Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 2 in der NFL

Von Adrian Franke
20. September 202110:30
SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf Woche 2 in der NFLgetty
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Einige Teams stehen bereits nach Woche 2 mit dem Rücken zur Wand - doch für welche sollte der Blick tatsächlich schon bald auf die wichtigsten Schritte der kommenden Offseason gehen? Warum sollten die 49ers trotz eines 2-0-Starts über den Quarterback-Tausch nachdenken? Und sind zwei Defenses, die letztes Jahr noch häufig in der Kritik standen, dabei, einen ganz großen Sprung hinzulegen? SPOX-Redakteur Adrian Franke mit seinen wichtigsten Takeaways zum NFL-Sonntag.

Woche 2 war vor allem im späten Fenster und dann natürlich mit dem spektakulären Sunday Night Game extrem unterhaltsam - und auch eine gute Erinnerung daran, wie man in der NFL heute gewinnen können muss: 48 Punkte für Tampa Bay, 34 für die Cardinals, 33 für Tennessee in Overtime gegen Seattle, 36 für Baltimore gegen die Chiefs: Punkte, Punkte, Punkte, und auf dem Weg dahin auch Mut bei kritischen In-Game-Entscheidungen.

Den zeige Titans-Coach Mike Vrabel zwar nicht, als er nach Henrys Touchdown kurz vor Schluss den Extra-Punkt kicken ließ und somit auf Overtime statt auf den Sieg spielte. Gereicht hat es am Ende trotzdem. Die Titans hatten wieder Probleme in der Offensive Line, sie hatten defensiv wieder einige eklatante Coverage-Probleme - und trotzdem war es ein anderer Auftritt des Teams, das sich dieses Mal auch nicht komplett aus dem Spiel befördern ließ.

Tennessee hatte einen besseren Plan, wie man das Spiel über seine Playmaker aufziehen kann, Early-Down-Play-Action war früh mehr zu sehen, mehr effektives Quick Passing, und Tennessee öffnete mit dem Passspiel auch Räume im Run Game. Und umgekehrt war Henrys 60-Yard-Touchdown unbestreitbar ein Dosenöffner. Nach einer Katastrophe in Woche 1 war das ein Schritt in die richtige Richtung. Und ich hatte eher noch den Eindruck, dass die Titans mit kleineren Fehlern und Ungenauigkeiten, die reparierbar sein sollten, noch deutlich mehr liegen ließen.

Und die Seahawks? Die Wilson-Lockett-Connection ist absurd und über zwei Wochen die Nummer 1 in der NFL. Aber Seattle hatte nicht diesen eindrucksvollen offensiven Rhythmus, den man gegen die Colts hatte. Viele kurze Pässe, das Run Game kam nie ins Rollen, vor allem in der zweiten Hälfte ging offensiv fast gar nichts mehr. Seattle war zu sehr von den einzelnen Big Plays abhängig, nachdem man gegen die Colts offensiv noch wie eine wohlgeölte Maschine aufgetreten war. Es war dann doch eher die Tempo-Offense, in der Wilson so richtig gut aussah.

Baltimore derweil zeigte einerseits Flexibilität - die Ravens, entgegen ihrer Identität und entgegen dem, was Baltimore über die letzten Jahre mehrfach gegen die Chiefs böse verbrannt hat, blitzten Patrick Mahomes fast gar nicht - während man offensiv auf das bekannte Run Game vertraute: Die Offense sah deutlich mehr nach "Ravens Football" aus als das, was vergangenen Montag bei den Raiders zu beobachten war. Baltimore verzeichnete 0,25 Expected Points Added am Boden, bei 0,03 EPA im Passspiel, nachdem man gegen die Raiders so lange gar nicht richtig den eigenen Stil mit dem Option Run Game umgesetzt hatte.

Dass man gegen die Chiefs-Defense laufen kann, das hatten die Browns bereits in der Vorwoche gezeigt. Ich hatte anschließend darüber geschrieben, wie klein der Spielraum für Gegner gegen die Chiefs ist, weil Kansas City offensiv immer nachlegen kann - die Niederlage in Baltimore mit dem späten CEH-Fumble zeigte, wie klein umgekehrt auch der Spielraum für die Chiefs-Offense ist, solange Kansas Citys Defense so viel zulässt. Und das Spiel unterstreicht auch nochmal, dass man gegen KC nur eine Chance hat, wenn man eine offensive Explosion hinlegt.

