top 10 - die Takeaways zu Week 9 in der NFL

1. Wie weit können die Seahawks so kommen?

Bei 27 von 45 Dropbacks hatten die Seahawks gegen die 49ers in der Vorwoche geblitzt, und die große Frage lautete: ist das die neue Identität dieser Defense? Will Seattle endgültig - wie schon mehrfach dieses Jahr angedeutet - den Schritt zu einer Blitz-lastigen Defense hinlegen und so bewusst ein hohes Risiko für mehr Big Plays in Kauf nehmen als Ergänzung zur eigenen, explosiven Offense?

In gewisser Weise war das Bills-Spiel eine Antwort darauf: Offensichtlich würde Seattle gerne deutlich mehr in diese Richtung gehen - genauso schmerzhaft offensichtlich war allerdings gegen die Bills zu sehen, dass das nur mit dem richtigen Personal geht. Und dass der Plan B nur bedingt funktioniert.

Aufgrund mehrerer Cornerback-Verletzungen war Seattle nämlich zu mehr Sicherheit in Coverage gezwungen, wollte aber gleichzeitig in puncto Aggressivität nicht nachlassen. Das Resultat? Die Seahawks blitzten viel aus Soft Coverages, viele 3-Deep-3-Under-Coverages, bei denen die Receiver einiges an Spielraum hatten.

So verpuffte der Effekt des Blitzes davor häufig komplett, weil die Bills aus ihren Spread-Formationen schnelle Pass-Optionen gegen die Off-Coverage hatten und Josh Allen den Ball gegen den Blitz gut verteilen konnte. Buffalo hatte in der ersten Hälfte 32 designte Pässe und zwei designte Runs. Seit 2006 werden diese Daten erhoben, die Pass-Quote von 94,1 Prozent ist seither der zweithöchste Wert für ein Team in einer ersten Halbzeit. Die Bills hatten taktisch die richtige Antwort für Seattles Ansatz.

Seattles Pass-Rush mit einem Lebenszeichen

Und doch war es keineswegs so, das der Ansatz grundsätzlich nicht funktioniert hätte: Seattle verzeichnete sieben Sacks, davon gingen 1,5 auf Jamal Adams, einer auf K.J. Wright und einer auf Bobby Wagner, drei designierte Blitzer. Wagner wurde in der Hinsicht bereits gegen die Niners ungewohnt intensiv genutzt, für Adams ist es ohnehin so etwas wie die Paraderolle.

Doch insgesamt wirkte Seattles Blitzing-Strategie mitunter fast ein wenig verzweifelt und kopflos. Oder andersherum formuliert: Seattle blieb so strikt dabei, obwohl man gerade früh im Spiel oftmals verbrannt wurde, dass man sich offensichtlich im Vorfeld ganz klar dieser Taktik verschrieben hatte.

Und was ist der Takeaway davon? Die Seahawks können so Big Plays auflegen, aber selbst wenn ihre Cornerbacks alle fit sind, werden sie mit diesem Ansatz auch anfällig sein. Insbesondere, wenn es gegen die Top-Quarterbacks geht.

Dementsprechend, und das ist für mich hier der Knackpunkt und der primäre Takeaway, funktioniert dieses defensive Konzept mit diesem Personal auch nur, wenn es als Komplementär-Stück zur eigenen Offense fungiert. Doch während Seattle letztlich zwar 34 Punkte und über 400 Yards aufs Scoreboard brachte, waren eigene Turnover abermals ein Faktor.

Wieder warf Wilson eine Interception in der Red Zone, insgesamt vier Turnover (zwei Interceptions, zwei Fumbles) verzeichnete Seattles Quarterback. Buffalo punktete nach jedem einzelnen Turnover im Folgedrive direkt (drei Field Goals, ein Touchdown). Buffalo auf der anderen Seite leistete sich keinen eigenen Turnover.

"Spielraum für Fehler" wird in diesen Woche-9-Erkenntnissen noch ein häufiger wiederkehrendes Thema sein. Seattle hat davon offensiv nur relativ wenig. Gegen die besseren Teams der Liga scheinen Shootouts der einzige Weg für die Seahawks zu sein, was die Offense wiederum unter permanenten Druck setzt.

