Der vergangene Sonntag war für die Los Angeles Rams eine regelrechte Achterbahnfahrt. Nach klarer Führung waren sie drauf und dran, das Divisional Game beim amtierenden Champion Tampa Bay Buccaneers doch noch zu verlieren. Tom Brady hatte sein Team rund 40 Sekunden vor Spielende noch zum Ausgleich geführt. Dann übernahm ein gewisser Cooper Kupp.
Mit zwei Receptions über 20 und dann - das Big Play - über 44 Yards brachte Kupp sein Team schließlich fast im Alleingang in Position für das entscheidende Field Goal zum Sieg. Es war der bisherige Höhepunkt einer Saison, in der der einst völlig unbekannte Receiver endgültig zum Superstar avancierte. Kupp legte eine historisch großartige Saison hin und gewann als vierter Spieler überhaupt seit 1970 die "Triple Crown" im Receiving, er führte die Liga also in Receptions (145), Yards (1947) und Touchdowns (16) an.
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Diese Entwicklung wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Kupp ist nicht eben das, was man einen Modellathleten nennen würde. Er hatte nicht von frühester Kindheit an diese gottgegebenen Fähigkeiten, um als Sportler auf allerhöchstem Niveau zu dominieren. Im Gegenteil: Kupp musste sich das, wofür er heute steht, über viele Jahre hinweg hart erarbeiten. Er ist ein Self-Made-Superstar.
Was Kupp schon immer ausmacht, war seine Einstellung, seine Begeisterung, sein Wille, nach Höherem zu streben. Und das mit gutem Grund, schließlich spielten bereits sein Großvater Jake Kupp und sein Vater Craig in der NFL. Jake war zwölf Jahre (1964-1975) in der NFL als Guard aktiv und erreichte in neun Jahren bei den New Orleans Saints einmal den Pro Bowl. Craig wiederum war Backup-QB und kam letztlich auf einen Einsatz für die Phoenix Cardinals im Jahr 1991.
Cooper allerdings sah man das Zeug zur NFL früh nicht unbedingt an. Er war zumeist kleiner und langsamer als die anderen Schüler auf der High School in Yakima, einem kleinen Ort 140 Meilen südöstlich von Seattle.
NFL: Die Receiving Triple Crown Gewinner seit 1970
Saison | Spieler | Team | Receptions | Yards | Touchdowns |
1990 | Jerry Rice | San Francisco 49ers | 100 | 1502 | 13 |
1992 | Sterling Sharpe | Green Bay Packers | 108 | 1461 | 13 |
2005 | Steve Smith | Carolina Panthers | 103 | 1563 | 12 |
2021 | Cooper Kupp | Los Angeles Rams | 145 | 1947 | 16 |
Und wie aus einer Story von Sports Illustrated hervorgeht, war sein Coach auch nicht unbedingt von den Perspektiven des damaligen Hänflings überzeugt. Sein High-School-Coach Jay Dumas erinnerte sich an ein Gespräch mit Kupp vor dessen Sophomore-Saison. Kupp wollte wissen, wie jener seine College-Chancen sah. Die Antwort: Vielleicht "könnte" Kupp College spielen. "Ich hatte im Hinterkopf, dass er wahrscheinlich mal für Central Washington spielen würde", erinnerte sich Dumas. Central Washington ist ein kleines Division-II-College.
Cooper Kupp: "Lass ihn träumen"
Und was ist mit der NFL? Oder gar der Hall of Fame? Dumas dachte sich, dass das eher unrealistisch sei, doch schloss er es gegenüber Kupp nicht aus und entschloss sich, "ihn träumen zu lassen".
Jene Träume allerdings waren für Kupp nie solche, die in einer abstrakten Fantasiewelt stattgefunden haben. Vielmehr arbeitete er schon früh daran, solche tatsächlich zu realisieren. Als Teenager absolvierte er einen Mini-Triathlon, inspiriert von Mutter Karin, die selbst Ausdauersportlerin war, Marathons lief und Fitness Boot Camps veranstaltete. Doch Fitness und Ausdauer waren für Kupp stets nur die rudimentäre Grundlage. Seine Hauptaufgabe war ihm schon früh bewusst: die Verbesserung seiner Footballfähigkeiten. Und zwar auf unkonventionellen Wegen.