Die Titans und auch die Ravens verhinderten mit ihren unerwarteten Erfolgen auch den gefürchteten 0-2-Start. Wir starten mit dem Blick auf einige Teams, für der Saisonstart in die Hose gegangen ist - und wie ernst es um sie steht.

0-2 - Saison schon vorbei?

Nur knapp über zehn Prozent der Teams haben historisch betrachtet noch den Sprung in die Playoffs geschafft, wenn sie mit zwei Niederlagen in die Saison gestartet sind. 36 Teams eröffneten seit 2017 ihre Saison mit zwei Pleiten - nur drei davon konnten noch ein Playoff-Ticket lösen. 258 waren es seit 1990, nur 30 davon kamen noch in die Postseason und nur 15 konnten noch ihre Division gewinnen.

Natürlich sind die Umstände mittlerweile anders. Das seit letztem Jahr dazugekommene dritte Wildcard-Team in beiden Conferences bietet mehr Spielraum, genau wie das 17. Saisonspiel, welches seit dieser Saison dazu gekommen ist. Gut möglich, dass sich diese Statistik also in den kommenden Jahren verändert.

Aber vielleicht auch nicht allzu sehr, denn die 0-2-Statistik ist ohnehin mit etwas Vorsicht zu betrachten. Ein 0-2-Start per se ist natürlich nicht weniger schlimm, als in Woche 13 und 14 zu verlieren; die beiden Niederlagen zählen gleichermaßen.

Allerdings sind es eben auch häufig schlechte Teams, die mit zwei Niederlagen in die Saison starten, und die Statistik dementsprechend runter ziehen. Dass diese Teams am Ende nicht in die Playoffs kommen, hat nichts direkt mit dem 0-2-Start zu tun, welcher mehr über die Qualitäten der entsprechenden Teams als über deren statistische Playoff-Chancen aussagt.

Das wiederum wirft unweigerlich die Frage auf: Welche der mit zwei Pleiten gestarteten Teams sind tatsächlich schlecht?

NFL: Für diese Teams wird es nach 2 Spielen bereits eng

NEW YORK GIANTS

Die NFC East ist noch ziemlich offen, und das Spiel gegen Washington am Donnerstagabend hätte zweifellos auch andersherum ausgehen können. Ich bin bei den Giants sogar insofern positiv überrascht, als dass Daniel Jones bislang eine sehr solide bis gute Saison spielt und auch die Offensive Line zwar wacklig ist, aber längst nicht die potenzielle Katastrophe, die ich vor Saisonstart aus Giants-Sicht befürchtet hatte.

Dennoch sehe ich New York nach den beiden Spielen zu weit weg. Das Team tritt undiszipliniert auf und macht zu viele simple Fehler, oder anders zusammengefasst: Das Coaching ist nicht gut. Das ist Joe Judge In-Game, es ist aber auch die offensive Ideenlosigkeit von Jason Garrett. Die Giants haben jetzt zwei Spiele verloren, und das trotz solider QB- und O-Line-Auftritte, gegen Teams, die nicht zur Liga-Spitze gehören.

Aktuell fehlt mir hier die Fantasie, um an die Upside zu glauben. Und aktuell sehe ich nicht, inwieweit Judge dieses Team voranbringt. Judge gehört für mich klar auf die "Hot Seat"-Watchlist.

NEW YORK JETS

Dass die Jets dieses Jahr noch nicht oben mitmischen würden, ist weder überraschend noch ein Urteil über den neuen Trainerstab in New York. Dieser Kader war zu Beginn der Offseason derart am Boden, das ist kein Umbruch, der innerhalb eines Sommers funktioniert; wenn ich für New York im Januar einen Plan entworfen hätte, dann wäre das ein Dreijahresplan gewesen, mit dem Ziel, im dritten Jahr ein Playoff-Team zu werden.

Und das wird eben deutlich, wenn man sich das Team über die ersten beiden Spiele anschaut. Die Offensive Line wirkt noch ziemlich überfordert, und wird noch für eine ganze Weile ohne ihren besten Spieler Mekhi Becton auskommen müssen. Die Front ist noch nicht das dominante Rückgrat dieses Teams - wie sollte sie das auch sein, angesichts der Tatsache, dass man mit Carl Lawson und Vinny Curry beide Starting-Edge-Verteidiger verletzungsbedingt bereits vor Saisonstart verloren hat.