Hier wird es interessant sein zu sehen, ob Pete Carroll irgendwann statt "Let Russ cook" wieder mehr kalte Küche serviert. Die Turnover häufen sich, und das wird Carroll nicht gefallen. Auch wenn das hier für mich die klar falsche Schlussfolgerung wäre.

2. Ravens-Offense: Panik oder Overreaction?

Am Ende steht auf dem Papier ein letztlich souveräner Ravens-Sieg. Baltimore zeigte den Colts in der zweiten Hälfte klar die Grenzen auf, die Defense hielt das Spiel eng und irgendwann kamen dann die längeren Offense-Drives. Die Colts-Offense wurde schlicht komplett abgemeldet. Hier sah man den Unterschied zwischen einem Top-Team und einem Team im Dunstkreis der Top 10.

Doch so fühlte sich das Spiel lange nicht an, und das ist kein neues Thema in Baltimore. Die Ravens-Offense ist längst nicht so explosiv wie letztes Jahr, einige der früheren Saisonspiele täuschten darüber noch teilweise hinweg. Doch wenn die Ravens den Ball werfen mussten, oder auch teilweise in Spielen, die sie kontrollierten, mal versuchten, mehr über das Passspiel aufzuziehen, dann wurde gehörig Sand im Getriebe deutlich.

Gegen Pittsburgh musste man den Ravens noch zugutehalten, dass sie den Ball wenigstens am Boden bewegen konnten. Die Turnover waren in der Partie der maßgebliche Unterschied zugunsten der Steelers, doch auch in dem Spiel ging durch die Luft wenig, insbesondere eben bei offensichtlichen Passing Downs.

Die Defense der Colts ist philosophisch ganz weit weg von der der Steelers. Indianapolis kommt über den 4-Men-Rush, blitzt nur äußerst selten und fordert Offenses auf, lange, konstante Drives hinzulegen. Die simple Analyse: die Ravens können das aktuell nicht. Einzelne Drives, ja - aber die Offense wirkt immer wieder für längere Phasen eines Spiels abgemeldet.

Ravens-Offense: Es ist nicht nur Lamar Jackson

An dieser Stelle sollte das Lob für den Gegner nicht zu kurz kommen. Die Colts stoppten die Runs der Ravens über weite Strecken extrem diszipliniert, sie ließen sich nicht von den Motion-Paketen, den Jet Sweeps, den End Arounds oder den Screens auf die falsche Fährte locken.

Und, das sei gesagt: Es ist auch mehr als nur Jackson, wenn man über die Probleme in der Ravens-Offense spricht. Die offenen Würfe aus der vergangenen Saison sind schlicht nicht da, die Ravens bedrohen absolut niemanden Outside. Alles findet in der Mitte des Feldes statt, der ganze Raum wird komprimiert und Jackson muss deutlich häufiger enge Fenster treffen. Hinter einer wackligeren Offensive Line.

All das hängt zusammen. Das historisch gute Run Game der Ravens in der Vorsaison öffnete Räume im Passspiel; Defenses hatten gar keine andere Wahl als aggressiv die Box zu spielen. Das ist dieses Jahr anders. Weil die Offensive Line im Vergleich zum Vorjahr ein gutes Stück weit schlechter ist, weil auch Jackson als Runner nicht so gefährlich ist. Defenses kommen mit den Empty-Sets der Ravens deutlich besser zurecht und bringen Baltimore in mehr lange Second und Third Downs - und da wiederum macht Jackson zu viele Fehler.

Auch gegen die Colts hätte er mindestens ein, zwei Interceptions haben können, wenn nicht sogar müssen, weil er wieder Underneath-Verteidiger übersah. Auch das zieht sich wie ein roter Faden durch diese Saison. Die Ravens sind ein exzellentes Beispiel dafür, dass man nie aufhören sollte, in die offensiven Premium-Positionen zu investieren, selbst wenn man aus einer historischen Saison kommt. Gleichzeitig stellten Jackson und Co. mit ihrem 31. Spiel in Folge mit mindestens 20 Punkten einen neuen NFL-Rekord auf.