Im Frühjahr 2021 zog Kupp mit seiner Familie - mit Frau Anna und den zwei Söhnen (3 Jahre, 1 Jahr) - in einen Vorort von Portland/Oregon und baute sich dort aus einem Tennisplatz auf dem Hinterhof eine Scheune mit einem Kunstrasenfeld - sein persönliches Football-Labor, wenn man so will. Dort arbeitet er seither daran, sich selbst zu analysieren und auf grundlegende Weise zu verbessern.
Dort sind zwar keine Highspeed-Kameras, Hochleistungscomputer und dergleichen, wie man sie aus ähnlichen Einrichtungen im Baseballbereich kennt, doch besorgte er sich eine sogenanntes "Curve"-Laufband, um seinen Speed zu verbessern. Er hat ein "Timing Gate", das in seine Geschwindigkeit genau messen kann, und er hat spezielle tragbare Gewichte, die es ihm ermöglichen, den Widerstand beim Sprinten variabel zu erhöhen.
Cooper Kupp: Beste Noten in Mathematik und Physik
In dieser Scheune arbeitet Kupp in der Offseason unermüdlich an seinen Routes, an seinen Richtungswechseln und analysiert, wie sein Körper auf die jeweiligen Bewegungen in allen möglichen Situationen reagiert. Da geht es um Faktoren wie Position auf dem Platz und in der Formation, dem Wetter, der Art der Spielfeldoberfläche, den Schuhen und dergleichen. Die Idee dahinter ist, auf alles optimal vorbereitet zu sein und gewissermaßen für Muscle Memory zu sorgen - jedoch auch im mentalen Bereich.
Das geht schon zurück auf seine Schulzeit, wo er speziell in Fächern wie Mathematik und Physik seine besten Noten erzielte. Auf dem College - er ging letztlich zur FCS-Schule Eastern Washington - war sein Hauptfach "Behavioral Economics" und in seinem Senior-Jahr arbeitete er an einem Projekt, das sich mit alternativen Methoden zur Evaluierung von Football-Talenten befasste.
Er selbst sah sich schon deshalb im Nachteil im Recruitment-Prozess gegenüber seinen Konkurrenten, weil er eben nicht der Idealvorstellung des Wide Receivers entsprach. Er war nicht der Größte, war zu leicht und der allerschnellste war Kupp auch nicht unbedingt. Kupp hielt sich später mit Details dazu bedeckt, er erstellte jedoch ein Computer-Modell und schrieb den Code dafür selbst.
Cooper Kupp: Weiterentwicklung hört nie auf
Und schon zu High-School-Zeiten verbrachte Kupp viel Zeit damit, Game-Tape zu studieren - meistens sogar häufiger als die Coaches selbst. Er löcherte seit jeher seine Coaches und Mitspieler mit Fragen, frühstückt sogar heute noch regelmäßig mit seinem Quarterback - erst Jared Goff und seit dieser Saison Matthew Stafford, um über Schemes zu philosophieren.
Zur Seite steht ihm in der Offseason Erik Jernstrom, der ebenfalls in Portland ansässige Director of Sports Performance von EForce Sports. Er half dabei, mit Hilfe zahlreicher Tests und GPS-Daten der Rams ein "athletisches Profil" von Kupp zu erstellen. Dabei kam zum Beispiel heraus, dass Kupp seinen Top-Speed früher als andere Sportler erreiche. Auf Grundlage dessen passte Kupp sein Training und seine Art zu spielen an. Hilfreich dabei war im Übrigen auch Sun Tzu und sein Buch "The Art of War".