Zach Wilson derweil steigerte sich im Laufe der zweiten Hälfte gegen die Panthers, gegen die Patriots hatte er jetzt ein Horror-Spiel und eine echte "Willkommen in der NFL"-Partie. Mehrere katastrophale Würfe und noch viel schlimmere Entscheidungen, vier Interceptions insgesamt und bereits im zweiten Viertel war offensichtlich, dass die Jets-Offense hier nicht im Ansatz einen Fuß in die Tür bekommen würde.

Er macht die Fehler, die man ihm - zumindest im Rahmen - auch zugestehen sollte; die Ansätze sind positiv, tragen kann er das Team noch nicht, das darf aber auch noch nicht die Erwartungshaltung sein. Man könnte hier argumentieren, dass es für die Jets nicht "eng wird", da die Zielsetzung - Wilson entwickeln, Saleh soll sich beweisen, die neue Line zusammenfinden - eine andere sein sollte.

Für alle Jets-Fans, die vielleicht doch auf die Überraschungssaison gehofft hatten, dürfte sich die Zielsetzung für 2021 jetzt eingependelt haben.

JACKSONVILLE JAGUARS

Die Jaguars wirkten über die ersten beiden Spiele schon fast erschreckend schlecht vorbereitet. Nachdem die Jags bereits in Woche 1 gegen Houston offensiv erst ein wenig ins Rollen kamen, nachdem die Texans eine komfortable Führung aufgebaut hatten, dürfte es kaum eine Überraschung sein, dass Jacksonville gegen die Broncos ebenfalls offensiv Probleme an den Tag legte.

Lawrence hatte auch in Woche 2 einige spektakuläre Würfe, bei welchen man sein herausragendes Armtalent bewundern konnte. Insbesondere die isolierten Eins-gegen-Eins-Shots nach außen waren bereits bei Clemson eines seiner Markenzeichen, und Jacksonville nutzt diese ebenfalls. Zumal die Protection gegen Denver sogar besser funktionierte als zu befürchten war. Aber zu viel lastet auf seinen Schultern, er bekommt schematisch zu wenig Hilfe. Und die eigene Defense ist ebenfalls keine Unterstützung.

Ich hatte bereits in meinen Takeaways letzte Woche geschrieben, dass die Week-1-Overreaction, welcher ich am ehesten zustimmen würde, die ist, wonach es in Jacksonville schon im ersten Jahr mit Urban Meyer richtig unangenehm werden könnte. Kollege Marcus Blumberg hatte die Situation unter der Woche nochmal genauer beleuchtet.

Es ist noch früh in der Saison, natürlich, und zwei Spiele sind kein Maßstab, um einen neuen Head Coach zu bewerten. Wenn man ein erstes Mini-Zwischenfazit ziehen muss, könnte man einen Case dafür aufbauen, dass Meyer erst einmal zeigen muss, dass er auch in der NFL, wenn er keinen Vorteil in puncto Talent hat, gewinnen kann. All diejenigen, die Jacksonville in einer schwachen Division mit Lawrence eine Überraschung zugetraut hatten, werden sich gedulden müssen.

ATLANTA FALCONS

Ich hatte nach Woche 1 gesagt, dass die Falcons - und konkreter: die Falcons-Offense - für mich eine der großen Enttäuschungen des Saisonstarts war. Ja, Atlanta hat mehrere Baustellen; aber ich dachte schon, dass Arthur Smith mit Matt Ryan, Calvin Ridley und Kyle Pitts eine explosive Offense aufziehen kann. Mit einem Scheme, welches Ryan aus Shanahan-Zeiten bestens kennen sollte, und welches bereits in Tennessee die Line besser aussehen ließ.

Davon ist bisher in Atlanta wenig zu sehen. Die Line wurde bereits gegen die Eagles dominiert, was die Offense über weite Strecken komplett lahmlegte, während Atlanta gleichzeitig keinen guten Plan für die Red Zone hatte. Gegen Tampa Bay gab es zwischenzeitlich ein beachtliches Aufbäumen, aber über weite Phasen war die Offense abermals extrem unansehnlich und wirkt auch nicht sonderlich gut gecoacht.