Was bedeutet das unter dem Strich für Baltimore? Die Ravens haben offensiv noch immer individuelle Qualität und einen klaren Plan. Und sie können den Ball damit bewegen, auch die Colts-Defense ließ im Laufe der Partie zunehmend mehr zu und wurde ultimativ geknackt, weil die Colts-Offense keine Entlastung mehr schaffte.

Vor allem lässt es aber einen Takeaway zu: Baltimore hat deutlich weniger Spielraum für Fehler offensiv, und der Spielraum, der da ist, kommt vor allem durch die eigene Defense. Das war auch gegen Indianapolis so: Die Colts hätten aus ihrer Überlegenheit in der ersten Hälfte mehr Zählbares machen müssen. Die sehr wacklige, aber wohl regelkonforme Interception von Marcus Peters war ein Killer in der zweiten Hälfte. Die Defense muss Shootouts verhindern und mit Turnovern nachhelfen, und das ist eine wacklige Formel.

Wo letztes Jahr die Big Plays am Boden und in der Luft phasenweise fast nach Belieben kamen, ist jetzt jedes Yard hart erarbeitet. Und Jackson in langen Passing-Downs ist in diesem Jahr ein ernsthaftes Problem, was teilweise Fragen zu Jackson aufwirft, aber auch als Kritik auf Baltimores offensiven Alternativplan in puncto Roster-Building - ein X-Receiver fehlt dieser Offense nach wie vor überdeutlich sichtbar - und in puncto Play-Calling zu verstehen ist.

3. Titans? Bears? Was macht Hoffnung?

Die Titans führen aktuell ihre Division an. Die Bears sind zumindest rechnerisch weiterhin im Wildcard-Rennen in der NFC. Doch das direkte Duell zwischen diesen beiden Teams, in Kombination mit dem Eindruck, den diese beiden Teams zuletzt bereits hinterlassen hatten, dürfte unabhängig vom Ergebnis auf beiden Seiten zum Wochenbeginn für einige Unzufriedenheit in der Aufarbeitung sorgen.

Den offensichtlichen Part kann man zuerst abhaken, denn er wiederholt sich Woche für Woche: Die Bears-Defense ist gut - die Bears-Offense ist schlecht. Nick Foles spielt nichtmal sonderlich inkonstant, er spielt einfach weitestgehend schwach. Matt Nagy kritisierte nach dem Spiel die Strafen, doch Chicago ging durch seine ersten sechs Drives ohne Strafe - und ohne Punkte. Stattdessen müsste Nagy zuallererst vor der eigenen Haustür kehren, und damit aufhören, hinter seiner massiv angeschlagenen Offensive Line ein schlecht designtes Run Game durchprügeln zu wollen.

Einzelne Big Plays sind der einzige "Motor" dieser Offense und bis spät im Spiel, als die Titans dann auch mehr zuließen, konnten Foles und Matt Nagy die Offense überhaupt nicht bewegen. Der Leading-Rusher für Chicago früh im dritten Viertel war Barkevious Mingo - seines Zeichens Defensive Lineman - infolge eines 11-Yard-Runs bei einem Fake Punt.

Lebenszeichen vom Pass-Rush der Titans

Dass Tennessee auf der anderen Seite defensiv nicht nur bei Third Down sein vermutlich bestes Saisonspiel hatte, sondern nach dem ganz schwachen Auftritt gegen Cincinnati in der Vorwoche Foles auch ohne Clowney drei Mal sacken und mehrere weitere Plays im Backfield hinlegen konnte, war ein positives Signal für die Titans.

Gleichzeitig aber war es auch ein alarmierendes Signal für die Bears, deren Pass-Protection merklich größere Probleme an den Tag legt, seitdem Foles für Mitch Trubisky übernommen hat. Auch Neuzugang Desmond King machte sich direkt positiv bemerkbar.

Doch auch über die Titans-Offense muss man einmal mehr kritisch sprechen. Die linke Seite der Offensive Line hatte einige Probleme, und wenn man die Kneeldowns ausklammert, holte Tennessee bei seinen acht Drives ohne Punkte unter dem Strich sieben (!) Yards. Insgesamt. Nach dem Fumble-Return-Touchdown zum 17:0 hatte Tannehill fünf Completions, die Titans hatten sechs Mal gepuntet und 145 Total-Offense-Yards. Und Tannehill hatte noch Glück, dass er nicht früh eine ganz teure Interception warf.

