Overreactions, die jungen Quarterbacks und ein übergreifendes Thema aus Woche 1: Der SPOX NFL Mailbag ist zurück, ab dieser Saison immer am Mittwoch - und mit einigen Fragen zusätzlich im Video-Format beantwortet!
NFL Mailbag Week 1: Zeit für Overreactions
Stefan G, Uschan DeLucca: Deine Top 3 Overreactions aus Week 1? Und welche Overreaction könnte nahe an der Wahrheit sein?
Ich habe es mal etwas erweitert, um meine Top 5 unterzubringen:
1. Die Packers und Bills sind keine Titelanwärter
Die These liegt nach enttäuschenden Auftritten der beiden Championship-Game-Teilnehmer aus dem Vorjahr auf der Hand. Und ich würde schon so weit gehen, zu sagen, dass es in beiden Fällen eine alarmierende Thematik zu beobachten gilt.
Bei den Packers wäre das die Offensive Line, die ihren All-Pro-Center Corey Linsley in der Free Agency verloren hat, und zumindest noch für fünf weitere Wochen auf All-Pro-Tackle David Bakhtiari verzichten muss. Kann LaFleur eine Top-5-Offense dirigieren, wenn er keine Top-10-Line hat? Die nächsten Wochen mit noch einigen Spielen gegen starke Pass-Rushs (49ers, Steelers, Bears) werden hier weitere Antworten liefern.
Bei Buffalo ist Josh Allen für mich im Fokus. Denn die Offense, wie die Bills sie letztes Jahr gespielt haben - und wie sie sie auch gegen die Steelers spielen wollten - funktioniert nur auf diesem hohen Level, wenn Allen gut spielt. Gegen Pittsburgh war er inkonstanter und unruhiger in der Pocket, teilweise erinnerte es mehr an 2019 als an 2020. Auch das kann ein Ausrutscher gewesen sein, gegen eine sehr starke Defense noch dazu. Aber auch das muss man über die kommenden Wochen beobachten.
In beiden Fällen war Woche 1 natürlich eine herbe Enttäuschung, für Teams, die sich im Titelfenster wähnen. Die Bills gefielen zumindest defensiv mit ihrer neuen Front und zeigten auf der Seite des Balls positive Tendenzen. Woche 1 legt nahe, dass die Spitzengruppe nicht so klar vom Rest der Liga zu trennen ist, wie das vor Saisonstart den Anschein hatte. Trotzdem gehören Bills und Packers auch weiter in den Kreis dieser Spitzengruppe.
2. Die Atlanta Falcons sind das schlechteste Team in der NFL
In Woche 1 waren sie das. Ich halte das individuelle Talent in der Offense für zu groß, und ich halte zu viel von Arthur Smith als offensiven Play-Caller. Aber in Woche 1 war erschreckend wenig davon zu sehen. Nach dem Auftritt gegen die Eagles würde ich einen Top-5-Pick als Prognose keineswegs mehr in die Hot-Take-Kategorie packen.
3. Die Pittsburgh Steelers sind ein Titelkandidat
Neben Arizona und New Orleans war Pittsburghs Defense die eindrucksvollste in Woche 1, da gibt es keine Diskussion. Die Steelers konnten ihre größte Stärke - der 4-Men-Rush - gegen Buffalo perfekt ausspielen, und das auf andere Art als sonst: Pittsburgh verstärkte seinen Pass-Rush nämlich nicht wie gewohnt, indem man zusätzlich zu der individuellen Qualität in der Front noch viel blitzte.
Stattdessen kontrollierte Pittsburgh die Line of Scrimmage mit dem 4-Men-Rush und war dann in der Lage, aggressiv mit einem Spieler mehr in Coverage aufzutreten, was Buffalos Spread-Offense erstaunlich gut den Zahn zog.
Das war ein dominanter Auftritt der Steelers, gleichzeitig aber waren ehrlicherweise die offensiven Probleme noch größer als ich erwartet hatte, zumindest über etwa die ersten drei Viertel des Spiels.
Die Offensive Line war eine konstante Schwachstelle, allen voran im Run Game, welches quasi nicht existent war. Die Offense fand abermals - vermutlich auch infolge dieser Tatsache - fast nur im Kurzpassspiel statt, und schematisch waren die Veränderungen auch überschaubar. Etwas mehr Motion, mehr Play Action, aber die Auswirkungen davon auf die Offense insgesamt waren mäßig.
Auch weil, und das ist ein zentraler Punkt in dieser Analyse, Big Ben einfach nicht gut war. Ja, er hatte zwei, drei Szenen, wo er das Play rettet. Aber er war mehrfach zu spät mit seinen Entscheidungen, sein Spiel wirkt so behäbig, gerade wenn er bei RPOs den Ball schnell zurückziehen und werfen soll.
Wenn das ein Vorgeschmack darauf war, dass die Line die ganze Saison über ein Thema sein wird, dann befürchte ich aus Steelers-Sicht, dass die Offense keine signifikante Weiterentwicklung hinlegen wird. Dann sind es die gleichen Probleme wie letztes Jahr, und sehr ähnliche "Lösungsansätze".
Die Defense war herausragend gegen Buffalo, aber darauf kann man sich nicht Woche für Woche verlassen. Deshalb ist mein Takeaway nach Woche 1, dass wir von den Leistungen her eine ähnliche Saison wie im Vorjahr bekommen werden. Das kann dann für die Playoffs reichen, ein Titelkandidat ist Pittsburgh mit der Offense für mich jedoch keineswegs.