Ich denke schon, dass Atlantas Offense über die Saison hinweg einen besseren Rhythmus finden wird - aber der Start war ernüchternd, und hinterlässt bei mir vor allem einen Beigeschmack: Die Falcons hätten ihren tiefgreifenden Umbruch in der Offseason deutlich aggressiver vorantreiben sollen.

Die 49ers müssen ihren Quarterback-Tausch vorantreiben

Dass die 49ers in diesem Spiel mit einer Führung in die Halbzeitpause gingen, stellte den Spielverlauf bis dato komplett auf den Kopf. Es waren die Eagles, die das klar bessere Team waren, sich aber offensiv nicht belohnten - während die 49ers ihren einzigen guten Drive direkt in der Endzone abschlossen.

Der offensichtliche Unterschied zwischen den beiden Teams, die sich jeweils auf starke Defensive Fronts verlassen konnten, lag in der Offense, konkreter: Die Eagles hatten explosive Plays, sie hatten Third Downs, welche ihr Quarterback in neue First Downs umwandeln konnte. Der Quarterback machte aktiv einen Unterschied und half dabei, das Feld zu öffnen; beides ließ sich über seinen Gegenüber nicht sagen.

Mit Jimmy Garoppolo wirkte die Niners-Offense in der ersten Hälfte unfassbar behäbig. Alles war schwierig und hart erkämpft, jedes Yard fühlte sich schwierig an. Die Eagles verteidigten das Run Game gut, und die einzige wirklich funktionierende Alternative waren Screens und anderweitig frei geschemte Targets, in der Hoffnung, dass dann möglichst viel nach dem Catch geht. Der Quarterback war nur der schnelle Ballverteiler, Scheme und die Playmaker trugen die Offense. Garoppolo hatte über die ersten drei Viertel eine durchschnittliche Target-Tiefe von 4,2 Yards. Umso bemerkenswerter war es, dass die Niners in dieser Phase nicht einmal Lance-Packages einstreuten.

Es war alles in allem eine desolate erste Hälfte der Niners-Offense, und umso bitterer aus Eagles-Sicht war es, dass San Francisco dennoch mit einer 7:3-Führung in die Halbzeitpause ging. Garoppolo stabilisierte sich dann in der zweiten Hälfte, auch das Run Game kappte besser, während Philadelphias Offense jetzt auch die Shot Plays nicht mehr anbrachte. Das Spiel entglitt den Eagles Schritt für Schritt.

Und trotzdem bleibt ein Niners-Take für mich. Die Offensive Line war nicht gut in dem Spiel, und das Run Game funktionierte nicht, all das ist fair - aber all das ist Teil des Arguments. Wenn die Umstände nicht ideal sind, dann kann die Niners-Offense schnell mal so aussehen, wie über weite Strecken gegen die Eagles. Und vielleicht ist die Offensive Line ein Thema, das Niners-Fans noch häufiger begleiten wird; vielleicht wird die eigene Secondary nach der Verletzung von Verrett noch mehr Big Plays zulassen als in Philly.

Ein Game Manager hilft den 49ers nicht weiter

Der Punkt ist: San Francisco hat einen Game Manager, und keinen Playmaker auf der Quarterback-Position. Das ist keine neue Erkenntnis, aber der Auftritt in Philadelphia unterstrich das abermals, und wenn man die Umstände in San Francisco analysiert, dann liegt für mich diese Schlussfolgerung näher als das Gegenteil: Die Niners als Team sind nicht gut genug, um mit einem Game Manager um den Titel zu spielen.

Was dann die Folgefrage aufwirft - was machen wir hier? Trey Lance bräuchte in erster Linie Spielpraxis, um besser zu werden, und er braucht Spielpraxis gegen NFL-Defenses, um sich an NFL-Tempo und NFL-Komplexität zu gewöhnen.

Shanahans Offense kreiert so viel für den Quarterback; sind die Niners tatsächlich der Ansicht, dass Lance das nicht zumindest halbwegs unfallfrei umsetzen könnte? Kombiniert mit seiner Upside, mit den Qualitäten im Run Game, welche die Offense noch mehr öffnen sollten, und dann dem Lerneffekt, welchen Lance braucht, und welchen die Niners nicht unnötig lange vor sich herschieben sollte, um dessen Rookie-Vertrag bestmöglich zu nutzen, sollte sich eine relativ klare Gleichung ergeben.