Tennessees Offense scheint aktuell schlicht nicht stark und nicht konstant genug, um ganz oben - also mehr als der olympische Gedanke in den Playoffs - mitzuspielen. Insbesondere mit Blick auf die eigene Defense. Und es wird nur selten gegen eine ähnlich wacklige Offense wie die der Bears gehen.

4. Dolphins beeindrucken - Murray MVP-Kandidat?

Der Sieg gegen die Rams in der Vorwoche war in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Big Plays von der Defense, Big Plays im Special Team - Tua Tagovailoa gewann sein erstes Spiel als Starter, hatte daran aber nur minimalen Anteil und über weite Strecken wirkte die Offense signifikant schwächer als in den Spielen mit Ryan Fitzpatrick zuvor.

Gegen Arizona war es dann eine andere Szenerie. Tua musste deutlich mehr liefern - und er lieferte. Miami arbeitete sehr intensiv mit Rollouts, hatte gute Screen-Designs und machte dem Rookie-Quarterback die Reads häufig einfach.

Doch abgesehen von einigen Rookie-Fehlern (die Beinahe-Interception beim Throwaway, die Intentional-Grounding-Strafe) spielte Tagovailoa eine sehr gute Partie. Innerhalb der Struktur der Offense, aber auch, wenn er Plays kreieren musste, wie etwa bei dem Highlight-Scramble und einigen sehr guten Plays in der Pocket.

Die Cardinals waren defensiv signifikant angeschlagen, spielten ohne die Cornerbacks 2, 3 und 4. Aber Tua zeigte merkliche Fortschritte auch in der Art und Weise, wie schnell er das Spiel verarbeitete, im Vergleich zur Vorwoche.

Cardinals: Kingsburys Lehrgeld - Murray MVP-Kandidat?

Und die Cardinals? Kyler Murray lieferte gegen eine starke Defense eine absolut spektakuläre Partie ab, wenngleich er beim Touchdown-Pass zu Darrell Daniels auch eine gehörige Portion Glück hatte. Als Runner ist er aktuell einer der gefährlichsten Spieler in der NFL, ob im designten Run Game oder als Scrambler. Murray hatte fünf Incompletions, bei vier Total Touchdowns und wenn er so weiter spielt, muss er irgendwann im MVP-Rennen zumindest ernsthafter genannt werden. Aktuell ist er auf Kurs für 48 Total Touchdowns in dieser Saison und er zeigt, dass er die Offense in seinem zweiten Jahr tragen kann.

Arizona konnte den Ball bewegen, aber kleinere und größere Kleinigkeiten werden die Cardinals am Montagmorgen in der Aufarbeitung der Partie ärgern. Etwa, dass Andy Isabella beim letzten Cardinals-Drive vor der Halbzeitpause bei Third Down eigentlich das First Down hatte - und sich dann wieder zurückbewegte, um Verteidigern auszuweichen. Arizona musste punten, Miami kickte im Gegenzug noch ein schnelles Field Goal.

Strafen waren zum wiederholten Mal ein ernsthaftes Problem für Arizona. doch was am meisten Zähneknirschen noch zum Wochenbeginn hervorrufen dürfte, war ein wiederholter Fehler bei Coach Kliff Kingsbury.

Kingsbury hat sich eigentlich inzwischen als ein aggressiver Fourth-Down-Coach etabliert. Er spielt viele dieser Situationen aus, und das überaus erfolgreich. Doch nachdem es beim vorletzten Drive gegen Miami schiefgegangen war - woraufhin die Dolphins das Field Goal zum 34:31 kickten - entschied sich Kingsbury beim folgenden Drive für die vermeintliche Sicherheit. Ein Big Play, dann konservative Play-Calls und das Field Goal bei Fourth-and-One. Doch Gonzalez verschoss. Game Over.