Ein wichtiger Faktor darin ist der Raum und wie man jenen manipulieren kann, um einen Gegner effizient zu attackieren. Wie kreiert man einen eigenen Raum beziehungsweise wie verknappt man den des Gegners? Für Kupp heißt dies vor allem, Separation vom Verteidiger zu erzeugen. Wo muss er hinlaufen, wann muss er sich lösen und wie gelingt es ihm, den Gegner zu täuschen? Kupp setzt dafür auf die OODA-Methode von US-Kampfpiloten (Observe, Orient, Decide, Act). Sie gibt ihm die Fähigkeit, schnelle, klare Entscheidungen mit Entschlossenheit unter Druck zu treffen - also wie bei gewissermaßen jedem Play in der NFL. Dumas umschrieb all das mit der "Weiterentwicklung seiner Psyche".
Dieser Prozess wiederum begann lange vor der NFL. Schon als Teenager arbeitete Kupp auf sein großes Ziel mit ungewöhnlichen Mitteln hin. Er dribbelte regelmäßig stundenlang einen Basketball oder trug permanent einen Tennisball mit sich rum, den er wieder und wieder warf und fing, um seine Koordination zu verbessern. Er versuchte sich in Breakdance und fuhr Skateboard, um seine Körperkontrolle zu erhöhen.
Und trotz alledem hatte Kupp keine Angebote von FBS-Colleges. Er bekam nicht mal einen Stern als High School Senior und seine Lieblingsziele USC oder Stanford wollten nichts von ihm wissen. Und auch nach ein paar Gala-Auftritten für Eastern Washington gegen Pac-12-Teams wie Washington, Oregon und Oregon State im Laufe der Jahre hielt sich das Interesse der NFL in Grenzen.
Cooper Kupp zur rechten Zeit am rechten Ort
Hier kam dann Glück ins Spiel. Kupp war schlicht zur rechten Zeit am rechten Ort, als ihn Les Snead, der General Manager der Rams, entdeckte. Kupp nämlich war einer der Receiver im Rahmen der berühmten Manning Passing Academy im Sommer 2015. Großvater Jake war Archie Mannings Guard in den 70ern bei den Saints und ließ seine Connections spielen, sodass Cooper in dem Sommer nicht zum ersten Mal mitwirken durfte.
Und Kupp hinterließ dabei wegen seiner präzisen Routes Eindruck bei den noch aktiven Mannings. So kam es zu einem kleinen Streit unter Brüdern, weil Peyton Kupp in seinem Team haben wollte, was Eli nicht so ganz passte. Peyton setzte sich letztlich durch. Und wie es der Zufall so wollte, überhörte Snead die Auseinandersetzung an der Seitenlinie und wurde hellhörig. In sein Notizbuch schrieb er prompt: "Who the Heck is Cooper Kupp?" ("Wer zur Hölle ist Cooper Kupp?")
Entsprechend setzte Snead seine Scouts auf Kupp an und kam letztlich zum Schluss, Kupp im Draft 2017 in der dritten Runde zu ziehen. "Sein zentrales Nervensystem ist einfach etwas Besonderes - es hat einfach die Geometrie des Footballs verstanden", beschrieb Snead seinen damaligen Eindruck von Kupp.
Schmächtig ist Kupp mittlerweile nicht mehr. Er verteilt mittlerweile 94 Kilogramm auf seine 1,88 Meter. Und zu langsam augenscheinlich auch nicht mehr, wie sein 70-Yard-Touchdown oder der 44-Yard-Catch am Ende gegen Tampa Bay unterstrichen. Und er ist wohl der vielseitigste Receiver der Liga. Kupp hat als erster Receiver seit 2016 aus allen 7 Positionen eines Wide Receivers einen Ball gefangen.
Mehr noch: Kupp ist der X-Faktor eines Teams, das ein Spiel vom Super Bowl entfernt ist. Es wäre der zweite Super Bowl unter Coach Sean McVay für die Rams nach 2018 - der erste jedoch für Kupp, der das Spiel gegen die Patriots seinerzeit mit einem Kreuzbandriss verpasst hatte. Es ist ein kleines bisschen Extramotivation für Kupp - und wäre ein gehöriger weiterer Schritt zum ultimativen Ziel in Canton.