Die Niners konnten sich bei ihrem Glück - und der Defensive Front - bedanken, dass man zur Halbzeitpause führte, statt mit potenziell zwei Scores zurückzuliegen. Und die Frage ist hier nicht einmal, ob das Spiel mit Lance anders verlaufen wäre - die Gefahr ist fraglos da, mit Lance mehr Spiele zu verlieren als mit Garoppolo.

Doch diese Partie unterstrich für mich einen Take, den ich vor Saisonstart schon hatte - und weshalb ich nicht verstanden habe, warum die Niners Garoppolo und seinen Cap Hit jenseits der 20 Millionen Dollar tatsächlich behielten, nachdem sie all die Ressourcen in Lance investiert haben. Die Offense ist Stand heute sicher effizienter mit Garoppolo, aber das wird nicht reichen, und dann hinterfrage ich, inwieweit es die Niners kurz- oder auch langfristig weiterbringt.

Wie gut ist die Cardinals-Offense wirklich?

Wenn man nach zwei Spielen ein "Entertainment"-Ranking machen würde, dann wäre Arizona vermutlich bei den meisten sehr weit oben, und Kyler Murray dürfte die meisten Rankings anführen. Arizonas Offense ist hochgradig unterhaltsam, und ihr Quarterback ist der maßgebliche Grund dafür.

Murray hat über die ersten beiden Partien bereits ein Highlight-Tape zusammengestellt, das für manche Quarterbacks für die halbe Saison reichen würde. Er hatte auch in beiden Spielen je einen (Tennessee) beziehungsweise zwei (Minnesota) kritische Fehler drin, welche zu Interceptions führten, aber kaum jemand würde wohl widersprechen, wenn man sagt, dass Murray der Schlüssel zu einer der explosivsten Offenses in der NFL ist. Weil er eben so viel kreieren kann, weil er so viel außerhalb der Struktur machen kann.

Aber damit steht die Frage auch schon im Raum: Wie gut ist die Offense? Und wie viel davon ist Murray? Und kann dieser schmale Grat zwischen Big Play und Risiko über eine volle Saison gutgehen?

Arizonas Offense: Ein permanenter Drahtseilakt

Damit ist man bereits mittendrin in der Diskussion. Denn Murrays spektakuläre Plays außerhalb der Pocket kommen auf der anderen Seite auch zu einem Preis - der Preis ist, dass er dazu tendieren kann, die Pocket vorschnell zu verlassen, was wiederum so ziemlich jede Passing-Design-Struktur torpediert. Ein solches Play kann dann wie der 77-Yard-Touchdown zu Rondale Moore enden, auch der erste Touchdown zu Hopkins gegen Tennessee kam spät im Down und außerhalb der Pocket.

Kingsbury, zumindest vertritt er diesen Standpunkt glaubhaft nach außen, hat kein Problem damit, Murray außerhalb der Struktur arbeiten zu lassen - und ich stimme zu. Wenn man einen solchen Playmaker auf der Quarterback-Position hat, sollte man ihn nicht in einen Käfig sperren. Gleichzeitig sind wir auch hier wieder beim sprichwörtlichen Drahtseilakt; denn natürlich soll die Offense in erster Linie innerhalb der Struktur funktionieren, mit den einzelnen improvisierten Plays als Spitze des Eisbergs - und nicht umgekehrt.

Gleichzeitig ist Kingsbury gut darin, Murrays Qualitäten als Runner in die Offense einzubauen. Mal subtiler, mal offensichtlich. Das gibt der Cardinals-Offense eine immens wichtige Dimension. Und Kingsbury traut seinem Quarterback zu, extrem schwierige Würfe in kritischen Situationen anzubringen. Bisher belohnt Murray dieses Vertrauen.