Nach seinem fast folgenschweren Fehler in der Overtime gegen Seattle, als er bei Second Down das Field Goal wählte, hatte Murray zu Kingsbury gesagt, dass er mit seinen Entscheidungen nicht konservativ werden muss. Er würde ihn nicht hängen lassen. Unabhängig davon, wie ein Fourth-Down-Play-Call ausgegangen wäre, wäre das eine echte Chance für einen schnellen Lerneffekt gewesen: Auf Sieg zu spielen, statt auf die trügerische Sicherheit des Field Goals und dann bestenfalls Overtime.

5. Bradys Meltdown und Brees' Maschine

Die Deutlichkeit der Bucs-Pleite gegen die Saints war absolut ein Schock - aber, und das ist nach diesem Spiel noch deutlich alarmierender: Die Art und Weise, wie Tampa Bay die Partie verloren hat, verdeutlichte einige inzwischen nur zu vertraute Probleme mit diesem Bucs-Team, spezifisch mit der Offense.

Da war wieder das offensive Play-Calling, das Fragen aufwarf. Tampa brauchte bis zu seinem fünften (!) Drive, ehe ein First Down heraussprang, und das lag nicht zuletzt an gleich zwei Runs bei Second-and-Ten zum Start ins Spiel. Ein generelles Problem, das nicht zuletzt beim knappen Sieg über die Giants in der Vorwoche wieder ganz deutlich wurde. Bei der 4-Down-Sequenz direkt vor der Saints-Endzone derweil warf Tampa etwa zwei Fade-Routes zu Evans, die komplett aussichtslos waren.

Da war wieder die Offensive Line, die wie beispielsweise auch gegen Chicago wackelte, wenn die Offense sich mehr auf das Passspiel verlagern musste. Brady stand bei 46 Prozent seiner Dropbacks unter Druck, mit weitem Abstand der Höchstwert für ihn in dieser Saison. Und die Wide Receiver hatten nicht zum ersten Mal in dieser Saison Probleme, ihre individuell hohe Qualität auch wirklich komplett auf den Rasen zu bringen. So viel enge Coverage gegen eine bislang wirklich wackelnde Saints-Secondary kam definitiv überraschend.

All das wurde umso schmerzhaft deutlicher, weil Brady selbst sein ganz klar schlechtestes Saisonspiel ablieferte. Die Bälle kamen häufig spät, der Druck bereitete ihm schon früh Probleme, teilweise wollte er auch zu früh zu viel und dann wiederum verfehlte er mehrere tiefe Pässe. Die zweite Interception war eine klare Fehlkommunikation mit Antonio Brown - der in seinem Bucs-Debüt relativ blass blieb - und die vielen (langen) Third Downs konnte Brady dieses Mal nicht retten.

Und das war ein Grundtenor dieser Bucs-Saison bisher: Brady spielte so gut, dass er viele Defizite anderswo in der Offense ausbügelte. Was passiert, wenn er das nicht macht, war am Sonntagabend zu sehen. Es war die höchste Niederlage in Bradys Karriere und löst damit eine 0:31-Klatsche gegen die Bills beim Saisonauftakt 2003 ab.

Werden die Saints am Ende ihrer Rolle doch gerecht?

Aber ehrlicherweise bin ich aus diesem Spiel gegangen mit dem Gefühl, mehr über die Saints als über die Bucs erfahren zu haben. Dass die Saints-Defense eben vielleicht doch mehr sein kann als sie bisher in einer - auf dieser Seite des Balls - enttäuschenden Saison gezeigt hat. Dass die Taysom-Hill-Pakete eine gute Defense auf dem falschen Fuß erwischen können. Dass New Orleans komplette Spiele abliefern kann.

Und offensiv sind sie mehr und mehr die gut getimte Maschine, die Saints-Fans sich im Vorfeld der Saison erhofft hatten. Brees, nach einem teilweise wirklich alarmierenden Saisonstart, ging zuletzt auch vermehrt tief - vor allem aber ist er nahezu perfekt in der Mid-Range, und so können die Saints die Box immer wieder mal entlasten.

Dann ist es eben eine Ball-Verteiler-Maschine. Die Saints sind das dritte Team über die letzten 30 Jahre, bei dem in einem Spiel zwölf (!) verschiedene Spieler einen Pass fangen. Brees hatte alleine in den ersten 19 Spielminuten Completions zu elf verschiedenen Receivern. Nur drei seiner 32 Pässe flogen 15 Yards oder tiefer, die aber kamen alle an.