4. Jalen Hurts ist Philadelphias Quarterback-Antwort
Hurts' Auftritt in Woche 1 gehörte für mich ganz klar zu den positivsten Überraschungen, das hatte ich in meinen Week-1-Takeaways am Montag bereits ausgeführt. Und ich finde es absolut legitim, zu sagen, dass das Spiel Eagles-Fans Hoffnung geben darf, weil Hurts klare Fortschritte zum letzten Jahr gezeigt hat, wo er eben doch häufiger mehr Athlet auf der Quarterback-Position als Quarterback war.
Aber bis ich der These, beziehungsweise der Overreaction zustimme, wird noch einiges an Zeit vergehen müssen. Dafür war das Matchup zu - man muss es so deutlich sagen - einfach, dafür haben zu viele der simplen Dinge funktioniert. Schnelle Pässe zu offenen Playmakern, die dann den Rest nach dem Catch regeln, gute Play-Designs, um klar lesbare Eins-gegen-Eins-Matchups zu kreieren. Und eben auch häufig eine saubere Pocket.
Doch wenn die Pocket mal wackliger wurde, hat Hurts sich gut darin bewegt. Er war sicher in seinen Reads, er hat den Ball effektiv verteilt, und mir hat gut gefallen, wie die Eagles seine Athletik in das Design der Offense eingebunden haben.
Noch ist mir der Hot Take zu heiß, und ich will Hurts gegen bessere Defenses sehen, vielleicht auch, wenn Philly mal aufholen muss. Aber mehr Optimismus als noch vor einer Woche ist trotzdem angebracht.
5. Die Jaguars unter Urban Meyer werden ein Desaster
Die Niederlagen von Green Bay und Tennessee sind natürlich die prominenteren Themen, auch der Auftritt der Bills ist mit Blick auf das Liga-Gesamtbild die größere Storyline. Aber was die Jaguars am Sonntag ablieferten, sollte dabei nicht unter den Tisch fallen.
Die 21:37-Niederlage in Houston, gegen ein Texans-Team, das auf dem Papier mit Abstand den schwächsten Kader hatte und kurz vor Saisonstart nochmal den weiteren Ausverkauf angekurbelt hatte, war fast noch besorgniserregender, als das Ergebnis vermuten lassen würde. Die Texans führten mit 27:7 zur Halbzeitpause, ehe Jacksonville noch etwas Ergebniskosmetik betreiben konnte.
Jacksonville fand offensiv dann ein wenig einen Rhythmus; Meyer wird jetzt den Spagat hinbekommen müssen zwischen einer Offense, deren Rookie-Quarterback nicht gezwungen sein sollte, konstant "zu viel" machen zu müssen, und einer Defense, deren erster Auftritt nahelegt, dass es aber genau das von Trevor Lawrence brauchen wird.
Das hätte ein angenehmer Start in die Meyer/Lawrence-Ära werden sollen. Stattdessen ist die Stimmung rund um die Jaguars nach nur einem Spiel eine ganz andere.
Welche Overreaction könnte sich am ehesten als wahr entpuppen?
Wenn ich davon eine auswählen müsste, meine Tendenz würde in Richtung Jacksonville gehen. Und natürlich, das ist alles eine Mini Sample Size - das liegt in der Natur der Week 1 Overreactions. Aber hier setzte sich fort, was man in der Preseason angedeutet hatte; nämlich dass die Offense relativ unkreativ daherkommt und Rookie-Quarterback Trevor Lawrence wenig hilft.
Dass es statisch aussieht, dass die Abstimmungen noch nicht passen, und, wenn man es böse auslegen will, dass es teilweise so wirkt, als müsste Urban Meyer erst damit zurechtkommen, dass er nicht in den meisten Spielen signifikant mehr Talent in seinem Team hat. Wenn dann noch ein paar Strafen und simple Fehler dazukommen, kann die Offense das nur noch durch Lawrence überwinden, und das ist viel verlangt, auch von einem Quarterback mit seinem Talent.
Und wenn man es weiter für Meyer kritisch auslegt, dann ist schon auffällig, wie sehr sich noch vor dem ersten Spieltag die Berichte häuften, wonach es in Jacksonville brodelt. Dass Teile des Teams mit Meyer so gar nicht auf einer Wellenlänge sind, dass dessen Coaching-Methoden bei gestandenen Profis mitunter nicht gut ankommen.
Dann bekommt man schnell die Zutaten für ein Pulverfass, dessen Lunte mit einem Debakel zum Auftakt angezündet wurde. Ich denke nicht, dass Meyer nach einem Jahr in Jacksonville wieder raus ist, aber eine enttäuschende Saison, gepaart mit internen Reibereien und das wiederum kombiniert mit der Hoffnung bezüglich Trevor Lawrence? All das könnte die Urban-Meyer-Ära in Jacksonville zu einem großen Reinfall und deutlich kürzer als gedacht machen.
Überraschungen, Abstürze, Mac Jones: Eure Fragen im Video
Wer konnte in Week 1 außerdem überraschen, wer enttäuschte? Wer macht einen Sprung nach Week 1, wer rutscht eher ab? Wie hat sich Patriots-Rookie Mac Jones geschlagen, und könnten die Saints sogar noch besser sein als zuletzt mit Drew Brees?
Die Antworten gibt's hier im neuen Video-Part des Mailbags!