Die Cardinals haben eine höhere Baseline

Was aber auffällt, ist, wie viel höher die Baseline der Offense rein individuell betrachtet ist. Arizona nutzt Motion etwas besser, sie spielen mehr mit ihren Receiver-Formationen, der Ball wird besser verteilt und das ganze Feld angespielt. Vor allem aber ist die Baseline der Offense höher, weil das Talent größer ist. Das fängt mit Rodney Hudson an, dessen Erfahrung bereits mehrere Big Plays mitverantwortet hat, weil er Murray dabei hilft, Blitzer und Pressure-Sets vor dem Snap zu erkennen.

Es geht weiter mit Rondale Moore, der vor allem dazu beiträgt, dass Arizonas Screen Game so viel effektiver daherkommt. Screens sind ein wesentliches Mittel in Kingsburys Offense, dass diese Target jetzt zu Moore und nicht mehr zu Fitzgerald gehen, macht sie deutlich gefährlicher. A.J. Green mag keine Monster-Stat-Line am Ende der Saison haben, aber er gibt Arizona eine zweite große Outside-Receiver-Präsenz - was es Christian Kirk erlaubt, in den Slot zu rücken, wo er deutlich gefährlicher ist als Outside.

Komplett traue ich der Offense nicht. Aber sie ist explosiv, sie macht Spaß, und Murray gehört trotz der drei klaren Fehler nach zwei Spielen in die MVP-Konversation. Und man hat den Eindruck, dass Big Plays vertikal viel eher im Arsenal sind als letztes Jahr.

Die andere ermutigende Nachricht für die Cardinals ist: Wie schon in der zweiten Saisonhälfte letztes Jahr ist die eigene Defense gut genug, um zu helfen. Dass Woche 1 gegen die Titans in vielerlei Hinsicht ein Ausreißer war, dürfte das Spiel gegen Minnesota auch dem größten Optimisten klargemacht haben. Aber selbst gegen die Vikings stabilisierte sich die Defense nach einem üblen Start, und war über weite Teile der zweiten Hälfte deutlich verbessert.

Auch das ist ein maßgeblicher Unterschied zu den Anfängen der Kingsbury-/Murray-Ära: Die Offense muss nicht jedes Spiel alleine gewinnen. Arizona trifft kommende Woche auswärts auf die Jaguars, ein prototypisches Trap Game, ehe die beiden Division-Duelle gegen die Rams und die 49ers anstehen. Gehen die Cardinals mit zwei Siegen aus den nächsten drei Partien, ist die erste Phase der Saison absolut als Erfolg zu verbuchen. In der stärksten Division der Liga wird es allerdings mehr brauchen.

Der Umbruch in Miami kommt an einen kritischen Punkt

Der Rebuild der Miami Dolphins hängt am seidenen Faden. Okay, das ist vielleicht etwas drastisch formuliert - aber ich denke es ist fair, die kritischere Brille aufzuziehen, und das ausdrücklich nicht aufgrund der Verletzung von Quarterback Tua Tagovailoa früh während der deutlichen Pleite gegen die Buffalo Bills. Welche wiederum die Bewertung erschweren wird, sollte Tua jetzt länger ausfallen.

Der Tua-Pick im Rahmen dieses Prozesses ist dabei ein Thema für sich, und eines, das ich erst einmal noch aufschieben würde. Die Entwicklung des Hawaiianers ist noch nicht an dem Punkt, an dem ich sie mir an diesem Punkt erhofft hätte, gleichzeitig gibt es dafür durchaus einige Erklärungsansätze. Mein Optimismus dahingehend, dass Tagovailoa ein jährlicher Top-10-Quarterback werden kann, hält sich in Grenzen; gleichzeitig würde ich mit einem echten Urteil hier noch etwas abwarten.

Aber der großangelegte Umbruch umfasst ja mehr als den Quarterback, und hier muss man grundsätzlich festhalten: Die Dolphins fahren eine aggressive Schiene in ihren Personnel-Entscheidungen. Das jährliche Austauschen des Offensive Coordinators, das schnelle Aufgeben von Free-Agency-Verpflichtungen - das kann man Brian Flores und Co. als "sie wissen, was sie wollen" auslegen. Aber wenn die Moves dann neue Baustellen aufreißen, muss man die Entscheidungsträger entsprechend hinterfragen.