Ansonsten ist der Ball schnell raus, die Saints sind unheimlich gut darin, mit unerwarteten Formationen spezifische Matchups auszunutzen - wie etwa beim Touchdown zum Ende des ersten Viertels - und dann ist diese Offense wirklich schwer zu stoppen. Auch das Run Game funktioniete gegen eine eigentlich gute Bucs-Run-Defense, in der sich der Verlust von Vita Vea immer stärker bemerkbar macht.

New Orleans, dieser Eindruck bleibt nach einem unfassbar dominanten Auftritt am Sonntagabend hängen, ist vielleicht doch der NFC-Top-Titelanwärter, den viele in den Saints vor Saisonstart gesehen haben.

6. Die NFC East in Fumble-Recovery-Form

Würde man die groteskeste Division dieser Saison, die NFC East, sinnbildlich als eine versuchte Fumble-Recovery darstellen wollen - der Slapstick-Versuch im Division-Duell zwischen Washington und den Giants ist schon sehr nahe dran an der perfekten Umsetzung.

Was soll man mit dieser Division anfangen? Die Cowboys verkaufen sich mit Garrett Gilbert plötzlich teuer gegen die Steelers und zeigen, dass sie ihre Waffen trotz all der Probleme anderswo doch noch einsetzen können. Washington verlor derweil gegen die Giants Quarterback Kyle Allen mit einer offensichtlich schweren Knöchelverletzung, und es ist schwer vorstellbar, dass Ron Rivera plötzlich Dwayne Haskins wieder vertraut.

Somit dürfte es Alex Smith bis auf weiteres sein. Und der hatte einige durchaus positive Momente, Smith legte sein erstes 300-Passing-Yard-Spiel seit Woche 9 der 2018er Saison hin. Wer weiß schon, was man realistisch von Smith erwarten kann, sollte er den Rest der Saison als Starter bestreiten. In dieser Partie verhinderten seine beiden späten Picks eine mögliche Hollywood-Bilderbuch-Aufholjagd. Bei der ersten seiner insgesamt drei Interceptions war sein Target ausgerutscht. Gleichzeitig ist die Defensive Line für Washington gut genug, um wacklige Offenses zu ersticken.

Und dann sind da die Giants, die dieses Spiel zwar gewannen, weil parallel Daniel Jones zum zweiten Mal in seiner NFL-Karriere ohne Turnover blieb. Seine NFL-Bilanz ist jetzt 4-0 gegen Washington - und 1-16 gegen den Rest der NFL. Die Giants haben defensiv definitiv einen Puls, aber die Offense ist viel zu inkonstant, um in der zweiten Saisonhälfte fünf oder gar mehr Siege zu prognostizieren.

Die in dieser Woche spielfreien Philadelphia Eagles bleiben der Favorit in einer grotesken Division. Aber mit dem Auftritt der Cowboys und dem erzwungenen Quarterback-Tausch in Washington sind beide Teams ein Stück weit größere Wundertüten geworden.

7. Realitäts-Check für die Pittsburgh Steelers

Vielleicht hätte man gewarnt sein müssen. So mancher Steelers-Fan dürfte bereits ein ungutes Gefühl gehabt haben: Pittsburgh hat diese Spiele fast jedes Jahr, wo man vermeintlich klarer Favorit ist - und dann den auf dem Papier als klaren Underdog ausgemachten Gegner nicht nur nicht dominieren kann, sondern häufig sogar verliert.

Mike Tomlin wird in seiner Head-Coach-Karriere auch im 14. Jahr keinen negativen Record haben, das hat der Sieg am Sonntag sichergestellt - eine unglaubliche Bilanz, die in vielerlei Hinsicht für Tomlin spricht. Gleichzeitig aber hat er in seiner Head-Coach-Karriere auch einen 1-9-Record gegen den Spread, wenn er auswärts auf zweistellige Underdogs trifft. Will sagen: Diese Art Aussetzer gibt es immer wieder in Steel City.

Dieses Mal in Dallas war es eben die Tatsache, dass Pittsburgh das vermeintlich krasse Mismatch an der Line of Scrimmage nicht ansatzweise so gewinnen konnte wie gedacht. Ja, die Defensive Front setzte den überraschend guten Garrett Gilbert deutlich mehr unter Druck, als die Total Stats nahelegen - aber gerade im Run-Blocking riss die dezimierte Cowboys-Line immer wieder große Löcher. Hier hatte Pittsburgh zuletzt auch gegen die Ravens ziemlich gewackelt.

Und auf der anderen Seite schlugen die Steelers eben kein Kapital daraus, dass Dallas vor diesem Spieltag mit weitem Abstand ligaweit die meisten Rushing-Yards vor Kontakt zugelassen hatte - über 600 an der Zahl. Die Steelers selbst konnten den Ball nicht gut laufen. Kombiniert mit mehreren Aussetzern des eigenen Special Teams hatte man die Zutaten für eine dieser unglaublich ärgerlichen Steelers-Patzer beisammen.

Es spricht für Pittsburgh, dass man die komplette Blamage am Ende verhinderte. Und doch war das Spiel auch ein Reminder dahingehend, dass die Steelers zwar gefährlich sind, der 8-0-Record aber doch etwas über die wahre Qualität dieses Teams hinwegtäuscht. Die Offense ist solide bis gut, nicht mehr, und wenn die Defense an der Line of Scrimmage nicht gewinnt, gibt es schnell Probleme.

Man hätte vielleicht nur nicht gedacht, dass diese Realität gegen dieses Cowboys-Team sichtbar wird - und gleichzeitig wird so mancher Steelers-Fan sagen, dass man genau das erwarten musste.

8. Vikings und Lions: 2 Umbrüche - nur ein Weg ist klar

Aus dem Duell der Enttäuschten in der NFC North geht ganz klar ein mehr enttäuschtes Team hervor - und das nicht nur, weil die Detroit Lions am Ende deutlich den Kürzeren zogen. Man kann sich bei den Lions nur wiederholen: Die defensive Weiterentwicklung fehlt komplett, Matt Patricia würde gerne Man Coverage spielen, was aber meist in die Hose geht und alternative Ideen, um Druck auf den Quarterback zu kreieren oder auch was die Run-Defense angeht, hat er einfach nicht.

Die Partie gegen Minnesota war der nächste klare Fingerzeig darauf, dass Detroit auf einen krassen Umbruch zusteuert - und wie eklatant auch der Coaching-Unterschied zwischen diesen beiden Teams ist. Denn von der Vikings-Defense, die individuell nicht ansatzweise die Qualität der Lions hat, hat Mike Zimmer einen kleinen Aufwärtstrend hingelegt: Nach dem überraschenden Auftritt in Green Bay ließ Minnesota auch gegen die Lions relativ wenig zu und kreierte vor allem Turnover, die am Ende auf der Seite des Balls den Unterschied ausmachten.

Dass die Vikings wie schon gegen die Packers auch gegen Detroit am Boden nach Belieben schalten und walten konnten, wirft eine übergreifende Frage auf: Was wäre für die Vikings mit etwas mehr Glück in der frühen Saisonphase dieses Jahr möglich gewesen - und was sagen die Trends aktuell über die weitere Entwicklung aus?

Dass Mike Zimmer und Rick Spielman relativ sicher im Sattel sitzen, dürfte der Ngakoue-Trade nochmal unterstrichen haben. Und dass die Vikings offensiv scheinbar "einfacher" als jedes andere Team punkten, wenn sie schlicht über Screens, Play Action und ihr (Outside Zone) Run Game kommen, bestätigte sich über die letzten beiden Spiele auch einmal mehr. Dalvin Cook ist schlicht der perfekte Back für diese Offense und hat ein gutes Argument, neben Alvin Kamara aktuell der wertvollste Running Back in der NFL zu sein.

Doch all das brauchen sie auch. Denn Shootouts, genauso wenig wie Spiele, in denen die eigene Offense einen hohen Rückstand aufholt, traut man diesem Vikings-Team auch weiterhin nicht zu. Was dann vielleicht auch die simple Antwort auf die Frage ist, was in diesem Jahr vielleicht möglich war. Diese beiden Teams stehen vor einem Umbruch. Doch nur bei den Vikings scheint der Weg einigermaßen klar. Bei den Lions ist alles auf dem Tisch.