Und an dem Punkt bin ich mit dem Dolphins-Regime angekommen, und in allererster Linie fängt das für mich mit der Zusammenstellung der Offensive Line an. Warum hat man sich von Ereck Flowers getrennt? War Austin Jackson die richtige Wahl auf Left Tackle? Hätte man seinem jungen Quarterback nicht in dieser Offseason einen erfahrenen Center zur Seite stellen sollen, wie es die Chargers und die Cardinals gemacht haben, um ihm Pre-Snap zu helfen?

Die klare Realität ist, dass die Line nicht gut ist, und das hat sich über den Sommer bereits angedeutet und gegen Buffalo war es ein echtes Problem. Die Defense ist immer noch stark, aber, wie jede Defense, ist auch Miamis Defensive Matchup-abhängig; das Bills-Spiel war eine Erinnerung auch daran. Genau wie an die Tatsache, dass mehrere hohe Picks - Jackson, aber auch Noah Igbinoghene, der erneut nicht active war, oder Michael Deiter - bisher wenig vielversprechend aussehen. Auch Christian Wilkins verdient eher das Prädikat "solide".

In der heutigen NFL ist es nicht planbar, auf dem Rücken einer dominanten Defense eine längerfristige erfolgreiche Ära zu gestalten. Sicher, einzelne Spiele gewinnen, anfällige Gegner dominieren - aber nicht jährlich Playoffs und mehr anpeilen. Miamis Umbruch ist analog zur Entwicklung der Offense auf und abseits des Platzes kurz vor einem kritischen Punkt, und damit ist ausdrücklich das Front Office in erster Linie gemeint.

Wenn man mit Tagovailoa daneben lag, dann wird der Rebuild ohnehin mehrere Stufen zurückgesetzt. Früher oder später wird man aber an dem Punkt kommen müssen, an dem man das Gesamtkonstrukt hinterfragt.

Bears als Mahnmal - Mahnmal für die Bears?

Die Probleme, welche Miami gerade mit seiner Offensive Line hat, dürfen gerne auch als Warnung für die Chicago Bears dienen, die ihrerseits eher früher als später einen jungen Quarterback hinter einer höchst suspekten Offensive Line reinwerfen werden.

Vor allem aber ist Chicago umgekehrt dahingehend auch ein Mahnmal, wie ein Kader aus den Fugen geraten kann, wenn man ein Titelfenster anvisiert, das gar nicht da ist - weil man sich in seinem Quarterback geirrt hat.

Zu viele Uptrades im Draft, zu viele teure Verträge für Free Agents, die mehr für ihre Vergangenheit als für ihre Zukunft bezahlt wurden - Jimmy Graham hätte den Bears-Cap dieses Jahr mit zehn Millionen Dollar belastet, nur mit dem Hinzufügen mehrerer Void-Jahre wurde das reduziert. Dafür kostet er die Bears nächstes Jahr 4,6 Millionen Dollar - wenn er gar nicht mehr im Team ist. Robert Quinn steht dieses Jahr mit 14,7 Millionen Dollar in den Büchern, Nick Foles mit 6,6 Millionen Dollar.

Solche Verträge zwangen Chicago dazu, Top-Corner Kyle Fuller aus Cap-Gründen zu entlassen. Die Offensive Line ist eine Großbaustelle, Charles Leno abzugeben erschließt sich mir nach wie vor nicht.

Die Bears hatten Glück, dass Fields im Draft abrutschte, und schlugen dann aggressiv zu. Wenn wir rein auf die Herangehensweise - also den Process - blicken, fallen mir allzu viele weitere positive Entscheidungen in der jüngeren Vergangenheit nicht ein. Und das sieht man eben im Kader.

Die Panthers- und Raiders-Defenses sind for real

Die Raiders-Defense war schon nach dem Monday Night Game gegen Baltimore ein spannendes Thema. Ich hatte bei den Raiders in der Offseason darüber gesprochen, dass ich mir vorstellen könnte, dass die Defense vom absoluten Liga-Keller ins Mittelmaß klettert - maßgeblich, weil unter dem neuen Defensive Coordinator Gus Bradley ein anderer Stil Einzug erhält.

Unter Paul Guenther war das eine komplexe, hochgradig geschemte Defense. Das verlangt von den Spielern ein hohes Maß an Reaktionsfähigkeiten, blitzschnelle Reads und viel Flexibilität sowie sehr schnelles Schalten. Bradleys Defense ist schematisch simpler, sie erlaubt es den Spielern, schneller zu spielen - und ich denke, das liegt dem defensiven Personal, welches die Raiders haben.