9. Die Chiefs und der enorme Spielraum

Der finale Drive war merkwürdig, und das ist freundlich gesagt. Checkdowns, Pässe, die nicht über die Line of Scrimmage flogen - und all das mit minimaler Zeit auf der Uhr, als Carolina mit einem späten Field Goal das Spiel sogar hätte gewinnen können. Es war in gewisser Weise auch eine Versinnbildlichung der immer wieder mal sichtbaren Limitierungen dieser Offense mit Teddy Bridgewater - aber dieser Satz wird dem Auftritt der Panthers in dieser Partie ansonsten absolut nicht gerecht.

Carolina nämlich spielte genau so, wie ein Underdog bei einem klaren Favoriten auftreten muss: mutig. Beim ersten Touchdown spielte Rhule Fourth-and-Three aus, die Panthers spielten einen Fake Punt, insgesamt drei Fourth-Down-Conversions gelangen Carolina. Das war ein maßgeblicher Grund dafür, dass diese Partie eng blieb, und sollte für Teams in vergleichbarer Situation in dieser Hinsicht als Blaupause dienen.

Eindrucksvoll ist aber auch, wie groß der Spielraum für Fehler und für offensive Durchhänger bei den Chiefs ist - hier ist ein krasser Kontrast etwa zu den eingangs besprochenen Ravens. Zwei Field Goals nur zum Start, auf die 2-Point-Conversion zum möglichen 14:14-Ausgleich nach dem ersten Touchdown verzichtet, ein Fumble beim nächsten Drive, ein Field-Goal-Fehlschuss zum Start in die zweite Hälfte - und dennoch hat man bei den Chiefs keine Bedenken, dass sie deshalb womöglich nicht Richtung 30 Punkte gehen könnten.

Als die Chiefs-Offense in der zweiten Hälfte loslegte, waren es auch einmal mehr die Big Plays gerade bei Third Down, die Carolina zum Verhängnis wurden. Dabei konnten die Panthers der angeschlagenen Chiefs-O-Line einige Probleme bereiten, doch bei all den Big Plays und all den Highlights war in diesem Spiel eine andere, weitaus subtilere Qualität von Patrick Mahomes ebenfalls zu sehen: Sein Pocket-Verhalten. Die Chiefs sind und bleiben das furchteinflößendste Team in der NFL.

10. Gewohnter Chargers-Wahnsinn - Raiders machen Spaß

Chargers-Fan zu sein muss schlicht unglaublich sein, und immer wenn es gefühlt kaum noch grausamer geht, wird noch einer drauf gepackt. Gegen die Raiders war es der vermeintliche Game-Winner, der zuerst gefeiert, und dann nach Replay-Analyse (zu Recht) wieder zurückgenommen wurde.

Was bleibt aus diesem Spiel für L.A.? Die Erkenntnis, dass diese Offense nach wie vor extrem explosiv und unterhaltsam ist. Dass Justin Herbert viel Spaß macht. Aber eben auch, dass die eigene Defense weiterhin eine ziemlich große Enttäuschung ist, wenngleich Verletzungen hier eine unbestreitbare Rolle spielen. Joey Bosa fehlte gegen die Raiders an allen Ecken und Enden.

Allerdings sollte dabei nicht untergehen, wie sensationell unterhaltsam die Raiders-Offense ihrerseits sein kann. Das haben wir nicht zum ersten Mal in dieser Saison gesehen. Wenn sie das Playbook öffnen, wenn Carr vertikal geht (gehen soll? muss? darf?). Der tiefe Pass auf Agholor zum Touchdown, der Ball beim Rollout nach rechts aus der Pocket, der Scramble zum First Down tief in der gegnerischen Hälfte.

Man weiß vorher nie genau, welche Version von Derek Carr man bekommt. Aber die unterhaltsame, risikofreudige Variante ist in diesem Jahr auffallend häufig zu beobachten. Das mag damit zusammenhängen, dass man das Waffenarsenal in der Offseason entsprechend neu bestückt hat - vielleicht will Gruden auch schlicht testen, was er aus Carr herauskitzeln kann. Aber wenn die Raiders so weiter spielen, sind sie ein Playoff-Team.