Es lässt die Cornerbacks physischer spielen, es lässt die Linebacker mehr ihre Explosivität einbringen. Casey Hayward sieht in der Secondary bisher wie ein Volltreffer aus. Das Problem dieser Art Defense ist, dass man in der Regel einen starken 4-Men-Rush braucht - den hatten die Raiders über die letzten Jahre nicht. Pass-Rusher sind schwer zu finden.

Das aber sieht mittlerweile anders aus: Maxx Crosby hatte einen herausragenden Auftakt gegen Baltimore und spielte auch gegen Pittsburgh gut, Yannick Ngakoue ist eine exzellente Ergänzung und nachdem die Raiders Lamar Jackson bei fast der Hälfte seiner Dropbacks unter Druck setzen konnten, teilten sie gegen Big Ben zehn QB-Hits aus. Crosby und Ngakoue kamen beide auf je mindestens fünf Pressures.

Die Offensive Lines der Ravens und Steelers offenbarten für sich betrachtet große Probleme, aber ich denke, die Raiders-Defense ist kein Early-Season-Phänomen. Las Vegas hat eine tiefe Pass-Rush-Rotation, und ganz offensichtlich sein Edge-Duo gefunden. Die Secondary wirkt deutlich stabiler. Die Raiders haben eine Defense, die kein Klotz am Bein mehr ist - und die je nach Matchup das Team mit tragen kann.

Panthers-Defense mit tollem Saisonstart

Bei Carolinas Defense durfte man vor Saisonstart ebenfalls gespannt sein, auch wenn die Zusammensetzung - oder besser: der Weg hierher - ganz anders war als der der Raiders. Die Panthers hatten ihren Umbruch und Neustart mit einer kompletten defensiven Neuausrichtung eingeleitet, inklusive dem All-Defense-Draft letztes Jahr. Und es war immer klar, dass das Zeit brauchen würde, bis sich all das findet, auch wenn die Panthers letztes Jahr etwa mit ihren flexiblen Safeties - Jeremy Chinn vorneweg - und Multiple-Safety-Sets einige interessante Ansätze gezeigt hatten.

Was wir dieses Jahr aber in erster Linie von dieser Defense sehen, ist, dass die Front Spiele an sich reißen kann. Das war gegen die Jets der Fall, als Yetur Gross-Matos, Haason Reddick und DaQuan Jones allesamt je mindestens vier Pressures sammelten - und, ungleich eindrucksvoller, es setzte sich gegen die Saints diese Woche fort.

Carolina setzte Jameis Winston laut ESPN-Tracking bei 18 seiner 28 Dropbacks (64 Prozent) unter Druck, die dritthöchste Pressure-Rate seit 2009, das Jahr, in dem ESPN damit anfing, diese Stats zu sammeln. Das war ein maßgeblicher Grund dafür, dass die Saints-Offense auf lediglich 128 Yards kam, ein Franchise-Tief seit 2001, also noch vor der Sean-Payton-Ära. Und sie blitzten auch aggressiv, was Winston zu Fehlern brachte.

Carolina hat sich insgesamt defensiv umgestellt, was in gewisser Weise durch den Jaycee-Horn-Pick im Draft untermauert wurde: Man draftet nicht den besten Man-Corner im Draft, um dann weiter seine Zone-heavy Coverage zu spielen, und der Start in die neue Saison legt nahe, dass Carolina auch in der Secondary aggressiver auftreten wird, mehr Man Coverage spielen wird. Aus einer passiven Defense im Vorjahr soll jetzt eine werden, die das Geschehen auch mal diktieren kann. Mehr Blitzing, mehr Single High Coverage.

Ich vertraue der Offense immer noch nur bedingt, dafür muss mir Sam Darnold mehr zeigen. Darnold war solide über die ersten beiden Spiele, diese Woche gegen eine aggressive Saints-Defense. Für den Moment setzt er eben in erster Linie die Offense gut um, ohne gravierende Fehler zu machen. Das war häufig auch das Prädikat, das man Teddy Bridgewater letztes Jahr geben konnte. Die Defense aber ist die Story dieser ersten beiden Saisonspiele in Charlotte.